OGH 2Ob197/64

OGH2Ob197/6411.6.1964

SZ 37/82

Normen

ABGB §1327
ZPO §228
ABGB §1327
ZPO §228

 

Spruch:

Obwohl derzeit die Bedürftigkeit der klagenden Mutter des Getöteten zu verneinen ist, hat sie ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden, weil nicht auszuschließen ist, daß sie in Zukunft in Dürftigkeit verfallen könnte, denn in diesem Falle wäre der Sohn unterhaltspflichtig geworden.

Entscheidung vom 11. Juni 1964, 2 Ob 197/64. I. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Am 15. August 1962 ereignete sich im 3. Wiener Gemeindebezirk auf der Kreuzung des Rennweges mit der Ungar- und Fasangasse ein Verkehrsunfall, bei dem der Sohn der Klägerin, Günther L. so schwer verletzt wurde, daß er bald nach dem Unfall starb. Er fuhr damals auf seinem Motorrad über den Rennweg stadteinwärts und hatte den Vorrang gegenüber dem Querverkehr. Der Erstbeklagte kam mit dem LKW. der zweitbeklagten Partei aus der Ungargasse und wollte die Kreuzung Richtung Fasangasse überqueren. Hiebei mißachtete er den Vorrang des Günther L. Der Erstbeklagte wurde vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt.

Die Klägerin machte Schadenersatzansprüche in der Höhe von 22.651 S und einer monatlichen Rente von 600 S geltend und beantragte die Feststellung, daß den Erstbeklagten das alleinige Verschulden an dem Unfall treffe und daß die Beklagten für den ihr entstandenen Schaden haften. Die Klägerin behauptete, daß der Erstbeklagte den Unfall allein verschuldet habe und daß die anderen Beklagten für dieses Verschulden als Kraftfahrzeughalter haften. Sie habe von ihrem unterhaltspflichtigen Sohn einen monatlichen Unterhalt von 600 S erhalten.

Die Beklagten wendeten ein Mitverschulden des Günther L. zu 50% ein, weil es ihm bei gehöriger Aufmerksamkeit und Vorsicht möglich gewesen wäre, längere Zeit vor dem Unfall den LKW. wahrzunehmen und zu beobachten, rechtzeitig durch Bremsen oder Ausweichen zu reagieren und den Unfall zu vermeiden oder doch dessen Folgen abzuschwächen. Die Haltereigenschaft der Zweit- bis Viertbeklagten wurde außer Streit gestellt.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten (nicht zur ungeteilten Hand), der Klägerin 16.360.80 S zu bezahlen, und wies das Mehrbegehren von 6270.20 S sowie das Renten- und Feststellungsbegehren ab. Es nahm eine Verschuldensteilung im Verhältnis 4: 1 zum Nachteil der Beklagten vor und stellte den Schadensbetrag mit 20.451 S fest. Die Abweisung des Renten- und des Feststellungsbegehrens begrundet das Erstgericht damit, daß die Klägerin nach ihren Angaben im Armenrechtszeugnis eine monatliche Pension von rund 1800 S beziehe und daher im Sinne des § 154 ABGB. nicht in Dürftigkeit verfallen und ihr Sohn nicht unterhaltspflichtig gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin erhobenen Berufung teilweise Folge, bestätigte das erstgerichtliche Urteil bezüglich der Abweisung des Renten- und des Feststellungsbegehrens und änderte es dahin ab, daß es die Beklagten schuldig erkannte (zur ungeteilten Hand), der Klägerin den gesamten festgestellten Schaden von 20.451 S zu bezahlen, wobei es das alleinige Verschulden des Erstbeklagten an dem Verkehrsunfall annahm.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Parteien nicht Folge. Er gab jedoch der Revision der klagenden Partei teilweise Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß 1. die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig seien, der klagenden Partei 20.451 S samt 4% Zinsen seit 21. Februar 1963 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen; 2. festgestellt werde, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand der klagenden Partei für alle zukünftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall ihres Sohnes Günther L. vom 15. August 1962 ersatzpflichtig; 3. das Mehrbegehren von 2200 S samt 4% Zinsen seit 21. Februar 1963 sowie auf Leistung einer monatlichen Rente von 600 S ab 1. September 1962 und das Feststellungsbegehren abgewiesen werden und 4. die Verfahrenskosten aller drei Instanzen gegeneinander aufgehoben werden.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Zur Revision der Klägerin:

Die Klägerin erachtet sich durch die Abweisung ihres Rentenbegehrens und des Feststellungsbegehrens beschwert und macht als Verfahrensmangel geltend, daß ihre Einkommensverhältnisse nicht Gegenstand des Beweisverfahrens gewesen seien. Es sei daher eine erschöpfende Erörterung und grundliche Beurteilung der Sache in der Richtung ihrer Dürftigkeit und der Unterhaltspflicht ihres Sohnes nicht möglich. Auf Grund ihrer Angaben im Armenrechtszeugnis durften keine Feststellungen über ihre Einkommensverhältnisse getroffen werden. Sie habe nicht Anspruch auf den notdürftigen, sondern auf den anständigen Unterhalt.

Diese Ausführungen sind nicht stichhältig. Die Klägerin hat weder in der Klage noch sonst im Verfahren ausdrücklich behauptet, daß sie im Sinne des § 154 ABGB. in Dürftigkeit verfallen und ihr beim Unfall getöteter Sohn verpflichtet gewesen sei, ihr den anständigen Unterhalt zu reichen. Sie hat lediglich behauptet, daß ihr unterhaltspflichtiger Sohn ihr einen Unterhalt von 600 S geleistet habe. Zum Beweise dafür hat sie sich lediglich auf ihre Vernehmung als Partei berufen. Für den von den Beklagten bestrittenen Sachverhalt nach § 154 ABGB. war die Klägerin beweispflichtig. Einen Beweis hiefür hat sie aber nicht erbracht, weil sie, obgleich ordnungsgemäß vorgeladen, zur Verhandlung nicht erschienen ist. Ihr Rentenanspruch wurde daher schon aus diesem Grund mit Recht abgewiesen.

Die Untergerichte waren aber auch berechtigt, auf Grund der Aktenlage die Einkommensverhältnisse der Klägerin festzustellen und danach ihre Dürftigkeit im Sinne der bezogenen Gesetzesstelle zu prüfen. Die Klägerin vermag selbst nicht zu bestreiten, daß die Angaben in ihrem Armenrechtszeugnis über ihre Einkommensverhältnisse richtig sind. Sie kann sich daher auch nicht über die Feststellung der Untergerichte beschweren, daß sie eine monatliche Pension von 1834.70 S bezieht. Die Klägerin selbst ist einer näheren Erörterung ihrer Einkommensverhältnisse und der Aufnahme von Beweisen darüber aus dem Wege gegangen, indem sie sich der Parteienvernehmung entzogen hat. Sie hat daher die Folgen dieses Verhaltens selbst zu tragen. Die Untergerichte haben die Sache rechtlich richtig beurteilt, wenn sie auf Grund des festgestellten Einkommens der Klägerin ihre derzeitige Dürftigkeit verneint haben. Damit ist auch die Rechtsrüge der Klägerin erledigt, die dahin geht, daß sie doch in Dürftigkeit verfallen und ihr Sohn verpflichtet gewesen sei, ihr den anständigen Unterhalt zu leisten. Im übrigen vermengt die Klägerin die Begriffe der Dürftigkeit und des anständigen Unterhaltes. Ist ihre Dürftigkeit nicht gegeben, so ist die Frage, welcher Art der ihr von ihrem Sohn geleistete Unterhalt hätte sein müssen, für die Entscheidung nicht wesentlich.

Die Klägerin hat aber ein rechtliches Interesse an der Feststellung, daß ihr die Beklagten zur ungeteilten Hand für einen zukünftigen Schaden aus dem Verkehrsunfall haften, welches Begehren in dem von der Klägerin gestellten Feststellungsbegehren enthalten ist. Es ist nicht auszuschließen, daß die Klägerin in Zukunft in Dürftigkeit verfallen könnte; in diesem Falle wäre ihr Sohn unterhaltspflichtig geworden. Um eine eventuelle Verjährung ihrer Ansprüche hintanzuhalten und um eine neuerliche Aufrollung der Verschuldensfrage zu verhindern, erscheint es gerechtfertigt, ihrem Feststellungsbegehren, soweit es sich auf zukünftige Leistungen bezieht, Folge zu geben. Nur in diesem Sinne war der Revision der klagenden Partei stattzugeben.

II. Zur Revision der Beklagten:

Die Beklagten führen ihre Rechtsrüge gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Erstbeklagte den Unfall allein verschuldet habe, dahin aus, daß der Vertrauensgrundsatz nach § 3 StVO. 1960 nicht zugunsten des Günther L. anzuwenden sei, weil er nicht jene Vorsicht angewendet habe, die von ihm im Interesse der Sicherheit verlangt werden mußte. Er habe sich nicht vollkommen vorschriftsmäßig verhalten, weil er nicht am rechten Fahrbahnrand, sondern 3.90 m davon entfernt gefahren sei. Er hätte auch nur mit einer solchen Geschwindigkeit fahren dürfen, daß er auf eine Entfernung von 15 m anhalten hätte können.

Diese Ausführungen sind nicht stichhältig. Daß Günther L. nicht am rechten Fahrbahnrand gefahren ist, wurde nicht festgestellt. Es kann daher auch im Revisionsverfahren nicht davon ausgegangen werden. Aber selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, würde daraus nicht sein Mitverschulden am Verkehrsunfall abzuleiten sein, weil er im vorliegenden Fall dadurch nur den Anhalteweg für den Erstbeklagten verlängert hätte.

Es ist daher nur die weitere Frage offen, ob Günther L. eine zu hohe Geschwindigkeit eingehalten hat und daher unvorsichtig gefahren ist. Diese Frage ist mit dem Berufungsgericht zu verneinen. Es steht fest, daß Günther L. eine Geschwindigkeit von nicht über 40 km/h hatte und mit dieser die Straßenkreuzung überqueren wollte. Er war an seinem Vorhaben durch die Straße überquerende Fußgänger nicht behindert und hatte daher keinen Grund, seine Geschwindigkeit aus Rücksicht auf Fußgänger herabzusetzen. Damit aber, daß ihm die Fahrbahn durch einen aus der Ungargasse kommenden LKW. versperrt werde, brauchte er so lange nicht zu rechnen, als er das vorschriftswidrige Verhalten des Erstbeklagten nicht erkennen konnte. Da er, wie feststeht, erst 1 1/2 Sekunden vor dem Unfall erkannte, daß ihm der Erstbeklagte den zukommenden Vorrang nicht einräume, war es für eine unfallverhütende Reaktion bereits zu spät. Nach dem Sachverständigengutachten hätte Günther L. seine Geschwindigkeit durch eine sofortige Bremsung lediglich auf 30 km/h verringern können. Daß er dies nicht getan hat, stellt nicht ein Verschulden dar, da dadurch der Zusammenstoß der Fahrzeuge nicht verhindert worden wäre. Es steht auch nicht fest, daß die Unfallsfolgen andere gewesen wären, wenn L. mit 30 km/h an den LKW. angefahren wäre.

Es ist demnach auch der Oberste Gerichtshof der Ansicht, daß der Verkehrsunfall einzig und allein durch das vorschriftswidrige Verhalten des Erstbeklagten verschuldet wurde, der den Vorrang des Günther L. verletzte.

Die Entscheidung über sämtliche Verfahrenskosten grundet sich auf die §§ 43 und 50 ZPO.

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