Spruch:
Die Zurücknahme der Scheidungsklage unter Verzicht auf die geltendgemachten Scheidungsgrunde schließt einen auf dieselben Gründe gestützten Mitschuldantrag gegenüber der aufrechterhaltenen Widerklage nicht aus.
Entscheidung vom 3. September 1963, 8 Ob 187/63.
I. Instanz: Kreisgericht Ried i. I.; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Der Erstrichter schied die Ehe der beiden Parteien aus dem Verschulden des Widerbeklagten, der seine Klage unter Verzicht auf die geltendgemachten Scheidungsgrunde zurückgezogen und in der Folge den Ausspruch eines Mitverschuldens der Widerklägerin aus den von ihm in der Klage geltend gemachten Scheidungsgrunden begehrt hatte.
Der Erstrichter stellte unter anderem fest: Der Widerbeklagte sei ein unbeherrschter und unleidlicher Mensch. Er habe die Widerklägerin seit Jahren grob behandelt und mit ordinären Schimpfworten belegt. Den älteren Sohn habe er wegen seines kürzeren Fußes verspottet. Er sei häufig ins Gasthaus gegangen und habe, wenn er nachts im alkoholisierten Zustand heimgekommen sei, der Widerklägerin Auftritte gemacht. Er habe die Einnahmen aus der Landwirtschaft für sich behalten und einen Teil dieser Einnahmen im Gasthaus vertrunken. Die Widerklägerin, die sich durch Taglöhnerarbeiten die Mittel zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse und der Kosten des Haushaltes beschafft habe, habe sich gezwungen gesehen, der Verwaltung ihres Vermögens durch den Widerbeklagten gerichtlich zu widersprechen. Der Widerbeklagte habe die Zerrüttung der Ehe in erster Linie verschuldet. Allerdings habe sich auch die Widerklägerin bei ihren Reaktionen nicht immer im Rahmen des Entschuldbaren gehalten. So habe sie dem Widerbeklagten wiederholt vorgeworfen, er habe den Tod seiner ersten Frau verschuldet. Sie habe sich auch in Gegenwart einer dritten Person dahin geäußert, der Widerbeklagte sei geistig nicht normal (gehöre nach Niedernhart). Dem Widerbeklagten gegenüber habe sie sich, wenn er mit ihr geschlechtlich habe verkehren wollen, geäußert, es grause ihr vor ihm. Sie habe zurückgeschimpft, wenn sie sich davon eine Änderung des Verhaltens des Widerbeklagten erwartet habe. Seit Oktober 1962 koche sie nicht mehr für den Widerbeklagten. Der Erstrichter war der Ansicht, dem Antrag des Widerbeklagten, ein Mitverschulden der Widerklägerin festzustellen, könne mit Rücksicht darauf, daß der Widerbeklagte seine Klage unter Verzicht auf die geltendgemachten Scheidungsgrunde zurückgezogen habe, nicht stattgegeben werden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Widerbeklagten teilweise Folge. Es änderte das Urteil der ersten Instanz dahin ab, daß die Ehe aus beiderseitigem Verschulden bei Überwiegen des Verschuldens des Widerbeklagten geschieden werde. Das Berufungsgericht war ebenso wie der Erstrichter der Ansicht, daß das festgestellte Verhalten der Widerklägerin nicht zur Gänze als entschuldbare Reaktion gewertet werden könne. Es teilte aber nicht die Ansicht des Erstrichters, der Widerbeklagte könne, weil er die von ihm eingebrachte Ehescheidungsklage unter Verzicht auf die geltendgemachten Scheidungsgrunde zurückgezogen habe, diese Scheidungsgrunde nicht mehr zur Begründung eines Mitschuldantrages heranziehen. Da die Klagsrücknahme erst nach Einbringung der Widerklage durch die Widerklägerin erfolgt sei, lägen die Voraussetzungen des § 60 (3) EheG. vor. Jedenfalls entspreche es der Billigkeit, dem Antrag des Widerbeklagten stattzugeben.
Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen beider Teile nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Widerklägerin wendet sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, der Widerbeklagte könne ungeachtet der Zurücknahme der Klage unter gleichzeitigem Verzicht auf die geltendgemachten Scheidungsgrunde den Mitschuldantrag auf die in der zurückgezogenen Klage geltendgemachten Scheidungsgrunde stützen. Es handle sich nicht etwa um verziehene oder verfristete Eheverfehlungen. Der Widerbeklagte habe seinen Anspruch unwiderruflich aufgegeben und könne daher diese Scheidungsgrunde unter keinen Umständen mehr geltend machen, auch nicht zur Begründung eines Mitschuldantrages. Der Oberste Gerichtshof vermag sich dieser Ansicht nicht anzuschließen. Er pflichtet dem Berufungsgericht darin bei, daß die Rücknahme der Klage unter gleichzeitigem Verzicht auf die geltendgemachten Scheidungsgrunde dem Ausspruch der Mitschuld der Widerklägerin aus den vom Widerbeklagten in der zurückgezogenen Klage geltend gemachten Scheidungsgrunden nicht im Wege steht. Entgegen der Meinung der Widerklägerin kann die Stellung eines Mitschuldantrages nicht einer nach § 237 (4) ZPO. zu beurteilenden neuerlichen Klagseinbringung gleichgehalten werden. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 60
(3) EheG., der die Voraussetzungen der Stellung eines Mitschuldantrages näher regelt. Ein prozessuales Hindernis gegen die Stellung eines Mitschuldantrages kann daher aus der Rücknahme der Klage unter Verzicht auf die darin geltendgemachten Scheidungsgrunde nicht abgeleitet werden. Entscheidend ist, ob auf die in der zurückgezogenen Klage geltend gemachten Scheidungsgrunde ein Mitschuldantrag mit Erfolg gestützt werden kann. Der Oberste Gerichtshof pflichtet dem Berufungsgericht darin bei, daß dies möglich ist. Als Begründung für einen Mitschuldantrag können gemäß der vorangeführten Gesetzesstelle alle Umstände dienen, die für sich allein eine Scheidung wegen Verschuldens zu rechtfertigen vermögen und die im Zeitpunkt der Klagserhebung noch nicht verjährt oder verziehen waren oder die nachher gesetzt wurden (vgl. Schwind in Klang Komm.[2], I. zu § 60 EheG. unter III, S. 839). Solche Umstände liegen hier vor. Daß die zur Begründung des Mitschuldantrages herangezogenen Scheidungsgrunde schon im Zeitpunkt der Erhebung der Widerklage durch die Widerklägerin verjährt oder verziehen waren, wird gar nicht behauptet. Der Heranziehung der Bestimmung des § 60
(3) letzter Satz EheG., wonach einem solchen Antrag aus Billigkeitserwägungen stattgegeben werden kann, wenn zur Zeit der Klagserhebung das Recht, die Scheidung zu begehren, bereits verloren war, bedarf es daher nicht.
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