Spruch:
Zur Frage der Rechtswirkung des gemeinschaftlichen Irrtums.
Bloß fahrlässige Irreführung verpflichtet nicht zum Schadenersatz.
Entscheidung vom 7. Februar 1963, 5 Ob 8/63.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Nach den Feststellungen des Erstgerichtes wurde das Grundstück 1214/1 der EZ. 2384 der KatGem. D. vom Eigentümer L. H.-L. an den Erstbeklagten zuerst verpachtet und sodann verkauft. Die Rechtsverhältnisse zwischen der erstbeklagten Partei - dem Kleingarten- und Tierzuchtverein X. - und den Besitzern der einzelnen Gartenlose sind durch den Beschluß der Generalversammlung des Vereines vom 26. Jänner 1958 geregelt. Danach ist wegen der Unmöglichkeit der Parzellierung des Grundstückes der Verein nach wie vor bücherlicher Eigentümer, während jeder, der selbst oder dessen Besitzvorgänger zum Erwerbe des Grundstückes durch Zahlung beigetragen hat, jederzeit das Recht hat, im Einvernehmen mit der Vereinsleitung sein obligatorisches Recht auf Benützung und spätere Erwerbung ins Eigentum auf andere zu übertragen. Am 21. August 1960 hat die Klägerin von dem Zweitbeklagten die nach den Satzungen der erstbeklagten Partei den Vereinsmitgliedern zustehenden Nutzungs-, Anwartschafts- und Verfügungsrechte an dem Kleingartenlose Nr. 2 unter gleichzeitiger Mitwirkung und Zustimmung der erstbeklagten Partei erworben. Sie bezahlte dem Zweitbeklagten 23.600 S, der erstbeklagten Partei als 10%ige Umschreibgebühr 2360 S und an Vereinsumlagen 240 S. Außerdem bezahlte sie an den Zweitbeklagten für Inventar den Betrag von 1500 S. Sie wurde als Mitglied in den Kleingarten- und Kleintierzüchterverein X. aufgenommen. Vor dem Kauf wurde die Klägerin von Vereinsfunktionären darauf aufmerksam gemacht, daß sie von dem von ihr zu kaufenden Gründe einen noch unbestimmten Teil an die Stadt Wien zur Straßenerrichtung werde abtreten müssen. Es wurde ihr auch ein anderes Kleingartenlos angeboten, bei dem diese Voraussetzungen nicht bestanden hätten, die Klägerin hat aber dieses Angebot abgelehnt. Es stellte sich dann heraus, daß von der insgesamt 337 m2 großen Fläche, die als Kleingartenlos Nr. 2 bezeichnet wird, tatsächlich nur 10 m2 zu dem Grundstück Nr. 1214/1 der EZ. 2384 GB. D. gehören, während der Rest auf öffentlichem Gut gelegen ist. Die Funktionäre des erstbeklagten Vereines hatten davon keine Kenntnis, weil sie keine Ahnung vom Umfange des Eigentums des Vereines hatten.
Die Klage, in welcher die Verurteilung der beklagten Parteien auf Bezahlung des Betrages von 25.100 S zur ungeteilten Hand und überdies die Verurteilung des Erstbeklagten zur Bezahlung des Betrages von 2600 S s. A. begehrt wird, stützt sich auf die Behauptung, die Klägerin sei von den beklagten Parteien bei Abschluß des Kaufvertrages in Irrtum geführt worden. Bei der Tagsatzung vom 5. Juli 1961 wies der Klagevertreter darauf hin, daß in der Vorgangsweise der erstbeklagten Partei ein zivilrechtlicher Betrug zu erblicken wäre, erklärte aber, er stütze vorläufig die Klage weiterhin nur auf den Rechtsgrund des wesentlichen Irrtums, behalte sich aber vor, die Klage später auch auf den Rechtsgrund des zivilrechtlichen Betruges zu stützen. Bei der Tagsatzung vom 22. Jänner 1962 stützte die Klägerin ihr Begehren außer auf den bisherigen geltend gemachten Rechtsgrund gegenüber der Erstbeklagten auch noch auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes. Diese Klagsänderung wurde vom Erstgericht zugelassen.
Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze mit der Begründung ab, der Irrtum der Klägerin wäre durch Einsichtnahme in das Grundbuch zu vermeiden gewesen (§ 443 ABGB.).
Infolge Berufung der klagenden Partei verurteilte das Berufungsgericht den Erstbeklagten zur Bezahlung des Betrages von 2600 S und den Zweitbeklagten zur Bezahlung des Betrages von 25.100 S s. A.; das gegen den Erstbeklagten erhobene Mehrbegehren wies es ab. Das Berufungsgericht nahm den Rechtsstandpunkt ein, daß infolge beiderseitigen Irrtums ein gültiger Vertrag nicht zustandegekommen sei und daß daraus das Recht der Klägerin folge, die geleisteten Zahlungen zurückzufordern. § 443 ABGB. sei nicht anwendbar, weil sich diese Gesetzesstelle nur auf die Erwerbung unbeweglicher Sachen oder dinglicher Rechte beziehe, während die Klägerin nur obligatorische Rechte erworben habe. Von einer solidarischen Verpflichtung der erstbeklagten Partei zur Bezahlung des Betrages von 25.100 S könne nicht die Rede sein, weil die Funktionäre der erstbeklagten Partei und der Zweitbeklagte gar nicht wußten, daß die Gartenfläche Nr. 2 bis auf 10 m2 außerhalb des Grundstückes Nr. 1214/1 auf öffentlichem Gut liege, und daher eine listige Irreführung nicht vorliege. Es könne den Funktionären der beklagten Partei auch Fahrlässigkeit nicht zur Last gelegt werden, da es glaubwürdig sei, daß es ihnen nicht möglich war, eine grundbuchsmäßige Mappendarstellung zu lesen und sich daraus ein Bild über die Lage in der Natur zu bilden.
Der Oberste Gerichtshof gab nach Verwerfung der Nichtigkeitsrevision des Erstbeklagten den Revisionen der Beklagten und der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Unter dem Revisionsgrunde der Nichtigkeit wird von der erstbeklagten Partei behauptet, der Klägerin sei etwas anderes zugesprochen worden, als sie begehrt habe, weil das Berufungsgericht einen gemeinschaftlichen Irrtum angenommen habe, obwohl die Klägerin als Klagegrund listige Irreführung geltend gemacht habe. Diese Rüge ist in jeder Hinsicht unbegrundet. Abgesehen davon, daß ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 405 ZPO. nach der nun ständigen Rechtsprechung keinen Nichtigkeitsgrund darstellt, sondern nur einen Verfahrensmangel, und abgesehen davon, daß die Regel des § 870 ABGB. über die Veranlassung eines Vertrages durch List nur die Geltendmachung eines Sonderfalles des Irrtums darstellt, weshalb in der Anfechtung eines Vertrages wegen List die Anfechtung wegen Irrtums als des Kleineren eingeschlossen zu sehen ist (Gschnitzer in Klang Komm.[2] IV., S. 109, Rechtsprechung 1932/309), trifft es gar nicht zu, daß die Klägerin nur listige Irreführung als Klagegrund geltend gemacht hat. In der Klage selbst ist von List überhaupt nicht die Rede, sondern es wird nur geltend gemacht, die Klägerin sei von den Beklagten in Irrtum geführt worden, also der Irrtum sei von den Beklagten veranlaßt worden, während in der Streitverhandlung vom 15. Juli 1961 die Klägerin zwar darauf hingewiesen hat, daß ein zivilrechtlicher Betrug, also eine listige Irreführung seitens der erstbeklagten Partei vorliege, jedoch ausdrücklich erklärt hat, daß sie vorläufig die Klage weiterhin nur auf den Rechtsgrund des wesentlichen Irrtums stütze. Diesen bisher geltend gemachten Rechtsgrund hat dann die klagende Partei in der Streitverhandlung vom 22. Jänner 1962, in welcher sie das Klagebegehren auch noch auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes stützte, ausdrücklich aufrechterhalten. Hat aber die Klägerin als Klagegrund wesentlichen Irrtum geltend gemacht, dann kann es dem Gerichte auch nicht verwehrt sein, der Entscheidung die Feststellung, daß ein gemeinschaftlicher Irrtum vorgelegen sei, zugrundezulegen, wenngleich von der klagenden Partei nicht ein gemeinschaftlicher Irrtum behauptet wurde.
Als aktenwidrig wird in der Revision der erstbeklagten Partei gerügt, das Berufungsgericht sei davon ausgegangen, daß sich die Parteien in einem gemeinschaftlichen Irrtum befunden haben. Diese Annahme ist aber durchaus nicht aktenwidrig, sondern ergibt sich schlüssig aus den Feststellungen des Erstgerichtes. Danach haben zwar die Funktionäre des Erstbeklagten gewußt, daß ein Stück des Kleingartenloses für Straßenbauzwecke abzutreten sein werde, und sie haben dies auch der Klägerin mitgeteilt. Aber daraus kann weder der Schluß gezogen werden, daß sich demnach die Beklagten in keinem Irrtum befunden hätten, weil sie sich darüber ja im klaren gewesen seien, daß ein Teil des Gründes abgetreten werden müsse, noch kann daraus gefolgert werden, daß dir Klägerin nicht infolge eines Irrtums den Kauf getätigt habe, weil sie den Kaufvertrag in Kenntnis der Pflicht zur Abtretung geschlossen habe, ohne sich über die Gründe des abzutretenden Teiles Klarheit zu verschaffen. Wenn bei Abschluß des Kaufvertrages davon die Rede war, daß ein Stück des Gründes für Straßenzwecke abzutreten sein werde, konnte das doch nur dahin aufgefaßt werden, daß ein mehr oder weniger breiter Grundstreifen für Straßenbauzwecke gewidmet werden müsse. Keinesfalls aber kann daraus, daß bei Vertragsabschluß von einer Abtretung eines Grundstückteils für Straßenbauzwecke die Rede war, der Schluß gezogen werden, eine oder die andere Partei hätte bei Kaufabschluß damit gerechnet, daß der Gegenstand des Kaufvertrages ein Kleingartenlos ist, welches mit Ausnahme eines verschwindend kleinen Restes überhaupt nicht im Eigentum der erstbeklagten Partei steht. Hätten die Funktionäre der erstbeklagten Partei dies angenommen, dann würde tatsächlich eine listige Irreführung vorliegen. Dem steht aber die Feststellung des Erstgerichtes entgegen, daß die Funktionäre der erstbeklagten Partei keine Ahnung vom Umfange des Eigentums des Vereines hatten. Soweit in der Revision der Klägerin diese Feststellung unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung bekämpft wird, handelt es sich nur um einen unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung. Es muß also davon ausgegangen werden, daß die Parteien sich bei Abschluß des Vertrages in einem gemeinschaftlichen Irrtum befunden haben, der darin bestand, daß das Kleingartenlos, welches Gegenstand der Übertragung der Rechte des Zweitbeklagten an die Klägerin war, zu der dem Erstbeklagten gehörigen Parzelle 1214/1 der EZ. 2384 der KG. D. gehörte und daher, abgesehen von einem für Straßenbauzwecke abzutretenden Grundstreifen, gleich den anderen Kleingartenlosen von der Klägerin werde genutzt werden können.
Geht man aber davon aus, daß hier ein gemeinschaftlicher Irrtum der Parteien vorlag, ist die Klägerin zur Anfechtung des Vertrages befugt. Die Parteien wollten einen Vertrag über Übertragung von Rechten an einem zum Gutsbestand der Erstbeklagten gehörigen Kleingartenlos schließen. Sie haben daher, da sie einen Vertrag hinsichtlich eines zum öffentlichen Gute gehörigen Grundstückteiles schlossen, etwas anderes erklärt, als sie erklären wollten und sind daher an den Vertrag nicht gebunden (SZ. XXVI 129, Gschnitzer a. a. O. S. 134). Insoferne in der Revision des Zweitbeklagten versucht wird, darzutun, durch die Nichtzugehörigkeit des Kleingartenloses 2 zum Gutsbestande der Erstbeklagten werde an der Gültigkeit des Vertrages nichts geändert, weil die Klägerin nicht das Recht auf Übertragung eines bestimmten Stückes der Liegenschaft habe und ihr das Anwartschaftsrecht verbleibe, einen aliquoten Teil der gesamten Liegenschaft ins Eigentum übertragen zu bekommen, geht die Revision nicht von dem durch die Untergerichte festgestellten Sachverhalt aus. Es sei nur zur Verdeutlichung auf die Niederschrift vom 7. August 1960 Beilage 6, verwiesen, in welcher das Gesuch der Klägerin um Aufnahme als Mitglied des erstbeklagten Vereines auf die Rechte des Nutzungsgenusses an der Parzelle Nr. 2 des beklagten Vereines abgestellt ist.
Verfehlt ist auch das in der Revision der zweitbeklagten Partei vorgebrachte Argument, die Klägerin könne nicht die Zahlung einer Summe verlangen, bevor sie nicht die Aufhebung wegen Irrtums erwirkt hätte. Der Irrende kann seinen Anfechtungsanspruch auch dadurch gerichtlich geltend machen, daß er unter Behauptung der Ungültigkeit des Geschäftes auf Rückstellung der von ihm bewirkten Leistung klagt (Gschnitzer a. a. O. S. 136, ZBl. 34 Nr. 3, GlUNF. 6568, 1241).
Zu Unrecht wird auch von den Beklagten ins Treffen geführt, der Klägerin stehe das Anfechtungsrecht nicht zu, weil sie es unterlassen habe, sich über den Umfang der ihr bekannten Mängel der Sache zu orientieren, und es insbesondere unterlassen habe, ins Grundbuch und in die Urkundensammlung Einsicht zu nehmen. Für die Anfechtung eines Vertrages wegen Irrtums ist es ohne Belang, ob der Irrtum entschuldbar oder unentschuldbar war (Gschnitzer a. a. O. S. 118). Durch Einsicht in das Grundbuch hätte allerdings die Klägerin feststellen können, daß bei der EZ. 2384 im GB. D. das Bestehen der Verpflichtung zur Straßengrundabtretung ersichtlich gemacht ist. Weitere Feststellungen hätte die Klägerin nur durch Einsicht in die Urkundensammlung und in die Mappe allenfalls treffen können. Aber eine Unterlassung dieser Einsichtnahme vermag an ihrem Anfechtungsrecht nichts zu ändern, weil die Bestimmung des § 443 ABGB., wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, hier unanwendbar ist. Diese Bestimmung besagt nur, daß der Erwerber einer unbeweglichen Sache auch die darauf haftenden in den öffentlichen Büchern angemerkten Lasten übernimmt. Die Klägerin hat aber nicht das Eigentum an einer unbeweglichen Sache erworben, sondern einen obligatorischen Anspruch gegen die erstbeklagte Partei, der nicht Gegenstand der bücherlichen Eintragung ist. Dieser Anspruch bezog sich allerdings auf ein Stück, das angeblich zu einem der Erstbeklagten gehörigen Grundstück gehörte. Aber die Klägerin wurde durch die Erwerbung des obligatorischen Anspruches nicht einmal Miteigentümerin an dem Grundstück des Erstbeklagten. § 443 ABGB. steht daher der Anfechtung des Vertrages, womit die obligatorischen Ansprüche an die Klägerin übertragen wurden, nicht entgegen.
Aus der Ungültigkeit des Vertrages wegen Irrtums folgt zwangsläufig das Recht der Klägerin, den Betrag von 25.100 S von dem Zweitbeklagten zurückzuverlangen. Es folgt daraus aber ebenso auch das Recht, die an die erstbeklagte Partei geleisteten Zahlungen zurückzufordern. In der Revision der erstbeklagten Partei wird die Annahme des Berufungsgerichtes als aktenwidrig gerügt, daß es sich bei dem Vertrag zwischen der Klägerin einerseits und den beiden Beklagten andererseits um einen einheitlichen Vertrag gehandelt habe. Die Einheitlichkeit des Vertrages folgt aber daraus, daß eine Übertragung der Rechte der Vereinsmitglieder nur im Einvernehmen mit der Vereinsleitung möglich ist. Der Eintritt der Klägerin in die Rechte des Zweitbeklagten war also nur möglich, indem sie einerseits an den Zweitbeklagten den Kaufpreis und andererseits an die erstbeklagte Partei die Umschreibungsgebühr und den Mitgliedsbeitrag bezahlte. Ist nun der Vertrag seines Inhaltes dadurch beraubt, daß das Kleingartenlos, welches Gegenstand des Vertrages war, gar nicht zum Gutsbestand der erstbeklagten Partei gehört, folgt daraus das Recht der Klägerin, sowohl die an den Zweitbeklagten wie auch die an die erstbeklagte Partei gezahlten Beträge zurückzuverlangen.
Hingegen besteht kein Rechtsgrund, aus welchem die Klägerin den an den Zweitbeklagten bezahlten Betrag auch von der erstbeklagten Partei verlangen könnte. Ein tauglicher Rechtsgrund wäre die Bestimmung des § 874 ABGB., wenn die Klägerin von den Funktionären der erstbeklagten Partei durch List zum Vertragsabschluß bewogen worden wäre. Der Rechtsgrund der listigen Irreführung scheidet aber auf Grund der Feststellungen des Erstgerichtes aus. Ein Begehren auf Ersatz des von der Klägerin an den Zweitbeklagten bezahlten Betrages durch die erstbeklagte Partei könnte nur nach allgemeinen Schadenersatzgrundsätzen (§ 1295 ABGB.) erhoben werden. Dies ist aber deshalb nicht zulässig, weil der Umkehrschluß aus § 874 ABGB. ergibt, daß bloß fahrlässige Irreführung nicht zum Schadenersatz verpflichtet (Gschnitzer a. a. O. S. 145). Es ist daher entbehrlich auf die Frage einzugehen, ob in dem Verhalten der erstbeklagten Partei eine solche fahrlässige Irreführung erblickt werden könnte.
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