OGH 6Ob79/62

OGH6Ob79/629.5.1962

SZ 35/47

Normen

ABGB §901
ABGB §901

 

Spruch:

Nur der Wegfall einer von beiden Parteien gemeinsam dem Vertragsabschluß unterstellten Voraussetzung kann als Wegfall der Geschäftsgrundlage gewertet werden.

Entscheidung vom 9. Mai 1962, 6 Ob 79/62.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die X-Gesellschaft ist ein Verband trustfreier Importeure von Erdöl bzw. Erdölprodukten, der bestrebt ist, durch den gemeinsamen Vertrieb von Qualitätsware den Konkurrenzkampf gegen die großen Erdöl- und Benzinkonzerne zu bestehen. Unter ständiger Kontrolle der Einhaltung seiner für die Qualitätserfordernisse aufgestellten Richtlinien, für welche auch die in den einzelnen Staaten gebildeten Kontrollgesellschaften herangezogen werden, bedient sich der Verband für diesen gemeinsamen Vertrieb einer eigenen Wort- und Bildmarke, eben der Marke "X" mit dem Propeller, die er an Interessenten in Lizenz vergibt. Diese Marke ist also weder eine Raffineriemarke noch nimmt sie sonst auf die Provenienz der in Vertrieb gebrachten Produkte Bezug, sondern stellt eine Vertriebsmarke dar, die dem Publikum für die Bereitstellung von Qualitätsware garantieren soll. Die Lizenznehmer sind beim Bezug der von ihnen zu vertreibenden Ware wohl gewissen Vorschriften unterworfen, welche die Einhaltung der Qualitätsnormen erleichtern sollen, bei der Wahl des Lieferanten innerhalb dieses Rahmens aber nicht weiter beschränkt. Hingegen schreibt der Verband vor, wie die äußere Aufmachung der von den Lizenznehmern zu beliefernden Tankstellen zu gestalten, wie für die Marke zu werben ist u. dgl. Zu den Lizenznehmern der X gehörte bis Ende 1960 auch die klagende Gesellschaft m. b. H., die am 17. März 1960 mit der Beklagten, einen Vertrag über die Errichtung und den Betrieb einer Tankstelle auf den dieser gehörigen Grundstücken abschloß. Die klagende Partei sollte dabei berechtigt sein, die Anlieferung von Treibstoffen und Ölen auf ihre Rechnung auch durch andere Firmen durchführen zu lassen. Nach § 6 des Vertrages durfte die Tankstelle nur mit jenen Aufschriften gestrichen werden, die den von der klagenden Partei vorgesehenen Marken entsprechen; letztere übernahm es auch, das nötige Reklamematerial und die Reklameeinrichtungen beizustellen, und hatte über Umfang und Anbringung der Reklame zu entscheiden. Schließlich wurde in diesem Vertragsabschnitt auch vereinbart, daß die Tankstelle nur mit den von der Klägerin vorgesehenen Markenbezeichnungen versehen werden dürfe, deren Festsetzung und Änderung ihr jederzeit vorbehalten bleibe.

Die Tankstelle wurde tatsächlich errichtet, wobei die klagende Partei jedenfalls die gesamten technischen Einrichtungen, die laut Vertrag ihr Eigentum bleiben sollten, beistellte; die Tankstelle wurde mit der Marke X versehen und in den X-Farben gestrichen; die Beklagte wurde von der klagenden Partei beliefert und bediente sich beim Verkauf an das Publikum der Marke X.

Im Laufe des Jahres 1960 erwarb die Y-Ges. m. b. H. einen Teil der Geschäftsanteile der klagenden Partei. Während letztere nun einerseits das Lizenzabkommen mit der X-Gesellschaft zum Jahresende 1960 zur Auflösung brachte, verständigte sie andererseits mit Rundschreiben vom 7. November 1960 ihre Stationäre, darunter auch die Beklagte, die Y-Ges. m. b. H. habe die "Gestion ihres Unternehmens" übernommen, weshalb die Tankstellen nunmehr mit den "hochwertigen Y-Treibstoffen" versorgt würden. In weiterer Folge wurde die Beklagte aufgefordert, ihre Tankstelle mit den Farben und der Marke der Y-Ges. m. b. H. zu versehen, doch weigerte sich diese, dem nachzukommen; sie erklärte vielmehr der klagenden Partei, den Vertrag vorzeitig aufzulösen, weil diese dem Willen eines anderen Unternehmens untergeordnet worden sei und sie selbst überdies durch das Abgehen von der Marke X in ihren Interessen verletzt werde. Die klagende Partei lehnte mit Schreiben vom 4. Jänner 1961 die Anerkennung einer Vertragsauflösung ab und verbot der Beklagten, Ware von anderen Lieferanten zu beziehen und unter einer anderen als der von ihr vorgeschriebenen Marke zu vertreiben. Die Beklagte führt die Tankstelle aber als X-Tankstelle weiter, wobei sie sich der seinerzeit von der klagenden Partei beigestellten technischen Einrichtungen bedient. Sie wird von einer X-lizenzierten Firma beliefert.

Im vorliegenden Prozeß belangte die klagende Partei die Beklagte auf Vertragszuhaltung (Ausstattung der Tankstellenbezeichnung mit der Marke und den Farben der Y-Ges. m. b. H., Unterlassung der Lagerung und des Vertriebes von anderweitig bezogener Ware), wobei sie u. a. auch vorbrachte, der jetzige Lieferant der Beklagten habe dieser eine höhere Provision zugesagt und auch das Prozeßkostenrisiko übernommen.

Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und sprach gemäß § 500 (2) ZPO. aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zunächst ist den Unterinstanzen darin beizupflichten, daß der Übergang von Geschäftsanteilen der klagenden Partei an die Y-Ges. m. b. H. nicht nur die Rechtspersönlichkeit der klagenden Partei als einer Gesellschaft m. b. H. unberührt ließ, sondern nach den von der Beklagten mit ihr getroffenen Vereinbarungen auch keinen Grund für eine Vertragsauflösung abgeben konnte. Nach den von den Unterinstanzen getroffenen Feststellungen wurde weder im Vertrag selbst vereinbart noch von den Vertragspartnern gemeinsam als Geschäftsgrundlage vorausgesetzt, die klagende Partei werde auf Vertragsdauer Lizenznehmerin der X-Gesellschaft bleiben und daher für die zwar auf dem Grund der Beklagten errichtete, aber doch mit den technischen Einrichtungen der klagenden Partei ausgestattete Tankstelle während der ganzen Vertragsdauer stets die Führung der Marke X und die Führung der X-Farben vorschreiben. Es war nicht feststellbar, daß die Beklagte eine solche Markenbildung zur Vertragsbedingung gemacht hätte. Selbst wenn sie selbst damit gerechnet hätte, sie werde auf Vertragsdauer von der klagenden Partei im Rahmen der X-Organisation beliefert werden, wäre für sie nichts gewonnen, weil nur der Wegfall einer von beiden Parteien gemeinsam dem Vertragsabschluß unterstellten Voraussetzung als Wegfall der Geschäftsgrundlage gewertet werden kann. Gewiß könnte die Erhebung des Bewegungsgrundes oder des Endzweckes zur Vertragsbedingung - obgleich im § 901 ABGB. in diesem Zusammenhang das Wort "ausdrücklich" gebraucht erscheint - nach Lehre und Judikatur auch konkludent (§ 863 ABGB.) erfolgen (vgl. dazu Gschnitzer in von Klang[2] zu § 901 ABGB. unter A II 1, ebenso 1 Ob 549/56, 6 Ob 63/60, 6 Ob 373/60 u. a.), es fehlt im vorliegenden Fall - abgesehen vom Schweigen der Beklagten selbst - aber doch jeder Anhaltspunkt, daß die klagende Partei eine solche Markenbindung auf Vertragsdauer hätte eingehen wollen. Zutreffend hat schon das Berufungsgericht darauf verwiesen, daß die klagende Partei selbst nach den Bestimmungen ihres Lizenzvertrages mit der X-Gesellschaft keineswegs davon ausgehen konnte, unter allen Umständen auf eine solche Zeitspanne hin Lizenznehmerin der X-Gesellschaft sein zu können. Ob nun die klagende Partei in diesem Lizenzvertrag bezüglich der Auflösungsmöglichkeiten anders behandelt wurde wie die X- Gesellschaft selbst, ist unerheblich; mit dem Hinweis darauf, daß auch die X-Gesellschaft der klagenden Partei kundigen konnte, ist dem Berufungsgericht keinesfalls eine Aktenwidrigkeit unterlaufen.

Warum das nun zwischen der klagenden Partei und der Y-Gesellschaft bestehende Organschaftverhältnis - wie sich beide Teile in ihren Schriftsätzen ausdrücken - die Vertrauensgrundlage des zwischen den Parteien begrundeten Gesellschaftsverhältnisses oder wenigstens gesellschaftlichen Verhältnisses bedroht oder gar vernichtet haben könnte, ist nicht zu sehen. Es ist nicht hervorgekommen, daß die Beklagte bei Vertragsabschluß besonderes Gewicht darauf gelegt hätte, wie die Willensbildung bei der klagenden Partei vor sich gehe bzw. wer die Eigentümer der Geschäftsanteile waren, von deren Willen die Bestellung der Gesellschaftsorgane abhing. Daß nun die "Gestion des Unternehmens" der klagenden Partei seitens der Y-Gesellschaft insofern nachteilig wäre, als letztere der Beklagten durch die klagende Partei minderwertige Ware liefern wollte, ist ebenfalls nicht hervorgekommen. Im Gegenteil, es steht sogar fest, daß die klagende Partei, ungeachtet der "Gestion" durch die Y-Gesellschaft Ware der gleichen Art wie früher liefern kann. Mit dem Markenwechsel allein - auch bei der Y-Gesellschaft handelt es sich offenbar um eine Vertriebsmarke - muß sich die Beklagte aber nach den Vertragsbestimmungen abfinden, und zwar auch dann, wenn er für sie mit gewissen Nachteilen (allenfalls Umsatzrückgang) verbunden sein sollte. Sie hat für die Übernahme dieses Risikos im Vertrag von der klagenden Partei immerhin die Tankstelle eingerichtet erhalten. Daß sie die Vorteile der X-Organisation genießen konnte, beruhte nicht darauf, daß sie selbst deren Mitglied oder deren Lizenznehmerin gewesen wäre, sondern lediglich mittelbar auf der Rechtsstellung, die sie durch ihren Tankstellenvertrag mit der klagenden Partei - also abgeleitet von deren eigenen Stellung als X-Lizenznehmerin - erhielt. Nach den Gepflogenheiten redlichen Verkehrs kann sie sich nicht die Vorteile dieser Geschäftsverbindung zuwenden bzw. diese Vorteile behalten, die Geschäftsverbindung aber selbst vereinbarungswidrig abbrechen wollen.

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