OGH 4Ob31/63

OGH4Ob31/6330.7.1963

SZ 36/103

Normen

ABGB §1304
ABGB §1319
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §175
ABGB §1304
ABGB §1319
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §175

 

Spruch:

Kein Arbeitsunfall (§ 175 ASVG.), wenn ein Hotelbediensteter während seiner Zimmerstunde beim Schneeballwerfen von der Sonnenterrasse des Hotels stürzt, weil das Balkongeländer zu schwach ist.

Haftung des schuldtragenden Hoteliers nach § 1319 ABGB.

Selbstverschulden des Hotelbediensteten 1 : 3.

Entscheidung vom 30. Juli 1963, 4 Ob 31/63.

I. Instanz: Arbeitsgericht Feldkirch; II. Instanz: Landesgericht Feldkirch.

Text

Der Kläger bringt vor, er sei in der Wintersaison 1957/58 beim Beklagten als Kochlehrling beschäftigt gewesen. Am 28. März 1958 habe er sich während seiner Zimmerstunde zwischen 14 und 16 Uhr auf der Liegeterrasse des Hotels des Beklagten aufgehalten. Unter der Liegeterrasse sei ein Arbeitskollege gewesen. Diesen habe er dann mit Schneeballen beworfen. Dabei habe er sich am Holzgeländer der Terrasse festgehalten. Beim Wurf eines Schneeballes sei das Geländer gebrochen, er sei kopfüber 5 m auf die Einfahrt hinuntergestürzt. Den Beklagten treffe an diesem Unfall das Alleinverschulden. Der Beklagte sei Eigentümer des Hotels "M.". Der Unfall habe sich deshalb ereignet, weil das Geländer nicht ordnungsgemäß erstellt worden sei. Der Kläger begehrt an Verdienstentgang 16.900 S, an Ersatz der Spitalskosten 5330 S und an Schmerzengeld 50.000 S.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Er führt aus, er habe bei der Errichtung und Erhaltung des Geländers alle zur Abwendung von Gefahren erforderliche Sorgfalt aufgewendet. Das Geländer habe nur zur Abgrenzung der Sonnenterrasse gedient und einer normalen Beanspruchung durch gewöhnliches Anlehnen entsprochen. Der Kläger habe das Geländer überbeansprucht. Der Beklagte sei passiv nicht legitimiert, weil es sich um einen Arbeitsunfall handle.

Das Erstgericht hat die Verhandlung auf den Grund des Anspruches eingeschränkt und mit Zwischenurteil ausgesprochen, daß die Klageforderung zu zwei Dritteln zu Recht bestehe.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien berufen. Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg. Auf die Berufung des Klägers hin änderte das Berufungsgericht das Ersturteil dahin ab, daß es aussprach, die Forderung des Klägers bestehe dem Beklagten gegenüber dem Gründe nach zur Gänze zu Recht. Das Berufungsgericht hat nach Neudurchführung der Verhandlung im Sinne des § 25 (1) Z. 3 ArbGerG. folgenden Sachverhalt festgestellt:

Der Kläger war während der Wintersaison 1957/58 im Gastgewerbebetrieb des Beklagten als Kochlehrling beschäftigt. Er hielt sich am Nachmittag des 28. März 1958 während der Zimmerstunde auf der Sonnenterrasse des Hotels auf. Die Sonnenterrasse war durch ein etwa 10 cm vom Terrassenrand zurückversetztes 90 cm hohes Geländer nach außen abgegrenzt. Ein Hinweis, daß die Berührung des Geländers verboten sei, war nicht vorhanden. Unter der Sonnenterrasse befindet sich eine Garage. In der offenen Einfahrt zu dieser Garage saß Erwin F. Der von ihm benützte Stuhl stand bereits auf dem Betonboden der Garage. Elmar S. und der Kläger versuchten, den Hausburschen F. mit Schneebällen zu bewerfen. Der Kläger hielt sich dabei mit der linken Hand an der obersten Latte des Geländers fest und warf mit der rechten Hand die Schneebälle, wobei er sich über das Geländer beugte. Beim vierten oder fünften Wurf gab die oberste Latte des Geländers nach. Der Kläger bekam das Übergewicht und stürzte mit einem Teil des Geländers auf den Platz unterhalb der Terrasse zirka 5 m tief ab. Er zog sich durch den Sturz verschiedene Verletzungen zu.

Der Beklagte hat dieses Geländer im Jahre 1955 oder 1956 neu angebracht. Die Eisenteile des Geländers hatte in seinem Auftrag der Schmied J. nach Zeichnungen des Beklagten angefertigt und geliefert. Die Montage des Geländers besorgte der Beklagte selbst. Das Geländer hatte folgende Konstruktion:

Am Rande der Terrasse waren zwölf Eisenzwingen mit Schrauben und entsprechend langen Gewindebolzen befestigt. Auf die Bolzen wurden Eisenrohre aufgesteckt. Der Durchmesser des Gewindebolzens an jener Zwinge, an welcher der Bolzen beim Absturz des Klägers brach, betrug 16 mm. An den Eisenrohren wurden als Geländer drei je 3 cm starke und 10 cm breite Bretter, die an beiden Enden mit etwa gleich starken und breiten senkrecht verlaufenden Brettern verbunden waren, mit Torbandschrauben befestigt. Das Geländer war 90 cm hoch. Das gesamte Gewicht dieses Geländers wurde von Eisenrohren getragen, die auf Gewindebolzen mit 16 mm Durchmesser lose aufgesteckt waren. Die Eisenteile waren nicht verrostet. Die Bretter waren nicht morsch. Für den Fall, daß sich ein normal gewachsener Mensch an dieses Geländer anlehnte, waren die Bolzen zu schwach, um dem Anpreßdruck sicher standzuhalten. Die Ursache für den Absturz des Klägers lag also darin, daß die Bolzen zu schwach dimensioniert waren, um außer dem Gewicht des Geländers auch noch dem Druck des sich darüberbeugenden Klägers standzuhalten. Die Eisenrohre, die auf die Bolzen aufgesteckt waren, standen auf der Betonplatte auf, sodaß jemand, der die Stärke der Bolzen nicht kannte, annehmen konnte, es handle sich um ein ordnungsgemäßes und standfestes Geländer. Um dieses Geländer richtig zu befestigen, hätten stärkere Bolzen verwendet und die Rohre einzementiert werden müssen. Der gebrochene Bolzen hatte normale Bruchflächen, ein Materialfehler konnte nicht festgestellt werden.

In rechtlicher Würdigung dieses Sachverhaltes führte das Berufungsgericht aus: Der Beklagte sei auf Grund der Bestimmungen der §§ 1295 ff. ABGB. zum Ersatz des gesamten Schadens, den der Kläger erlitten habe, verpflichtet. In analoger Anwendung des § 1319 ABGB. müsse angenommen werden, daß der Absturz des Klägers die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Geländers war und daß der Beklagte nicht bewiesen habe, daß er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt aufwendete. Der Beklagte könne seine Haftung nicht damit abwenden, daß er sich darauf berufe, die Gewindebolzen seien von einem befugten Fachmann hergestellt worden. Er habe selbst angegeben, daß er dem Schmied J. vorgeschrieben habe, wie die Rohre und die Bolzen zu machen seien. Auch habe er selbst das Geländer montiert. Der Beklagte hafte für das mangelhafte Geländer als Eigentümer und Besitzer des Hauses. Außerdem bestehe die Haftung des Beklagten auch auf Grund des § 1311 ABGB. Da das Geländer nur eine Höhe von 90 cm hatte, habe der Beklagte die Bestimmung des § 25 Abs. 5 der Allgemeinen Dienstnehmerschutzverordnung verletzt, weil nach dieser Vorschrift die Entfernung der oberen Geländerstange vom Fußboden bzw. Erdboden mindestens 1 m betragen müsse. Ein Geländer müsse zumindest eine solche Stärke haben, daß sich jedermann mit dem ganzen Körpergewicht anlehnen könne. Diese Stärke habe das Geländer auf der Terrasse des Hotels des Beklagten nicht gehabt.

Nach § 175 (1) ASVG. seien Arbeitsunfälle nur solche Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begrundenden Beschäftigung ereignen. Ein solcher Zusammenhang liege aber nicht vor, weil sich der Unfall während der Freizeit des Klägers bei einer Tätigkeit ereignet habe, zu der der Kläger vom Dienstgeber nicht herangezogen wurde. Bei dem äußerlich massiven Charakter des Geländers habe der Kläger nicht erkennen können, daß dieses Geländer einem stärkeren Druck nicht standhalten werde. Ein Mitverschulden des Klägers an dem Unfall liege somit nicht vor.

Der Oberste Gerichtshof änderte das Urteil des Berufungsgerichtes dahin ab, daß die Ansprüche des Klägers aus dem Unfall dem Beklagten gegenüber als dem Grund nach zu drei Viertel zu Recht und zu ein Viertel nicht zu Recht bestehend erkannt wurden.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Unfall des Klägers läßt sich nicht als Arbeitsunfall (§ 175 ASVG.) beurteilen. Der Kläger war nicht während einer Arbeitspause, sondern während der Freizeit mit Schneeballwerfen, also in einer Weise beschäftigt, die nicht der Förderung des Betriebes, sondern ausschließlich der Befriedigung persönlicher Interessen diente. Es fehlte daher der Zusammenhang des Unfalles mit der betrieblichen Beschäftigung (OLG. Wien v. 29. Oktober 1962, SSV II 171, v. 28. Juli 1961, SSV I 151, EvBl. 1958 Nr. 305 = ZVR. 1958 Nr. 212, VerwGH. v. 20. Jänner 1954, VwGHSlg. NF. 3272 A). Die vom Revisionswerber zitierte Entscheidung des deutschen Landessozialgerichtes Celle v. 20. Oktober 1960 vermag den Obersten Gerichtshof nicht vom Gegenteil zu überzeugen. Diese Entscheidung setzt zur Annahme eines Arbeitsunfalles während einer Mittagspause "die auf dem Hof herrschende Schneeglätte" als wesentliche Ursache der Verletzung voraus, ist daher im Sachverhalt anders als die vorliegende Entscheidung. Der Beklagte hat weder behauptet noch bewiesen, daß der Kläger während der Zimmerstunde im Betrieb anwesend und dienstbereit zu sein hatte.

Der Beklagte wendet sich in seiner Rechtsrüge weiter gegen die Annahme, daß er auch gemäß § 1311 ABGB. zu haften habe. Die Frage nach einer derartigen Haftung des Beklagten kann auf sich beruhen, weil der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht der Untergerichte billigt, daß den Beklagten jedenfalls die Haftung nach § 1319 trifft. In dieser Richtung führt der Beklagte seine Rechtsrüge nicht aus, es ist daher ergänzend zu den Erwägungen des Berufungsgerichtes nur folgendes zu sagen:

Ein Eisenstab mit 16 mm Durchmesser ist an sich nicht stark. Soll ein solcher Bolzen ein Geländer tragen und den gewöhnlich auf ein Geländer seitlich ausgeübten Druck aushalten, so muß man sich wohl bei vernünftiger Überlegung sagen, daß solche Bolzen zu schwach sind. Das über den Bolzen gestülpte 90 cm lange Rohr hat bei seitlichem Druck eine so starke Hebelwirkung, daß ein schwacher Bolzen diesem Druck kaum standhalten kann. Diese Überlegung war dem Beklagten bei Aufstellung des Geländers zuzumuten. Er konnte daher voraussehen, daß das Geländer bei ernstlicher Beanspruchung möglicherweise nicht standhalten werde. Der Hausbesitzer haftet nach § 1319 ABGB. nur bei Verschulden und hat seine Schuldlosigkeit zu beweisen. Dieser Beweis ist dann als erbracht anzusehen, wenn der Hauseigentümer alle Vorkehrungen getroffen hat, die vernünftigerweise nach der Lage der Umstände erwartet werden können (SZ. XXIV 78 u. a.). Hier kann nun bei einer derart schwachen Eisenkonstruktion nicht gesagt werden, der Beklagte habe alles getan, was von ihm als Hauseigentümer vernünftigerweise zu erwarten gewesen wäre. Das Geländer hatte vor einem Absturz in eine Tiefe von 5 m zu sichern, durfte also nicht nur optische Wirkung haben. Auch wenn der Beklagte die Eisenteile von einem Schlossermeister herstellen ließ, mußte ihm doch bei eigener vernünftiger Überlegung klar sein, daß die gewählte Konstruktion ungeeignet ist. Die Untergerichte haben daher das Verschulden des Beklagten ohne Rechtsirrtum bejaht.

Der Kläger konnte nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen die Schwächen des Geländers nicht erkennen. Insofern trifft ihn daher kein Eigenverschulden, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat. Der Oberste Gerichtshof sieht jedoch ein Verschulden des Klägers darin, daß er das Geländer zweckwidrig überbeansprucht hat. Ein Geländer ist kein Sportgerät. Auch wenn das Geländer auf den Kläger stabil gewirkt haben mag, durfte er sich nicht über das Geländer hinausbeugen und in dieser Körperhaltung durch Schneeballwerfen den seitlichen Druck noch erheblich und ruckartig verstärken. In diesem Verhalten des Klägers liegt ein nicht unerhebliches Selbstverschulden, das sich zum Verschulden des Beklagten etwa wie 1:3 verhält.

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