OGH 7Ob175/64

OGH7Ob175/641.7.1964

SZ 37/98

Normen

Versicherungsvertragsgesetz 1958 §2 (2)
Versicherungsvertragsgesetz 1958 §2 (2)

 

Spruch:

§ 2 (2) VVG. ist absolut zwingend. Es ist daher ohne Bedeutung, ob der Versicherer bei Abschluß des Versicherungsvertrages vom Eintritt des Versicherungsfalles Kenntnis hatte.

Entscheidung vom 1. Juli 1964, 7 Ob 175/64. I. Instanz:

Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.

Text

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Berufungsgerichtes, mit dem das Klagebegehren auf Feststellung der Entschädigungspflicht der beklagten Partei aus einer Kaskoversicherung abgewiesen wurde, nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht gab dem auf Feststellung der Entschädigungspflicht der beklagten Partei aus einer Kaskoversicherung gerichteten Klagebegehren statt. Es stellte fest, die klagende Partei habe am 20. September 1962 bei einem angestellten Außenvertreter der beklagten Partei, Franz W., einen Antrag auf Vollversicherung eines Lastkraftwagens gestellt, wobei ihr von W. erklärt worden sei, die Deckung gelte ab sofort. W. sei aber nicht befugt gewesen, vorläufige Deckungszusagen zu geben. Durch Nachlässigkeit des W. sei der Versicherungsantrag erst am 18. Dezember 1962 der beklagten Partei übermittelt worden, inzwischen sei aber am 17. Dezember 1962 das Fahrzeug der klagenden Partei beschädigt worden, was W. sofort mitgeteilt worden sei. W. habe seinerseits bei der Übermittlung des Versicherungsantrages am 18. Dezember 1962 die beklagte Partei auch von dem inzwischen eingetretenen Schaden verständigt, allerdings seien beide Schreiben in verschiedene Abteilungen der Beklagten gelangt. Von der Zentrale der beklagten Partei in Graz sei am 16. Jänner 1963 die Versicherungspolizze mit Datum 4. Jänner 1963 an die klagende Partei zugestellt worden, und es sei in der Polizze der Versicherungsbeginn mit 20. September 1962, 0.00 Uhr, festgelegt worden. Die klagende Partei habe am 17. Jänner 1963 die ihr vorgeschriebene Prämie bezahlt. Am 8. Februar 1963 habe die beklagte Partei die Entschädigung des Schadens abgelehnt und, als die klagende Partei darauf beharrt habe, am 17. April 1963 den Versicherungsvertrag storniert.

Rechtlich folgerte das Erstgericht aus diesen Feststellungen, zwischen den Streitteilen sei mit Wirkung vom 4. Jänner 1963 ein gültiger Vertrag auf Vollversicherung des Fahrzeuges der klagenden Partei zustandegekommen, wobei die Versicherung mit 20. September 1962 beginnen sollte. Die beklagte Partei könne sich nicht auf Irrtum berufen, weil ein solcher von der klagenden Partei nicht veranlaßt worden sei und ihr auch nicht habe auffallen müssen. Er sei ihr gegenüber auch nicht rechtzeitig aufgeklärt worden, weil sie aus dem Versicherungsvertrag inzwischen bereits Rechte erworben habe. Nach dem Inhalt des Versicherungsvertrages beginne der Versicherungsschutz mit der Einlösung der Polizze, jedoch nicht vor dem darin festgesetzten Zeitpunkt. Werde die erste Prämie aber erst nach diesem Zeitpunkt eingefordert, dann beginne der Versicherungsschutz schon mit dem festgesetzten Zeitpunkt. Da dies der 20. September 1962 sei und die Versicherungsprämie am Tag nach der Aufforderung bezahlt worden sei, trete der Versicherungsschutz mit 20. September 1962 ein.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes und führte aus, eine vorläufige Deckungszusage sei von der beklagten Partei der klagenden Partei nicht gegeben worden. Bei vereinbarter erweiterter Einlösungsklausel trage der Versicherer zwar schon vor der Einlösung von einem genannten Zeitpunkt an die Gefahr. Damit sei für die klagende Partei aber nichts gewonnen, denn sie habe bei Abschluß des Vertrages am 4. Jänner 1963 bereits gewußt, daß der Versicherungsfall schon eingetreten sei, weshalb der Versicherer gemäß § 2 (2) VVG. von der Leistung frei sei. Ein rückwirkender Versicherungsbeginn gelte nur dann, wenn nicht eine der im § 2 (2) VVG. genannten Voraussetzungen vorliege. Ein Verzicht der beklagten Partei auf Leistungsfreiheit sei nicht behauptet worden. Die beklagte Partei habe daher aus dem am 4. Jänner 1963 geschlossenen Vertrag für den Unfall vom 17. Dezember 1962 keinen Versicherungsschutz zu leisten.

Die klagende Partei bekämpft das Berufungsurteil wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die beklagte Partei bekämpft die Revision und beantragt, ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht begrundet.

Der Versicherungsantrag der Klägerin vom 20. September 1962 wurde von der beklagten Partei mit Ausstellung der Polizze vom 4. Jänner 1963 angenommen. Mit diesem Tag wurde der Versicherungsvertrag abgeschlossen. Allerdings wurde ausdrücklich vereinbart, daß die Versicherung ab 20. September 1962 gelten soll. Dem Erstgericht ist beizustimmen, daß einen Irrtum in dieser Richtung die beklagte Partei zu vertreten hat. Es handelt sich also um eine Rückwärtsversicherung im Sinne des § 2 VVG. Da der Versicherungsnehmer bei Abschluß des Versicherungsvertrages am 4. Jänner 1963 wußte, daß der Versicherungsfall bereits vorher eingetreten war, ist der Versicherer gemäß § 2 (2) VVG. von der Verpflichtung zur Leistung frei. Auch wenn die beklagte Partei zu diesem Zeitpunkt ebenfalls vom Eintritt des Versicherungsfalles bereits Kenntnis hatte, hat das dieselbe Folge. Der Vertrag ist als Rückwärtsversicherung unwirksam, der Versicherer kann keine Prämie, der Versicherungsnehmer keinen Schadenersatz fordern (Prölss zu § 2 VVG.). Selbst wenn man in der Ausstellung der Versicherungspolizze und Vorschreibung der Prämie einen Verzicht der beklagten Partei auf die Geltendmachung der Leistungsfreiheit nach § 2 (2) VVG. annehmen wollte, ändert das nichts, weil die Folgen nach dieser Gesetzesstelle schon dadurch eintreten, daß der Versicherungsnehmer im Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrages wußte, daß der Versicherungsfall schon eingetreten ist. Hiedurch allein wird der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei. Diese Bestimmung des Abs. 2 des § 2 VVG. ist nach ihrem Wortlaut absolut zwingend (SZ. XXII 3). Es ist daher ohne Bedeutung, ob die klagende Partei in gutem Glauben war, daß der Vertreter der beklagten Partei W. ihren Antrag vom 20. September 1962 ohne Verzögerung an die beklagte Partei weitergeleitet hat, denn daß der Versicherungsvertrag erst am 4. Jänner 1963 abgeschlossen wurde, hat sie aus der Polizze ersehen. Bei Erhalt der Polizze und Zahlung der Prämie war ihr aber schon bekannt, daß der Versicherungsfall eingetreten war.

Die Klägerin hat sich aber auch darauf berufen, daß die beklagte Partei für den Schaden auf Grund einer vorläufigen Deckungszusage hafte, die ihr vom Vertreter der beklagten Partei W. gemacht worden sei. Die Deckung besteht, solange der Antrag nicht ausdrücklich abgelehnt und der Versicherungsnehmer davon verständigt oder die Deckung gekundigt wird. Es ist daher gleichgültig, ob der Versicherungsantrag innerhalb der Bindungsfrist von sechs Wochen angenommen wird. Die klagende Partei konnte daher aus dem Schweigen der beklagten Partei über ihren Versicherungsantrag nicht annehmen, daß die Deckungszusage nicht zu Recht bestehe. Mangels ausdrücklicher Ablehnung oder Kündigung der Deckungszusage besteht die Haftung der beklagten Partei bereits auf Grund dieser Zusage, und zwar auch dann, wenn die Prämie noch nicht bezahlt wurde, die ja noch nicht bezahlt werden konnte, weil sie noch nicht vorgeschrieben war. Die beklagte Partei wäre daher durch eine gültige Deckungszusage gebunden, da sich der Unfall innerhalb der Deckungsfrist ereignete. Es war daher zu prüfen, ob die beklagte Partei durch die Deckungszusage des W. gebunden wurde.

Die Deckungszusage ist ein besonderer Versicherungsvertrag, der zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer abgeschlossen werden kann. Ein solcher Vertrag wurde nach den Feststellungen des Erstgerichtes nicht geschlossen. W. war auch nicht berechtigt, eine vorläufige Deckungszusage zu geben. Er hat mit der Klägerin nur einen Antrag auf Kraftfahrzeugversicherung aufgenommen. Mangels Vollmacht konnte die Deckungszusage gültig erst durch die beklagte Partei erfolgen. Eine solche Zusage wurde nach den Feststellungen der Untergerichte von der beklagten Partei selbst nicht gemacht. Die klagende Partei, deren Inhaber ein erfahrener Kaufmann ist, der im vorliegenden Fall nicht den ersten Versicherungsvertrag abschloß, konnte auch nicht annehmen, daß W. berechtigt sei, eine vorläufige Deckungszusage zu machen, denn in dem von ihr unterfertigten Antragsformular wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Versicherungsanträge sowie sämtliche Anzeigen und Erklärungen des Versicherungsnehmers und des Versicherten schriftlich erfolgen müssen und daß Abmachungen und Erklärungen für den Versicherer nur dann verbindlich sind, wenn sie schriftlich ausgefertigt und von einer Verwaltungsstelle des Versicherers rechtsgültig gezeichnet worden sind. Die klagende Partei konnte daher nicht annehmen, daß der Vertreter der beklagten Partei berechtigt sei, mit Wirkung für die beklagte Partei eine so wichtige Vereinbarung wie eine vorläufige Deckungszusage abzuschließen. Die beklagte Partei hat demnach nicht für die von W. gemachte Zusage, daß die klagende Partei ab Antragstellung gedeckt sei, einzustehen.

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