Spruch:
Telegraphische Eingaben bewirken keine Verlängerung einer vom Richter festgesetzten Frist.
Entscheidung vom 5. Juni 1962, 8 Ob 198/62.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Zur ersten Tagsatzung vom 31. Mai 1961 erschien für den Drittbeklagten ein vertretungsbefugter Kanzleiangestellter des nunmehrigen Rechtsanwaltes des Drittbeklagten. Er wurde, da keine Vollmacht vorgelegt wurde, gemäß § 38 ZPO. gegen nachträgliche Vorlage der Vollmacht bis 21. Juni 1961 einstweilen zugelassen. Die Klägerin beantragte für den Fall der nicht rechtzeitigen Vorlage der Vollmacht Fällung des Versäumungsurteiles. Die Vollmacht langte bei Gericht am 23. Juni 1961, also nach Ablauf der gesetzten Frist ein. Am Tage vorher (22. Juni 1961) langte bei Gericht ein am 21. Juni 1961, 23 Uhr 45, bei der Post aufgegebenes Telegramm ein, in dem es u. a. heißt, daß die vom Drittbeklagten seinem Rechtsanwalt ausgestellte Vollmacht soeben zur Post gegeben werde.
Das Erstgericht erließ am 13. Juli 1961 das Versäumungsurteil hinsichtlich des Drittbeklagten.
Das Berufungsgericht wies die Berufung des Drittbeklagten, in der geltend gemacht wurde, daß keine Versäumung vorliege, mit Beschluß zurück. Es stellte auf Grund der gepflogenen Erhebungen fest, daß die Vollmacht zwar noch am letzten Tage der Frist in den Postkasten eingeworfen worden sei, jedoch so spät, daß sie nicht mehr am gleichen Tage ausgehoben und demnach auch nicht mit dem Datumsstempel des 21. Juni 1961 versehen worden sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Drittbeklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Ansicht des Drittbeklagten, die Frist für die nachträgliche Vorlage der Vollmacht sei deshalb gewahrt, weil nicht der Zeitpunkt maßgebend sei, in dem die Vollmacht zur Post gegeben wurde, sondern der Zeitpunkt, in welchem dem Gerichte telegraphisch bekanntgegeben wurde, daß der Drittbeklagte seinem Rechtsanwalt Vollmacht erteilt habe, kann nicht beigepflichtet werden. Ein Bevollmächtigter, der entgegen der Vorschrift des § 30 ZPO. seine Bevollmächtigung nicht schon bei der ersten von ihm vorgenommenen Prozeßhandlung durch eine Urkunde dartut, muß, um die Versäumungsfolgen abzuwenden, die Vollmacht gemäß § 38 (2) ZPO. innerhalb der ihm hiezu gesetzten Frist nachbringen, also rechtzeitig vor Ablauf der Frist dem Gerichte vorlegen. Dies ist im vorliegenden Falle nicht geschehen, weil festgestellt wurde, daß die Vollmacht zwar noch am letzten Tage der Frist in den Postkasten eingeworfen wurde, jedoch so spät, daß sie nicht mehr am gleichen Tage aus dem Postkasten ausgehoben und mit dem Datumsstempel des letzten Tages der Frist versehen wurde. Durch die Übergabe zur Post gemäß § 89 (1) GOG. wird die Frist nur dann gewahrt, wenn diese Übergabe so rechtzeitig vorgenommen wird, daß die Sendung verläßlich noch mit dem Datumsstempel des letzten Tages der Frist versehen wird (PlB. v. 27. Juni 1899, JudB. 143). Daß der Drittbeklagte die Tatsache der Vollmachterteilung dem Gerichte noch am 21. Juni 1961 telegraphisch bekanntgegeben hat, vermag daran nichts zu ändern, weil seit der Aufhebung der Absätze 2 und 3 des § 60 Geo. durch den Verfassungsgerichtshof laut Kundmachung BGBl. Nr. 95/1954 telegraphische Eingaben nunmehr ausnahmslos noch innerhalb der für die Eingabe offenstehenden Frist mit Schriftsatz wiederholt werden müssen. Dadurch ist die im § 89
(2) GOG. eröffnete Möglichkeit, Eingaben telegraphisch anzubringen, praktisch bedeutungslos geworden (vgl. EvBl. 1959 Nr. 162, EvBl. 1961 Nr. 302, Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen II S. 527).
Das Berufungsgericht hat daher mit Recht die Berufung des Drittbeklagten, die sich nur darauf grundete, daß eine Versäumung nicht vorliege (§ 471 Z. 4 ZPO.), mit Beschluß zurückgewiesen (§ 473
(1) ZPO.).
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