OGH 2Ob261/63

OGH2Ob261/6319.12.1963

SZ 36/162

Normen

Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz §11 (1)
Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz §11 (1)

 

Spruch:

Unter den "Beteiligten" im Sinne des § 11 Abs. 1 EKHG. ist auch der Lenker des Kraftfahrzeuges zu verstehen.

Entscheidung vom 19. Dezember 1963, 2 Ob 261/63.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Der Kläger hat am 29. Mai 1961 als Lenker seines Lastkraftwagens auf der Salzachtal-Bundesstraße in der Ortschaft Tenneck einen Verkehrsunfall erlitten. Der vom Erstbeklagten geführte Lastwagenzug der zweitbeklagten Partei (bestehend aus Lastkraftwagen und Einachs-Anhänger) war auf der rechten Straßenseite (rechts: gesehen in der Fahrtrichtung des Klägers aus Richtung Salzburg) abgestellt. Der Kläger fuhr an diesem Lastwagenzug vorbei. In der Folge kam es zum Zusammenstoß zwischen dem Fahrzeug des Klägers und dem aus der Gegenrichtung herankommenden Lastwagenzug der viertbeklagten Partei, den der Drittbeklagte lenkte. Durch das im Schuldspruche im Instanzenzuge bestätigte Urteil des Bezirksgerichtes Werfen vom 6.

März 1962, sind die drei genannten Fahrzeuglenker der Übertretung

gegen die körperliche Sicherheit gemäß § 431 StG. schuldig erkannt

worden: der Erstbeklagte habe den Lastkraftwagen samt

Einachsanhänger (der zweitbeklagten Partei) zwecks Entladung vor dem

Magazinseingang des Eisenwerkes Sulzau-Werfen im Bereiche der dort

befindlichen unübersichtlichen Kurve geparkt, ohne einen

Verkehrsposten aufzustellen; der Kläger sei mit seinem

Lastkraftwagen ohne Hupsignal und ohne vorherige Kontaktaufnahme mit

dem Erstbeklagten und dessen Beifahrer in dieser unübersichtlichen

Kurve auf der linken Fahrbahnseite an dem geparkten Lastwagen samt

Einachsanhänger vorbeigefahren; der Drittbeklagte habe die im

Straßenverkehr erforderliche Vorsicht außer acht gelassen und der

vor ihm befindlichen Fahrbahn zu wenig Aufmerksamkeit zugewandt; er

habe auch infolge zu späten und unsachgemäßen Bremsens den von ihm

gelenkten Lastkraftwagen samt Anhänger (der viertbeklagten Partei)

nicht mehr rechtzeitig vor dem ihm entgegenkommenden Lastkraftwagen

des Klägers zum Stillstand bringen können; es sei durch die

Handlungen und Unterlassungen der drei Fahrzeuglenker ... ein

Zusammenstoß zwischen dem Lastkraftwagen des Klägers und dem

Lastwagenzug der viertbeklagten Partei und eine leichte

Körperverletzung des Klägers ... erfolgt. Im vorliegenden Prozesse

nimmt der Kläger die vier Beklagten auf Ersatz seines Schadens aus dem Unfalle vom 29. Mai 1961 zur ungeteilten Hand in Anspruch, und zwar die Beklagten zu 1. und 3. aus Verschulden und die zweit- und viertbeklagte Partei als Kraftfahrzeughalter gemäß § 19 (2) EKHG.

Das Erstgericht hat die vier Beklagten zur ungeteilten Hand verurteilt, dem Kläger den Betrag von 14.733 S s. A. zu bezahlen, und außerdem die Beklagten zu 3. und 4. solidarisch schuldig erkannt, dem Kläger den (weiteren) Betrag von 4911 S s. A. zu bezahlen; das Mehrbegehren in bezug auf die Beklagten zu 1. und 2. in der Höhe von 23.898 S 98 g s. A. und jenes hinsichtlich der dritt- und viertbeklagten Partei punkto 18.987 S 98 g s. A. hat das Erstgericht abgewiesen. Das Erstgericht berechnete den Schaden des Klägers mit insgesamt 49.109 S 30 g (darunter ein Schmerzensgeld von 2600 S); es unterschied in der Schadensaufteilung das Verhältnis des Klägers zu den Beklagten zu 1. und 2. - 70 zu 30 zu Lasten des Klägers - von jenem des Klägers zur dritt- und viertbeklagten Partei - 60 zu 40 wiederum zu Lasten des Klägers - und kam damit zu voneinander zum Teil verschiedenen Ersatzbeträgen, wie oben bezeichnet.

Das Ersturteil ist lediglich vom Kläger angefochten worden: In seiner Berufung bekämpfte der Kläger die Abweisung des Mehrbegehrens bezüglich der Beklagten zu 1. und 2. im Teilbetrage von 19.606 S 53 g s. A.; der Schaden sei im Verhältniß des Klägers zu den Beklagten zu 1. und 2. mit 1 zu 2 zugunsten des Klägers aufzuteilen und das Schmerzensgeld mit 5000 S zu bemessen.

Das Berufungsgericht hat der hinsichtlich der erst- und zweitbeklagten Partei erhobenen Berufung des Klägers teilweise Folge gegeben und in Abänderung des Ersturteils die vier Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannt, dem Kläger den Betrag von 19.644 S s. A. zu bezahlen; die erst- und zweitbeklagten Parteien sind überdies solidarisch verurteilt worden, dem Kläger einen weiteren Betrag von 13.095 S 53 g s. A. zu bezahlen; das Mehrbegehren hinsichtlich der Beklagten zu 1. und 2. punkto 5892 S 45 g s. A. und in bezug auf die dritt- und viertbeklagte Partei punkto 18.987 S 98 g s. A. wurde abgewiesen. Unter Hinweis auf § 1302 ABGB. hat die Berufungsinstanz die solidarische Haftung aller vier Beklagten dargelegt, weil sich nicht bestimmen lasse, welche Teile des dem Kläger zugefügten Schadens auf den Erstbeklagten und welche auf den Drittbeklagten zurückzuführen seien. Eine teilweise Einschränkung dieser Solidarhaftung der Beklagten ergebe sich nur daraus, daß das Ersturteil in bezug auf die Beklagten zu 3. und 4. in der Hauptsache nicht angefochten worden sei. Es sei zu prüfen, welchen Verschuldensanteil der Kläger an dem gesamten bei diesem Unfall zutage getretenen schuldhaften Verhalten habe; diesem schuldhaften Verhalten des Klägers auf der einen Seite, wofür er nach § 1304 ABGB. selbst einzustehen habe, sei auf der anderen Seite das gesamte schuldhafte Verhalten der beiden anderen Fahrer, für das diese nach § 1302 ABGB. solidarisch haften, gegenüberzustellen. Die Schadensteilung im Verhältnisse von 1 zu 2 zu Gunsten des Klägers entspreche dem Unfallsablaufe. Das Schmerzensgeld sei mit 2600 S angemessen festgesetzt worden.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision der Beklagten zu

1. und 2.: aus den Revisionsgrunden des § 503 Z. 1 und 4 ZPO. beantragen diese Beklagten sinngemäß die Abänderung dieses Urteils dahin, daß das Ersturteil wiederhergestellt werde; hilfsweise beantragen sie sinngemäß die Aufhebung des angefochtenen Urteils bzw. auch des Ersturteils und die Rückverweisung der Sache.

Der Oberste Gerichtshof verwarf die wegen Nichtigkeit erhobene Revision und änderte die Entscheidung des Berufungsgerichtes dahin ab, daß der Berufung der klagenden Partei in bezug auf die die erst- und zweitbeklagte Partei betreffenden Teile des Ersturteils nicht Folge gegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zum Revisionsgrund des § 503 Z. 1 ZPO.:

Als nichtig wird das Berufungsurteil deswegen gerügt, weil die Berufungsinstanz sämtliche Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 19.644 S s. A. an den Kläger verurteilt habe, obwohl der Kläger die Abweisung des Ersturteils in Ansehung der Beklagten zu 3. und 4. nicht angefochten habe. In diesem Punkte liegt offensichtlich ein Mißverständnis der Revisionswerber vor. Denn, wie oben dargestellt, enthält bereits das Ersturteil die Verurteilung der Beklagten zu 3. und 4. zur Zahlung von insgesamt 19.644 S s. A., nämlich von 14.733 S und von weiteren 4911 S. Der Unterschied in der Formulierung der Urteile der Vorinstanzen in dieser Hinsicht ergibt sich nur daraus, daß das Erstgericht die Beklagten zu 1. und 2. zu weniger verurteilt hatte als die Beklagten zu 3. und 4., während die Berufungsinstanz die Beklagten zu 1. und 2. zu zusätzlichen Zahlungen verurteilt hat, so daß diese nach dem Berufungsurteil dem Kläger mehr schulden als die Beklagten zu 3. und 4.; gerade dabei hat das Berufungsgericht die Rechtskraft des Ersturteils in Ansehung des Schuldspruches bezüglich der Beklagten zu 3. und 4. berücksichtigt. Die Revisionswerber wären außerdem nicht legitimiert, ein Rechtsmittel bloß zugunsten ihrer Mitbeklagten - der Beklagten zu 3. und 4. - zu erheben.

Zum Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO.:

Die Berufungsinstanz hat die solidarische Haftung aller vier Beklagten aus den Bestimmungen des § 1302 ABGB. abgeleitet. Die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz wären zutreffend, wenn nicht die Sonderregelung des § 11 EKHG. in Betracht käme. Diese besondere Regelung hat die Berufungsinstanz überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl sie auf den vorliegenden Fall nach den eingangs vorangestellten Sachverhaltsfeststellungen der Untergerichte - es ist in dieser Hinsicht lediglich Rechtsrüge erhoben worden und auch der Kläger als Revisionsgegner hat seinerseits dagegen nichts vorgebracht - anzuwenden ist. Nach § 11

(1) Satz 2 EKHG. gilt doch für die gegenseitige Ersatzpflicht der Beteiligten die Vorschrift des § 11 (1) Satz 1 EKHG. Somit hängen die Verpflichtung zum Ersatz und der Umfang des Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Beteiligten verschuldet oder durch außergewöhnliche Betriebsgefahr oder überwiegende gewöhnliche Betriebsgefahr verursacht wurde (die Verursachung des Schadens durch die Kraftfahrzeuge des Klägers sowie der beklagten Parteien und die Schadenersatzverpflichtung aller Beteiligten ist ja bereits durch das eingangs bezogene Straferkenntnis - § 268 ZPO. - dargetan). Zu den Beteiligten im Sinne der bezogenen Vorschrift zählen nämlich nicht etwa nur die Halter der Kraftfahrzeuge, sondern auch deren Lenker. Zwar ist der Begriff der "Beteiligten" im EKHG. nicht definiert, in diesem Zusammenhange ist aber auf die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, betreffend das EKHG., zu verweisen (vgl. Veit, Das Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz[2], S. 106, Anmerkung 2 zu § 8 dieses Gesetzes), wonach unter dem Begriff "am Unfall Beteiligten" alle Personen gemeint sind, die aus dem Unfall ersatzpflichtig werden können. "z. B. neben dem Betriebsunternehmer oder Halter der Lenker, Schaffner oder Zugsführer u. a. m.". Gegen die Einbeziehung der Lenker in den Kreis der Beteiligten spricht nicht etwa, daß das EKHG. im übrigen nur die Haftung der Eisenbahnbetriebsunternehmer und Kraftfahrzeughalter zum Gegenstande hat, soweit sie über die in sonstigen gesetzlichen Bestimmungen begrundete Haftung hinausgeht, und auch nicht, daß das EKHG. eine der Bestimmung des § 18 (3) KraftfVerkG. entsprechende Vorschrift nicht enthält. Nicht nur, daß der Gesetzgeber im § 11 (1) EKHG. - anders als im § 11 (2) dieses Gesetzes - nicht von beteiligten Betriebsunternehmern oder Haltern, sondern von Beteiligten ohne Einschränkung spricht und daher nach dem Gesetzeswortlaute kein Anlaß besteht, die am Unfall schuldtragenden und somit ersatzpflichtigen Lenker nicht zu den Beteiligten zu zählen, kann die genannte Bestimmung nur bei dieser Auslegung mit der Vorschrift des § 19 (2) EKHG., wonach der Halter unter den dort angeführten Voraussetzungen für das Verschulden des Lenkers haftet, zwanglos in Einklang gebracht werden. Würde nämlich der schuldtragende Lenker nicht mit den sich aus § 11 (1) BKHG. ergebenden Folgen am Ausgleich teilnehmen, sondern zufolge seines Verschuldens ohne Rücksicht auf diese Vorschrift nach der allgemeinen Regelung des ABGB. haften, dann könnte die Bestimmung des § 19 (2) EKHG. hinsichtlich des Halters, dem ja die Vorschrift des § 11 EKHG. zugute kommt, nicht ohne Einschränkung angewendet werden. Für den schuldtragenden Lenker würde der Ausschluß vom Ausgleich unter Umständen eine - vom Gesetzgeber gewiß nicht gewollte - Verschärfung der Haftung gegenüber der vor dem Inkrafttreten des EKHG. geltenden Rechtslage bedeuten. Würde doch nunmehr seine Haftung nach dem ABGB. gegenüber dem nicht auf Grund des Verschuldens, sondern nur auf Grund der Verursachung ausgleichspflichtigen Halter des anderen am Unfall beteiligten Kraftfahrzeuges im vollen Umfange, also ohne Schmälerung durch die Ausgleichspflicht dieses Halters, wirksam bleiben. Es ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber eine solche Änderung der bisherigen Rechtslage zum Nachteil des schuldtragenden Lenkers zum Ausdruck gebracht hätte. Von einer Verschärfung der Haftung des schuldigen Lenkers ist aber in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, betreffend das EKHG., nicht die Rede, vielmehr kann § 11 EKHG. nur im obigen Sinne ausgelegt werden, weil nach diesen Erläuternden Bemerkungen - wie oben dargestellt - als "Beteiligter" auch der Fahrzeuglenker zu verstehen ist. Der Berufungsinstanz kann also nicht beigepflichtet werden, wenn sie von der solidarischen Haftung aller vier Beklagten im Sinne des § 1302 ABGB. ausgeht und die Ausgleichung unter diesen Beklagten einem etwaigen späteren Rechtsstreite vorbehält.

Bei dieser Rechtslage ist aber der Beurteilung der ersten Instanz hinsichtlich der Haftung der Beklagten zu 1. und 2. - nur diese steht im Rechtsmittelverfahren zur Erörterung - im Ergebnis zu folgen. Denn die dem Kläger gegenüber dem Erstbeklagten und der zweitbeklagten Partei zuerkannten 14.733 S s. A. bedeuten 30% des Gesamtschadens des Klägers in der Höhe von 49.109 S 30 g (der Kläger hat in dritter Instanz ein Rechtsmittel nicht mehr erhoben, so daß es beim Schmerzengeld von - rechnungsmäßig - 2600 S das Bewenden hat) und die Umstände dieses Verkehrsunfalls - der Kläger konnte ja das vorschriftswidrige Parken des Lastkraftwagenzuges der zweitbeklagten Partei auf größere Distanz wahrnehmen und hätte darauf entsprechend reagieren müssen - rechtfertigen keineswegs die Festsetzung einer höheren als der erwähnten Ausgleichsquote im Verhältnisse zwischen dem Kläger einerseits und den Beklagten zu 1. und 2. andererseits (nur diese Frage steht im Rechtsmittelverfahren zur Hauptsache zur Erörterung; denn die Beklagten hatten das Ersturteil nicht angefochten und auch der Kläger hatte nur in bezug auf die Beklagten zu 1. und 2. Berufung zur Hauptsache erhoben).

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