OGH 8Ob251/65

OGH8Ob251/6521.9.1965

SZ 38/144

Normen

ABGB §655
ABGB §696
ABGB §655
ABGB §696

 

Spruch:

Zur Abgrenzung der einer letztwilligen Verfügung beigesetzten Bedingung von der bloßen Bezeichnung des Anlasses dieser Verfügung.

Entscheidung vom 21. September 1965, 8 Ob 251/65

I. Instanz: Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck

Text

Der Erblasser - das ist der verstorbene Onkel der Kläger, Josef L. - hat an den Vater der Kläger in Briefform eine letztwillige Erklärung folgenden Inhaltes gerichtet:

"Solltest Du das Unglück haben und die Heimat nicht mehr sehen, werde ich für die Kinder sorgen, so gut ich kann. Komme ich aber nicht mehr in die Heimat, so gehört das vordere Haus und die große Wiese Dir oder Deinen Kindern. Dein Bruder Josef L. (im Süden Rußland, 4. 8. 43)."

Die in dem genannten Schreiben angeführten Liegenschaften sind mit den im Spruch angeführten Grundstücken identisch. Josef Fidel L. ist am 5. Dezember 1962 in seiner Heimat gestorben. Sein Bruder Alfons L. ist bereits am 15. Juli 1951 aus dem Leben geschieden. Außer der genannten letztwilligen Anordnung ist eine letztwillige Verfügung des Josef L. nicht vorhanden. Gegenüber der Mutter der Kläger, Lina L., äußerte sich der Erblasser in bezug auf den Brief vom 4. August 1943: "Heb dieses Schreiben gut auf". Einer anderen Person gegenüber erklärte Josef L., "die große Wiese bekomme seine Schwester Anna X".

Die Erst- bis Drittbeklagten sind die gesetzlichen Erben des Erblassers, die Viert- bis Zehntbeklagten die Erben des gesetzlichen Erben Gebhard L. Die Erben haben sich bereits erbserklärt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Feststellung, das Schreiben vom 4. August 1943 stelle ein verbindliches Kodizill dar und seien daher die Kläger berechtigt, auf Grund desselben die lastenfreie Übergabe der in dieser letztwilligen Verfügung genannten Grundstücke zu je einem Sechstelanteil zu begehren und die Beklagten verpflichtet, die Übertragung dieser Liegenschaften zu je einem Sechstelanteil an die Kläger zu bewilligen, ab. Das Erstgericht vertrat den Standpunkt, daß die letztwillige Erklärung des Erblassers unter einer Suspensivbedingung im Sinne des § 696 ABGB. abgegeben worden sei und daher, weil diese Bedingung nicht eingetreten, Josef L. vielmehr aus dem Krieg heimgekehrt sei, das Kodizill seine Wirksamkeit verloren habe.

Das Berufungsgericht, das die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich übernahm und auch der Rechtsansicht des Erstgerichtes beitrat, bestätigte das Ersturteil.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger Folge und änderte die untergerichtlichen Urteile ab, wie folgt:

Es wird den Beklagten gegenüber festgestellt, daß das Schreiben des Erblassers Josef L. vom 4. August 1943 des Inhaltes: "... komme ich aber nicht mehr in die Heimat, so gehört das vordere Haus und die große Wiese Dir oder Deinen Kindern. Dein Bruder Josef L. (im Süden Rußland, 4. 8. 43).", ein auch nach der Rückkehr des Erblassers aus dem Krieg verbindliches Kodizill darstellt, die Kläger berechtigt sind, auf Grund desselben die lastenfreie Übergabe der Liegenschaften Grundstück 1687/2 in der EZ. 608 Katastralgemeinde K. und Baugrundstück 86 mit Wohnhaus H. in der EZ. 98 Katastralgemeinde G. zu je einem Sechstelanteil zu begehren und die Beklagten verpflichtet sind, die Übertragung dieser Liegenschaften zu je einem ideellen Sechstelanteil an die Kläger zu bewilligen.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der Auslegung von letztwilligen Erklärungen ist auf den Willen des Erblassers Bedacht zu nehmen. Das gilt nicht nur für Erbseinsetzungen, sondern auch für Vermächtnisse, wie sich aus § 655 ABGB. ergibt. Dabei ist, falls sich ein bestimmter Wille des Erblassers nicht erforschen läßt, die vom Erblasser zweckbestimmt getroffene Verfügung, um sie nicht wirkungslos werden zu lassen (§ 655 am Ende ABGB.), in dem Sinne auszulegen, den ihr der Erblasser beigelegt hätte, wenn er die Sachlage im Zeitpunkt des Erbfalles vorausgesehen hätte (vgl. Weiss im Klang-Komm.[2] III 531 und 226). Nun hat der Erblasser nach seiner Rückkehr in die Heimat einmal gegenüber der Mutter der Kläger geäußert, sie solle den Brief, der die Vermächtnisanordnung zugunsten der Kläger enthält, gut aufheben. Ein anderes Mal hat Josef L. allerdings gesagt, die große Wiese bekomme seine Schwester Anna X. Eine diesbezügliche letztwillige Anordnung wurde jedoch nicht aufgefunden. Da der Erblasser es unterlassen hat, eine solche Anordnung in gültiger Form zu treffen, die Erklärung, selbst sich nur auf einen Teil der Sachen bezog, über die er mit Kodizill vom 4. August 1943 verfügt hatte, und er sich überdies äußerte, der "Brief" solle gut aufgehoben werden, welche Äußerung sinnlos wäre, wenn der Erblasser die Anordnung unter der Bedingung seiner Nichtrückkehr in die Heimat getroffen hätte, kommt das Revisionsgericht zu dem Ergebnis, daß die letztwillige Anordnung vom 4. August 1943 nicht unter der erwähnten Bedingung getroffen wurde, sondern daß mit den Worten "komme ich nicht mehr in die Heimat" bloß die Gelegenheit zur Errichtung der Anordnung, also der Beweggrund, der den Erblasser veranlaßte, die letztwillige Anordnung zu treffen, bezeichnet wurde (siehe hiezu die gleichgelagerte Entscheidung GlU. 4360). Weil es für den Erblasser ungewiß war, ob er den Krieg überleben werde, hat er die letztwillige Verfügung getroffen. Diese Ungewißheit war der Anlaß für die Errichtung des Kodizills, nicht aber sollte die Nichtrückkehr des Erblassers in die Heimat Suspensivbedingung sein. Dafür daß für die Erlassung der letztwilligen Verfügung die Erwägung maßgebend gewesen wäre, der Erblasser hoffe, seinen Einsatz im Krieg zu überleben und dann noch anderweitige Verfügungen treffen zu können, er habe daher das Kodizill unter eine Suspensivbedingung stellen wollen, fehlt ein hinreichender Anhaltspunkt. Die Äußerung, daß die große Wiese seine Schwester bekomme, läßt keinen zwingenden Schluß auf den Willen des Erblassers in der aufgezeigten Richtung zu.

Da bereits aus diesen Erwägungen die Revision begrundet und der Zeitpunkt der beiden oben angeführten Äußerungen nicht streitentscheidend ist, war auf die Mängelrüge der Revision nicht näher einzugehen.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

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