OGH 2Ob15/65

OGH2Ob15/651.4.1965

SZ 38/54

Normen

ABGB §903
ABGB §1489
ABGB §903
ABGB §1489

 

Spruch:

Die Bestimmung des § 903 letzter Satz ABGB. ist ausdehnend auch auf Verjährungsfristen anzuwenden

Entscheidung vom 1. April 1965, 2 Ob 15/65

I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck

Text

Der Kläger hat in seiner am 22. April 1963 eingebrachten Klage das Begehren gestellt, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihm 113.016.55 S an Schadenersatz zu bezahlen. Außerdem hat er die Feststellung begehrt, daß ihm der Beklagte auch für einen zukünftigen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 21. April 1960 hafte.

Der Kläger hat behauptet, daß es am 21. April 1960 auf der Bundesstraße 1 bei Schwaz in Tirol zu einem Verkehrsunfall gekommen sei, bei dem der Beklagte mit seinem Lastkraftwagen von hinten an den von ihm gelenkten Personenkraftwagen angefahren sei. Dadurch sei der Kraftwagen stark beschädigt und er verletzt worden.

Der Beklagte hat außer Streit gestellt, daß sich der behauptete Unfall ereignet habe, daß er wegen dieses Unfalles vom Strafgericht mit einer Strafverfügung zu einer Geldstrafe verhalten worden sei und daß ihn das alleinige Verschulden an diesem Verkehrsunfall treffe. Der Beklagte hat aber das Begehren der Höhe nach bestritten und mit Rücksicht darauf, daß sich der Unfall am 21. April 1960 ereignet habe und die Klage erst am 22. April 1963 eingebracht worden sei, Verjährung eingewendet.

Der Kläger hat demgegenüber behauptet, daß er zufolge seiner Verletzung erst einige Zeit nach dem 21. April 1960 Kenntnis von seinem Schaden und dem Schädiger erhalten habe, weshalb die Klage innerhalb der dreijährigen Verjährungszeit eingebracht worden sei. Außerdem hat er eingewendet, daß mit dem Haftpflichtversicherer des Beklagten Vergleichsverhandlungen geführt worden seien, wodurch die Verjährung gehemmt worden sei.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Es hat Verjährung der geltend gemachten Ansprüche angenommen, weil die Klage erst nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB. erhoben worden sei. Zur Frage der Hemmung der Verjährung wegen Vergleichsverhandlungen seien keine ausreichenden konkreten Behauptungen aufgestellt worden, so daß eine solche Hemmung nicht anzunehmen sei. Der letzte Tag der dreijährigen Frist, nämlich der 21. April 1963, sei ein Sonntag gewesen. Dies habe aber auf den Ablauf der Verjährungszeit keinen Einfluß. § 903, letzter Satz, ABGB. beziehe sich nur auf rechtsgeschäftliche Fristen oder Termine, nicht aber auf Verjährungsfristen. Das Erstgericht stützt sich hiebei auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 11. August 1958, JBl. 1959, S. 101, und Versicherungs- Rundschau, 1960, S. 115.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Da der letzte Tag der dreijährigen Verjährungszeit, nämlich der 21. April 1963, ein Sonntag gewesen sei, hätte die Klage, um rechtzeitig zu sein, am Tage vorher eingebracht werden müssen.

Der Oberste Gerichtshof hob die Urteile der Unterinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der vorliegende Fall gibt Anlaß, die Frage der Anwendbarkeit des § 903, letzter Satz, ABGB. auf Verjährungsfristen neuerlich zu prüfen, weil gegen die in der von den Untergerichten zur Stützung ihrer Rechtsansicht herangezogenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes Bedenken entstanden sind. In dieser Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof den Standpunkt eingenommen, daß die oben zitierte Gesetzesstelle nur für rechtsgeschäftliche Fristen oder Termine gelte, nicht aber für Verjährungs- und Klagsausschlußfristen. Zur Begründung dieser Auffassung ist lediglich auf die Ausführungen Ehrenzweigs, System, § 124, verwiesen worden. Es ist somit aus der Entscheidung nicht erkennbar, welche besonderen Gründe den Obersten Gerichtshof damals zu dieser Rechtsmeinung veranlaßt haben. Die Zitierung der Rechtsmeinung Ehrenzweigs ist bei näherer Betrachtung für sich allein nicht überzeugend. Diese Auffassung ist auch in der österreichischen Rechtslehre nicht unwidersprochen geblieben. So hat Gschnitzer in Klangs Komm.[2], IV, 348, darauf hingewiesen, daß eine analoge Anwendung dieser Gesetzesstelle auch für Verjährungsfristen zu befürworten sei, weil nur so der Zweck des Gesetzes, nämlich eine Störung der Sonn- und Feiertagsruhe zu vermeiden, gewährleistet sei. Auch Wahle hat in einer Glosse zu der in der Versicherungs-Rundschau 1960, S. 115 ff., veröffentlichten, oben angeführten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes die Meinung vertreten, daß § 903, letzter Satz, ABGB. auch auf materiellrechtliche Fristen, wie Verjährungs- und Ausschlußfristen, analog anzuwenden sei. Er hat überzeugend darauf hingewiesen, daß bei gesetzlich befristeten Klagerechten durch Unterlassung der Geltendmachung des Anspruches innerhalb der Frist die Ansprüche erlöschen. Die Frist zur Erklärung, die in diesen Fällen in der Klage abgegeben werde, sei zwar nicht vertraglich, sondern durch Gesetz festgelegt. Dieser Umstand könne aber die Anwendung der zitierten Gesetzesstelle auch auf materiellrechtliche Fristen nicht hindern.

Da § 903, letzter Satz, ABGB. durch die III. Teilnovelle der gleichlautenden Bestimmung des § 193 BGB. nachgebildet ist, erscheint es auch zweckmäßig, auf die deutsche Rechtslehre und Rechtsprechung zu dieser Gesetzesstelle einzugehen. Die Rechtslehre hat sich überwiegend für die entsprechende Anwendung des § 193 BGB. auf Ausschluß- und Verjährungsfristen ausgesprochen (Staudinger, Komm.[11], I. Bd., S. 1081, Palandt, Kurz-Komm.[24], RGR.-Komm.[11], S. 653, Anm. 3, Soergel - Siebert-Komm., 1959, S. 678, Anm. 8, und Achilles Greif, Komm.[21], S. 91, alle zu § 193 BGB,). Auch der Bundesgerichtshof hat sich dieser Rechtsmeinung angeschlossen (RGZ. 151, S. 345 ff., NJW. 1953, S. 1140 ff.).

Die vom Berufungsgericht zur Stützung seiner Auffassung herangezogenen Gründe sind nicht durchschlagend. Daß diese Gesetzesstelle unter die allgemeinen Bestimmungen über Verträge und Rechtsgeschäfte aufgenommen wurde, schließt eine ausdehnende Anwendung auf materiellrechtliche Fristen nicht aus. Es ist auch kein stichhältiger Grund dafür vorhanden, die Verlängerung der Fristen auf den nächsten Werktag nur bei vertraglichen Erklärungs- und Leistungsfristen zuzulassen. Schließlich ist auch die Klage eine Erklärung desjenigen, dessen Recht durch die Unterlassung der Klage innerhalb der Verjährungszeit erlöschen würde. Daß den Kläger keine Rechtspflicht zur Erhebung der Klage trifft, schließt diese Ansicht nicht aus. Es kann bei der Entscheidung aber auch nicht auf die Länge oder Kürze einer Frist ankommen, wie das Berufungsgericht meint. Es darf nicht übersehen werden, daß es auch kurze Verjährungsfristen gibt und längere vertragliche Fristen vereinbart werden können. Der Zweck des Gesetzes ist für die Auslegung seiner Bestimmungen maßgebend. Der Zweck der zitierten Bestimmung ist es aber, die Sonn- und Feiertagsruhe zu gewährleisten.

Es kann dabei weder auf längere oder kürzere Fristen noch darauf ankommen, ob solche fristen vertraglich vereinbart oder im Gesetz festgesetzt wurden.

Der Oberste Gerichtshof ist daher nunmehr der Auffassung, daß die Bestimmung des § 903, letzter Satz, ABGB. auch auf Verjährungsfristen ausdehnend anzuwenden ist.

Geht man von dieser Auffassung im vorliegenden Fall aus, dann ist dadurch, daß der Kläger seine Schadenersatzklage erst am 22. April 1963 eingebracht hat, eine Verjährung seiner Ansprüche noch nicht eingetreten. Der letzte Tag der dreijährigen Verjährungsfrist, nämlich der 21. April 1963, ist auf einen Sonntag gefallen. Gemäß § 903, letzter Satz, ABGB. hat sich daher die dreijährige Verjährungsfrist um den nächstfolgenden Werktag, das ist der 22. April 1963, verlängert.

Ist aber aus den angeführten Gründen die Einrede der Verjährung im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt, dann ist auf die weiteren Ausführungen des Klägers zur Frage über den Beginn der Verjährungsfrist und zum Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht weiter einzugehen. Vielmehr sind die beiden Urteile der Untergerichte aufzuheben und die Sache ist an das Erstgericht zurückzuverweisen, welches nunmehr, ausgehend von der oben angeführten Rechtsansicht, in der Sache selbst zu verhandeln, die erforderlichen Feststellungen zu treffen und zu entscheiden haben wird.

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