Spruch:
Bei der Beurteilung des Stillschweigens als Annahme eines Vorschlages ist zwar Zurückhaltung geboten; sie kann aber unter Umständen gerechtfertigt sein.
Entscheidung vom 16. April 1964, 2 Ob 89/64. I. Instanz:
Bezirksgericht Kirchberg am Wagram; II. Instanz: Kreisgericht Krems.
Text
Am 28. Juni 1961 verkaufte der Kläger (ein Viehhändler) dem Beklagten (einem Landwirt) eine trächtige Kalbin um 7700 S zahlbar in mehreren Teilbeträgen. Der Beklagte bezahlte insgesamt 5700 S, sodaß noch 2000 S aushaften. Der Beklagte machte Preisminderung sowie vertragliche Herabsetzung des Kaufpreises um den noch aushaftenden Restbetrag geltend. Auch stützte er sich auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes.
Der Erstrichter gab dem Klagebegehren in der Hauptsache statt. Das über 4% Zinsen hinausgehende Zinsenmehrbegehren wies er ab. Er stellte unter anderem fest: Die Kalbin sei an einem der auf den Kaufabschluß folgenden Tage vereinbarungsgemäß auf den Hof des Beklagten geliefert worden. Dabei habe sich der Kläger des Franz S. bedient. Die Kalbin sei in Abwesenheit des Beklagten von Franz S. abgeladen und in den Stall gebracht worden. S. habe sie dabei mißhandelt. Infolge der Mißhandlung sei die hochträgige Kalbin, die in vier Wochen hätte kalben sollen, gestürzt. Am 13. Juli 1961 sei es zu einer Frühgeburt gekommen. Da die Kalbin weder auf die Geburt noch auf die Milchsekretion genügend vorbereitet gewesen sei, habe sie - abgesehen von einem Liter Milch täglich durch etwa 14 Tage - keine Milch gegeben. Auch sei sie in der Folge nicht mehr trächtig geworden. Fünf Deckversuche seien ohne Erfolg geblieben. Am 9. April 1963 habe sie der Beklagte einem Fleischhauer um 4000 S verkauft. Der Beklagte habe noch am 13. Juli 1961 den Kläger mit eingeschriebenem Brief von der Frühgeburt verständigt. Gleichzeitig habe er Wandlung des Kaufvertrages oder Minderung des Kaufpreises um den Betrag von 2000 S begehrt. Dieses Schreiben habe der Kläger nicht beantwortet. In der Folgezeit habe der Beklagte auch noch einem Einkäufer des Klägers von den Mängeln Mitteilung gemacht. Der Erstrichter war der Ansicht, der Preisminderungsanspruch sei nicht begrundet, weil eine bestimmte Milchleistung nicht zugesagt worden sei und weil bei einer Kalbin - anders wie bei einer Kuh - Milchergiebigkeit keine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft sei. Der Rechtsgrund des Schadenersatzes sei nicht gegeben, weil dem Beklagten der Beweis des Kausalzusammenhanges zwischen der Mißhandlung der Kalbin durch S. und der Frühgeburt beziehungsweise dem Ausbleiben einer Milchleistung nicht gelungen sei. Die Zeugenaussage des Tierarztes habe zur Herstellung des Beweises nicht ausgereicht. Da der Beklagte das Tier inzwischen einem Fleischhauer verkauft habe, eine Untersuchung durch einen Sachverständigen daher nicht mehr möglich sei, könne der Beweis des Kausalzusammenhanges auch nicht mehr erbracht werden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten gegen den stattgebenden Teil des Urteiles der ersten Instanz Folge. Er hob das Urteil im Umfang der Anfechtung unter Rechtskraftvorbehalt auf. Auszugehen sei davon, daß ein Nutztier verkauft worden sei, das Milch liefere und in bestimmten Zeitabständen kälbere. Ob in diesem Belange ein vom Kläger zu vertretender Mangel vorliege, könne noch nicht beurteilt werden, weil der angebotene Sachverständigenbeweis nicht durchgeführt worden sei. Es sei nicht ausgeschlossen, daß ein Sachverständiger, etwa ein Professor an der Tierärztlichen Hochschule, auch ohne Untersuchung des Tieres ein Gutachten abgeben könne. Um weiters beurteilen zu können, ob eine Haftung des Klägers für verschuldeten Schaden unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen der §§ 1313a, 1315 ABGB. in Betracht komme, bedürfe es näherer Feststellungen über die für den Zeitpunkt des Eigentumsüberganges maßgebenden Umstände, über die Eignung des Franz S. zu der von ihm bei der Übergabe der Kalbin ausgeübten Tätigkeit und über sein dabei an den Tag gelegtes Verhalten. Im Hinblick auf die vom Beklagten geltend gemachte vertragliche Herabsetzung des Kaufpreises bedürfe es auch näherer Feststellungen über den Inhalt des vom Beklagten dem Kläger geschriebenen, im Original nicht mehr vorliegenden Briefes und über das von den beiden Parteien in der Folge an den Tag gelegte Verhalten.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Berufungsinstanz hat auch zu der vom Beklagten behaupteten vertraglichen Herabsetzung des Kaufpreises infolge des Schweigens des Klägers auf die begehite Preisminderung eine Verfahrensergänzung angeordnet. Dieser Ergänzung bedarf es aber nicht, weil der volle Wortlaut des vom Beklagten an den Kläger gerichteten Schreibens vom 13. Juli 1961 bekannt ist und der Kläger nach dem Inhalte der Berufungsmitteilung selbst von diesem Schreiben ausgeht. Es ist auch entbehrlich, das Verhalten der Parteien seit dem 13. Juli 1961 im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichtes "näher zu durchleuchten". Der Beklagte hat dieses Schreiben seines Gegners ja nicht beantwortet und der Kläger hat in der Folge gezahlt, bis auf den Rest von 2000 S durchaus in Übereinstimmung mit seinem Vorschlage vom 13. Juli 1961. Die Grundlage der Beurteilung in diesem Punkte ist also das bezeichnete Schreiben: "... Gebe ihnen eine Frist von 14 Tagen; entweder nehmen sie die Kuh innerhalb dieser Frist zurück oder ich behalte mir 2000 S vom Kaufpreis zurück, damit ein Teil des Schadens gedeckt ist. Holen Sie das Tier innerhalb dieser Frist nicht ab oder kommen Sie nicht persönlich, den Schaden zu besichtigen und einen Ausgleich zu machen, so nehme ich an, daß Sie meinen Vorschlag akzeptieren ...".
Richtig ist, daß Stillschweigen nur dann als Zustimmung zu werten ist, wenn der schweigende Geschäftspartner nach Treu und Glauben, nach der Verkehrssitte oder nach dem Gesetz hätte reden sollen (vgl. Ehrenzweig, Allgemeiner Teil, 1951, S. 260). Vorliegendenfalls wäre aber der Kläger nach Treu und Glauben zu einer ablehnenden Beantwortung des Schreibens des Beklagten verpflichtet gewesen, wenn er nicht als der vorgeschlagenen Änderung des Vertrages zustimmend behandelt werden wollte. Gschnitzer in Klang[2], IV S. 80 weist darauf hin, daß die Rechtsprechung die Tendenz habe, das Anwendungsgebiet der Vorschrift des § 362 HGB. zu erweitern; der genannte Autor führt auch aus (a. a. O., S. 80), daß zwar bei der Beurteilung des verpflichtenden Stillschweigens Zurückhaltung geboten sei, daß aber seine Deutung als Annahme namentlich dann gerechtfertigt sei, wenn die Ablehnung durch erkennbar wichtige Interessen des Vorschlagenden, namentlich innerhalb bereits bestehender Rechtsverhältnisse, geboten und ohne ernstliche Behelligung des schweigenden Partners möglich war, wenn ferner die Gegenseite auf die Beantwortung rechnen und bei Ausbleiben der Antwort Grund zur Annahme haben konnte, daß man mit dem Vorschlage einverstanden sei und alles in Ordnung gehe. Alle diese Gesichtspunkte treffen vorliegendenfalls für die Deutung des Stillschweigens des Klägers als Zustimmung zum Vorschlag seines Gegners auf Kaufpreisreduktion zu. Bei dieser Beurteilung ist die Streitsache im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens spruchreif; alle anderen Fragen können unerörtert bleiben.
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