Spruch:
Für die Geltendmachung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge gegen Erben des Versicherten ist der Rechtsweg zulässig
Entscheidung vom 29. Juni 1965, 8 Ob 115/65
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien
Text
Die klagende Partei begehrte Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Betrages von 946.14 S s. A. mit der Begründung, der beklagten Partei sei als bedingt erbserklärter Erbin nach der am 7. November 1960 verstorbenen Magdalena F. deren Nachlaß zur Hälfte eingeantwortet worden; Magdalena F. sei als Mitglied der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien bei der klagenden Partei pflichtversichert gewesen und habe einen Rückstand von 1892.28 S an Beiträgen entstehen lassen; die beklagte Partei hafte für die Hälfte dieses Rückstandes.
Die beklagte Partei hat Verjährung eingewendet.
Das Erstgericht hat die Klage aus dem Gründe der Verjährung abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat aus Anlaß der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Erstgerichtes und das diesem vorangegangene Verfahren, einschließlich der Klagszustellung, als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen. Es hat in rechtlicher Hinsicht ausgeführt: Der Erlaß des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 15. Juni 1961, Zl. 39087/II/9/61, in welchem Erlaß es heiße, daß Beitragsforderungen gegen andere Personen (als Dienstgeber, Versicherte usw.) auf Grund einer sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes ergebenden Zahlungspflicht (gegen Bürgen, Erben) nur vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden könnten, stelle keine die Gerichte bindende Verordnung dar. Der Erbe setze die Person des Erblassers fort. Eine gesetzliche Bestimmung, daß dann, wenn die Beitragsforderung gegen Universalsukzessoren geltend gemacht werde, der bisher öffentlichrechtliche Anspruch zu einem privatrechtlichen werde, sei nicht vorhanden. Mangels einer solchen Bestimmung müsse es aber bei der Regelung in den Sozialversicherungsgesetzen bleiben, wonach rückständige Sozialversicherungsbeiträge im Verwaltungsverfahren einzuheben seien (§ 21 GSPVG.). Daher sei der Rechtsweg für derartige Klagen nicht zulässig.
Der Oberste Gerichtshof hat dem Rekurs der klagenden Partei Folge gegeben, den Beschluß des Berufungsgerichtes aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Aufhebungs- und Klagszurückweisungsgrund aufgetragen.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgesprochen, daß der angeführte Erlaß des Bundesministeriums für soziale Verwaltung, der sich mit der hier entscheidenden Frage befaßt, keine Verordnung sei und daher die Gerichte nicht binde. Ebenso ist dem Berufungsgericht zuzustimmen, daß der Anspruch des Sozialversicherungsträgers auf Zahlung der Beiträge durch den Versicherten ein öffentlichrechtlicher Anspruch ist und dadurch, daß er gegen den Rechtsnachfolger (Erben) des Versicherten geltend gemacht wird, nicht zu einem privatrechtlichen Anspruch wird. Damit ist aber noch nichts über den Weg gesagt, auf dem ein solcher Anspruch geltend gemacht werden muß. Eine Generalklausel, die Rechtssachen außerhalb des bürgerlichen Rechtes vor die Gerichte oder die Verwaltungsbehörden verweisen würde, besteht nicht; sie besteht nur für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zugunsten der Zivilgerichte (Fasching I zu § 1 JN. A I a S. 43).
Manche Gesetze enthalten eine ausdrückliche Regelung darüber, vor welcher Behörde unter gewissen Umständen öffentlich-rechtliche Ansprüche geltend zu machen sind. So sagt z. B. das Gesetz vom 3. Dezember 1863, betreffend die Regelung der Heimatverhältnisse, RGBl. Nr. 105, in seinem § 38, daß vor das Gericht diejenigen Ersatzansprüche gehören, welche Gemeinden wegen des Aufwandes von Verpflegskosten (für einen Armen) gegen die zur Versorgung nach dem Zivilrecht verpflichteten Personen erheben. Streitigkeiten über Ersatzansprüche nach dem § 25 und 25a der Fürsorgeverpflichtverordnung vom 13. Februar 1924, RGBl. I, S. 100 (Gesetzblatt für das Land Österreich 1938, Nr. 397), haben die ordentlichen Gerichte zu entscheiden (§ 18 der Kundmachung Gesetzblatt für das Land Österreich 1938, Nr. 397). Das Krankenanstaltengesetz vom 18. Dezember 1956, BGBl. Nr. 1/1957, ordnet wiederum an, daß Vorschriften über die Einbringung von Pflegegebühren (Sondergebühren), insbesondere über das Verfahren zur Einbringung rückständiger Pflegegebühren (Sondergebühren) gegenüber dem Pflegling selbst und über die Geltendmachung von Ansprüchen auf solche Gebühren gegenüber dritten Personen durch die Landesgesetzgebung zu erlassen seien (§ 30 (1)), in welchen Vorschriften jedenfalls festzulegen sei, daß auf Grund von Rückstandsausweisen öffentlicher Krankenanstalten für Pflege- und Sondergebühren gegen Pfleglinge die Vollstreckung im Verwaltungswege zulässig sei, wenn die Vollstreckbarkeit von der Bezirksverwaltungsbehörde bestätigt werde (§ 30 (3)). Über die Geltendmachung von Pflege- und Sondergebühren-Forderungen gegen dritte Personen sagt das nö. Krankenanstaltsgesetz vom 5. November 1957, LGBl. Nr. 109, daß die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes über die Geltendmachung solcher Forderungen von den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht berührt werden (§ 48 (4)); das steiermärkische Krankenanstaltsgesetz vom 29. Oktober 1957, LGBl. Nr. 78, sagt in § 42 (7) ausdrücklich, daß rückständige Pflege- und Sondergebühren und Sonderaufwendungen gegen dritte Personen im ordentlichen Rechtswege geltend zu machen sind. Eine inhaltlich gleiche Bestimmung enthält das Tiroler Krankenanstaltsgesetz vom 10. Dezember 1957, LGBl. Nr. 5/1958, in § 43 (7). Ebenso sagt § 43 (2) der Kärntner Krankenanstaltenordnung vom 25. März 1958, LGBl. Nr. 13, daß Ansprüche gegen unterhaltspflichtige Personen im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen seien, während nach dem Wiener Krankenanstaltengesetz vom 14. November 1947, LGBl. Nr. 1/1958, die Einbringung solcher Forderungen bei sonstigen zahlungspflichtigen Personen nach den jeweils hiefür geltenden besonderen gesetzlichen Vorschriften zu erfolgen hat (§ 39 (2)).
Zum Vergleich seien noch die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung vom 28. Juni 1961, BGBl. Nr. 194, herangezogen. § 19 BAO. sagt, daß bei Gesamtrechtsnachfolge die Abgabenschulden des Rechtsvorgängers auf den Rechtsnachfolger übergehen; für den Umfang der Inanspruchnahme des Erben gelten die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes (§§ 801 und 802 ABGB.). Der Kommentar von Reeger - Stoll führt hiezu aus, daß ein Bescheid, der gegen den Erblasser nach dessen Tod ergehen soll, nach Einantwortung an die Erben als Rechtsnachfolger des Abgabepflichtigen zu richten sei (S. 18). In gleicher Weise hat der Verwaltungsgerichtshof vor dem Inkrafttreten der Bundesabgabenordnung 1961 am 28. März 1958 zu Zl. 3006/55 und 3044/55 entschieden, daß das Finanzamt berechtigt sei, gegen die Erben einer verstorbenen Abgabenschuldnerin - in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall handelte es sich um Vermögensteuer und Vermögensabgabe - einen Steuerbescheid zu erlassen.
Nach Erwägung der angeführten Vorschriften kommt der Oberste Gerichtshof zu dem Schluß, daß die Geltendmachung öffentlichrechtlicher Ansprüche gegen einen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu bestimmenden Rechtsnachfolger des Zahlungspflichtigen nur dann auf dem Verwaltungswege erfolgen kann, wenn dies in einer gesetzlichen Vorschrift ausdrücklich angeordnet ist. Anderenfalls bleibt für solche Ansprüche nur der ordentliche Rechtsweg offen.
Im konkreten Fall ist zusätzlich noch folgendes zu erwägen:
Grundlage für die Vollstreckung im Verwaltungsverfahren muß - abgesehen von der Zulässigkeit einstweiliger Verfügung nach § 8 VVG.
- eine vollstreckbare Verpflichtung bilden, die entweder auf einem verwaltungsbehördlichen Bescheid beruht oder durch einen Rückstandsausweis über eine Geldleistungsverpflichtung belegt ist, für die durch besondere Vorschriften die Einbringung im Verwaltungswege gewährt ist (Mannlicher, Verwaltungsverfahren[7] zu § 1 VVG., Anm. 3, S. 500). Ein Rückstandsausweis kann nur gegen den zahlungspflichtigen Versicherten erlassen werden. Die klagende Partei kann aber auch keinen Bescheid gegen die beklagte Partei erlassen; denn gemäß § 155 GSPVG. kann die klagende Partei in Verwaltungssachen - Angelegenheiten der Beiträge der Versicherten sind Verwaltungssachen (§ 115 Z. 2 GSPVG.) - einen Bescheid nur erlassen, wenn sie die sich aus diesem Gesetz ergebenden Rechte und Pflichten von Versicherten feststellt. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung ist es der klagenden Partei also verwehrt, einen Bescheid gegen andere Personen als die Versicherten selbst zu erlassen. Eine bescheidmäßige Feststellung der Zahlungspflicht des Rechtsnachfolgers eines Versicherten kann somit nicht erfolgen. Damit ist der klagenden Partei aber die Möglichkeit genommen, von einem Erben des Versicherten einen Rückstand an Beiträgen, den der Versicherte hat entstehen lassen, im Verwaltungswege zwangsweise hereinzubringen.
Da somit der klagenden Partei die Hereinbringung rückständiger Beiträge von der beklagten Partei auf dem Verwaltungswege weder auf Grund einer besonderen gesetzlichen Bestimmung noch auf Grund der allgemeinen Bestimmungen des GSPVG. über die Hereinbringung rückständiger Beiträge möglich ist, muß ihr der ordentliche Rechtsweg offenstehen. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes Erbe und Erblasser nach Annahme der Erbschaft in Beziehung auf einen Dritten für eine Person gehalten werden (§ 547 ABGB.). Denn damit soll nur zum Ausdruck gebracht werden, daß die Einheit zwischen Erblasser und Erben nicht in bezug auf dessen eigene Rechtsverhältnisse gelte, sondern nur in Rücksicht auf die Verlassenschaft (Weiss in Klang[2], III, zu § 547 III 2 bei Anm. 68, S. 132). Daher können die Vorschriften des GSPVG. über die Einbringung der Beiträge bei dem Versicherten nicht ohne weiteres auch auf die Hereinbringung bei dessen Erben angewendet werden.
Damit befindet sich der Oberste Gerichtshof auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der ausgesprochen hat, daß die Befugnis der Verwaltungsbehörden, über die Verpflichtung zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen zu entscheiden, auf Personen beschränkt ist, deren Beitragspflicht sich aus den Sozialversicherungsgesetzen ergibt (Zl. 1387/47).
Dem Rekurs war daher Folge zu geben.
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