OGH 1Ob484/61

OGH1Ob484/6113.12.1961

SZ 34/191

Normen

AnerbG §18
AnerbG §18

 

Spruch:

Zum Begriff "wesentliche Teile des Erbhofes" nach § 18 AnerbenG.

Entscheidung vom 13. Dezember 1961, 1 Ob 484/61.

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Der am 30. Mai 1960 verstorbene Franz K. war Alleineigentümer der Liegenschaft EZ. 8 KG. P. im Ausmaß von 14 ha 48 Ar 10 m2 sowie Hälfteeigentümer der Liegenschaft EZ. 395 KG. P. im Ausmaß von 29 Ar 23 m2. Da die Liegenschaft EZ. 8 KG. P. einen Erbhof im Sinne des Anerbengesetzes bildet, erhielt die erblasserische Witwe Maria K. gemäß § 4 Abs. 1 AnerbenG. den Erbhof um einen Übernahmspreis von 600.000 S einschließlich des lebenden und toten Inventars, der Vorräte und der zum Erbhof gehörigen Fahrnisse zugewiesen. Franz K. hinterließ außer seiner Gattin drei Kinder aus seiner ersten Ehe und zwei mj. Kinder aus der zweiten Ehe mit Maria K. Von den drei Kindern des Erblassers aus seiner ersten Ehe, Josefa M., Franz K. jun. und Hermann K., erhielt jedes einen Pflichtteil von 40.000 S, während den beiden mj. Kindern aus der zweiten Ehe des Erblassers je eine Erbteilsforderung von 138.975 S 54 g zusteht. Das Eigentumsrecht für Maria K. ist bei den obgenannten Liegenschaften bereits einverleibt.

Am 24. Mai 1961 beantragten Franz K. jun., Josefa M. und Hermann K. die Durchführung einer Nachtragserbteilung gemäß § 18 AnerbenG. mit der Begründung, daß die Anerbin vier Parzellen des Erbhofes verkauft habe. Es ergebe sich ein Mehrerlös von insgesamt 171.852 S, so daß die Pflichtteilsberechtigten noch je 13.638 S 90 g zu erhalten hätten. Auch die beiden mj. Kinder aus der zweiten Ehe des Erblassers beantragten aus demselben Grund durch ihren gesetzlichen Vertreter die Vornahme einer Nachtragserbteilung gemäß § 18 AnerbenG.

Das Erstgericht hat im Sinne der Anträge der Kinder des Erblassers aus erster und zweiter Ehe den Beschluß erlassen, daß gemäß § 18 AnerbenG. hinsichtlich der von der erblasserischen Witwe Maria K. nach dem ableben des Erblassers geschehenen Abverkäufe von Grundstücken, soweit diese aus der Verlaßmasse nach Tanz K. stammen, und des durch diese Abverkäufe gegenüber dem Schätzungsergebnis im Verlassenschaftsverfahren entstandenen Mehrerlöses eine Nachtragserbteilung vorzunehmen sei, weil die zuständige Bezirkskammer für Land- und Forstwirtschaft in ihrer Stellungnahme vom 12. August 1961 mitgeteilt habe, die Anerbin hätte durch den Abverkauf von Grundstücken im Ausmaß von 14.579 m2 um den Betrag von 235.000 S wesentliche Teile verkauft, so daß § 18 AnerbenG. auf jeden Fall anzuwenden sei. Der Ankauf eines Traktors durch die Anerbin liege zwar im Interesse der Wirtschaftsführung, doch sei dieser Ankauf zu einem Teil durch den Verkauf der Pferde und nicht wesentlich aus dem Erlös der Grundstücke gedeckt worden.

Infolge Rekurses der erblasserischen Witwe hob das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem nach Verfahrensergänzung die neuerliche Entscheidung auf. Nach dem Wortlaut des Gesetzes könne eine nachträgliche Erbteilung nur dann stattfinden, wenn der Anerbe den Erbhof zur Gänze oder wesentliche Teile hievon innerhalb von sechs Jahren nach Rechtskraft der Einantwortung veräußere. Das Rekursgericht sei der Auffassung, daß das Gutachten der Bezirkskammer für Land- und Forstwirtschaft, keine geeignete Grundlage für die Entscheidung der Frage bilde, ob die Voraussetzung des § 18 AnerbenG. gegeben sei oder nicht, weil sich dieses Gutachten nur mit der Höhe des Kaufpreises der abverkauften Parzellen befasse und daraus, den Schluß ziehe, "daß auf jeden Fall § 18 AnerbenG. zur Anwendung zu kommen hat, da die Anerbin wesentliche Teile verkauft hat". Die Frage, ob eine Nachtragserbteilung durchzuführen sei, habe das Gericht, nicht aber der Sachverständige zu beantworten. Nach dem Schätzungsgutachten im Verlassenschaftsverfahren betrage das Ausmaß der Liegenschaft 14 ha 48 Ar 10 m2, wovon 6 ha 47 Ar 44 m2 Acker, 1 ha 19 Ar 18 m2 Wiese und 5 ha 61 Ar 97 m2 Wald seien. Die Anerbin habe nun die Parzelle 1009 Acker mit einem Ausmaß von 78 Ar 81 m2, die Parzelle 923 Acker mit 71 Ar 40 m2 sowie die Parzelle 159/1 Wiese mit 13 Ar 95 m2 und die Parzelle 159/2 Wiese mit einem Ausmaß von 12 Ar 80 m2, somit insgesamt 1 ha 68 Ar 70 m2, verkauft. Rein flächenmäßig gesehen, könne nicht gesagt werden, daß es sich um wesentliche Teile des Erbhofes handle. Nur wenn es sich um besonders hochwertige Grundstücke handelte, die für den Erbhof wesentlich wären und bei deren Abverkauf dem landwirtschaftlichen Betrieb die Eigenschaft als Erbhof im Sinne des § 1 AnerbenG. nicht mehr zukäme, läge die Voraussetzung für die Vornahme einer Nachtragserbteilung vor. Zur Prüfung dieser Frage müsse das Verfahren ergänzt werden. Bei der Beurteilung eines Mehrerlöses seien auch die Aufwendungen zu berücksichtigen, die der Anerbe auf den Erbhof bereits gemacht habe. Aus den Akten ergebe sich, daß die Anerbin einen Traktor für den landwirtschaftlichen Betrieb anschaffe. Eine derartige Anschaffung sei bei Ermittlung des Mehrerlöses zu berücksichtigen, falls die intensive Bewirtschaftung des Erbhofes einen Traktor erfordere. Die Antragsteller hätten hiezu vorgebracht, daß der Traktor zum Teil aus dem Erlös des Verkaufes von zwei Pferden angeschafft worden sei. Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht zu klären haben, ob die Anerbin wesentliche Teile des Erbhofes verkauft habe, bejahendenfalls ob der von der Anerbin gekaufte Traktor für eine intensive Bewirtschaftung des Erbhofes erforderlich und aus welchen Mitteln er angeschafft worden sei. Erst dann werde entschieden werden können, ob eine Nachtragserbteilung stattzufinden habe oder nicht.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der erblasserischen Kinder aus der ersten Ehe und Noterben des Erblassers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rechtsmittelwerber machen geltend, daß die Anerbin vom Gesamtbesitz mehr als 10% der Gesamtfläche, von der Ackerfläche allein rund 25% und von der Wiesenfläche mehr als 20% verkauft und für sämtliche verkauften Grundstücke einen Kaufpreis von 185.000 S erzielt habe, während die Summe aller Grundstücke nur mit 569.132 S geschätzt worden sei, die verkauften Grundstücke also dem Preise nach rund 1/3 des Schätzwertes ausmachten, daher außerordentlich wertvolle Grundstücke gewesen sein müßten. Wie bei diesem Sachverhalt daran gezweifelt werden könne, daß es sich bei den Abverkäufen um wesentliche Teile des Erbhofes im Sinne des § 18 AnerbenG. handle, sei unverständlich. Die Anordnung des Nachlaßgerichtes, die Nachtragserbteilung einzuleiten, brauche sich damit, welche Summe den weichenden Erben nachzuzahlen sei, überhaupt noch nicht zu befassen; denn die Frage, ob für die Anschaffung des Traktors ein Abzug vom Mehrerlös gemacht werden könne, sei keine solche, die im Beschluß über die Anordnung der Nachtragserbteilung rechnerisch schon zu lösen sei. Keineswegs sei das Verfahren zur Anordnung der Nachtragserbteilung dazu bestimmt, die Möglichkeit der Abzugspost mit bindender Wirkung für die Parteien schon im vorhinein zu klären. Das Erstgericht hätte sich daher mit der bezüglichen Einwendung der Anerbin nur dann auseinanderzusetzen gehabt, wenn der Anschaffungspreis so hoch gewesen wäre, daß die Verfügbarkeit eines Mehrerlöses allem Anschein nach nicht festgestanden wäre. Dies sei aber schon deshalb nicht der Fall, weil der Traktor an Stelle der verkauften Pferde angeschafft worden sei und bei der Größe der abverkauften Grundstücke die Anschaffung des Traktors aus landwirtschaftlichen Erwägungen nicht mehr zu erklären sei.

Der Argumentation der Rechtsmittelwerber kann nicht beigestimmt werden, weil damit einerseits die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zum Teil mißverstanden werden, andererseits die gutachtliche Stellungnahme der Bezirkskammer für Land- und Forstwirtschaft zu Unrecht für eine ausreichende Grundlage angesehen wird, um die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen einer Nachtragserbteilung zu beantworten. Das Gesetz bestimmt, daß dann, wenn der Anerbe binnen sechs Jahren nach der Rechtskraft der Einantwortung auf einmal oder stückweise den ganzen Erbhof oder dessen wesentliche Teile verkauft, ein den inneren Wert des seinerzeitigen Übernahmspreises (§ 11) übersteigender Mehrerlös auf Antrag als nachträglich hervorgekommenes Verlassenschaftsvermögen zu behandeln und hierüber eine Nachtragserbteilung einzuleiten ist, wobei jedoch ein Mehrerlös erst dann vorliegt, wenn und soweit sich nach Hinzurechnung des Wertes allfälliger vom Anerben bewirkter Aufwendungen zum Übernahmspreis etwas erübrigt. Das Gesetz unterscheidet somit drei Fälle, die zur Nachtragserbteilung führen können, nämlich den Verkauf des ganzen Erbhofes a) auf einmal oder

b) stückweise, und c) den Verkauf dessen wesentlicher Teile. Im vorliegenden Falle kommt, wenn überhaupt, nur der dritte Fall in Betracht. Die erläuternden Bemerkungen (Nr. 76 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VIII. GP.) führen zu § 18 AnerbenG. aus: "Der Anerbe wird dadurch, daß er den Hof um einen besonders niedrigen Übernahmspreis bekommt, begünstigt. Es wäre nicht zu billigen, wenn er diese Begünstigung dadurch mißbräuchte, daß er den Erbhof in gewinnsüchtiger Absicht um einen hohen Preis veräußert. Dies ist der Grund, warum er den Mehrerlös für eine Nachtragserbteilung herauszugeben hat. Durch Ausdehnung dieser Anordnung auf einen allmählichen Abverkauf einzelner Teile des Erbhofes wird einer Umgehung der Nachtragserbteilung ein Riegel vorgeschoben. Von einem Mehrerlös über den seinerzeitigen Übernahmspreis kann erst dann gesprochen werden, wenn die inneren Wertverhältnisse berücksichtigt werden. Sonst könnte es geschehen, daß im Falle einer in der Zwischenzeit eingetretenen Geldentwertung die Miterben eine Nachtragserbteilung verlangen könnten, obwohl der Verkaufserlös im Verhältnis zu dem inneren Wert des seinerzeitigen Übernahmspreises geringer ist als dieser. Außerdem sind bei der Beurteilung eines Mehrerlöses auch die Aufwendungen zu berücksichtigen, die der Anerbe in der Zwischenzeit auf den Erbhof gemacht hat". Der Begriff der "wesentlichen Teile" des Erbhofes kommt an mehreren Stellen vor (§§ 7, 8, 9, 12 und 18 AnerbenG.). Dadurch, daß das Gesetz niemals "von" wesentlichen Teilen sagt, sondern immer nur von "dessen" wesentlichen Teilen spricht, drückt es aus, daß es sich nicht um irgendwelche Teile handelt, sondern um jene, die das Wesen des bisherigen Erbhofes ausmachen. In ähnlicher Weise spricht der § 11 Abs. 6 des Bundesgesetzes vom 21. März 1947, BGBl. Nr. 85, in der Fassung des Bundesgesetzes vom 8. Juli 1953, BGBl. Nr. 132, im Zusammenhang mit den früheren Erbhöfen von "allen Liegenschaften oder doch deren wesentlichem Bestand". Die erläuternden Bemerkungen dazu sagen, daß ein Verlust des wesentlichen Bestandes des Gutes insbesondere dann anzunehmen sein werde, wenn die zur Aufrechterhaltung des landwirtschaftlichen Betriebes unbedingt erforderlichen Bestandteile nicht mehr vorhanden sind. Unter den wesentlichen Bestandteilen des Erbhofes sind also jene Teile zu verstehen, die den Kern des Erbhofes ausmachen; hiebei ist vom Umfang und von der Art des Erbhofes im Einzelfall auszugehen (Edlbacher, Das Anerbengesetz, S. 41 Anm. 2 zu § 7).

Das Verlassenschaftsgericht hat vor allen wichtigen Entscheidungen die nach seinem Sitz örtlich bestimmte Landwirtschaftskammer oder zwei von dieser namhaft gemachte bäuerliche Sachverständige zu hören, um sich die nötigen Kenntnisse über die bäuerlichen Verhältnisse zu verschaffen. Auch bei der Feststellung des Mehrerlöses im Sinne des § 18 AnerbenG. sind die Landwirtschaftskammer oder die von dieser namhaft gemachten Sachverständigen zu hören. Das Wesen des § 19 AnerbenG. liegt in der Bestimmung des Beweismittels; es soll damit der Landwirtschaftskammer eine ähnliche Stellung eingeräumt werden, wie sie das Jugendamt in der Jugendwohlfahrtspflege hat. Gedacht ist an die für jedes Bundesland bestellte Landwirtschaftskammer (Edlbacher a. a. O. S. 74 Anm. zu § 19).

Das Erstgericht hat nicht die zuständige Landwirtschaftskammer, sondern die Bezirkskammer für Land- und Forstwirtschaft angehört. Am eingeholten Gutachten ist zu bemängeln, daß es den Gesamtverkaufspreis unrichtig wiedergibt, ohne nähere Begründung mit einem bloßen Hinweis auf Kulturgattung und Ausmaß der abverkauften Grundstücke sowie den Kaufpreis hiefür die Anwendbarkeit des § 18 AnerbenG. bejaht und dabei die Gutachterbefugnis überschreitet, indem es sich die Entscheidung einer Rechtsfrage anmaßt, die in die ausschließliche Kompetenz des Gerichtes fällt. Dem Rekursgericht ist darin beizupflichten, daß es bei den abverkauften Grundstücken rein flächenmäßig die Erfüllung des Begriffes "wesentliche Teile des Erbhofes" ablehnt. Bei Entscheidung dieser Frage wird sich das Erstgericht an dem oben aufgezeigten Maßstab zu orientieren und der Vorschrift des § 19 AnerbenG. zu entsprechen haben. Da ein Mehrerlös erst vorliegt, wenn und soweit sich nach Hinzurechnung des Wertes allfälliger vom Anerben bewirkter Aufwendungen zum Übernahmspreis etwas erübrigt, hängt die Beantwortung dieser Frage untrennbar mit der ersten insofern zusammen, als ein bloßer Mehrerlös noch nicht zu einer Nachtragserbteilung führen muß. Richtig ist indessen, daß bei Nichterfüllung der Voraussetzung des Verkaufes "wesentlicher Teile" des Erbhofes die Frage allfälliger zweckmäßiger und notwendiger Aufwendungen gar nicht aktuell wird. Ein Rechtsstreit wäre erst nach förmlicher Verweisung auf den Rechtsweg anzustrengen (Webhofer in JBl. 1958 S. 481).

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