Spruch:
Stirbt der Pflegebefohlene vor pflegschaftsbehördlicher Genehmigung eines mit ihm abgeschlossenen Vertrages, gilt die Genehmigung als nicht erteilt
Gegen das Löschungsbegehren wegen Ungültigkeit des bücherlichen Erwerbstitels kann auch die Berechtigung aus einem anderen Titel eingewendet werden
Entscheidung vom 6 April 1965, 8 Ob 95/65
I. Instanz: Bezirksgericht Judenburg; II. Instanz: Kreisgericht Leoben
Text
Am 1. August 1956 schloß Johann L. mit dem Beklagten einen Kaufvertrag über mehrere ihm gehörige Liegenschaften. Es wurde darüber eine von beiden Teilen unterschriebene Punktation errichtet. Es war vorgesehen, daß die förmliche Vertragserrichtung nach Feststellung des Lastenstandes und Einstellung des damals gegen Johann L. laufenden Zwangsversteigerungsverfahrens erfolge. Am 9. Jänner 1957 wurde der förmliche Vertrag geschlossen, der in einigen Belangen von der Punktation abweicht. Gleich nach Errichtung der Punktation wurde gegen Johann L. über Antrag seiner Ehegattin das Entmündigungsverfahren eingeleitet. Es wurde für Johann L. ein vorläufiger Beistand bestellt, der den von Johann L. bereits unterschriebenen Vertrag vom 9. Jänner 1957 mitunterfertigte. Bevor jedoch das Entmündigungsverfahren und das Verfahren über die pflegschaftsbehördliche Genehmigung des Kaufvertrages abgeschlossen waren, starb Johann L. Der Beklagte wurde in der Folge auf Grund des Vertrages vom 9. Jänner 1957 als Eigentümer im Grundbuch einverleibt. Die Verlassenschaft nach Johann L. begehrt die Feststellung der Ungültigkeit der beiden angeführten Verträge und die Löschung des Eigentums des Beklagten im Grundbuch.
Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung des Klagebegehrens, soweit es sich um die Punktation vom 1. August 1956 und das Löschungsbegehren handelt, sprach aber aus, daß der Kaufvertrag vom 9. Jänner ungültig sei. Es wiederholte das Beweisverfahren und stellte u. a. fest: Bei Johann L. habe schon seit einigen Jahren, jedenfalls auch schon am 1. August 1956, eine lakunäre Demenz bestanden, zu deren Entwicklung der chronische Alkoholmißbrauch des Johann L. beigetragen habe. Johann L. habe sich am 1. August 1956 in einem Geisteszustand befunden, in dem seine Handlungsfähigkeit im allgemeinen so beeinträchtigt gewesen sei, daß er zur gehörigen Besorgung seiner Angelegenheiten eines Beistandes bedurft hätte. Hingegen sei damals sein Zustand noch nicht ein solcher gewesen, daß seine Handlungsfähigkeit auf jene eines Kindes unter sieben Jahren herabgesetzt gewesen wäre. Er sei imstande gewesen, zu erfassen und zu überdenken, daß er seinen Besitz verkaufe, daß er hohe Schulden habe, daß ihm Zwangsversteigerung drohe, daß der Beklagte seine Schulden übernehme und daß er auf Lebzeiten das Gasthaus weiterführen und seine Wohnung im Hause behalten könne. Hinsichtlich der Frage, ob Johann L. damals die Tragweite des Rechtsgeschäftes zu beurteilen und insbesondere abzuwägen vermocht habe, ob der Wert dessen, was er hingebe, zu dem Wert dessen, was er bekomme, in einem Mißverhältnis stehe und ob der Vertrag für ihn vorteilhaft oder nachteilig sei, sei nicht erwiesen, daß Johann L. dies nicht habe beurteilen können. Betrunken sei Johann L. am gegenständlichen Vormittag nicht gewesen. Der Schätzwert der verkauften Liegenschaft samt Zugehör habe 264.400.96 S betragen. Die vom Beklagten übernommenen Schulden hätten einschließlich der außerbücherlichen Schulden zusammen 211.510.64 S ausgemacht. Die dem damals 51 Jahre alten Johann L. eingeräumten Rechte seien unter Zugrundelegung einer Lebenserwartung des Johann L. von fünf Jahren mit 30.000 S zu bewerten gewesen. Der Beklagte habe nicht über größere Mittel verfügt. Er sei allerdings imstande gewesen, die Schulden des Johann L. so weit zu bezahlen, daß weder gegen die Verlassenschaft nach Johann L. noch gegen den Beklagten selbst seither gerichtliche Schritte wegen der übernommenen Schulden eingeleitet worden seien. Zur Zeit der Errichtung des förmlichen Vertrages vom 9. Jänner 1957 sei der Geisteszustand des Johann L. bereits so weit herabgesetzt gewesen, daß er dem eines Kindes unter sieben Jahren gleichgekommen sei. Das Berufungsgericht war der Ansicht, der Vertrag vom 9. Jänner 1957 sei gemäß § 865 erster Satz ABGB. ungültig, weil Johann L. damals bereits vollkommen handlungsunfähig gewesen sei. Die Punktation vom 1. August 1956 sei jedoch als gültig zu behandeln, weil der Klägerin der Beweis mißlungen sei, daß Johann L. damals nicht fähig gewesen sei, die Tragweite des Rechtsgeschäftes zu beurteilen, und weil Johann L. entgegen dem Vorbringen der Klägerin auch weder betrunken gewesen sei noch durch List zum Vertrage bewogen worden sei. Bei Johann L. habe es sich zwar um einen Mann gehandelt, der zufolge seiner Persönlichkeitsstruktur, der Trunksucht, des beeinträchtigten Geisteszustandes, der wirtschaftlichen Zwangslage, der schlechten familiären Verhältnisse und der durch diese Umstände herabgesetzten Tatkraft geneigt gewesen sei, seine Liegenschaft preiszugeben. Es liege jedoch weder eine bewußte Irreführung des Johann L. durch die Beklagten vor, noch könne gesagt werden, das Rechtsgeschäft sei unvernünftig, auch wenn bedacht werde, daß der Beklagte damals gar nicht über die Geldmittel verfügt habe, um die übernommenen Schulden tilgen zu können, und daß er für die von ihm übernommenen Verpflichtungen keine Sicherheit habe geben können, Johann L. somit in einem großen Risiko belassen worden sei. Für die Annahme einer Nichtigkeit nach § 879 (2) Z. 4 ABGB. (§ 1 WucherG. 1949) fehle es schon am objektiven Tatbestand, weil zwischen dem festgestellten Schätzwert der Liegenschaften von 264.400 S und dem Wert der Gegenleistungen, der einschließlich der dem Johann L. vorbehaltenen Rechte hinsichtlich der Gastwirtschaft und der Wohnung mit zusammen 241.510 S festgestellt worden sei, nur eine Differenz von 23.000 S bestehe. Jedenfalls sei nicht erwiesen, daß der Beklagte dieses Mißverhältnis habe kennen müssen. Das Begehren auf Löschung des bücherlichen Eigentums des Beklagten sei ungeachtet der Ungültigkeit des der Eintragung zugrunde liegenden Vertrages vom 9. Jänner 1957 unbegrundet, weil es sich hiebei um eine Klage aus dem bücherlichen Rechte handle und der Beklagte dem Löschungsbegehren den durch die Punktation vom 1. August 1956 erworbenen Anspruch auf die Liegenschaft entgegensetzen könne.
Der Oberste Gerichtshof hat der Revision des Beklagten nicht Folge gegeben und das angefochtene Urteil in seinem stattgebenden Teil (betreffend die Feststellung der Ungültigkeit des Kaufvertrages vom 9. Jänner 1957) als Teilurteil bestätigt, hingegen der Revision der Klägerin Folge gegeben, das angefochtene Urteil im abweisenden Teil sowie im Kostenpunkt aufgehoben und die Rechtssache im Umfang- der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Beklagte wendet sich nicht gegen die Ansicht, daß ein von einem vollkommen handlungsunfähigen Menschen geschlossener Vertrag gemäß § 865 erster Satz BGB ungültig ist. Er meint nur, der Vertrag vom 9. Jänner 1957 sei trotz der damals schon vorhanden gewesenen vollen Handlungsunfähigkeit des Johann L. deshalb gültig, weil der Vertrag auch vom vorläufigen Beistand mitunterfertigt worden sei. Eine pflegschaftsbehördliche Genehmigung des vom vorläufigen Beistand geschlossenen Vertrages sei deshalb nicht notwendig gewesen, weil mit dem Vertrag nur die sich aus der gültigen Punktation vom 1. August 1956 ergebende Verbindlichkeit zur Errichtung einer einverleibungsfähigen Urkunde erfüllt worden sei. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Der Vertrag vom 9. Jänner 1957 hätte, wenn Johann L. weiter am Leben geblieben wäre, der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung schon deshalb bedurft, weil er durchaus nicht in allen Belangen mit der Punktation vom 1. August 1956 übereinstimmt, sondern diese Punktation zum Teil ergänzt und zum Teil abändert. Ein solcher den Verkauf einer unbeweglichen Sache betreffender Vertrag bedarf gemäß § 233 ABGB. der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung. Das bereits eingeleitete Genehmigungsverfahren ist nur deshalb nicht zu Ende geführt worden, weil Johann L. gestorben ist, bevor es zur Entmündigung des Johann L. und zur Entscheidung über den Antrag auf pflegschaftsbehördliche Genehmigung gekommen ist. Der Vertrag vom 9. Jänner 1957 kann daher nicht anders behandelt werden, als wenn er nur von Johann L. selbst abgeschlossen worden wäre.
Unbegrundet sind auch die Ausführungen des Beklagten, mit denen dargetan werden soll, neben dem Leistungsbegehren sei das Feststellungsbegehren nicht zulässig. Bei dem Begehren auf Nichtigerklärung eines Vertrages wegen vorliegender Willensmängel handelt es sich nicht um ein nur nach § 228 ZPO. zu beurteilendes Feststellungsbegehren. Bei derartigen Klagen ist, gleichgültig ob man sie als Rechtsgestaltungsklagen oder als materiellrechtliche Feststellungsklagen beurteilt, der Nachweis eines Feststellungsinteresses im Sinne des § 228 ZPO. nicht erforderlich (SZ. XXVII 158 u. a.).
Die Klägerin ist nicht im Rechte, soweit sie sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes wendet, die Nichtigerklärung des Vertrages vom 9. Jänner 1957 rechtfertige im Hinblick auf die Wirksamkeit der Punktation vom 1. August 1956 nicht das Löschungsbegehren. Solange die Punktation nicht als nichtig erklärt ist, kann sie der Beklagte mit Erfolg dem Löschungsbegehren entgegensetzen. Besteht nämlich die Funktation vom 1. August 1956 zu Recht, dann hätte der Beklagte unabhängig vom Vertrag vom 9. Jänner 1957 einen Titel, auf Grund dessen er die Einwilligung der Klägerin in die Einverleibung seines Eigentums im Grundbuche begehren könnte. Es wäre nicht einzusehen, inwiefern ein Interesse an der Löschung im Grundbuche nach Ungültigerklärung des Vertrages vom 9. Jänner 1957 sollte bejaht werden können, wenn die Klägerin gleichzeitig auf Grund eines anderen bereits bestehenden Titels verpflichtet wäre, ihre Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechtes des Beklagten im Grundbuche zu erteilen. Zu den Ausführungen, in einem gesonderten Prozeß, der den Anspruch des Beklagten auf Erteilung der Aufsandungsklausel auf Grund der Punktation zum Gegenstand hätte, könnte die Gültigkeit der Punktation neu aufgerollt und mit neuen Einwendungen bekämpft werden, ist zu bemerken, daß im Falle der Abweisung des vorliegenden Begehrens auf Feststellung der Ungültigkeit der Punktation mit Rechtskraftwirkung entschieden wäre, daß die Punktation gültig ist (vgl. SZ. XXIV 263).
Hinsichtlich der Frage, ob der Gültigkeit der Punktation vom 1. August 1956 der Mangel der Handlungsfähigkeit des Johann L. entgegensteht, ist jedoch der Sachverhalt nicht ausreichend geklärt.
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