Spruch:
Sicherstellung nach § 520 ABGB.
Entscheidung vom 28. September 1965, 1 Ob 139/65
I. Instanz: Kreisgericht Ried i. I.; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz
Text
Die Klägerin begehrt, die beiden Beklagten als Berechtigte aus der ihnen zustehenden und ob der klägerischen Liegenschaft einverleibten Dienstbarkeit des Wohnungsrechtes schuldig zu erkennen, der klagenden Parteisicherstellung der Substanz nach der Vorschrift der §§ 1373, 1374 ABGB. zu leisten, wobei der wirkliche Wert dieser Sicherheit mindestens 25.000 S zu betragen habe. Zur Begründung ihres Anspruches führen sie an, den Beklagten stunde an der im ersten Stock des klägerischen Hauses gelegenen Wohnung auf Grund eines Vertrages die Dienstbarkeit des Wohnungsrechtes zu. Durch Unachtsamkeit der Beklagten sei es im Sommer 1963 und im Dezember dieses Jahres zu je einer Überschwemmung im Badezimmer der Dienstbarkeitswohnung gekommen. Es sei daher eine sich äußernde Gefahr für das Dienstbarkeitsobjekt im Sinne des § 520 ABGB. vorhanden, weshalb die Eigentümer Sicherstellung begehren.
Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung; sie bestritten ein Verschulden an dem Entstehen der Überschwemmungen, sowie das Vorliegen eines Schadens oder auch nur einer Gefährdung der Substanz. Außerdem könne schon deswegen nicht Sicherstellung begehrt werden, weil die Wohnung gegen Wasserschaden versichert sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt: das Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige. Es legte seiner Entscheidung gleich dem Erstgericht folgende Tatsachenfeststellungen zugrunde:
Die klagende Partei sei Eigentümerin des Hauses L. Nr. 42, in dessen Erdgeschoß sich ein von ihr benütztes Geschäftslokal mit Büroräumen befinde. An dieses Haus sei das den beiden Beklagten gehörige Haus Nr. 5 angebaut. Die klagende Partei habe am 1. September 1959 den beiden Beklagten das Wohnungsrecht auf deren Lebensdauer in ihrem Haus an der im ersten Stock oberhalb der Geschäftsräume gelegenen Wohnung eingeräumt, die aus zwei Wohnräumen mit Vorraum, Badezimmer und Klosett bestehe. Diese Wohnung habe durch die gemeinsame Trennwand der beiden Häuser einen Zugang zum Hause der Beklagten. Das Wohnungsrecht sei verbüchert. Im Sommer 1963 sei das Wasser aus der Badewanne in der Dienstbarkeitswohnung übergelaufen und habe das Badezimmer überschwemmt, weil die Ablauföffnung nicht voll funktionierte und Wasser durch den geöffneten Wasserhahn nachgeflossen sei. Vor Weihnachten 1963 sei eine noch größere, auch die an das Bad angrenzenden Räume überflutende Überschwemmung dadurch eingetreten, daß die Beklagten beim Auftauen der eingefrorenen Leitung im Badezimmer den geöffneten Wasserhahn zu schließen unterließen, wodurch das Wasser auf den Boden ausgeströmt sei. In beiden Fällen sei das Wasser in den darunter befindlichen Verkaufsraum der klagenden Partei gesickert. Durch die beiden Überschwemmungen in der Dienstbarkeitswohnung sei zwar eine wesentliche Schädigung der Substanz des Hauses nicht eingetreten, doch sei eine Gefahr für die Substanz herbeigeführt worden. Eine Schwammbildung sei nicht eingetreten und auch nicht künftig zu erwarten, soweit sie als Folge der beiden Überschwemmungen in Betracht zu ziehen sei. Auch die Decke oberhalb des Verkaufslokales habe bisher keinen ernstlichen Schaden genommen, jedoch sei insbesondere bei einer künftigen Überschwemmung im Winter eine Gefährdung des Hauses zu befürchten. Die Überschwemmungen wären vermeidbar gewesen, wenn die Beklagten nicht achtlos die Wasserhähne aufgedreht gelassen hätten. Auch hätten sie das Einfrieren der Rohrleitung durch rechtzeitiges Einschalten eines Heizkörpers verhindern können. Besonders im Winter 1963 sei eine derart große Menge Wasser übergelaufen, daß nahezu alle Räume der Dienstbarkeitswohnung überflutet worden seien; von dort sei das Wasser durch die Decke und an den Seitenmauern in den Geschäftsraum in einem derartigen Umfang eingedrungen, daß es mit Eimern aus dem Lokal geschafft werden mußte.
In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, daß unter dem Wort "Substanz" im § 520 ABGB. die gesamte Baulichkeit, wozu auch der Verputz und die Fußböden gehören, zu verstehen sei. Es genüge im vorliegenden Falle bereits, daß die tragenden Mauern Schaden davontragen konnten, da ohne diese Mauern die im ersten Stock befindliche Wohnung nicht vorstellbar wär bzw. durch Schäden an den Mauern die Wohnung gleichfalls in Mitleidenschaft gezogen würde. Diese Mauern seien nach dem Sachverständigengutachten in ihrer Substanz gefährdet gewesen. Darüber hinaus sei aber auch die Dienstbarkeitswohnung selbst in Gefahr gebracht worden. Obwohl nach dem Sachverständigengutachten die beiden Überschwemmungen noch keinen wesentlichen Schaden angerichtet hätten, sehe auch das Berufungsgericht eine Gefährdung der Substanz darin, daß bei einer Wiederholung ein erheblicher Schaden eintreten könnte. Als Voraussetzung für die Sicherstellung nach § 520 ABGB. genüge eine Gefährdung, die aus dem bisherigen Verhalten des Gebrauchsberechtigten geschlossen werden könne. Das Verhalten der Beklagten lasse eine derart erhebliche Vernachlässigung ihrer Pflicht, die Wohnung und deren Einrichtung ordentlich zu gebrauchen, erkennen, daß eine Wiederholung nicht von der Hand zu weisen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Beklagten erblicken zunächst einen Verfahrensmangel des Berufungsgerichtes darin, daß es nicht eindeutig feststellte, "die Substanz welcher Sache durch die Gefährdung betroffen wurde". Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Das Berufungsgericht stellt gleich dem Erstgericht ausdrücklich fest, daß die Gefahr den Verputz und die Fußböden der Dienstbarkeitswohnung betraf und außerdem die tragenden Mauern, die zum dienenden Grundstück wie auch zur Wohnung selbst gehören, da ohne diese Mauern die im ersten Stock befindliche Wohnung nicht vorstellbar wäre bzw. durch Schäden an den Mauern die Wohnung gleichfalls in Mitleidenschaft gezogen würde. Soweit in diesen Ausführungen Tatsachenfeststellungen zu erblicken sind, können sie in der dritten Instanz nicht mehr bekämpft werden. Aber auch gegen die rechtliche Beurteilung, nämlich insoweit das angefochtene Urteil die aufgezählten Bestandteile des Hauses in die Substanz der Dienstbarkeitssache einordnet, bestehen keine Bedenken. Daß die tragenden Mauern eines Hauses zur Substanz der dienstbaren Sache gehören, da ohne diese Mauern die Sache (Wohnung) nicht gebraucht werden könnte, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erörterung.
Als Aktenwidrigkeit wirft die Revision dem Berufungsurteil vor, daß es annahm, daß auch die Fußböden und der Verputz der Dienstbarkeitswohnung der Gefährdung ausgesetzt worden seien, während der Sachverständige nur in Ansehung der stehenden Mauern eine Substanzgefährdung annahm. Die Revision verkennt das Wesen der Aktenwidrigkeit. Eine solche liegt nur dann vor, wenn eine Feststellung auf aktenwidriger Grundlage beruht, nicht aber schon dann, wenn sie durch Schlußfolgerungen gewonnen wird. Das Berufungsgericht hat im Gegenteil in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, daß der Sachverständige die Gefahr von Schäden am Verputz und an den Fußböden nicht ausschloß. Eine Aktenwidrigkeit liegt also nicht vor. Im übrigen kann es dahingestellt bleiben, ob die Fußböden und der Verputz einer Wohnung zur Substanz derselben gehören; dieser Frage kommt deswegen keine streitentscheidende Bedeutung zu, da es für die Anwendbarkeit des § 520 ABGB. bereits genügt, daß durch Überschwemmungen die stehenden Mauern gefährdet werden können.
Im Zuge ihrer Rechtsrüge führt die Revision aus, daß gegenwärtig eine Gefährdung der Substanz nicht vorliege, sie würde erst dann ausgelöst werden, wenn künftig zur kalten Jahreszeit eine Überschwemmung verursacht würde. Der § 520 ABGB. billige seinen Schutz nur bei einer gegenwärtigen Gefährdung zu, was sich aus den Worten "bei einer sich äußernden Gefahr" ergebe. Diese sich äußernde Gefahr besteht im vorliegenden Falle aber nicht in einer etwa bereits erfolgten Beeinträchtigung der Substanz, sondern ergibt sich aus dem an den Tag gelegten Verhalten der Gebrauchsberechtigten, das, wie das Berufungsurteil zutreffend ausführt, eine derartig erhebliche Vernachlässigung ihrer Verpflichtung, die Wohnung und deren Einrichtung ordentlich zu gebrauchen, zeigt, daß eine Wiederholung nicht von der Hand zu weisen ist. Daß eine solche Wiederholung ausgeschlossen wäre, wird in der Revision nicht behauptet. In diesem bisherigen, den Vertragsverpflichtungen widersprechenden Verhalten der Beklagten liegt die vom Gesetz geforderte sich äußernde Gefahr. Daß durch das bisherige Verhalten bereits ein Schaden entstanden sein muß, wird vom Gesetz ebensowenig gefordert, wie daß durch Handlungen oder Unterlassungen bereits eine konkrete Gefährdung der Substanz selbst eingetreten ist. Ein einmaliges, zufälliges Ereignis könnte daher kaum zur Klage nach § 520 ABGB. berechtigen; läßt aber das Verhalten der Gebrauchsberechtigten auf eine den übernommenen Verpflichtungen gegenüber gleichgültige Einstellung schließen, dann äußert sich eben in dieser Einstellung die vom Gesetz geforderte Gefährdung der Substanz.
Schließlich führen die Beklagten neuerlich das Bestehen der Haftpflichtversicherung ins Treffen und vermeinen, daß hiedurch die Sicherheit für den Schadensfall gewährleistet sei. Die hiedurch geschaffene Sicherheit sei den Sicherungen eines Handpfandes, einer Hypothek oder einer Bürgschaft gleichzuhalten. Auch hier irrt die Revision. Der Abschluß einer Haftpflichtversicherung seitens der Gebrauchsberechtigten wird dem Sinn und Zweck der Bestimmung des § 520 ABGB. nicht gerecht. Diese bezweckt die Sicherstellung der Substanz, während die Haftpflichtversicherung lediglich die Deckung des Ersatzanspruches für einen erlittenen Schaden gewährleistet. Abgesehen davon böte die Tatsache des Abschlusses einer Haftpflichtversicherung dem Eigentümer der dienenden Sache keine volle Sicherung, da er nicht Vertragspartner des Versicherers ist. Schließlich berechtigt aber auch die Bestimmung des § 520 ABGB. den Eigentümer, Sicherheitsleistung nach den Bestimmungen der §§ 1373, 1374 ABGB. zu verlangen. Er braucht sich daher nicht mit dem Abschluß einer Haftpflichtversicherung durch den Gebrauchsberechtigten zufriedenzugeben.
Die Untergerichte haben somit die Sach- und Rechtslage richtig beurteilt, weshalb der Revision ein Erfolg zu versagen war.
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