OGH 4Ob128/62

OGH4Ob128/6218.12.1962

SZ 35/132

Normen

ABGB §1302
ABGB §1304
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333 (1)
Bauarbeiterschutzverordnung vom 10. November 1954, BGBl. Nr. 267 §9 (1)
ZPO §228
ABGB §1302
ABGB §1304
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333 (1)
Bauarbeiterschutzverordnung vom 10. November 1954, BGBl. Nr. 267 §9 (1)
ZPO §228

 

Spruch:

Haftung der an einem Arbeitsunfall Mitschuldigen (§ 333 (1) ASVG., §§ 1302, 1304 ABGB.).

Entscheidung vom 18. Dezember 1962, 4 Ob 128/62.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wels; II. Instanz: Kreisgericht Wels.

Text

Der Kläger begehrt die Bezahlung eines Schmerzengeldes von 20.000 S und die Feststellung, der Beklagte habe dem Kläger für 4/5 jenes Schadens zu haften, der dem Kläger in Zukunft aus dem Unfall vom 24. März 1960 noch entstehen werde. Zur Begründung seines Begehrens bringt er vor: Die Haftung des Beklagten ergebe sich schon aus dessen strafgerichtlicher Verurteilung. Einen Schutzhelm habe der Kläger nicht getragen, weil ihn dieser bei der Arbeit zu sehr behindert hätte. Er sei infolge des Unfalles nach wie vor teilweise erwerbsbehindert und leide noch an Kopfschmerzen und Gleichgewichtsstörungen; es seien auch noch Spätfolgen aus dem Unfall zu befürchten. Da er keinen Schutzhelm getragen habe, verlange er vom Beklagten nur 4/5 des Schadens ersetzt. Ein Schmerzengeld von 30.000 S sei angemessen. Um aber allen möglichen Einwendungen zu begegnen, verlange er nur 20.000 S.

Der Beklagte will sein Verschulden nur mit 1/5 bewerten und bringt vor: Sowohl der Dienstgeber wie auch der Kläger als Vorarbeiter hätten dafür einzustehen, daß das Arbeitsgerät mangelhaft gewesen sei, während der Beklagte geglaubt habe, sich auf dessen Tauglichkeit verlassen zu können. Der Kläger habe dem Beklagten nicht die erforderlichen Arbeitsanweisungen erteilt. Auch dem Fehlen eines Schutzdaches komme erhebliche Bedeutung zu. Das verlangte Schmerzensgeld werde der Höhe nach bestritten, das Feststellungsbegehren sei überhaupt unbegrundet.

Das Erstgericht hat den Beklagten schuldig erkannt, dem Kläger den Betrag von 13.333.33 S samt 4% Zinsen seit 24. März 1960 zu zahlen und hat festgestellt, der Beklagte habe 2/3 des Schadens zu tragen, der dem Kläger aus dem Unfall in Zukunft entstehen werde. Das Mehrbegehren hat das Erstgericht abgewiesen. Diese Abweisung ist rechtskräftig geworden.

Die Berufung des Beklagten, der das erstgerichtliche Urteil hinsichtlich des Zuspruches von 2400 S samt Anhang nicht bekämpfte, hatte keinen Erfolg. Das Berufungsgericht führte die Verhandlung neu durch und stellte folgenden Sachverhalt fest:

Inhaber und verantwortlicher Leiter des Brunnenmacherunternehmens Josef H. sei zur Zeit des Unfalls Hubert H. gewesen. Der Kläger sei ein Verwandter des Hubert H. und schon durch längere Zeit als Vorarbeiter und Facharbeiter im Unternehmen tätig gewesen. Der Beklagte sei seit Herbst 1959 als Hilfsarbeiter im Dienste dieses Unternehmens gestanden. Er sei schon wiederholt zu Brunnenarbeiten herangezogen worden, habe aber Schwenkkran und Karabiner noch nicht zu bedienen gehabt. Die Arbeitsweise eines Karabiners sei ihm bekannt gewesen.

Am Vormittag des 24. März 1960 hätten vorerst der Beklagte und der Installateur G. an einem Brunnenschacht in einem Neubau der U.- Straße in W. gearbeitet. Der Schacht mit einem Durchmesser von 1 m sei bereits bis auf eine Tiefe von 7 m ausgehoben gewesen. Es sei noch weiter Erdreich und Schotter von der Schachtsohle zu entfernen gewesen. Den Arbeitern sei ein Schwenkkran zur Verfügung gestanden, über den ein an seinem Ende mit einem Karabiner versehenes Drahtseil geführt gewesen sei. In diesen Karabiner seien die bei der Arbeit ververwendeten Eimer einzuhängen gewesen. Der Kranarm sei bis über die Mitte des Schachtes zu schwenken gewesen; dort hätten die Arbeiter den Kübel leer in den Schacht hinabgelassen und gefüllt wieder heraufgeholt. Der Karabiner sei etwas angerostet gewesen, die Karabinerzunge habe nicht leicht eingeschnappt. G. habe mehrmals den Karabiner bedient. Bei achtsamer und zweckdienlicher Handhabung sei der Karabiner einwandfrei zu verwenden gewesen. Ein Schutzdach sei bei dieser Arbeit nicht verwendet worden, da es die Bewegung der nahezu 50 cm breiten Kübel in dem nur 1 m breiten Schacht gehindert hätte. Vorerst habe der Beklagte in der Schachtsohle gearbeitet. Der Kläger sei dann mit seinem Eintreffen an der Baustelle kraft seiner Stellung als Vorarbeiter verantwortlicher Aufseher geworden. Er habe den Beklagten abgelöst und sei selbst in den Brunnenschacht gestiegen. Der Beklagte habe nun den Eimer auszuwechseln und den Kranarm einzuschwenken gehabt. Schutzhelme seien im Unternehmen zwar vorhanden gewesen und ihr Gebrauch wiederholt anbefohlen worden, an dieser Brunnenbaustelle habe aber niemand einen solchen Helm mitgenommen, weil man die Helme bei der Schachtarbeit als hinderlich empfunden habe. So habe auch der Kläger keinen Schutzhelm gehabt.

Der Beklagte habe das ihm obliegende Einhängen des Kübels in den Karabiner derart unzulänglich vorgenommen, daß der Kübel, welcher am schon gespannten Drahtseil freischwebend über die Schachtmitte zu schwenken gewesen wäre, in die Tiefe gestürzt sei, weil ihn der Kläger bis zum Erreichen des Schachtes bei ungestrafftem Drahtseil am Henkel gehalten und erst über dem Schacht losgelassen habe. Der Kübel habe den Kläger auf den Kopf getroffen. Durch das Aufschlagen des auch in leerem Zustand 10 kg wiegenden Kübels habe der Kläger schwere Schädelverletzungen erlitten. Als Restfolge des Unfalls sei eine Taubheit am rechten Ohr und das Auftreten von Schwindelanfällen verblieben. Die Unsicherheit bei der früher gewohnten Arbeit mache es dem Kläger nicht mehr möglich, seine bisherige Tätigkeit als Brunnenmacher weiter auszuüben. Weitere Spätfolgen seien mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten.

Der Beklagte sei vom Bezirksgericht W. wegen Übertretung nach § 335 StG. verurteilt worden, weil er "am 24. März 1960 in W. beim Brunnengraben im Neubau S. aus Unachtsamkeit den leeren Erdaushubkübel derart unsachgemäß in den Karabiner des Schwenkkranes eingehängt habe, daß dieser nicht geschlossen gewesen sei, so daß er sich, als er sich über dem Brunnenschacht befunden habe, gelöst habe und dem im Brunnenschacht arbeitenden Robert H. auf den Kopf gefallen sei".

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus:

Schon auf Grund dieses Strafurteils seien die Grundlagen für die Haftung des Beklagten hergestellt. Der Beklagte habe nach § 9 (1) der Verordnung vom 10. November 1954, BGBl. Nr. 267 auch als Dienstnehmer die Verpflichtung gehabt, sich vor Inbetriebnahme des Gerätes, hier des Karabiners, von seinem betriebssicheren Zustand zu überzeugen und wahrgenommene Mängel dem Kläger als der anwesenden Aufsichtsperson zu melden. Daß der Kläger vom Dienstgeber mit der Prüfung des Zustandes der Betriebsmittel betraut worden sei, sei nicht behauptet worden. Das Verhalten des Klägers sei für den Unfall nicht ursächlich gewesen; von einem Mitverschulden des Klägers im eigentlichen Sinn könne daher nicht gesprochen werden. Es sei aber zu prüfen gewesen, ob der Kläger die Auswirkungen des Unfalls zu einem Teil mit verursacht habe, was in rechtlicher Hinsicht einem Mitverschulden gleichkäme. Hier greife die Vorschrift des § 52 (9) der zitierten Verordnung ein, die bei Arbeiten in Brunnenschächten das Tragen von Schutzhelmen vorschreibe. Die mit dem Tragen eines Helmes gewiß verbundenen Erschwerungen hätte der Kläger in Kauf zu nehmen gehabt, um die Folgen eines möglichen Unfalles gering zu halten. Ein Schutzdach wäre hier nicht zweckmäßig gewesen, weil es bei dem Schachtdurchmesser von 1 m und dem Kübeldurchmesser von nahezu 50 cm keinen Schutz hätte bieten können. Ein vom Kläger zu tragendes Mitverschulden wegen Unterlassung einer Unterweisung des Beklagten oder gar wegen Fehlens einer ausdrücklichen Ermahnung sei nicht gegeben. In Würdigung aller Umstände halte auch das Berufungsgericht eine Kürzung des Anspruchs des Klägers um ein Drittel der Sach- und Rechtslage entsprechend. Auch die Bemessung des Schmerzensgeldes mit 20.000 S sei als angemessen zu erachten. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens sei darauf zu verweisen, daß nach dem Gutachten des Sachverständigen Dauerfolgen eingetreten seien und das Auftreten weiterer Spätfolgen nicht ausgeschlossen werden könne.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Oberste Gerichtshof ist der Ansicht, daß es ohne nähere Aufklärung durch einen medizinischen Sachverständigen nicht einwandfrei beurteilt werden kann, welchen Einfluß das Tragen eines Schutzhelmes auf den Ablauf des Unfalls des Klägers und auf die Verletzungsfolgen gehabt hätte. Ohne hinreichende Klärung dieser Frage kann auch eine endgültige Verschuldensaufteilung nicht vorgenommen werden.

In seiner Rechtsrüge führt der Beklagte aus: Zu Unrecht laste ihm das Berufungsgericht an, daß er den Karabiner nicht auf seinen betriebssicheren Zustand untersucht habe. Dies könne vom Beklagten als ungelerntem Hilfsarbeiter nicht verlangt werden. Das dem Beklagten anzulastende Verschulden verliere dadurch an Gewicht, daß ihm diese Arbeit noch ungewohnt gewesen sei, daß er mit nicht betriebssicherem Gerät zu arbeiten gehabt habe und ihn niemand in den Arbeitsvorgang eingewiesen habe. Den Kläger dagegen treffe ein Verschulden in verschiedener Hinsicht. Das Arbeiten ohne Schutzhelm sei eine unmittelbare Mitursache des Unfalls. Der Kläger hätte den Beklagten in die Bedienung des Schwenkkranes einweisen müssen und hätte weiter in seiner Eigenschaft als Vorarbeiter darauf zu achten gehabt, daß der verrostete Karabiner vor und nicht erst nach dem Unfall geölt werde. Das Verschulden des Beklagten sei demnach wesentlich geringer als jenes des Klägers. Es sei mit den Prinzipien eines Sozialstaates nicht in Einklang zu bringen, wenn die Unfallsfolgen in einem solchen Fall dem letzten untergeordneten und nicht versicherten Arbeiter überwiegend aufgebürdet werden. Bei den Verletzungen des Klägers werde sich noch vor Ablauf der Verjährungsfrist klären, ob Spätfolgen zu erwarten seien. Derzeit fehle daher noch das Interesse an der begehrten Feststellung.

Für die Haftung des Beklagten maßgebend ist in erster Linie das im Strafurteil festgestellte fahrlässige Verhalten des Beklagten, also das unsachgemäße Einhängen des Kübels in den Karabiner aus Unachtsamkeit. Das Strafgericht sah diese Unachtsamkeit darin, daß der Beklagte entweder das Nichteinrasten der Karabinerzunge nicht bemerkt, oder - bei Wahrnehmung - nichts dagegen getan hat; daß er nicht auf die Tauglichkeit des Karabiners vertrauen durfte, weil er sich bei Anwendung pflichtgemäßer Aufmerksamkeit leicht vom Gegenteil hätte überzeugen können; schließlich daß es bei der Bedienung eines so simplen Instrumentes weder einer allgemeinen noch einer besonderen Einweisung bedurfte, daß vielmehr der durchschnittliche Hausverstand genügte, um Zweck und Funktion des Gerätes zu verstehen. Der Beklagte redet daher an der Sache vorbei, wenn er nunmehr Umstände, die notwendige Voraussetzung für den Schuldspruch sind, neu aufzurollen und anders zu lösen versucht. Die näheren Ausführungen im Berufungsurteil über das fahrlässige Verhalten des Beklagten sollen auch nicht weitere Verfehlungen des Beklagten dartun, sondern nur dessen Gesamtverhalten erläutern. Dem Kläger kann die Unterlassung der Überprüfung des Karabiners nicht zum Vorwurf gemacht werden, wie das Berufungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat. Die Verpflichtung, dem Dienstnehmer betriebssicheres Gerät zur Verfügung zu stellen, trifft den Dienstgeber. Dieser hat auch die Betriebsmittel zu überprüfen (§ 9

(1) der Verordnung vom 10. November 1954 zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Dienstnehmern bei Aufführung von Bauarbeiten, Bauneben- und Bauhilfsarbeiten, BGBl. Nr. 267). Daß der Dienstgeber den Kläger mit dieser Überprüfung betraut hat, wurde im Prozeß nicht behauptet. Den Kläger als jenen Dienstnehmer zu bezeichnen, der sich auf Grund seiner Ausbildung und Stellung im Betrieb vom betriebssicheren Zustand des Karabiners zu überzeugen gehabt hätte, geht deshalb nicht an, weil der Kläger nicht als Dienstnehmer mit dem Karabiner und Kübel zu arbeiten hatte.

Gegen den Dienstgeber, dem vorsätzliche Verursachung des Arbeitsunfalls nicht zur Last liegt, kann der Kläger zivilrechtliche Schadenersatzansprüche gemäß § 333 (1) ASVG. nicht geltend machen. Das hat zur Folge, daß im Verhältnis zwischen dem Dienstgeber einerseits und dem Beklagten andererseits kein Solidarschuldverhältnis besteht, weil eben der Dienstgeber gegenüber dem Kläger gemäß § 333 (1) ASVG. nicht haftet. Das hat wieder zur Folge, daß der Beklagte ein allfälliges Mitverschulden des Dienstgebers auch mit Hilfe des § 1302 ABGB. im Prozeß nicht geltend machen kann (SZ. XXVII 76). Der Fall, daß sich die Anteile des Beklagten und des Dienstgebers an der Beschädigung bestimmen lassen, liegt ja hier nicht vor.

Das richtige Einhängen eines Kübels in einen Karabiner ist, wie bereits hervorgehoben wurde, eine höchst einfache Tätigkeit und bedarf keiner Einweisung. Diese Tätigkeit hat auch mit der Bedienung des Schwenkkranes nichts zu tun. Dem Beklagten liegt auch nicht die unrichtige Bedienung des Kranes zur Last, sondern die unachtsame und unsachgemäße Handhabung des Karabiners. Mit der Behauptung, den Unfall habe letztlich die unrichtige Bedienung des Schwenkkranes ermöglicht, entfernt sich also der Beklagte von den getroffenen Feststellungen.

Ein Feststellungsbegehren kann nicht deshalb als ungerechtfertigt angesehen werden, weil sich möglicherweise innerhalb der Verjährungsfrist noch klären wird, ob Spätfolgen zu erwarten sein werden oder nicht. Maßgebend für das Vorliegen des Feststellungsinteresses ist die Rechtslage zur Zeit des Verhandlungsschlusses. Für diesen Zeitpunkt steht aber fest, daß Spätfolgen nicht ausgeschlossen werden können.

Der Unachtsamkeit des Beklagten steht der Leichtsinn des Klägers gegenüber, daß er ohne Schutzhelm arbeitete, obwohl von ihm als Vorarbeiter besonders verlangt werden muß, daß er sich an die Schutzvorschriften hält. Das Berufungsgericht wird also, um eine abschließende Verschuldensabwägung vornehmen zu können, einen medizinischen Sachverständigen, dem auch die nötige Erfahrung über Fragen der Unfallsverhütung zustatten kommt, etwa einen Arbeitsinspektionsarzt, über die Wirkungsweise eines Schutzhelmes in dem besonderen vorliegenden Fall zu hören und die entsprechenden Feststellungen zu treffen haben. Erst wenn feststeht, wie weit ein Schutzhelm imstande gewesen wäre, den Kläger vor ernsteren Verletzungen, insbesondere vor Schädelverletzungen zu schützen, wird sich der Grad seines Leichtsinns mit dem Grad der Unachtsamkeit des Beklagten richtig vergleichen lassen. Wenn, wie das Berufungsgericht zu dieser Frage annahm, eine Klärung auch mit Hilfe eines Sachverständigen nicht möglich sein sollte, dann wird zu überlegen sein, ob nicht die Streitteile den Schaden im Sinne des § 1304, letzter Satz, ABGB. zu gleichen Teilen zu tragen haben.

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