OGH 7Ob98/65

OGH7Ob98/6528.4.1965

SZ 38/71

Normen

Allgemeine Bedingungen für die Volksunfallversicherung Art3 Punkt II Z6
Allgemeine Bedingungen für die Volksunfallversicherung Art. 2 Punkt I Z2a
Allgemeine Bedingungen für die Volksunfallversicherung Art3 Punkt II Z6
Allgemeine Bedingungen für die Volksunfallversicherung Art. 2 Punkt I Z2a

 

Spruch:

Für den Ausschluß von der Versicherung nach Art. 3 Punkt II Z. 6 der Allgemeinen Bedingungen für die Volksunfallversicherung ist der Versicherer beweispflichtig

Entscheidung vom 28. April 1965, 7 Ob 98/65

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz

Text

Der Kläger, der bei der Beklagten gegen Unfall versichert ist (Volksunfallversicherung) hat am 20. Oktober 1961 als Fahrer eines Motorfahrrades einen Unfall erlitten, bei dem er schwer verletzt wurde. Auf Grund des Versicherungsvertrages begehrt er von der Beklagten Zahlung von 33.280 S. Die Beklagte hat bestritten, daß der Unfall des Klägers Versicherungsschutz genießt; er sei nämlich auf eine Alkoholisierung des Klägers im Unfallszeitpunkt zurückzuführen. Nach Art. 3 Punkt II Z. 6 der Allgemeinen Bedingungen für die Volksunfallversicherung seien u. a. Unfälle von der Versicherung ausgenommen, die sich infolge Bewußtseinsstörungen durch Alkoholeinfluß ereignet haben. Überdies sei der Kläger schon vor dem Unfall dauernd invalid gewesen, so daß nach Art. 2 Punkt I Z. 2 a der Allgemeinen Bedingungen von der für die Gesamtinvalidität gebührenden Versicherungssumme ein entsprechender Abzug zu machen sei.

Der Erstrichter hat die Beklagte schuldig erkannt, den Betrag von 33.280 S samt Zinsen auf ein zur Verfügung des Bezirksgerichtes Salzburg zu sperrendes Konto der Salzburger Sparkasse zu erlegen und zu Handen des Klagevertreters die mit 623.495 S bestimmten Prozeßkosten zu bezahlen.

Das Berufungsgericht hat der von der beklagten Partei gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge gegeben. Nach Wiederholung der Beweise darüber, ob beim Kläger im Unfallszeitpunkt eine Bewußtseinsstörung durch Alkoholgenuß vorlag und ob dieser allfällige Alkoholgenuß für den Unfall ursächlich war, ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, der der Beklagten obliegende Beweis dafür, daß der Unfall auf eine Bewußtseinsstörung infolge Alkoholgenusses zurückzuführen sei, sei nicht erbracht. Der auf den Versicherungsvertrag gestützte Anspruch des Klägers sei daher gerechtfertigt. Es trete auch keine Kürzung der für die gänzliche Invalidität vorgesehenen Versicherungssumme ein, da die Magenoperationen des Klägers keine Dauerinvalidität zur Folge gehabt hätten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Gestützt auf die in der Zeitschrift "Versicherungsrecht", 1964, S. 915, veröffentlichten Entscheidungen des Landesgerichtes bzw. des Oberlandesgerichtes Braunschweig, vertritt die Beklagte die Rechtsansicht, der Kläger wäre dafür beweispflichtig gewesen, daß der Unfall nicht auf eine durch Alkoholgenuß bedingte Bewußtseinsstörung zurückzuführen sei. Die Untergerichte hätten zu Unrecht den Fall der "Leistungsfreiheit" jenem der "sachlichen Begrenzung des Versicherungsschutzes" gleichgesetzt. Im ersten Falle obliege der Versicherungsgesellschaft der Beweis der Leistungsfreiheit, im zweiten Fall jedoch, habe der Versicherungsnehmer zu beweisen, daß der Unfall von der Versicherung überhaupt erfaßt sei.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Die in der Revision zitierten Entscheidungen (ähnlich auch die Entscheidung VersR. 1957, S. 21) befassen sich mit der Frage, wer dafür beweispflichtig ist, daß Versicherungsschutz nach § 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Unfallversicherung zu gewähren ist. Nach dieser Bestimmung steht nämlich Versicherungsschutz nur wegen eines dem Versicherten während der Versicherungsdauer zustoßenden Unfalles zu. Nach § 2 (1) jener Allgemeinen Bedingungen liegt ein Unfall dann vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsbeschädigung erleidet. Hiezu sprechen die obzitierten Entscheidungen den Rechtssatz aus, daß die Unfreiwilligkeit des Unfalles zu den anspruchsbegrundenden Tatsachen gehört, die im Streitfall vom Kläger zu beweisen sind. Ähnlich ist im Art. 1 der für den gegenständlichen Fall zur Anwendung gelangenden Allgemeinen Bedingungen für die Volksunfallversicherung der Gegenstand der Versicherung (Unfall während der Wirksamkeit des Versicherungsschutzes) festgelegt, während Art. 2 (1) dieser Allgemeinen Bedingungen die allgemeine Definition enthält, wann ein Unfall vorliegt. Durch diese Bestimmungen wird das versicherte Risiko umgrenzt. Die Beweislast dafür, daß ein Schadensfall den versicherten Unfällen zuzuzählen ist, obliegt dem Versicherten. Durch die unter der Überschrift "Sachliche Begrenzung des Versicherungsschutzes" im Art. 3 Punkt II enthaltenen Bestimmungen wird jedoch für die dort angeführten Einzelfälle das Risiko ausgeschlossen. Es handelt sich daher um Risikoschlußklauseln, die im Gegensatz zu der Umgrenzung des versicherten Risikos durch Art. 1 und 2 der Allgemeinen Bedingungen Ausnahmefälle im Sinne der sogenannten sekundären Risikobegrenzung darstellen (vgl. Wussow, AUB., S. 58). Daraus, daß die Bestimmung des Art. 3 Punkt II Z. 6, nach der Unfälle von der Versicherung ausgeschlossen sind, die u. a. durch Bewußtseinsstörungen infolge Alkoholeinflusses hervorgerufen wurden, das Risiko für einen bestimmten Fall ausschließt, folgt, daß insoweit der Versicherer beweispflichtig ist. Es geht daher zu Lasten der Beklagten, daß der Beweis dafür nicht erbracht wurde, daß der gegenständliche Unfall auf eine durch Alkoholgenuß hervorgerufene Bewußtseinsstörung des Klägers zurückzuführen ist.

Zu Unrecht wendet sich die Revision auch dagegen, daß die Untergerichte nicht schon aus der Fahrweise des Klägers auf eine derartige Bewußtseinsstörung geschlossen haben. Nach den vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommenen Feststellungen des Erstrichters hat die Gefährlichkeit der Kurve, in deren Raum sich der Unfall abspielte, zur Verlegung der Straße geführt. Schon daraus ergibt sich, daß die Straße an dieser Stelle eine Gefahr auch für jene Fahrer bedeutete, die Herr ihrer ungetrübten Sinne waren. Daß der Kläger "offenbar infolge zu hoher Geschwindigkeit" mit seinem überdies durch einen Soziusfahrer belasteten Motorfahrrad ins Schleudern kam, läßt eine Beeinträchtigung seines Fahrvermögens durch Alkoholgenuß nicht erkennen, zumal nicht einmal feststeht, um wieviel der Kläger die den gefährlichen Straßenverhältnissen angepaßte Höchstgeschwindigkeit überschritten hat. Daß der Kläger überdies noch die Kurve geschnitten habe, hat das Erstgericht nicht festgestellt.

Schließlich wendet sich die Beklagte dagegen, daß nicht im Sinne des Art. 3 Punkt I Z. 2a der Allgemeinen Bedingungen eine Verkürzung der Versicherungssumme infolge der auf die Magenoperationen zurückzuführenden Invalidität des Klägers erfolgt ist. Voraussetzung für die von der Beklagten begehrte Kürzung ist, daß der Versicherte schon vor dem den Versicherungsschutz auslösenden Unfall durch Krankheit oder Gebrechen dauernd invalid war. Nach den Feststellungen der Untergerichte hatten die Magenoperationen des Klägers keine dauernde Invalidität zur Folge, so daß eine Kürzung der Versicherungssumme nicht gerechtfertigt ist. Daran kann auch der Hinweis der Beklagten auf die im Art. 9 der Allgemeinen Bedingungen enthaltenen Invaliditätsgrade nichts ändern, weil auch dort durchwegs Fälle der Dauerinvalidität angeführt sind.

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