Spruch:
Eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses ist nach § 10
(6) MutterschutzG. nur dann rechtswirksam, wenn außer der schriftlichen Vereinbarung auch eine schriftliche Vollmacht des für die Dienstnehmerin auftretenden Bevollmächtigten vorliegt.
Entscheidung vom 22. Jänner 1963, 4 Ob 144/62.
I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Klägerin verlangt Dienstentgelt für das erste Vierteljahr 1962 im Betrag von 3412 S 50 g und die Feststellung, daß ihr Dienstverhältnis aufrecht fortbestehe. Die Beklagten beantragen Abweisung dieser Begehren, weil das Dienstverhältnis mit 31. Jänner 1962 einvernehmlich aufgelöst worden sei. Unbestritten ist, daß die Klägerin seit 15. November 1961 im Betriebe der beklagten Parteien als Telefonistin beschäftigt war, daß sie vom 12. Jänner 1962 bis 7. März 1962 krank und zur Zeit der Klagseinbringung (10. April 1962) im sechsten Monat schwanger war. Auch über die Höhe des Klagsanspruchs besteht kein Streit.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es stellte zur behaupteten einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses fest:
Am 19. Jänner 1962 fragten die Beklagten schriftlich bei der Klägerin an, wann wieder mit ihrem Dienstantritt gerechnet werden könne; bei der gleichen Gelegenheit fragten die Beklagten auch, ob die Klägerin etwa ihr Dienstverhältnis überhaupt nicht mehr fortsetzen wolle.
Etwa am 29. Jänner 1962 wurde die Klägerin aus der Klinik entlassen, blieb aber weiterhin in ärztlicher Behandlung und im Krankenstand. Die Klägerin ersuchte gleichzeitig ihre Mutter, bei den Beklagten vorzusprechen, dort zwei Krankmeldungsscheine und den Entlassungsschein der Klinik vorzulegen und zu der schriftlichen Anfrage der Beklagten vom 19. Jänner 1962 Stellung zu nehmen beziehungsweise diese mündlich zu beantworten.
Am 30. Jänner 1962 sprach die Mutter der Klägerin auftragsgemäß im Büro der Beklagten bei der Direktionssekretärin V. vor und übergab dieser die Krankmeldungsscheine und den Entlassungsschein.
Gleichzeitig teilte sie dieser mit, daß die Klägerin so schwer krank sei, daß eine Wiederaufnahme ihres Dienstes bei den Beklagten nicht zu erwarten sei, da sie zur Vermeidung einer Schwangerschaftsunterbrechung liegen müsse, und daß sie das Dienstverhältnis auflösen möchte; die Mutter der Klägerin zeigte sich dabei sehr gerührt und über den Gesundheitszustand der Klägerin sehr besorgt.
Auf die Frage der Mutter der Klägerin, wie die Klägerin diese Kündigung vornehmen müßte, erklärte ihr Frau V. daß das Dienstverhältnis einvernehmlich zu jedem Zeitpunkt, von seiten der Klägerin allein aber nur zum Letzten eines jeden Monats beendet werden könne. Darauf erwiderte die Mutter der Klägerin, sie wolle das Dienstverhältnis "per Ende des Monats" beenden.
Die Direktionssekretärin der Beklagten, welche seitens derselben sowohl zum Ausspruch der Beendigung von Dienstverhältnissen als auch zur Entgegennahme von solchen Auflösungserklärungen berechtigt wurde, faßte diese Formulierung der Auflösungserklärung durch die Mutter der Klägerin so auf, daß also deren Dienstverhältnis bis einvernehmlich zum nächsten Monatsletzten, also mit 31. Jänner 1962 beendet wird, und hielt diese namens der Klägerin abgegebene Erklärung der Mutter derselben in diesem Sinne in einem sofort verfaßten Schreiben an die Klägerin fest. Dieses Schreiben übergab die Direktionssekretärin der Beklagten noch der Mutter der Klägerin zum Durchlesen. Nachdem die Mutter der Klägerin das Schreiben durchgelesen hatte und mit dem Inhalt desselben einverstanden war, ließ die Sekretärin den Durchschlag dieses Schreibens zum Zeichen des Einverständnisses durch die Mutter der Klägerin unterfertigen.
Etwa eine halbe Stunde später erschien die Mutter der Klägerin nochmals und erklärte, sie glaube, sie habe die Sache doch nicht ganz richtig gemacht und sie möchte den Kündigungstermin vom 31. Jänner 1962 auf den Letzten des Monats Februar 1962 ändern.
Die Sekretärin der Beklagten wies die Mutter der Klägerin darauf hin, daß sie dies ohne Wissen der Beklagten selbst nicht mehr abändern könne, sie möge am nächsten Tag nochmals kommen, da würden die beiden Beklagten selbst anwesend sein und dann solle sie diesen ihr Anliegen vorbringen. Die Mutter der Klägerin erschien jedoch entgegen der getroffenen Abmachung am nächsten Tag nicht mehr bei den Beklagten.
Im Zuge seiner Beweiswürdigung bemerkt dann das Erstgericht, "daß die Mutter der Klägerin von dieser für ihr Verhalten bei der Vorsprache im Büro der Beklagten wohl einen Auftrag hatte".
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es gemäß dem Klagebegehren erkannte. In seinen Gründen führt es im wesentlichen aus:
Für eine Feststellung, daß die Klägerin ihrer Mutter vor der Vorsprache derselben in dem Unternehmen einen Auftrag erteilt hatte, wobei der Inhalt der Erklärung der Mutter festgelegt worden sei, findet sich weder in den Aussagen der vernommenen Zeugen noch in der Parteienaussage der Klägerin irgendein Anhaltspunkt. Im Gegenteil bekundete die Zeugin Sch. (Mutter der Klägerin), daß sie lediglich den Auftrag hatte, die Bestätigung der Krankenkasse bei den beklagten Parteien abzugeben. Damit stimmt auch die Parteiaussage der Klägerin überein. Es liegt um so weniger Grund vor, diesen Aussagen den Glauben zu versagen, als auch die Gesprächspartnerin der Zeugin Sch., die Geschäftsführerin V., bekundete, sie habe Sch. nicht gefragt, ob sie zur Abgabe einer solchen Erklärung, nämlich der Kündigung oder einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses ihrer Tochter, seitens der Klägerin bevollmächtigt sei. Das Berufungsgericht stellte also fest, daß die Mutter der Klägerin vor der Geschäftsführerin des Unternehmens zwar erklärte, sie möchte eine Auflösung des Dienstverhältnisses ihrer Tochter vornehmen, und daß sie die von der Letzteren verfaßte Niederschrift unterfertigte, daß die Mutter der Klägerin jedoch niemals eine Vollmacht oder eine Ermächtigung erhalten hatte, irgendeine Erklärung, die Lösung des Dienstverhältnisses betreffend, abzugeben.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Gemäß § 10 (6) MutterschutzG. ist eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses nur dann rechtswirksam, wenn sie schriftlich vereinbart wurde. Daß eine solche mit der Klägerin selbst geschlossene, schriftliche Vereinbarung vorliege, wurde gar nicht behauptet. Die Beklagten haben lediglich an die Klägerin geschrieben, daß diese ihnen durch ihre Mutter habe mitteilen lassen, daß sie per 31. Jänner 1962 den Posten im Hause der Beklagten niederlege, was die Beklagten einverständlich zur Kenntnis genommen haben. Den Durchdruck dieses Schreibens hat die Mutter der Klägerin unterschrieben. Damit könnte die durch § 10 Abs. 6 MutterschutzG. erforderte Schriftform allenfalls erfüllt sein, wenn die Klägerin ihre Mutter zur Auflösung des Dienstverhältnisses bevollmächtigt hätte. Dabei ergibt sich aber sofort der Zweifel, ob nicht die Formbedürftigkeit des Ausführungsgeschäftes - hier der einverständlichen Auflösung des Dienstverhältnisses - auch die Vollmachterteilung durch die Klägerin an ihre Mutter formbedürftig mache. Die Frage, welche Folge die Formgebundenheit des Ausführungsgeschäftes für die Form der Vollmacht habe, läßt unsere Gesetzgebung im allgemeinen (siehe aber neuestens § 69 NotO. in der Fassung des Gesetzes 9. Mai 1962, BGBl. Nr. 139) und insbesondere § 10 (6) MutterschutzG. unbeantwortet. Die richtige Lösung ergibt sich aus der Erkenntnis, daß Bevollmächtigung und Ausführungsgeschäft nicht getrennt werden dürfen, sondern einen einheitlichen Gesamttatbestand bilden (so bereits OGH. 3. Februar 1915, SprRep. 250, GlUNF. 7287). Daraus folgt, daß der Zweck der für das Ausführungsgeschäft bestehenden Formvorschrift darüber entscheidet, ob auch die Vollmacht der gleichen Form bedarf (Josef Hupka, Die Vollmacht, Leipzig 1900, 115 ff.; Ehrenzweig, System des österreichischen Privatrechts, I/1[2], 272 f.; OGH. 23. Februar 1949, 2 Ob 247/48, SZ. XXII 25 = NotZ. 1950, 78). Wenn die Formvorschrift bloß die Feststellung des Inhaltes eines Rechtsgeschäfts bezweckt, wird sie sich auf die Vollmacht nicht erstrecken. Bezweckt sie aber die Feststellung der Ernstlichkeit des Parteiwillens oder wurde sie deshalb erlassen, um durch die Notwendigkeit der besonderen Form die Partei zur grundlichen Überlegung des beabsichtigten Geschäfts zu veranlassen oder das Vorhandensein des Parteiwillens zu sichern, dann muß die Form auch bei der Erteilung der Vollmacht beachtet werden (so dem Spruch 250 folgend für den Schiedsvertrag insbesondere OHG. 23. Oktober 1928, SZ. X 303, 7. Februar 1933, SZ. XV 29; für Ehepakten die bereits zitierte Entscheidung 23. Februar 1949, 2 Ob 247/48, SZ. XXII 25 = NotZ. 1950, 78).
Die Formvorschrift des § 10 Abs. 6 MutterschutzG. dient nun dazu, die Partei, das ist die schwangere Dienstnehmerin, zur grundlichen Überlegung des beabsichtigten Geschäfts, nämlich der einverständlichen Auflösung des Dienstverhältnisses, zu veranlassen. Daß das Gesetz auf eine solche grundliche Überlegung Wert legt, folgt schon aus dem allgemeinen Gedanken, daß eine Dienstnehmerin, der gesetzliche Ansprüche gegen den Dienstgeber zustehen, zumindest in der Regel keine vernünftigen Gründe haben kann, auf diese Ansprüche im praktischen Ergebnis durch einverständliche Auflösung des Dienstverhältnisses zu verzichten. Ganz in dieser Richtung liegt es, daß bei minderjährigen Dienstnehmerinnen der zweite Satz des § 10 (6) MutterschutzG. eine Belehrung über den Kündigungsschutz vorschreibt. Der Dienstnehmerin soll eben vor Augen geführt werden, welche Rechte sie durch eine einverständliche Vertragsauflösung aufgibt. Auch die Klarstellung der Ernstlichkeit des Parteiwillens und seines Vorhandenseins kommt als Grund für die Formvorschriften in Betracht, weil erfahrungsgemäß die Abgrenzung zwischen Kündigung, vorzeitiger einseitiger Auflösung des Dienstverhältnisses und einverständlicher Auflösung insbesondere dann oft schwierig wird, wenn sich bei dieser Gelegenheit nicht immer klare und ruhige Gespräche zwischen den Dienstvertragsparteien abspielen.
Der Oberste Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, daß im Sinne des § 10 (6) MutterschutzG. eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses nur dann rechtswirksam ist, wenn im Falle des Auftretens eines Bevollmächtigten für die Dienstnehmerin nicht nur die Auflösung selbst schriftlich vereinbart wird, sondern auch eine schriftliche Vollmacht vorliegt. Da dem letzteren Erfordernis hier jedenfalls nicht entsprochen ist, versagt die dem Klagebegehren entgegengesetzte Einwendung der beklagten Parteien schon aus diesem Gründe, sodaß der Revision der beklagten Parteien nicht Folge gegeben werden konnte.
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