Normen
Eisenbahnverkehrsordnung §85
Eisenbahnverkehrsordnung §96
Eisenbahnverkehrsordnung §97
Eisenbahnverkehrsordnung §85
Eisenbahnverkehrsordnung §96
Eisenbahnverkehrsordnung §97
Spruch:
Verlust des Frachtgutes bei Beförderung durch Eisenbahn.
Daß die Reklamation den gesetzlichen Erfordernissen nicht voll entsprochen hat, wäre nur dann von Bedeutung, wenn die Eisenbahn der Geltendmachung des Anspruches aus diesem Gründe nicht nähergetreten wäre. Die zufolge Reklamation eingetretene Hemmung des Laufes der Verjährung endet erst bei endgültiger Ablehnung des Anspruches seitens der Eisenbahn.
Entscheidung vom 24. Oktober 1963, 2 Ob 205/63.
I. Instanz: Bezirksgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz.
Text
In der am 21. Dezember 1960 erhobenen Klage verlangt der Kläger von der beklagten Partei gemäß § 85 EVO. (Eisenbahn-Verkehrsordnung vom 6. Juli 1954, BGBl. Nr. 213, in der derzeit gültigen Fassung) den Betrag von 1.622 S s. A. als Ersatz des Schadens für teilweisen Verlust des Frachtgutes, nämlich wegen Abhandenkommens einer in dem von Kaldenkirchen nach Floridsdorf und von dort nach Jedlersdorf beförderten Lastkraftwagen des Klägers eingebauten kompletten Boschheizung. Die beklagte Partei hat diesen Anspruch dem Gründe (insbesondere auch wegen Verjährung nach § 96 EVO.) und der Höhe nach bestritten.
Das Erstgericht hat das Zahlungsbegehren pcto. 1622 S s. A. abgewiesen. Die von der beklagten Partei erhobene Verjährungseinrede sei begrundet. Die mit Ablauf des Tages der Ablieferung (28. Oktober 1959) beginnende einjährige Verjährungsfrist sei vom 29. Oktober 1959 bis 29. Oktober 1960 gelaufen; die Klage sei aber erst am 54. Tage nach Ablauf dieser Frist (nämlich am 21. Dezember 1960) erhoben worden. Entscheidend sei daher die Frage der Hemmung des Laufes der Verjährung aus dem Gründe einer Reklamation im Sinne der §§ 96 (3) und 97 EVO. Vorliegendenfalls sei aber erst das Einschreiten des Machthabers des Klägers vom 25. August 1960 als Reklamation dieser Art zu werten. Am 6. Oktober 1960 sei aber dem Machthaber des Klägers die Mitteilung der beklagten Partei auf Zurückweisung der Reklamation zugekommen, so daß nur eine Fristenhemmung vom 25. August 1960 bis 6. Oktober 1960 in Betracht komme; diese Fristenhemmung von 43 Tagen sei von den erwähnten 54 Tagen abzuziehen, die Verjährungsfrist also auch unter diesem Gesichtspunkte überschritten. Schließlich hat das Erstgericht ausgeführt, daß zwar Ansprüche wegen eines durch Vorsatz verursachten Schadens gemäß § 96 (1) lit. c EVO. erst in drei Jahren verjährt seien; unter Vorsatz sei aber zweifelsohne nur ein vorsätzliches Verhalten der am Frachtvertrag Beteiligten zu verstehen; daß die Österreichischen Bundesbahnen diesen Schaden vorsätzlich verursacht hätten, sei so abliegend, daß hierüber eine Prüfung entbehrlich erscheine.
Der Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht Folge gegeben, das Ersturteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen; zugleich hat es ausgesprochen, daß das Verfahren (in erster Instanz) erst nach Rechtskraft seines Beschlusses fortzusetzen sei. Die Berufungsinstanz hat aus der dem Erstgerichte vorgelegten und in der Berufungsverhandlung verlesenen zwischen den Parteien abgeführten Korrespondenz ergänzende Feststellungen getroffen und ist zum Ergebnis gelangt, daß schon das Schreiben des Klägers vom 4. Februar 1960 als Reklamation angesehen werden müsse. Im Schreiben vom 18. August 1960 habe die beklagte Partei dem Kläger - unter anderem - mitgeteilt, daß ihm das Ergebnis der Erhebungen nach ihrem Abschluß bekanntgegeben werden würde. Erst am 6. Oktober 1960 habe der Kläger erfahren, daß seine Forderung in sachlicher Hinsicht abgewiesen werde. Selbst wenn jedoch im Sinne der Auffassung der beklagten Partei eine Reklamation von einer den Lauf der Verjährung hemmenden Wirksamkeit nicht anzunehmen wäre, könnte die Verjährungseinrede der beklagten Partei nicht durchdringen, weil der Kläger im Hinblick auf die mit der beklagten Partei geführte Korrespondenz und auf ihre Verhaltensweise nach Treu und Glauben habe annehmen dürfen, daß die beklagte Partei seinen Anspruch im Prozesse nur mit sachlichen Einwendungen bekämpfen würde. Die dennoch erhobene Verjährungseinwendung bedeute somit eine unzulässige Rechtsausübung. Zuletzt hat die Berufungsinstanz dargelegt, daß jeder vorsätzlich verursachte Schaden - sei er von der Eisenbahn selbst oder durch Dritte zugefügt worden - die Verjährung der Ansprüche nach § 96 (1) lit. c EVO. erst in drei Jahren zur Folge habe. Nunmehr werde das Erstgericht unter Abstandnahme von dem bisher allein erörterten Abweisungsgrund der Verjährung den Sachverhalt "in materieller Hinsicht" prüfen müssen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Rekurswerberin nimmt mit Recht gegen die Darlegungen des Berufungsgerichtes, daß die Erhebung der Verjährungseinrede seitens der beklagten Partei unter dem Gesichtspunkte von Treu und Glauben eine unzulässige Rechtsausübung bedeute, Stellung; auf dieses Problem kann vorliegendenfalls schon deswegen nicht eingegangen werden, weil der Kläger im maßgeblichen erstgerichtlichen Verfahren ein Vorbringen in dieser Richtung gegenüber der Verjährungseinrede seiner Prozeßgegnerin nicht erstattet hatte. Die einjährige Verjährungsfrist ist aber unter dem Gesichtspunkte der durch die Reklamation des Klägers bewirkten Hemmung des Laufs der Verjährung nach § 96 (3) EVO. gewahrt, dies aus folgenden Erwägungen:
§ 96 (3) Satz 1 EVO. bestimmt, daß der Lauf der Verjährung - abgesehen von den allgemeinen gesetzlichen Hemmungsgrunden -, für den Fall der Einreichung einer Reklamation gemäß § 97 EVO. bei der Eisenbahn durch den Berechtigten, bis zum Ablauf des Tages gehemmt wird, an dem die Eisenbahn die Reklamation schriftlich abschlägig beantwortet und die der Reklamation beigegebenen Belege zurückgibt. Der Auffassung der Rekurswerberin, daß dem Kläger eine Fristenhemmung aus dieser Vorschrift mangels einer "wirksamen" Reklamation nicht zustatten komme, vermag der Oberste Gerichtshof bei dem von der Vorinstanz festgestellten Inhalte der Korrespondenz nicht zu folgen. Die Rekurswerberin verweist zwar theoretisch richtig auf die im Gesetz (§§ 96 (3) und 97 EVO.; vgl. Hans-Joachim Finger, Eisenbahn-Verkehrsordnung[3] 1963, S. 500 f.) normierten Erfordernisse in dieser Hinsicht, sie übersieht aber den für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidenden Umstand, daß im Schreiben der Zentralen Reklamations- und Ausforschungsstelle der Österreichischen Bundesbahnen vom 18. August 1960 dem Kläger auf seine Zuschriften vom 1. Juli und 12. August 1960 keineswegs ein endgültiger abschlägiger Bescheid erteilt, sondern mitgeteilt worden ist, daß ihm die erwähnte Dienststelle "nach Abschluß ihrer Erhebungen" deren Ergebnis bekanntgeben werde. Im Widerspruch dazu wird allerdings später in diesem Schreiben noch mitgeteilt, daß aus dem Frachtvertrag allein die Österreichische Automobil-Fabriks-A. G. forderungsberechtigt sei und daß auch wegen der Nichtvorlage des Frachtbriefs die Forderung des Klägers als rechtsunwirksam abgelehnt werden müsse; die aufgezeigte Diskrepanz in diesem Schreiben kann aber nicht zu Lasten des Klägers dahin gewertet werden, daß der Bescheid vom 18. August 1960 endgültig abgelehnt gewesen sei (auch die Lehre - vgl. Finger, a. a. O., S. 501, Anmerkung 21 - fordert eine endgültige Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs und nimmt eine derartige Ablehnung z. B. in dem Falle nicht an, daß sich die Eisenbahn zwar nicht für verpflichtet erklärt, aber die vergleichsweise Zahlung eines Teilbetrages anbietet). Die Rekurswerberin beachtet die aufgezeigte Diskrepanz im Schreiben vom 18. August 1960 nicht und kommt damit zu einem unbilligen Ergebnis. Erst im Schreiben vom 3. Oktober 1960 hat die Zentrale Reklamations- und Ausforschungsstelle der ÖBB. dem Kläger einen endgültig abschlägigen Bescheid erteilt. Daß die Reklamation den gesetzlichen Erfordernissen nicht voll entsprochen hat, wäre nur dann von Bedeutung, wenn die beklagte Partei (ÖBB.) der Geltendmachung des Anspruchs aus diesem Gründe nicht näher getreten wäre; dies war aber - wie dargestellt - nicht der Fall und aus dem Schreiben der Dienststelle der ÖBB. vom 3. Oktober 1960 ergibt sich ferner, daß die Schadensanmeldung des Klägers trotz ihrer Mängel tatsächlich zugereicht hat, die Eisenbahn in die Lage zu versetzen, die Reklamation sachlich zu erledigen (darauf hat der OGH. in dem ähnlich gelagerten Fall der Entscheidung SZ. IV 71 besonderes Gewicht gelegt).
Bei diesen Umständen hat die Berufungsinstanz im Ergebnis zutreffend die von der beklagten Partei erhobene Verjährungseinrede für nicht gerechtfertigt erachtet. Denn als Fristenhemmung muß zumindest der Zeitraum vom 5. Juli 1960 - darauf hat sich die beklagte Partei im Schreiben vom 18. August 1960 selbst bezogen - bis 3. Oktober 1960 (abschlägiger Bescheid von diesem Datum) gewertet werden. Bei Beginn des Laufes der einjährigen Verjährungsfrist mit Ablauf des 28. Oktober 1959 (§ 96 (2) lit. a EVO.) ist diese Frist zufolge der bezeichneten Hemmung nach § 96 (3) EVO. als gewahrt anzusehen, weil die Klage am 21. Dezember 1960 erhoben worden ist. Somit steht dem Anspruche des Klägers Verjährung nach § 96 EVO. nicht entgegen; der vom Erstgerichte gebrauchte einzige Abweisungsgrund entfällt; das Erstgericht wird die noch nicht geprüften Einwendungen gegen den Klagsanspruch zu erörtern haben.
Die Frage, ob auf diese Streitsache die Bestimmungen über die dreijährige Verjährung nach § 96 (1) lit. c EVO. anzuwenden seien, kann unbeantwortet bleiben, weil der beklagten Partei nach den obigen Ausführungen nicht einmal die einjährige Verjährungsfrist zustatten kommt.
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