Spruch:
Vertragsergänzung hat nach der Übung des redlichen Verkehrs immer dann stattzufinden, wenn nicht eindeutig feststeht, was die Parteien in den im Vertrag nicht ausdrücklich vorgesehenen Fällen gewollt hätten.
Entscheidung vom 25. April 1963, 6 Ob 86/63.
I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Aus dem Akteninhalt geht hervor, daß die beiden Kläger ihre Geschäftsanteile an der X-Ges. m. b. H. dem Beklagten abtraten und daß sich der Beklagte in einer zusätzlichen Vereinbarung vom 24. November 1953 ausdrücklich verpflichtete, die Besteuerung aus dem eventuellen Veräußerungsgewinn für die gesamte Transaktion hinsichtlich der genannten Ges. m. b. H. aus eigenem zu tragen bzw. den Klägern als den alten Gesellschaftern zu vergüten, soweit ein solcher Veräußerungsgewinn ihnen rechtskräftig vorgeschrieben werde. Nun wurde mit den Bescheiden des Finanzamtes K. vom 8. April 1960 bzw. 26. April 1960 dem Erstkläger eine Einkommensteuer in der Höhe von 251.340 S und dem Zweitkläger eine solche in der Höhe von 114.870 S vorgeschrieben. Von diesen Bescheiden verständigten die Kläger den Beklagten mit Schreiben vom 21. April 1960, kundigten die Einbringung der Berufung gegen die Bescheide an und ersuchten den Beklagten mit Rücksicht auf seine Verpflichtung vom 24. November 1953, diese Schritte in seinem eigenen Interesse zu unterstützen. Sie erhoben durch ihren Anwalt gegen die Bescheide die entsprechenden Rechtsmittel und ließen durch ihn vor der zuständigen Finanzlandesdirektion am 11. Juli 1961 die Berufungsverhandlungen verrichten. Hiebei hatten sie vollen Erfolg und erreichten die Stornierung der vorgeschriebenen Steuern. Dadurch wurde auch der Beklagte von der am 24. November 1953 eingegangenen Verpflichtung, diese Steuern an die Kläger zu vergüten, befreit.
Mit der vorliegenden Klage begehrten die beiden Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Bezahlung eines Betrages von 15.000 S s. A. Sie begrundeten dies damit, daß ihnen durch ihre oben geschilderten erfolgreichen Bemühungen zur Stornierung der vorgeschriebenen Steuern Anwaltskosten in der Höhe von 25.000 S entstanden seien, die zur Abwendung eines Schadens des Beklagten und zu dessen Vorteil aufgewendet worden seien. Sie begehrten daher einen angemessenen Teil - und zwar 15.000 S - gestützt auf die Bestimmungen der §§ 1036, 1037 ABGB., daneben aber auch auf jeden anderen möglichen Rechtsgrund.
Der Beklagte wendete ein, er habe sich zur Tragung der Anwaltskosten nicht verpflichtet. Die Kläger haben nicht fremde Geschäfte besorgt, sondern ihre eigenen, er habe sich am 24. November 1953 nur für den Fall der rechtskräftigen Steuervorschreibung zur Vergütung an die Kläger verpflichtet, diese Verpflichtung erstrecke sich aber nicht auf die nachträglich entstandenen Kosten. Die Kläger seien nach Treu und Glauben verbunden gewesen, alle Schritte zur Abwehr der Steuer zu unternehmen, wofür aber sie und nicht den Beklagten die Kostenlast treffe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Zwischen den Streitteilen wurde im Zuge der entgeltlichen Abtretung der Geschäftsanteile an der obgenannten Ges. m. b. H. noch vereinbart, daß der Beklagte den Klägern, falls ihnen ein Veräußerungsgewinn versteuert werden sollte, solche vorgeschriebene Steuerbeträge vergüten werde; es bestehen also zwischen den Parteien vertragliche Beziehungen. Deshalb kann der vorliegende Fall weder im Sinne der Ansicht des Prozeßgerichtes nach § 1041 ABGB. noch im Sinne der Ansicht des Berufungsgerichtes nach § 1036 ABGB. beurteilt werden. Es ist vielmehr bei der Auslegung des vorliegenden Vertrages gemäß § 914 ABGB. die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs - also den Grundsätzen von Treu und Glauben - entspricht. Mit Recht beruft sich deshalb der Beklagte auf die Grundsätze von Treu und Glauben zur Begründung seiner Ansicht, daß die Kläger jedenfalls verpflichtet gewesen seien, gegen die Steuervorschreibungen die entsprechenden Rechtsmittel einzubringen, und nicht etwa deshalb, weil sich der Beklagte ihnen gegenüber zur Vergütung der "rechtskräftig" vorgeschriebenen Beträge verpflichtet gehabt habe, tatenlos die Rechtskraft der ihnen vorgeschriebenen Steuerbeträge hätten eintreten lassen dürfen. Ein solcher Sinn könnte der der Klage zugrunde liegenden Vereinbarung nicht beigelegt werden, dies würde nicht nur den unser Recht beherrschenden und gemäß den §§ 863, 914 ABGB. bei der Vertragsauslegung heranzuziehenden Grundsätzen des redlichen Verkehrs widersprechen, sondern auch einer sich aus den §§ 403, 1036, 1043, 1304 ABGB. (siehe SZ. XXV 75, auch Wolff in Klang[2] VI S. 58/59 zu § 1304 ABGB.) und auch aus den §§ 62, 122, 183 VersVG. 1958 und anderen gesetzlichen Bestimmungen ergebenden sogenannten Rettungspflicht.
Wenn also in der gegenständlichen Vereinbarung vom 24. November 1953 auch nichts darüber enthalten war, ob die Kläger gegen Steuervorschreibungen Rechtsmittel zu ergreifen verpflichtet waren, so muß dies auf Grund der gemäß § 914 ABGB. nach der Übung des redlichen Verkehrs vorzunehmenden Vertragsergänzung - die immer dann stattzufinden hat, wenn nicht eindeutig feststeht, was die Parteien in im Vertrag nicht ausdrücklich vorgesehenen Fällen gewollt hätten (SZ. XXVI 194; siehe auch Gschnitzer in Klang[2] IV S. 408/409 zu § 914 ABGB.) - im Sinne der in der Revision vertretenen Ansicht bejaht werden.
Aus dem gleichen Gründe muß aber - ebenfalls nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs und dem sich aus den oben angeführten Gesetzesstellen ergebenden allgemeinen Grundsatz einer Rettungspflicht und eines sich daraus ergebenden Anspruches auf Ersatz des Rettungsaufwandes - trotz des Mangels einer ausdrücklichen Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz von zur Abwendung einer ungerechtfertigten Steuervorschreibung entstandenen Kosten die Pflicht des Beklagten zum zumindest verhältnismäßigen Ersatz solcher Kosten bejaht werden. Damit ist aber der mit der vorliegenden Klage geltend gemachte Anspruch dem Gründe nach bereits gegeben.
Der Höhe nach wurde der Klagsanspruch weder wegen mangelnder Zweckmäßigkeit noch aus anderen Gründen bestritten.
Da aus den angeführten Gründen die Vorinstanzen im Endergebnis mit Recht dem Klagebegehren Berechtigung zuerkannt haben, war der Revision der Erfolg zu versagen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)