OGH 5Ob55/62

OGH5Ob55/6211.4.1962

SZ 35/45

Normen

ABGB §1320
ABGB §1320

 

Spruch:

Alle Miteigentümer einer Liegenschaft, die einen Hund zur Bewachung der von ihnen bewohnten Liegenschaft verwenden, sind als Tierhalter anzusehen.

Entscheidung vom 11. April 1962, 5 Ob 55/62.

I. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht gab dem Schadenersatzbegehren hinsichtlich des Erstbeklagten zur Gänze Folge, wies es aber hinsichtlich der Zweitbeklagten ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Beklagten seien je zur Hälfte Eigentümer des Hauses in B., Sportplatzpromenade 642, das sie auch gemeinsam mit ihren Kindern bewohnen. Der Erstbeklagte interessiere sich seit dem Jahre 1926 für Hunde, sei früher Tierschutzwart gewesen und habe durch Literaturstudium sowie durch Teilnahme an einem Dressierunterricht Kenntnisse der Hundehaltung erworben. Seit dem Jahre 1959 sei er als Werkschutzmann berufsmäßiger Hundeführer. Er sei zunächst Alleineigentümer einer reinrassigen Schäferhundin gewesen und habe nach dieser einen ihrer Nachkommen gehalten, der im Juli 1959 drei Jahre alt war. Der Erstbeklagte sei auch bezüglich der Hundesteuer als Alleineigentümer gemeldet und habe alle Hantierungen, wie Losmachen von der Kette und Wiederanhängen, Füttern und Tränken, allein besorgt. Der Hund sei in seinem Verhalten ganz auf den Erstbeklagten eingestellt, dann kämen die Buben und zuletzt die Zweitbeklagte, die dem Hund nur hin und wieder einen guten Brocken zugeworfen habe. Der Hund sei seit zwei Jahren als Wachhund an der Kette gehalten worden, sei ein scharfer Kettenhund und den Familienangehörigen als bissig bekannt gewesen. Er habe schon einmal seine Anhängevorrichtung abgerissen, um einer Katze nachzulaufen.

Am 29. Juli 1959 um etwa 17 Uhr wollte die Klägerin, begleitet von ihrer Tochter, die Lieferung von beim Erstbeklagten bestellten und beangabten Bachställen betreiben. Mangels Ortskenntnis haben sie ihren PKW in der Nähe des Hauses der Beklagten angehalten und vergeblich nach einer Glocke gesucht. Da sie durch ein Fenster die Söhne der Beklagten sahen, haben sie ohne Gewaltanwendung durch die unversperrte Gartentür den Garten betreten, wobei sie den Erstbeklagten gerufen haben. Der Hund sei nicht sichtbar gewesen, da er sich in seiner Hütte hinter dem Podest des Stiegenaufganges befunden habe. Eine Warnungstafel sei nicht angebracht gewesen.

Auf das Rufen der Frauen hin seien die beiden Söhne, der damals 13jährige Erwin und der 9jährige Josef, auf das Stiegenpodest herausgetreten und haben gesagt, daß ihre Eltern nicht zu Hause seien. Durch dieses Gespräch aufmerksam gemacht, sei der Hund aus seiner Hütte hervorgeschossen. Er habe zwar, da er angehängt war, die beiden Frauen nicht erreicht, habe aber gebellt und sei wild herumgesprungen. Der kleinere Bub habe ihn in die Hütte zurückgebracht und beide Söhne hätten dann die Frauen, da es stark regnete, aufgefordert, einzutreten. Plötzlich sei der Hund wieder hervorgesprungen, sei zuerst nicht näher herangekommen als vorher, auf einmal sei er aber frei gewesen, sei auf die Klägerin zugesprungen und habe sie zweimal in den linken Unterschenkel gebissen.

Die Art der Anhängevorrichtung des Hundes sowie die Art seiner Befestigung seien nicht mit Sicherheit feststellbar. Der Hund habe eine kurze leichte Kette um den Hals gehabt, an deren anderem Ende ein etwa 50 cm langes, kleinfingerstarkes Stück eines schwachen Strickes oder einer starken Schnur befestigt war. Es bestehe der dringende Verdacht, daß er mit diesem Behelf angehängt war. Die Behauptung der Beklagten, die kurze leichte Kette sei mittels eines Knebels mit einer langen schweren Kette verbunden und diese sei an der Hundehütte befestigt gewesen, sei nicht erwiesen.

Die am 14. Juni 1901 geborene Klägerin habe zwei Bißwunden erlitten, zu deren Heilung eine dem linken Oberschenkel entnommene Hautplastik nötig war. Sie sei vom 29. Juli bis 29. August 1959 in stationärer Behandlung des Arbeiterunfallkrankenhauses in Wien XII. gestanden und sodann bis 11. Dezember 1959 ambulatorisch nachbehandelt worden. Sie habe eine Woche starke, zwei Wochen mittelstarke, vier Wochen dauernde leichte und acht Wochen periodische leichte Schmerzen gelitten. Dauerfolgen seien Narbenbezirke sowohl am linken Unterals auch am linken Oberschenkel, die etwas eingesunken, blau verfärbt und von herabgesetzter Berührungsempfindlichkeit seien. Außerdem bestehe eine Schwellneigung im linken Knie sowie im linken Vorderfußbereich mit Belastungsschmerzen. An Transport- und Behandlungskosten habe sie 5.133.25 S aufgewendet, Kleider und sonstige Sachschäden betragen 821.75 S.

Im Strafverfahren sei der Erstbeklagte vom Strafantrag nach § 335 StG. freigesprochen worden.

In rechtlicher Beziehung erachtete das Erstgericht die Zweitbeklagte nicht als Tierhalterin, da sie keinerlei Gewalt über den Hund ausübte. Dies habe ausschließlich der Erstbeklagte getan. Daß die Zweitbeklagte Miteigentümerin der Liegenschaft war, sei zur Begründung ihrer Haftung nicht ausreichend.

Hingegen sei dem Erstbeklagten der Beweis der genügenden Verwahrung des nach seinen Eigenschaften einer besonderen Verwahrung bedürftigen Hundes nicht gelungen. Er sei daher schadenersatzpflichtig, wobei das begehrte Schmerzengeld von 17.300 S den ausgestandenen Schmerzen, den Dauerfolgen sowie der schweren Verunstaltung des linken Beines angemessen erscheine. Die Beträge für Heilungskosten und für Ersatz von Sachschäden seien unfallsbedingt und durch die gesellschaftliche Stellung der Klägerin gerechtfertigt. Notwendig und zweckmäßig seien schließlich auch die Kosten der Privatbeteiligung im Strafverfahren sowie die einer einstweiligen Verfügung.

Das Berufungsgericht gab weder der Berufung der Klägerin noch der des Erstbeklagten Folge.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht und der Revision des Erstbeklagten nur hinsichtlich der Höhe des der Klägerin zuerkannten Anspruches Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Tierhalter ist derjenige, der das Tier dauernd in der Gewahrsame hat und der die Herrschaft über das Tier ausübt, d. h. also, wer regelmäßig das entsprechende Verhalten des Tieres erzwingen kann. Diese Voraussetzungen treffen, wenn ein Grundstück im Eigentum zweier Personen, insbesondere von Eheleuten steht, welche auch dort wohnen und einen Hund zur Bewachung des Grundstückes verwenden, auf beide Miteigentümer des Grundstückes zu. Denn sie sind in der Lage, die Herrschaft über das Tier auszuüben, welches dem gemeinsamen Zwecke der Bewachung ihrer Wohnstätte dient. Der Umstand, daß nur einer der beiden Miteigentümer sich dauernd mit der Pflege und Beaufsichtigung des Hundes beschäftigt, ändert daran nichts, weil ja nach der Bestimmung des § 1320 ABGB. jeder Tierhalter befugt ist, eine andere Person, welche auch der Mittierhalter sein kann, mit der Beaufsichtigung des Tieres zu betrauen (vgl. etwa SZ. XIX 188, DREvBl. 1938 Nr. 313 und EvBl. 1956 Nr. 274).

Betraut ein Tierhalter eine andere Person mit der Verwahrung oder Beaufsichtigung eines Tieres, so haftet er für das Verschulden dieser Person, gleichgültig ob diese Person der Mittierhalter oder eine fremde Person ist, nur nach Maßgabe des § 1315 und nicht nach der Bestimmung des § 1313a ABGB. Dies ist abgesehen von der vereinzelten Entscheidung SZ. VI 147 und von der ebenso vereinzelten Lehrmeinung Wolffs in Klang[2] VI S. 112 in Lehre und Rechtsprechung unbestritten (siehe Ehrenzweig, System II/1, S. 676 - 677, SZ. XXVIII 89 und die anderen zahlreichen in der Manzschen Ausgabe des ABGB. bei § 1320 unter Z. 4 abgedruckten Entscheidungen).

Es kann nun bei der gegebenen Sachlage ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß die Zweitbeklagte ihren Ehegatten mit der Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes zwar nicht ausdrücklich, aber konkludent betraut hat, da es ja der Erstbeklagte war, der sich fast ausschließlich mit der Wartung und Beaufsichtigung des Tieres beschäftigte und hiezu auch eine besondere Neigung und Eignung an den Tag legte. Es kann auch ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Erstbeklagte, der seit dem Jahre 1926 für Hunde ein besonderes Interesse gezeigt hat, früher Tierschutzwart war und sich durch Literaturstudium sowie durch Teilnahme an einem Dressierunterricht Kenntnisse der Hundehaltung erworben hat und der überdies als Werkschutzmann berufsmäßiger Hundeführer ist, nicht als untüchtige Person im Sinne des § 1315 angesehen werden kann; daran ändert auch nichts, daß sich der Hund in einem einzigen Fall, durch eine Katze gereizt, losgerissen hatte, weil von einer Untüchtigkeit im Sinne des § 1315 ABGB. nur dann gesprochen werden kann, wenn ein habitueller Hang zur Mißachtung der Obliegenheiten vorliegt (siehe die bei Z. 12 zu § 1315 ABGB. in der Manz-Ausgabe des ABGB. abgedruckten Entscheidungen).

Die Zweitbeklagte konnte daher darauf vertrauen, daß der von ihr konkludent zum Besorgungsgehilfen bestellte und nicht untüchtige Erstbeklagte den Hund immer so verwahren werde, daß niemand zu Schaden kommt. Der ihr als Tierhalterin gemäß § 1320 ABGB. obliegende Beweis, daß sie für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes gesorgt hat, ist daher als erbracht anzusehen (SZ. XIX 188).

Daß ihr ein eigenes Verschulden zur Last falle, von dem sie durch die Betrauung des Erstbeklagten nicht exkulpiert wurde, etwa weil sie in Abwesenheit des Erstbeklagten einen Fehler der Verwahrung des Hundes wahrgenommen und nicht beseitigt hätte, wurde nicht behauptet und ist auch nicht hervorgekommen.

Es war daher der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben und das angefochtene Urteil hinsichtlich der Zweitbeklagten, wenn auch aus anderen Gründen, zu bestätigen.

Die Revision des Erstbeklagten ist zwar nicht hinsichtlich des Gründes des Klagsanspruches, wohl aber hinsichtlich seiner Höhe teilweise begrundet.

Gewiß muß die Verwahrung nicht jede Möglichkeit einer Beschädigung durch das Tier ausschließen, wohl aber erstreckt sich die Verwahrungspflicht nach ständiger Rechtsprechung auf jene Maßnahmen, die nach den bekannten oder doch erkennbaren Eigenschaften des Tieres erforderlich sind und nach der Verkehrsauffassung vernünftigerweise erwartet werden können (SZ. XXVII 8, XXV 60 und 278, ZVR. 1960 Nr. 164 u. v. a.).

Im vorliegenden Fall steht fest, daß es sich um einen scharfen Kettenhund gehandelt hat, dessen Bissigkeit dem Erstbeklagten bekannt war, und daß sich dieser Hund schon einmal von seiner Befestigung losgerissen hatte. Unter diesen Umständen war der Erstbeklagte verpflichtet, für eine Befestigungsart zu sorgen, die ein neuerliches Losreißen unmöglich machte. Den ihm als Tierhalter obliegenden Beweis, daß er dieser Verpflichtung nachgekommen sei, hat der Erstbeklagte nach den untergerichtlichen Feststellungen nicht erbracht. Das Klagebegehren ist daher ihm gegenüber dem Gründe nach berechtigt.

Seine Revision ist jedoch begrundet, soweit sie sich gegen die Höhe des zuerkannten Schmerzengeldes richtet.

Die Untergerichte haben zutreffend dargelegt, daß dieses global unter Berücksichtigung aller ausgestandenen Schmerzen, aber auch der Dauerfolgen, zu denen die durch die Verunstaltung hervorgerufenen Unlustgefühle gehören, zu bemessen ist. Bei Berücksichtigung all dieser Gesichtspunkte erscheint dem Obersten Gerichtshof ein Schmerzengeld von 10.000 S als angemessen, weshalb der Revision in diesem Ausmaß stattzugeben war.

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