OGH 1Ob37/65

OGH1Ob37/6516.3.1965

SZ 38/38

Normen

NWG §4 (3)
NWG §4 (3)

 

Spruch:

Zum Begriff des geschlossenen Hofes im Sinn des § 4 (3) NotwegeG.

Entscheidung vom 16. März 1965, 1 Ob 37/65

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz

Text

Das Erstgericht räumte auf Antrag der Luiselotte H., der nunmehrigen Revisionsrekurswerberin, als Alleigentümerin der Liegenschaft EZ. 110, KG. W., und der Ehegatten Anton u Maria O. als Eigentümer der Liegenschaft EZ. 1347, KG. W., für die genannten Liegenschaften einen über die im Eigentum der Antragsgegnerin stehende Liegenschaft EZ. 109, KG. W., in der Servitut des Geh- und Fahrweges zur Benützung durch Personenkraftwagen und leichte Lastkraftwagen bis zum Gesamtgewicht von 3 t bestehenden Notweg ein, der anschließend an das vom Steingrabenweg über die Parzelle 437 des Besitzers T. führende Wegstück von der Südgrenze der Liegenschaft EZ. 109 zunächst in nordwestlicher Richtung und dann etwa rechtwinkelig abbiegend zwischen zwei Wirtschaftsgebäuden hindurch weiter bis zur Grenze zwischen den Liegenschaften EZ. 109 und EZ. 110 führt. Die Kraftfahrzeuge haben eine Geschwindigkeit nicht über 10 km/h einzuhalten, der Entschädigungsbetrag wurde mit 2000 S bestimmt. Die Antragsteller wurden verpflichtet, die Kosten der Instandhaltung des Weges anteilsmäßig zu tragen, und zwar bis zum Hofe der Liegenschaft EZ. 109, die Erstantragstellerin zu 40%, die Ehegatten O. zu 20% und die Antragsgegnerin zu 40%, während für die Instandhaltungskosten des weiteren Wegstückes bis zur Liegenschaft EZ. 110 die Antragsteller zur Gänze aufzukommen haben, und zwar die Erstantragstellerin zu 70% und das Ehepaar O. zu 30%.

Es ging von folgenden Tatsachenfeststellungen aus: Eine Zufahrt von der Hangseite zum Hause H, ist unmöglich, da das Haus an eine steile Berglehne angebaut ist. Eine Zuführung von Kohlen, Baumaterial, von Viehfutter und Haushaltsbedarf vom Steingraben her ist nur über die bereitstehende, über die Liegenschaft der Antragsgegnerin führende Zufahrt allein möglich. Diese Zubringmöglichkeit wurde von der Antragsgegnerin während des Verfahrens durch Aufstellung einer Sperre an der Südgrenze der Liegenschaft über den Fahrweg und durch Errichtung eines Zaunes zwischen dem Wirtschaftsgebäude und dem Wohnhaus unterbunden, sowie auch durch eine in Jahre 1964 erfolgte Umackerung des bis dahin bestehenden Fahrweges von diesem Zaun bis zur Grenze der Liegenschaft H.

Im Hause der Ehegatten O. sind mehrere größere Instandsetzungsarbeiten innen und außen dringend erforderlich, der ungefähre Gewichtsbedarf beträgt 25.000 kg zuzüglich des erforderlichen Heizmaterials. Auch am Hause H. sind dringende Instandsetzungsarbeiten notwendig. Es sind 4000 Stück neue Dachziegel im Gewicht von etwa 6000 kg erforderlich. Dazu kommen Blechteile für die Dachrinne und Rohre, etwa 20 m3 Sand und Schotter samt dem dazu gehörigen Kalk und Zement im Gewichte von zusammen ungefähr 9000 kg. Der jährliche Heizbedarf beträgt 7000 bis 8000 kg.

Zwischen Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude der Antragsgegnerin bestehen keinerlei - von einer Kalkgrube abgesehen - zur Geschäfts- oder Haushaltsführung notwendigen Einrichtungen. Der zum Haus gehörende Brunnen befindet sich neben dem Wohnhaus der Antragsgegnerin im Abstand von einigen Metern und außerhalb des von der Antragsgegnerin errichteten Zaunes. Von diesem Brunnen kann von den Familienangehörigen der Antragsgegnerin Wasser geholt werden, ohne den zwischen Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude befindlichen Fahrweg überschreiten zu müssen. Der von der Antragsgegnerin als "geschlossener Hof" bezeichnete Teil der Liegenschaft ist in Richtung Hangseite und auch ostseitig nur durch das Wirtschaftsgebäudes als teilweise geschlossen anzusehen, sonst aber vollkommen offen. Die vom Wirtschaftsgebäude H. in östlicher Richtung in den Steingraben führende Wegzeile ist höchstens für einzelne und rüstige Fußgeher, aber auch für diese nur ohne Lasten und bei trockener Witterung am hellen Tag gangbar. Sonst führt kein Fußsteig vom Steingraben direkt zum Anwesen H, oder O. Derzeit sind die Antragsteller zur Beförderung auch nur kleinerer Lasten auf den bereits bestehenden und über die Liegenschaft der Antragsgegnerin führenden Weg angewiesen.

Der Antragsteller Anton O. ist ein gehbehinderter, körperlich hilfloser Invalide und könnte ohne Benützung des in Anspruch genommenen Notweges nicht von seiner Liegenschaft weggebracht werden.

Der der Antragsgegnerin durch die Einräumung des an sich bereits bestehenden Weges entstehende Schaden wurde von den Sachverständigen mit 2000 S geschätzt.

Nach der Auffassung des Erstrichters ist die Einräumung des Notwegerechtes an dem schon seit jeher bestehenden Fahrweg für alle Beteiligten am zweckmäßigsten. Dieser Weg sei auch von den Sachverständigen empfohlen worden. Die drei weiteren Varianten für die Herstellung von Notwegen seien als wirtschaftlich untragbar für die Antragsteller abzulehnen. Die Schaffung einer Zufahrt vom Steingraben unterhalb des Anwesens H. wäre mit einem Kostenaufwand von 90.000 S verbunden. Ihre Unterhaltung würde Schwierigkeiten bereiten. Eine andere Variante, die eine Umgehung der Wirtschaftsgebäude vorsehe, würde voraussichtlich Kosten in der Höhe von 12.000 S verursachen, wozu noch die Ablöse für den Verlust an nutzbarer Fläche im Ausmaß von zirka 350 m2 komme, die von den Sachverständigen mit 3500 S bewertet wird.

Dem von der Antragsgegnerin gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs gab das Rekursgericht Folge. Es hob den erstinstanzlichen Beschluß auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Das Rekursgericht ging von der Rechtsauffassung aus, daß die Hofstelle der Antragsgegnerin als geschlossener Hofraum im Sinne der Bestimmung des § 4 (3) NotwegeG. zu beurteilen sei, sodaß die Einräumung eines Notweges durch diese Hofstelle nach der genannten Bestimmung ausgeschlossen sei. Es werden vom Erstgericht daher noch die anderen von den Sachverständigen als möglich bezeichneten Umgehungswege und die damit im Zusammenhang stehenden Entschädigungsfragen näher zu prüfen sein, wobei sich das Rekursgericht der dahingehenden Ansicht des Erstgerichtes anschloß, daß jene Variante eines Umgehungsweges, dessen Anlegung einen Kostenaufwand von 90.000 S verursachen würde, außer Betracht zu lassen sei. Es wären jedoch die beiden von den Sachverständigen vorgeschlagenen anderen Varianten zu prüfen.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluß erhob die Erstantragstellerin Revisionsrekurs mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses abzuändern, allenfalls sie aufzuheben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

In ihrer Gegenäußerung beantragte die Antragsgegnerin, dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs statt und änderte den angefochtenen Beschluß dahin ab, daß der erstinstanzliche Beschluß mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, daß in seinem Punkte 1 an Stelle der Worte "zwei Wirtschaftsgebäuden" die Worte "dem Wohnhaus und dem Wirtschaftsgebäude" zu treten haben.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Was zunächst die Zulässigkeit des Revisionsrekurses betrifft, so ist sie zu bejahen. Ältere Entscheidungen (GlUNF. 2576, 3338) ließen zwar eine Anfechtung von rekursgerichtlichen Aufhebungsbeschlüssen im Verfahren nach dem Notwegegesetz nicht zu, doch hat der Oberste Gerichtshof in mehreren späteren Entscheidungen (so SZ. XXXI 18, EvBl. 1958 Nr. 362, SZ. XXXIII 73) ausgesprochen, daß der im JB. 203 ausgesprochene Rechtssatz über die grundsätzliche Zulässigkeit des Revisionsrekurses gegen Aufhebungsbeschlüsse des Rekursgerichtes auch in jenen Fällen gilt, in denen nach dem Notwegegesetz zu verfahren ist.

Der Revisionsrekurs ist also zulässig, er ist aber auch begrundet.

Dem Rekursgericht ist insoweit zuzustimmen, daß das Notwegegesetz eine Definition des Begriffes von geschlossenen Hofräumen nicht enthält. Die Gesetzesmaterialien (1292 der Beilagen zu den sten. Protokollen des Abgeordnetenhauses, XI. Session 1895) erläutern die Bestimmungen des 3. Absatzes des § 4 des Notwegegesetzes dahin, daß sie der Wahrung des Hausfriedens und der ungestörten Benützung der Liegenschaften dienen, an der dem Eigentümer naturgemäß ganz besonderes gelegen ist. Hier ist also deutlich auf die Intimsphäre des geschlossenen Hofes Bezug genommen. Ehrenzweig (Band I/2 S. 348) spricht in diesem Zusammenhang von Notwegen durch Gebäude und dazugehörigen eingefriedeten Hofräumen oder Gärten. Man kann dem Rekursgericht auch insoweit zustimmen, daß geschlossene Hofräume nicht wie die in dieser Gesetzesstelle genannten Gärten unbedingt eingefriedet sein müssen, um den Schutz des Gesetzes zu genießen, jedoch wird von einem geschlossenen Hofraum doch das Vorhandensein eines durch die Lage der Gebäude und der sonstigen Einrichtungen derart abgegrenzten Raumes gefordert werden müssen, daß dessen Absonderung und Abschließung von der übrigen Umwelt deutlich erkennbar ist.

Daß der Besitz der Antragsgegnerin als Hof anzusprechen ist, kann nicht bestritten werden. Das Gesetz verlangt jedoch einen "Hofraum" und darüber hinaus noch die Geschlossenheit desselben. Geht man nun von der von den Untergerichten festgestellten und aus den Plänen ersichtlichen Lage der Gebäude aus, insbesondere davon, daß der Breitseite des Wohngebäudes in 14 m Abstand nur 4.75 m der Seitenwand des quergestellten Wirtschaftsgebäudes gegenüberstehen, ferner daß sich dazwischen ein Hang von 16% Steigung befindet und daß die Hauptausgänge des Wohnhauses und des Wirtschaftsgebäudes nicht in diesen dazwischen liegenden Raum munden, dann kann zunächst nicht angenommen werden, daß sich der Hofraum der Antragsgegnerin in diesem 14 m breiten Zwischenstück erschöpft, sondern daß auch jene Liegenschaftsteile zum Hofraum, wenn hier überhaupt von einem solchen gesprochen werden kann, gehören und als dessen Teile Verwendung finden, die an den anderen Seiten der beides Gebäude, auf die die Ausgänge munden, liegen. Diese Teile des Hofes sind nach den Verfahrensergebnissen jedoch nach keiner Seite hin so geschlossen, daß von einem schon rein äußerlich von der übrigen Umgebung abgesonderten Raum, also einem geschlossenen Hofraum, gesprochen werden kam. Daß gerade jenes Teilstück der Liegenschaft, das sich zwischen Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude befindet, eine Breite von etwa 14 m aufweist und auf einer Länge von kaum 4 m zu beide Seiten durch die Mauern der beiden Gebäude begrenzt wird, als geschlossener Hofraum im Sinne des § 4 (3) NotwegeG. zu gelten habe, und somit auch dem übrigen zur Bewirtschaftung herangezogenen Raum den Charakter eines geschlossenen Hofraumes verleihen sollte, kann aus dem Gesetz nicht abgeleitet werden. Berücksichtigt man ferner, daß durch diesen 14 m breiten umstrittenen Raum seit Jahrzehnten ein Fahrweg führte, der über die Grundstücksgrenzen hinausging, so stellt sich dieses Raumstück als ein 14 m breiter Engpaß des bisher bestandenen Weges, nicht aber als ein geschlossener Hofraum dar. Der Hofraum der Antragsgegnerin reicht eben viel weiter als dieser Engpaß, was allein schon daraus erhellt, daß sich nicht nur der Brunnen außerhalb des umstrittenen Raumes befindet, sondern daß auch das Tennentor und die drei Eingänge des Wirtschaftsgebäudes auf andere Seiten munden. Von einem "Hofgeviert", wie der Rekurs der Antragsgegnerin gegen den erstinstanzlichen Beschluß dieses umstrittene Stück bezeichnet, kann überhaupt keine Rede sein. Es kann daher ein Ausschluß des vom Erstgericht eingeräumten Notweges nicht auf die Bestimmung des § 4 (3) NotwegeG. gestützt werden.

Die Notwendigkeit der Einräumung eines Notweges wurde von der Antragsgegnerin in ihrem Rekurse gegen den erstinstanzlichen Beschluß ebenso unbekämpft gelassen, wie die von beiden Untergerichten verneinte Frage, ob der Mangel einer Wegverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit der Antragsteller zurückzuführen ist (§ 2 (2) NotwegeG.). In ihrem Rekurse gegen die erstinstanzliche Entscheidung drängt die Antragsgegnerin auf Einräumung eines Notweges im Sinne des Umgehungsweges der Variante 1 (Katasterplan S. 293), der jedoch für die Antragsteller einen Kostenaufwand von 15.500 S erfordern und angesichts des bereits vorhandenen Weges dem Erfordernis des § 4 (1) nicht gerecht würde, nach dieser Gesetzesstelle dem wegebedürftigen Eigentümer möglichst geringe Auslagen verursacht werden sollen. Die vom Erstgericht vorgenommene Bewilligung des Notweges durch Mitbenützung des bereits bestehenden Privatweges würde aber, wie nicht bestritten werden kann, von der Leistung einer Entschädigung abgesehen, die Parteien überhaupt mit keinem Kostenaufwand belasten, wobei nicht übersehen werden kann, daß der Antragsgegnerin selbst durch die Miterhaltungsverpflichtung seitens der Antragsteller ein maßgeblicher Vorteil erwächst. Damit ist auch der Rüge des Rekurses der Antragsgegnerin gegen die erstinstanzliche Entscheidung, es mangle ihr an der erforderlichen Interessenabwägung, der Boden entzogen.

Was schließlich die von dem vorgenannten Rekurse bekämpfte Höhe des mit 2000 S bestimmten Entschädigungsbetrages betrifft, so sagt die Antragsgegnerin nicht, welcher Betrag nach ihrer Auffassung angemessen wäre. Die Sachverständigen haben entgegen ihrer Behauptung alle jene Umstände berücksichtigt, deren Beobachtung nach Ansicht des Rekursgerichtes bei Ermittlung des Entschädigungsbetrages erforderlich war. In welchen einzelnen Punkten den Sachverständigen hiebei ein Irrtum unterlaufen sein sollte, kann den Rekursausführungen nicht entnommen werden. Es bestand für das Erstgericht kein Anlaß, an der Richtigkeit dieser ausführlichen Gutachten zu zweifeln.

Da sich das Rekursgericht, von einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung ausgehend, mit den obigen Ausführungen des Rekurses der Antragsgegnerin gegen den erstinstanzlichen Beschluß nicht beschäftigte und somit es unterlassen hat, über diese Streitpunkte zu entscheiden, obwohl dies bei richtiger Rechtsauffassung notwendig gewesen wäre, konnte der Oberste Gerichtshof selbst die sachliche Entscheidung treffen, ohne vorher den Beschluß des Rekursgerichtes aufheben zu müssen (SZ. XXIII 87, 390 u. a.).

Der Revisionsrekurs erwies sich demnach als begrundet.

Die Ersetzung der Worte "zwei Wirtschaftsgebäuden" durch die Worte "Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude" erfolgte im Sinne einer eindeutigen Bezeichnung des Verlaufes des eingeräumten Notweges (§ 15 (3) NotwegeG.). Wenn auch der Aufhebungsbeschluß des Rekursgerichtes nur von der Erstantragstellerin angefochten wurde, so erstreckt sich doch die Wirksamkeit dieser Entscheidung mit Rücksicht auf den amtswegigen Charakter des Verfahrens (§ 9 (4)) und die Bestimmung des § 10 (3) NotwegeG. auch auf die Belange der Zweit- und Drittantragsteller.

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