Normen
Entmündigungsordnung §48
Entmündigungsordnung §48
Spruch:
Das Widerspruchsgericht kann in der Sache nur selbst entscheiden, nicht aber mit einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und einer Rückverweisung an das Entmündigungsgericht vorgehen.
Entscheidung vom 1. September 1964, 1 Ob 111/64. I. Instanz:
Bezirksgericht Wolkersdorf; II. Instanz: Kreisgericht Korneuburg.
Text
Josef K. stellte den Antrag auf volle Entmündigung seiner Schwester Anna K. Der Erstrichter sprach, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. X., die volle Entmündigung der Anna K. aus.
Anna K. erhob, vertreten durch einen selbstgewählten Anwalt, gegen den Entmündigungsbeschluß Widerspruch, wobei sie geltend machte, ihr Befinden - es handelt sich um einen Folgezustand nach einem im Jahre 1962 erlittenen Schlaganfall - habe sich wesentlich gebessert; die einmalige kurze Untersuchung durch den Sachverständigen reiche zur Begutachtung ihres Falles nicht aus.
Das Widerspruchsgericht führte zwar eine mündliche Verhandlung durch, nahm aber keine Beweise auf, sondern beschränkte sich auf die Protokollierung der diesbezüglichen Anträge der Anna K. Sodann faßte es den Beschluß, dem Widerspruch Folge zu geben, den Beschluß des Erstrichters aufzuheben und die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Entmündigungsgericht zurückzuverweisen. Es begrundete dies damit, daß die zur Verhandlung erschienene Anna K. nicht den Eindruck einer Person mache, die unfähig sei, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen; es scheine sehr wahrscheinlich zu sein, daß sich ihr Befinden seit der Untersuchung durch Dr. X. so gebessert habe, daß eine volle Entmündigung nicht mehr angebracht sein dürfte; es müsse also die Gültigkeit des Gutachtens für den Zeitpunkt der Widerspruchsverhandlung bezweifelt werden; der Erstrichter werde ein weiteres Gutachten einzuholen, die beantragten Auskunftspersonen sowie Anna K. persönlich zu vernehmen und ihre Krankengeschichte beizuschaffen haben.
Der Oberste Gerichtshof gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Antragstellers Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Widerspruchsgericht auf, über den Widerspruch der Anna K. gegen ihre Entmündigung neuerlich zu entscheiden.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zweck des Widerspruches, den das Gesetz außer dem Rekurs als "Rechtsmittel" zuläßt, ist eine Erneuerung des Verfahrens unter besonders strengen Kautelen, nach welcher neu zu entscheiden ist. Beides obliegt ausschließlich dem Widerspruchsgericht. Diese Eigenart des Widerspruchsverfahrens bringt es mit sich, daß das Widerspruchsgericht - anders als das Rekursgericht nur in der Sache selbst entscheiden, nicht aber mit einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und einer Rückverweisung der Sache an das Entmündigungsgericht vorgehen kann. Diesem von der Lehre vertretenen Standpunkt (vgl. Sternberg, Kommentar zur Entmündigungsordnung I S. 172; Ehrenzweig, "Die Rechtsmittel im Entmündigungsverfahren", NotZtg. 1933 S. 56 ff.) hat sowohl das ehem. Oberste Gericht in Brünn (ZBl. 1929 S. 410) als auch der Oberste Gerichtshof in der bisher unveröffentlichten Entscheidung 3 Ob 436/51 beigepflichtet. Er findet keine Veranlassung, davon abzugehen. In Stattgebung des Rekurses ist deshalb der angefochtene Beschluß aufzuheben und dem Widerspruchsgericht aufzutragen, selbst - naturgemäß nach der für nötig erachteten Klärung des Sachverhaltes - über den Widerspruch der Anna K. meritorisch zu entscheiden.
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