Normen
ABGB §863
Allgemeine österreichische Spediteurbedingungen §2
ABGB §863
Allgemeine österreichische Spediteurbedingungen §2
Spruch:
Zur Frage der stillschweigenden Unterwerfung einer branchenunkundigen Auftraggeberin unter die AÖSp.
Entscheidung vom 30. April 1965, 1 Ob 81/65
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck
Text
Die Klägerin übersiedelte im September 1956 nach Sumatra zu ihrem dort als Arzt tätigen Ehemann. Sie beabsichtigte deshalb, ihre Wohnung in Innsbruck aufzulassen und beauftragte die beklagte Partei (Speditionsfirma) mit der Einlagerung ihrer Wohnungseinrichtung. Während dieser Einlagerung sei nach den Klagsbehauptungen von einem Arbeiter der beklagten Partei ein Plattenspieler, ein Rundfunkgerät und ein Staubsauger im Gesamtwerte von 4300 S gestohlen worden, außerdem sei nach Beendigung der Einlagerung eine Kiste mit besonders wertvollen Gegenständen nicht zurückgestellt worden. Die Klägerin begehrte zunächst den Ersatz des Wertes der oben genannten gestohlenen Gegenstände im Betrage von 4300 S s. Z. und außerdem die Ausfolgung der genannten Kiste. In einem Eventualbegehren begehrt sie den dem Werte des Inhaltes der Kiste entsprechenden Betrag von 26.900 S s. Z. Im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens ließ sie den Herausgabeanspruch fallen und erhob das Eventualbegehren auf Leistung eines Betrages von 26.900 S zum Hauptbegehren.
Die beklagte Partei anerkannte den Klagsanspruch, soweit er auf Leistung eines Betrages von 4300 S s. Z. (Wert der gestohlenen Gegenstände) gerichtet war. Insofern erging ein Teilanerkenntnisurteil. Den darüber hinausgehenden Anspruch bestritt sie dem Gründe nach und wendete ein, ihre Haftung für die in der Kiste verwahrten Gegenstände sei nach den Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen (AÖSp.) ausgeschlossen, da die Klägerin selbst die Kiste verpackt, dem Inhaber der beklagten Firma keine Inventurliste ausgehändigt und ihn auch nicht auf den besonderen Wert des Kisteninhaltes aufmerksam gemacht habe. Die Höhe des restlichen Leistungsbegehrens (26.900 S) wurde nicht bestritten.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es fand die Berufungsgrunde der unrichtigen Beweiswürdigung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht gegeben und legte seiner Entscheidung folgende Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes zugrunde: Die Klägerin trat Anfang September 1956 eine Reise nach Sumatra an. Anläßlich der durch ihre Reise bedingten Auflassung der Wohnung in Innsbruck beauftragte sie die beklagte Partei, die sich auch gewerbsmäßig mit der Einlagerung und Verwahrung von Gütern befaßt, ihre Wohnungseinrichtung zur Einlagerung zu übernehmen. Die Klägerin besprach sich mit dem Gesellschafter der beklagten Partei Dr. Oskar H. Diese Besprechungen fanden nur in der Wohnung der Klägerin statt. Schon einige Monate vorher war die Klägerin im Büro der beklagten Partei gewesen, um sich dort wegen der Einlagerung ihrer Wohnungseinrichtung zu erkundigen. Die beklagte Partei machte daraufhin der Klägerin ein schriftliches Angebot, das auf einem der Geschäftsformulare der beklagten Partei geschrieben war. Damals war aber die Abreise der Klägerin noch nicht feststehend. Sie wollte sich nur vorsorglich informieren; es kam auf Grund des Angebotes der Beklagten zunächst zu keinem Geschäftsabschluß. Dieses Geschäftsformular der beklagten Partei war das einzige Schriftstück, das die Klägerin vor ihrer Abreise nach Sumatra von der Beklagten erhalten hatte. Auf diesem Geschäftsstück war auf der Vorderseite in einem ziemlich kleinen Druck der Hinweis angebracht, daß sämtlichen Verträgen mit der beklagten Partei die üblichen Handelsbräuche und die Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen sowie die Beförderungs-, Einlagerungs- und Möbel-SVS-Bedingungen zugrunde gelegt würden. Zum Abschluß eines Vertrages zwischen den Parteien kam es erst im Laufe des Jahres 1956. Die Klägerin ersuchte Dr. Oskar H., ihr behilflich zu sein, weil sie sich mit den Formalitäten nicht auskenne und außerdem in Eile sei. Sie betonte besonders, das Lagergut entsprechend zu versichern, damit sie keinen Schaden habe, weil sie frühestens in drei Jahren wieder nach Europa zurückkomme. Sie ersuchte Dr. H., alles soweit in Ordnung zu bringen, daß sie keinen Verlust erleide. Dr. H. sprach von Feuer-, Wasser-, Diebstahls- und Einbruchsversicherung. Die Klägerin erwiderte, er möge alles in ihrem Interesse erledigen. Dies hat Dr. H. auch zugesagt. Er betonte dabei, daß bei seiner Firma noch nie etwas passiert sei und daß auch in diesem Falle nichts passieren werde. Er machte sich erbötig, die bereits bestehende Hausratversicherung von 70.000 S entsprechend umschreiben zu lassen, was er dann auch durchführte. Die Klägerin ließ sich sodann von der beklagten Partei einige Kisten geben, worin sie einen Teil ihrer Einrichtungsgegenstände verpackte. Auf ihre Frage, ob sie ein Inventar anlegen solle, erwiderte Dr. H., dies sei nicht notwendig, er werde das selbst besorgen. Die Gegenstände wurden am 1. September 1956 von Arbeitern der beklagten Partei unter Aufsicht des Dr. H. in einen Möbelwagen verladen. Die Kisten wurden vorher zugenagelt. Die Klägerin wies Dr. H. darauf hin, daß sich in einer dieser Kisten ihre teuren und wertvollen Sachen befänden. Dr. H. reagierte darauf nicht. In dieser Kiste waren die in der Klage angeführten Gegenstände sorgfältig verpackt.
Das Lagergut wurde zunächst in einem mit einem Vorhangschloß versperrten Möbelwagen belassen und dann ohne Aufnahme einer Liste in einem Lagerraum des "Löwenhauses" eingelagert. Dieser Raum, in dem sich anderes, längst überfälliges Lagergut befand, war versperrt. Ein Lagerverwalter war dort nicht tätig. Dieser Lagerraum mußte von der beklagten Partei im Herbst 1957 geräumt werden. Bevor es dazu kam, waren bereits Arbeiter der Fa. L. dort mit Maurer- und Malerarbeiten beschäftigt, die das Lagergut auch zum Abstellen von Farben und Mörtel verwendeten. Sie wurden von der beklagten Partei nicht beaufsichtigt. Es herrschte ein arges Durcheinander. Zu dieser Zeit konnten fremde Personen eindringen, da die Arbeiter der Fa. L. und jene der beklagten Partei einander nicht kannten. Erst anläßlich der Umsiedlung des Lagergutes in das Lager in der Sterzinger Straße im Herbst 1957 wurde erstmals eine Lagerliste aufgenommen. Dieses Lager war ordnungsgemäß abgesichert. Friedrich S. war Lagerverwalter und betraute in Fällen seiner vorübergehenden Behinderung einen gerade anwesenden Transportarbeiter der Firma mit seiner Stellvertretung. Manchmal blieb die hintere Türe dieses Lagerraumes unverschlossen. Der Transportarbeiter R. entwendete auf diesem Wege in der zweiten Hälfte des Jahres 1958 den Radioapparat, den Plattenspieler und den Staubsauger der Klägerin aus diesem Lagerraum. Mangels einer Lagerliste konnte der Bestand des Lagergutes der Klägerin bei der erwähnten Umlagerung nicht überprüft werden. Das Fehlen der entwendeten Gegenstände ist daher zunächst nicht aufgefallen. Die Lagerliste und der Lagerschein tragen zwar das Datum 1. September 1956, den Tag der erfolgten Übernahme des Lagergutes, sind aber vordatiert, weil sie erst anläßlich der Übersiedlung des Lagergutes in das Lager Sterzinger Straße angefertigt wurden. In diesen Urkunden sind Radioapparat, Plattenspieler und Staubsauger angeführt, die der bei der beklagten Partei beschäftigte Transportarbeiter, der bei der Einlagerung und Umsiedlung des Lagergutes der Klägerin beschäftigt und damals bereits wegen mehrerer Eigentumsdelikte vorbestraft war, im Jahre 1958 aus diesem Lagerraum stahl und deshalb auch strafrechtlich verurteilt wurde. Diese Vorstrafen R.'s waren der Beklagten nicht bekannt, weil sie bei seiner Anstellung kein Dienstzeugnis verlangt hatte.
Im Sommer 1961 verlangte die Klägerin die Herausgabe des Lagergutes. Es wurden ihr u. a. sieben Kisten ausgefolgt. Beim Auspacken dieser Kisten stellte sie das Fehlen der Kiste mit den in der Klage angeführten Gegenständen fest. Sie reklamierte sofort den Abgang bei der beklagten Partei, die jedoch die fehlende Kiste nicht mehr zustande bringen konnte.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Berufungsgericht diesen Sachverhalt gleich dem Erstgerichte dahin, daß die Beklagte für den Schaden nach §§ 417, 390 HGB. hafte, da ihr der Nachweis nicht gelungen sei, daß der Verlust der eingelagerten Ware auf Umständen beruhe, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nicht ausgeschlossen werden konnten. Die beklagte Partei könne sich nicht auf die Haftungsbeschränkungen der AÖSp. berufen, da diese nur dann zur Anwendung kämen, wenn sich ihnen der Aussteller ausdrücklich oder stillschweigend unterworfen hätte. Der Gesellschafter der beklagten Partei, Dr. H., der damals von der Klägerin ersucht worden war, sie zu beraten, habe es unterlassen, sie auf die AÖSp. hinzuweisen. Der in Kleinstdruck auf dem Offert angebrachte Hinweis vermöge die Annahme der stillschweigenden Unterwerfung der Klägerin nicht zu begrunden, zumal der Vertragsabschluß erst Monate später erfolgte.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht statt.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Eine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt die Revision in der Ablehnung der Annahme der stillschweigenden Unterwerfung unter die AÖSp. angesichts des Inhaltes des Offerts vom 14. Mai 1956 und verweist auf den besonders hohen Wert der Kiste im Verhältnis zum übrigen Lagergut. Sie zieht zur Untermauerung ihres Standpunktes die Entscheidung des OGH. vom 19. Juni 1957, 3 Ob 296/57 = EvBl. 1958 Nr. 100 heran. Dieser Entscheidung lag jedoch ein andersgearteter Sachverhalt zugrunde. Dort handelte es sich um den Transportauftrag zwischen zwei Spediteuren, die von der Tatsache, daß die österreichischen Spediteure ihren Speditionsgeschäften die AÖSp. zugrunde legen, wissen mußten. Im vorliegenden Fall aber war die Auftraggeberin eine Hausfrau, von der man weder annehmen konnte, daß sie wisse, daß den Speditionsgeschäften in der Regel die AÖSp. zugrunde gelegt werden, noch daß sie von den Bestimmungen der AÖSp. überhaupt Kenntnis hatte. Der in Kleinstdruck gehaltene Hinweis auf die Anwendung der AÖSp. auf dem mindestens drei Monate vorher erhaltenen Offert der beklagten Partei kann nicht als genügend angesehen werden, der branchenunkundigen Auftraggeberin die Kenntnis davon zu verschaffen, daß die Bedingungen Vertragsinhalt sind, zumal eine Ausfertigung derselben nicht beigegeben wurde und bei Vertragsabschluß selbst auch nicht die Rede davon war (SZ. XXIV 108). Darüber hinaus hat Dr. H., der Gesellschafter der beklagten Partei, der Klägerin auf ihr Ersuchen, alles zur Sicherung des übernommenen Lagergutes zu übernehmen, erklärt, es sei noch nie etwas passiert und es werde auch hier nichts passieren. Es wäre ein Erfordernis von Treu und Glauben gewesen, daß er daraufhin die Klägerin ausdrücklich auf die Haftungsbeschränkungen der AÖSp. aufmerksam machte, wenn es ihm darum zu tun gewesen wäre, daß diese Haftungsbeschränkungen trotz seiner Zusage zu gelten hätten, zumal er nach den Feststellungen der Untergerichte die Anlegung einer Inventarliste nicht als notwendig bezeichnete (s. die schon vom Berufungsgericht angezogene Entscheidung SZ. XXVI 264).
Da sich somit die beklagte Partei entgegen der Revisionsmeinung nicht mit Erfolg auf eine ausdrückliche oder auch nur stillschweigende Unterwerfung der Klägerin unter die Bestimmungen der AÖSp. und damit auf die Anwendung derselben auf das vorliegende Vertragsverhältnis berufen kann, ist sie nach den Bestimmungen der §§ 417, 390 HGB. haftbar. Daß der Beklagten der Beweis gelungen wäre, daß der Verlust des Kisteninhaltes auf Umstände beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nicht abgewendet werden konnten, wird in der Revision nicht behauptet. In dieser Hinsicht kann auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils verwiesen werden.
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