OGH 1Ob63/63

OGH1Ob63/6310.7.1963

SZ 36/97

Normen

VStG §32 (2)
VStG §32 (2)

 

Spruch:

Zur Verjährung der Winkelschreiberei

Entscheidung vom 10. Juli 1963, 1 Ob 63/63.

I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht stellte das am 25. September 1962 gegen Dr. F. eingeleitete Verfahren wegen Winkelschreiberei ein.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß Dr. F. es in den Jahren 1961 und 1962 zu seinem Geschäftsbetriebe gemacht habe, gerichtliche Eingaben für Parteien zu verfassen, wobei die gewinnsüchtige Absicht aus der Menge der Eingaben, aus der Beibringung verstellter Zessionen und aus dem Bezug eines Entgeltes erwiesen sei; er habe sich dadurch der Winkelschreiberei im Sinne des § 1 der Justizministerialverordnung vom 8. Juni 1857, RGBl. Nr. 114, schuldig gemacht und es werde über ihn gemäß § 3 der genannten Verordnung eine Geldstrafe von 2000 S verhängt. Das Rekursgericht legte dieser Entscheidung folgende tatsächliche Festellungen zugrunde:

Dr. F. betreibe mit dem Standort Wien I., X.-Gasse ein behördlich konzessioniertes Inkassobüro. Er sichere seinen Auftraggebern auch für den Fall der teilweisen oder gänzlichen Uneinbringlichkeit ihrer Forderungen - völlige Spesenfreiheit für seine Tätigkeit zu und gebe ihnen bekannt, daß seine Spesen und Gebühren (berechnet nach den "Richtlinien für das Inkassogewerbe") ausschließlich dem Schuldner angelastet werden (Beilage D). Seine Inkassotätigkeit beginne Dr. F. mit einer Vorladung oder Mahnung des Schuldners. Dann folgen noch einige "Schablonenmahnungen", bevor der erste Hausbesuch stattfinde. Nach wiederholten weiteren ergebnislosen Hausbesuchen gehe Dr. F. mit Mahnklage vor. Diese Mahnklage bringe er im eigenen Namen ein, wobei er eine Zession der Forderung behaupte, die tatsächlich nicht erfolgt sei. In diesen Mahnklagen verzeichne Dr. F. nur die Barauslagen. Er übernehme auch Aufträge nur zur Klagsführung für Auftraggeber, die ihre Forderungen bereits wiederholt erfolglos einzutreiben versuchten. Auch in solchen Fällen entfalte Dr. F. die gleiche Inkassotätigkeit (Mahnungen, Erhebungen, Hausbesuche usw.), obwohl ihm nur der Auftrag zur Klagsführung erteilt worden sei und bringe erst dann die Mahnklage ein, für die er wieder nur die Barauslagen verzeichne. Den Schuldnern verrechne Dr. F. gemäß den "Richtlinien für das Inkassogewerbe" (Punkt D/3) eine Allgemeine Bearbeitungsgebühr, gestaffelte Mahngebühren, Anschrifterhebungskosten, Wegegebühren (bestehend aus Entfernungsgebühr und Fahrtkosten) für Hausbesuche, dann eine Gebühr für die Ermittlung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse und schließlich eine vierteljährliche Evidenzhaltungsgebühr. Der Beschuldigte unterhalte in seinem Büro eine eigene "Klage-Abteilung" (Beilagen A, B, C). Die Zahl der von Dr. F. nur bei Wiener Bezirksgerichten in den Jahren 1961 und 1962 eingebrachten Mahnklagen sei beträchtlich (ON. 2, 3, 4 und 6).

Im vorliegenden Falle könne wohl davon ausgegangen werden, daß Dr. F. für sein Einschreiten bei Gericht auf Grund verstellter Zessionen ein gesondertes Entgelt nicht verlange und auch nicht erhalten habe. Trotzdem lasse die Menge der von ihm verfaßten Mahnklagen, die Beibringung verstellter Zessionen, die Tatsache, daß er ein auf Erwerb gerichtetes Inkassobüro betreibe und darin sogar eine eigene "Klage-Abteilung" unterhalte, keinen Zweifel bestehen, daß er auch für seine Tätigkeit bei Gericht ein vom Anfang an einkalkuliertes Entgelt beziehe und somit in gewinnsüchtiger Absicht handle. Sein Einschreiten bei Gericht sei daher nicht unentgeltlich erfolgt. Aus den "Richtlinien für das Inkassogewerbe" (im Handbuch der Bundesinnung der Gebäudeverwalter, Realitätenvermittler, Inkassobüros und der angeschlossenen Gewerbe, herausgegeben im Jahre 1960 von der Bundesinnung Wien der Gebäudeverwalter, Realitätenvermittler und Inkassobüros) lasse sich - abgesehen davon, daß diese "Richtlinien" für die Beurteilung der Frage, welche Tätigkeit als Winkelschreiberei zu beurteilen ist, keine das Gericht bindende Wirkung haben können - gleichfalls keine Ermächtigung des Inhabers eines Inkassobüros zu einer Tätigkeit bei Gericht entnehmen. Dr. F. sei daher der Winkelschreiberei für schuldig zu erkennen und zu einer angemessenen Geldstrafe zu verurteilen gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Dr. Alfred F. Folge, hob die Beschlüsse der Unterinstanzen auf und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Soweit der Rechtsmittelwerber geltend macht, daß die Justizministerialverordnung vom 8. Juni 1857, RGBl. Nr. 114, verfassungswidrig sei, und "für den Fall der Annahme der Verfassungswidrigkeit" die Überprüfung derselben durch den Verfassungsgerichtshof und die Unterbrechung des Verfahrens beantragt, ist er darauf zu verweisen, daß der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 25. März 1955, B 198/56, Slg. 3161, zu dieser Frage Stellung genommen und erkannt hat, daß die erwähnte Justizministerialverordnung seit dem Inkrafttreten des Einführungsgesetzes zur ZPO. (Art. IV Z. 5) als auf der Stufe eines Gesetzes stehend anzusehen sei, nach dessen Bestimmungen die Durchführung des Verfahrens ausdrücklich und ausschließlich den in § 2 genannten Gerichten übertragen wurde; die Verordnung sei weder verfassungs- noch gesetzwidrig. Der Oberste Gerichtshof hat infolgedessen in der Entscheidung JBl. 1958, S. 628, ausgesprochen, daß kein Anlaß bestehe, gemäß § 62 (2) VerfGG. 1953, BGBl. Nr. 85, die Verfassungsmäßigkeit der Justizministerialverordnung anzufechten. Dies gilt auch in dem hier vorliegenden Rechtsfall.

Der Rechtsmittelwerber erklärt sich vor allem dadurch beschwert, daß das Rekursgericht feststellte, er habe "verstellte Zessionen" beigebracht, daß ferner bei der Beurteilung der Frage, ob er die Einbringung von Mahnklagen für seine Auftraggeber zu seinem Geschäftsbetriebe gemacht habe, nicht berücksichtigt worden sei, daß nur 1% der von ihm bearbeiteten Fälle ein gerichtliches Einschreiten erforderte, und daß das Rekursgericht die Eintreibung von Forderungen durch ein Inkassobüro nicht als ein durch § 15 (1) Z. 24 GewO. und die "Richtlinien für das Inkassogewerbe" gedecktes Vorgehen angesehen habe. "Verstellte Zessionen" sind immer dann anzunehmen, wenn sich aus der Häufigkeit von Zessionen an den als Kläger Einschreitenden ergibt, daß dieser, indem er nicht als Vertreter für den Gläubiger, sondern im eigenen Namen formell als Kläger auftritt, die Vorschriften gegen die Winkelschreiberei umgehen will (Fasching Komm. z. ZPO., II. S. 15). Eben die Tatsachen für eine solche Annahme sind vom Rekursgericht ausdrücklich festgestellt worden und es ist für den Rechtsmittelwerber nichts gewonnen, wenn er - entgegen einer Feststellung des Rekursgerichtes - behauptet, die von ihm eingeklagten Forderungen seien ihm von den Auftraggebern tatsächlich zediert worden. An dem Wesen "verstellter Zessionen" im Sinne des § 1 lit. b der Justizministerialverordnung RGBl. Nr. 114/1857 kann sich dadurch nichts ändern. Es ist ferner unerheblich, wie hoch der Prozentsatz jener Fälle des Dr. F. ist, in denen es zur Einbringung von Mahnklagen kommt. Für das Merkmal des "Geschäftsbetriebes" genügt das Vorliegen einer planmäßigen, auf längere Dauer gerichteten gewerblichen Tätigkeit. Auch dieses Merkmal wäre nach den Feststellungen des Rekursgerichtes, selbst wenn es sich bei der Einbringung von Mahnklagen tatsächlich nur um 1% sämtlicher Geschäftsfälle des Dr. F. handeln sollte, erfüllt. Schließlich kann im Hinblick auf die Tatsache, daß es sich beim Gewerbe der Inkassobüros gemäß § 15 (1) Z. 24 GewO. um ein konzessioniertes Gewerbe handelt, ebensowenig wie aus den Bestimmungen der "Richtlinien für das Inkassogewerbe" gefolgert werden, daß Inkassobüros zur Vertretung ihrer Kunden vor Gericht, vorliegendenfalls zur Einbringung von Mahnklagen für Forderungen dieser Kunden, ermächtigt wären. Entscheidend ist, daß die Ermächtigung von der zuständigen Behörde erteilt wurde, also von der Behörde, in deren sachlichen Wirkungskreis die Erteilung der Vertretungsbefugnis vor Gericht fällt. Dazu gehören die Gewerbebehörden und die gewerblichen Interessenvertretungen jedenfalls nicht. Das Rekursgericht hat mit Recht eine gewinnsüchtige Absicht des Dr. F. aus den getroffenen Feststellungen abgeleitet (vgl. hiezu insbesondere die E. EvBl. 1955, Nr. 71).

Der Revisionsrekurs ist aber insoferne berechtigt, als er die Nichtbeachtung der Verjährungsbestimmungen durch das Rekursgericht rügt und aus diesem Gründe eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend macht.

Wie der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt, ist die Winkelschreiberei, auf welche die Verjährungsbestimmungen der §§ 31, 32 VStG. anzuwenden sind, nicht ein fortgesetztes Delikt (SZ. XXVI 76, EvBl. 1954, Nr. 282, JBl. 1958, S. 628). Es können daher nur diejenigen von Dr. F. begangenen Handlungen durch Einbringung von Mahnklagen ohne rechtsanwaltliche Vertretung einer Bestrafung unterzogen werden, die nicht mehr als drei Monate vor der ersten Verfolgungshandlung zurückliegen, bei denen nicht schon in einem früheren Zeitpunkt die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat (§ 31 VStG.). Unter Verfolgungshandlung versteht § 32 (2) VStG. jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung u. dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erhalten hat.

In dem hier zu entscheidenden Rechtsfall legte Landesgerichtsrat Dr. K. Sch. den Akt des Bezirksgerichtes D. (Erstgericht) der Abteilung 1 desselben Gerichtes (Erstgerichtes) mit der Erklärung vor, daß derartige Mahnklagen schon wiederholt durch Dr. F. eingebracht worden seien und der Verdacht der Winkelschreiberei (verstellte Zessionen) bestehe. Auf Grund dieser Anzeige verfügte das Erstgericht am 25. September 1962 die Beischaffung der Akten der Abteilungen 4, 5 und 6 des Bezirksgerichtes D., in denen Dr. F. eingeschritten war, und ersuchte die Bezirksgerichte A., B., C., D., E. und F. "in dem gegen Dr. Alfred F. anhängigen Verfahren wegen Winkelschreiberei" um Mitteilung, ob Wahrnehmungen gemacht wurden, daß Dr. F. gerichtliche Eingaben entweder als Parteienvertreter oder als Kläger persönlich (verstellte Zessionen) eingebracht habe, und ob bei den erwähnten Gerichten bereits gegen ihn ein Verfahren wegen Winkelschreiberei anhängig sei oder anhängig gewesen sei. Die Ersuchschreiben wurden am 1. Oktober 1962 abgefertigt. Nach Einlangen der Antworten vernahm das Erstgericht Auskunftspersonen und zuletzt auch Doktor F. als den Beschuldigten im anhängigen Verfahren. Als erste Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 (2) VStG. kommen zwar noch nicht die bloß als Anzeige zu wertende Mitteilung des Landesgerichtsrates Dr. Sch. und die Verfügung des Erstgerichtes vom 25. September 1962 in Betracht, wohl aber die Abfertigung der Ersuchschreiben an die erwähnten Bezirksgerichte durch das Erstgericht am 1. Oktober 1962, weil die Verfügung zur Aktenbeischaffung bereits der Verfolgung des Dr. F. als individuell bestimmten Beschuldigten diente und durch die Abfertigung in einen anderen Behördenbereich überging (vgl. Hellbling, Komm. zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen Band II, S. 239 und 241 f.) und die Bestimmung des § 32 (2) VStG. nicht auf Verfolgungshandlungen beschränkt ist, die an den Beschuldigten selbst oder unmittelbar adressiert sind (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Jänner 1960, Z. 1532/58, Slg. Nr. 5168 (A.)).

Geht man von dem 1. Oktober 1962 als dem Datum der ersten

Verfolgungshandlung aus, dann ist die Verfolgung wegen aller

Verstöße des Dr. F. gegen die Ministerialverordnung vom 8. Juni 1857

durch die Einbringung von Mahnklagen auf Grund von Zessionen seiner

Kunden, die vor dem 1. Juli 1962 lagen, verjährt. Es können nur

Fälle, die sich nach diesem Zeitpunkt ereigneten, der rechtlichen

Beurteilung nach § 1 der zitierten Verordnung unterzogen und gemäß §

3 der Verordnung bestraft werden. Das Rekursgericht hat sich mit der

Feststellung begnügt, daß die Zahl der von Dr. F. nur bei Wiener

Bezirksgerichten "in den Jahren 1961 und 1962" eingebrachten

Mahnklagen beträchtlich sei und sich dabei auf die ON. 2, 3, 4 und 6

bezogen. Aus diesen Aktenstücken, betreffend die Antwortschreiben

der Bezirksgerichte B., D., E. und F., ergibt sich an Hand der

bekanntgegebenen Aktenzeichen nur, daß ein Großteil der in Frage

kommenden Akten aus dem Jahre 1961 und ein kleinerer, aber noch

immer beträchtlicher Teil aus dem Jahre 1962 stammt. Von den

angeschlossenen Akten des Bezirksgerichtes D. selbst, unter denen

sich der angezeigte Akt 6 M ... /1962 nicht befindet, tragen nur

zwei Eingangsvermerke mit einem Datum innerhalb der Verjährungszeit,

nämlich die Akten 5 M ... /62 und 5 M ... /62 das Eingangsdatum des

25. Juli 1962; alle übrigen Akten des Erstgerichtes stammen aus dem Jahre 1961 und betreffen daher Fälle, in denen die Verfolgungsverjährung nach § 31 VStG. eingetreten ist. Aus den Auskünften der erwähnten Bezirksgerichte ON. 2, 3, 4 und 6 ist nicht zu entnehmen, um welche Rechtssachen es sich im einzelnen handelt und ob die Tathandlungen des Dr. F. vor dem 1. Juli 1962 abgeschlossen waren oder erst nachher.

Das Verfahren vor den Unterinstanzen ist daher wesentlich mangelhaft geblieben, weil nicht alle jene Fälle festgestellt wurden, welche sich nach dem 1. Juli 1962 ereigneten. Das Erstgericht wird, insbesondere durch die Beischaffung aller in Frage kommenden Akten und allenfalls auch ergänzende Vernehmungen, das Verfahren in diesem Punkte ergänzen müssen. Erst auf Grund dieser ergänzenden Erhebungen wird eine entsprechende Feststellung des Umfanges der Tathandlungen des Dr. F. nach der Justizministerialverordnung vom 8. Juni 1857 und des hiefür gebotenen Strafausmaßes möglich sein. Die Verfahrensergänzung und neuerliche Entscheidung war, da der Feststellungsmangel schon dem erstinstanzlichen Verfahren anhaftet, dem Erstgerichte aufzutragen. Dieses wird auch darauf Bedacht zu nehmen haben, daß bei der Verurteilung des Beschuldigten zu einer Geldstrafe nach § 3 der JMV. vom 8. Juni 1857 jedenfalls auch eine Ersatzarreststrafe zu verhängen sein wird (§ 3 der Verordnung, § 16

(1) VStG.), was das Rekursgericht in seiner Entscheidung unterlassen hat.

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