Spruch:
Adäquater Kausalzusammenhang liegt auch dann vor, wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazugetreten ist und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge dieses Hinzutreten als wahrscheinlich zu erwarten ist, jedenfalls aber nicht außerhalb der menschlichen Erwartung liegt.
Entscheidung vom 21. März 1963, 2 Ob 30/63.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Die Klägerin wurde am 8. Mai 1960 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt.
Sie begehrte Zahlung von 74.214 S 10 g als Ersatz ihres unfallskausalen Schadens und die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden.
Der Beklagte wendete ein Mitverschulden der Klägerin sowie aufrechnungsweise eine Gegenforderung ein und bestritt die Ansprüche mit Ausnahme der geringfügigen, für Heilbehelfe geforderten Beträge auch der Höhe nach, desgleichen das Feststellungsbegehren.
Das Erstgericht erkannte gemäß dem Feststellungsbegehren, befand die Klagsforderung mit 68.099 S als zu Recht bestehend, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und verurteilte, ohne das Zahlungsmehrbegehren spruchmäßig abzuweisen, den Beklagten zur Zahlung des genannten Betrages samt stufenweisen Zinsen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen erlitt die zur Unfallszeit 19jährige Klägerin ein leichtes Schädelhirntrauma, einen Bruch des rechten Unterschenkels, Serienrippenbrüche rechts, multiple Leberrisse, einen ausgedehnten Riß im Gekröse, Nierenprellung sowie Exkoriationen. Sie war zunächst wegen dieser Verletzungen und deren Folgen, als welche sich u. a. ein paralytischer Darmverschluß, mehrere Lungeninfarkte und ein operative Behandlung erfordernder Douglasabszeß ergaben, vom 8. Mai bis 9. Juli 1960 in stationärer Krankenhausbehandlung. Am 25. Juli 1960 mußte sie sich wegen einer akuten Blinddarmentzundung einer Operation unterziehen und war in diesem Zusammenhang bis 27. August 1960 im Krankenhaus. In der Folge stellten sich schwere Komplikationen (Bauchfellentzundung, Blinddarmfistel) ein, die weitere Operationen und stationäre Spitalsaufenthalte vom 4. Jänner bis 14. Februar 1961 und vom 3. April bis 3. Juni 1961 erforderlich machten.
Das Erstgericht beurteilte alle aufgezählten Krankheitserscheinungen als Unfallsfolgen.
Das Berufungsgericht hatte Bedenken gegen die Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges aller Krankheitserscheinungen mit dem Unfall. Es ergänzte die Beweise durch Vernehmung eines weiteren und neuerliche Befragung des vom Erstgericht gehörten ärztlichen Sachverständigen und kam zu dem Ergebnis, daß zwar ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und der Blinddarmentzundung (und -operation) nicht nachweisbar sei, daß jedoch das weitere Krankheitsgeschehen in der Bauchhöhle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch den Unfall maßgeblich mit verursacht worden sei, weshalb der Beklagte auch für die dadurch der Klägerin entstandenen Schäden hafte.
Nur die angenommene Unfallskausalität der nach der Blinddarmoperation liegenden Komplikationen und im Zusammenhang damit die Höhe des Schmerzengeldes ist Gegenstand der Rechtsrüge des Beklagten.
Dieser macht geltend, daß der Inhalt der die Blinddarmoperation betreffenden Krankengeschichte keinen Anhaltspunkt für das Bestehen eines entzundlichen Prozesses in der Bauchhöhle zu dieser Zeit biete. Er vermißt das Vorliegen medizinisch fundierter Tatsachen, die die Annahme des Berufungsgerichtes vom Bestehen eines Kausalzusammenhanges rechtfertigen würden. Ein noch so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit genüge aber nicht.
Diese Ausführungen sind jedoch nicht geeignet, einen Rechtsirrtum des Berufungsgerichtes darzutun.
Volle Gewißheit über den ursächlichen Zusammenhang zwischen einem Ereignis und einem eingetretenen Erfolg kann nicht verlangt werden. Der Oberste Gerichtshof läßt vielmehr in ständiger Rechtsprechung den Nachweis einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges genügen (so z. B ZBl. 1931 Nr. 198 und zahlreiche in anderem Zusammenhang, nämlich zu § 163 ABGB. ergangene Entscheidungen). Nun hat das Berufungsgericht auf Grund des übereinstimmenden Gutachtens der beiden Sachverständigen angenommen, es wären die Komplikationen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten, wenn nicht schon vor der Blindarmoperation ein schwerer infektiöser Prozeß (Douglasabszeß) in der Bauchhöhle stattgefunden hätte und es handle sich um zwei zusammenwirkende, nebeneinander bestandene Komponenten, die den späteren Erfolg herbeiführten. Diese Feststellung als Beantwortung der medizinischen Tatsachenfrage ist der Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Daß aber der Eintritt dieser Folgen außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit gelegen, also nicht adäquat kausal gewesen sei, hat der Beklagte gar nicht behauptet. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. aus jüngster Zeit ZVR. 1963 Nr. 65) ist Ursache im Rechtssinn nicht jede, wohl aber diejenige Bedingung des konkreten Erfolges, die konkret geeignet ist, einen solchen Erfolg herbeizuführen. Damit soll die Haftung nur in den Fällen eines ganz außergewöhnlichen Kausalverlaufes ausgeschlossen werden. Die Möglichkeit des Eintrittes des konkreten Erfolges darf nach dem überschaubaren Zusammenhang nur nicht ganz unwahrscheinlich sein. Eine Begebenheit ist dann die adäquate Bedingung eines Erfolges, wenn sie die objektive Möglichkeit des eingetretenen Erfolges in nicht unerheblicher Weise erhöht hat, wenn sie im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet war, den Erfolg herbeizuführen. Wird der vorliegende Fall unter diesen Gesichtspunkten geprüft, dann besteht kein Grund, den adäquaten Verursachungszusammenhang abzulehnen. Wenn die Revision auf die spärlichen Angaben in der Krankengeschichte verweist, so ist ihr entgegenzuhalten, daß die Zulänglichkeit der Grundlagen eines Sachverständigengutachtens nach der Rechtsprechung die Beweiswürdigung betrifft (EvBl. 1956 Nr. 258, EvBl. 1959 Nr. 218). Daß dem Berufungsgericht in der Würdigung der Sachverständigengutachten ein Verstoß gegen die Denkgesetze unterlaufen sei oder daß die Sachverständigen erheblichen Verhandlungsstoff außer acht gelassen hätten, behauptet der Beklagte nicht. Wenn aber nun - wie hier - die Schwere einer Verletzungsfolge auf zwei an sich voneinander unabhängigen Umständen beruht, dann bleibt der Schädiger für den gesamten Schaden verantwortlich. Ein Fall der sogenannten überholenden Kausalität, daß nämlich die Komplikationen auch ohne das eindeutig unfallskausale Douglasabszeß eingetreten wären, liegt, geht man von den Feststellungen der Untergerichte aus, nicht vor.
Was die Höhe des Schmerzengeldes betrifft, so ist angesichts der Vielzahl und Schwere der Unfallsverletzungen, des besonders komplizierten Heilungsverlaufes und der langen Dauer desselben, der verbliebenen Dauerfolgen und des Umstandes, daß die Klägerin sowohl nach dem Unfall selbst als auch während der Spätfolgen desselben längere Zeit in Lebensgefahr schwebte, der zuerkannte Betrag keineswegs zu hoch.
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