Normen
ABGB §1165
ABGB §1304
ABGB §1327
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §2
ABGB §1165
ABGB §1304
ABGB §1327
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §2
Spruch:
Haftung des Eisenbahn-(Seilbahn-)Unternehmers aus dem Beförderungsvertrag, wenn ein Fahrgast bei der Station von einem Steinschlag getroffen wird
Entscheidung vom 13. Mai 1965, 2 Ob 98/65
I. Instanz: Bezirksgericht Reutte; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck
Text
Nach den Feststellungen der Untergerichte betreibt die beklagte Partei von E. aus eine Drahtseilbahn auf die Zugspitze. Die Bahn wurde bis 1960 als Zwei-Gondel-Bahn geführt. An der Stütze 4 bestand eine Aussteigmöglichkeit in Form einer Plattform, von der man über Treppen den Erdboden erreichte. Diese Möglichkeit wurde von Schifahrern benützt, die über die Gamskarabfahrt nach E. fahren wollten. Die Abfahrt war im oberen Teil sehr steil und lawinengefährdet. Um die Frequenz der Seilbahn zu erhöhen, beschloß man auf Vier-Gondel-Betrieb überzugehen. Dazu mußte eine Mittelstation erbaut werden, die zwischen den Stützen 3 und 4 zu liegen kam. Die Aussteigemöglichkeit bei Stütze 4 wurde aufgelassen und bei der neuen Mittelstation eine neue Aussteigemöglichkeit geschaffen. Da die Mittelstation in schroffem und steilem Gelände steht, mußte für Fahrgäste, die die Station verlassen wollen, ein Steg gebaut werden. Dieser verläuft vom Stationsausgang zunächst auf 10 - 12 m gerade. An seinem Ende kann man bereits mit der Schiabfahrt beginnen, gelangt aber auf einen Steilhang mit 60 Grad Neigung, der nur bei günstiger Schneelage und nur von geübten Schifahrern befahren werden kann. Um bei ungünstiger Schneelage und für weniger geübte Schifahrer einen Zugang zum Beginn der Abfahrt zu schaffen, errichtete die beklagte Partei am Ende des Steges mehrere abwärts führende Stiegen. Diese sind von Podesten unterbrochen, auf denen die Schifahrer die Schier anschnallen können. Den Schifahrern bleibt es überlassen, wo sie die Abfahrt beginnen. Sie haben auch die Möglichkeit, in der Verlängerung des Steges bis zur gegenüberliegenden Felswand zu kommen, an deren Fuß ein schmaler Weg abwärts in weniger steiles Abfahrtsgelände führt. Die gesamte Anlage wird an zwei Seiten von steilen Felsen eingerahmt und ist dem Steinschlag aus diesen Wänden ausgesetzt. Im Zugspitzgebiet muß fast das ganze Jahr über mit mehr oder weniger Steinschlag gerechnet werden. Im Herbst 1962 ließ die beklagte Partei durch die Bergrettung die Wände um die Anlage von losem Gestein säubern. Ansonsten wurde bis 7. April 1963 nichts gegen die Steinschlaggefahr unternommen. Alle Personen, die die Mittelstation verlassen haben, mußten zumindest über den Steg gehen, jedenfalls aber, um zur Schiabfahrt zu gelangen, sich in das steinschlaggefährdete Gebiet begeben. Vor Errichtung der Mittelstation wurde dieses Gebiet von Schifahrern überhaupt nicht berührt. Die Anlage steht im Eigentum der beklagten Partei und zumindest teilweise auf deren Grund. Die aufsichtsbehörliche Bewilligung bezog sich nur auf die Bahnanlage selbst, nicht auf diese Nebenanlage. Auflagen zur Absicherung gegen Steinschlag wurden nicht erteilt. Der beklagten Partei war die Steinschlaggefahr bekannt. Am frühen Nachmittag des 7. April 1963 fuhr Babette K., die Mutter der beiden Kläger, als zahlender Fahrgast - wie schon vorher dreimal am gleichen Tag - mit der Seilbahn zur Mittelstation, um über die Gamskarabfahrt abzufahren. Die Örtlichkeiten waren ihr von früheren Besuchen als Schifahrerin bekannt. Auch ihr war die Steinschlaggefährlichkeit auf der Steganlage bekannt. Als sie sich mit anderen Schifahrern auf einer der untersten Stufen der ersten Stiege befand, um das nächste Podest zu erreichen, von dem aus die Abfahrt beginnen sollte, wurde sie von einem aus der Wand fallenden Stein im Rücken getroffen und zu Boden geschleudert. Sie erlitt so schwere innere Verletzungen, daß der Tod innerhalb weniger Minuten eintrat. Zur gleichen Zeit wurde auch die Zweitklägerin von einem kleinen Stein am Bein getroffen, jedoch nicht verletzt.
Die beiden Kläger begehren von der Beklagten den Ersatz der Begräbniskosten.
Die beklagte Partei bestritt die Forderung nach Grund und Höhe.
Das Erstgericht beschränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches und erkannte mit Zwischenurteil, daß dieser Anspruch zu 90% zu Recht und zu 10% nicht zu Recht bestehe.
Das von beiden Teilen angerufene Berufungsgericht änderte - der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge gebend - das Ersturteil nur insoweit ab, als es das Selbstverschulden der Babette K. mit 25% bewertete. Im übrigen billigte es auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes auch dessen rechtliche Beurteilung.
Der Oberste Gerichtshof erkannte, daß der Schadenersatzanspruch der klagenden Parteien gegen die beklagte Partei dem Gründe nach zu Recht bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die beklagte Partei wendet sich gegen die Ansicht der Vorinstanzen, daß ihre Haftung schon nach den allgemeinen Schadenersatzbestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches gegeben sei. Im Hochgebirge sei mit Steinschlag- und Lawinengefahr zu rechnen, und wer sich dorthin begebe, nehme diese Gefahr freiwillig auf sich. Bei Richtigkeit der von den Vorinstanzen vertretenen Ansicht würde jedes Seilbahnunternehmen für jedes Lawinen- oder sonstige Unglück haften, das sich während der Abfahrt von einer Bergstation ereigne. Es sei ein reiner Zufall, daß sich das Unglück auf der Stiegenanlage ereignet habe. Würde man die Haftung der beklagten Partei verneinen, falls das Unglück knapp neben der Anlage geschehen wäre, so würde sie vorliegend dafür haften, daß sie entgegenkommenderweise zur Bequemlichkeit der Schifahrer die Stiegen und Podeste errichtet habe.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Es kann vor allem nicht davon die Rede sein, daß sich der Unfall während der Abfahrt ereignet hat. Vielmehr befand sich Babette K. im Unfallszeitpunkt auf einer Anlage, die die beklagte Partei im Zusammenhang mit der der Förderung der Frequenz der Seilbahn dienenden Einrichtung und Eröffnung der neuen Mittelstation unmittelbar anschließend an den zu deren Benützung unbedingt erforderlichen horizontal verlaufenden Steg gebaut hat, von dem aus durchschnittliche Schifahrer die Abfahrt unmittelbar überhaupt nicht antreten können. Bei dieser Sachlage muß die gesamte Anlage ab der Mittelstation selbst als eine Einheit betrachtet werden. Nun hat Babette K. die Seilbahn als zahlender Fahrgast benützt. Aus dem zwischen ihr und der beklagten Partei abgeschlossenen Beförderungsvertrag ergab sich nicht nur die Pflicht der letzteren, Babette K. unbeschädigt bis zum Ausstieg aus der Mittelstation zu befördern. Vielmehr bestand auch die vertragliche Nebenverpflichtung, für die Verkehrssicherheit des einzigen vorhandenen Abganges Sorge zu tragen (vgl. ZVR. 1959 Nr. 145) d. h. die gesamte, nur im Zusammenhang mit der Errichtung der neuen Mittelstation sinnvolle und ausschließlich für die Fahrgäste der Seilbahn bestimmte Anlage in einer solchen Art zu gestalten und zu erhalten, die es den Fahrgästen ermöglicht, sie gefahrlos zu benützen. Daß Sicherungsmaßnahmen gegen die der Beklagten bekannte Steinschlaggefahr, etwa in der Form einer Überdachung und bergwärtigen Abdeckung der Anlage, möglich und auch zumutbar waren, steht außer Zweifel.
Die grundsätzliche Haftung der beklagten Partei für die auf § 1327 ABGB. beruhenden Klagsansprüche ist somit jedenfalls auf Grund der sich aus dem Beförderungsvertrag ergebenden Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 1313a ABGB. zu bejahen. Auf deren weitere Revisionsausführungen, mit denen sie sich gegen die Aufteilung des Verschuldens durch das Berufungsgericht wendet, braucht nicht eingegangen zu werden, weil in diesem Belange die Revision der Kläger gerechtfertigt ist.
Die aus § 1304 ABGB, abgeleitete Pflicht des Beschädigten zur Sorgfalt bei drohenden Beschädigungen setzt ein Verschulden seinerseits voraus. Ein solches kann aber im vorliegenden Fall nicht schon darin erblickt werden, daß Babette K. von der bloßen Möglichkeit Gebrauch machte, die von der beklagten Partei geschaffene Anlage zu benützen. Vielmehr träfe sie nur dann ein Verschulden, wenn sie durch ein konkretes willkürliches Verhalten (Handeln oder Unterlassen) zum Zustandekommen des Unfalles beigetragen, also beispielsweise sich länger als unbedingt nötig in dem ihr als steinschlaggefährdet bekannten Gelände aufgehalten hätte. Mangels Feststellungen in dieser Richtung kann ein den Anspruch der Kläger minderndes Selbstverschulden der tödlich Verunglückten nicht angenommen werden.
Demgemäß war der Revision der beklagten Partei ein Erfolg zu versagen, im übrigen aber das angefochtene Urteil spruchgemäß abzuändern.
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