OGH 6Ob435/61

OGH6Ob435/616.12.1961

SZ 34/186

Normen

ZPO §1
ZPO §1

 

Spruch:

Wesen der Sachlegitimation.

Entscheidung vom 6. Dezember 1961, 6 Ob 435/61.

I. Instanz: Bezirksgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz.

Text

Die Klägerin verlangt von der Beklagten 2186 S 70 g s. A. als Entgelt für die Verlegung von Fußbodenplatten und Plastikfliesen und für damit im Zusammenhang stehende Leistungen. Die Bemängelung der Unebenheit des Fußbodenbelages durch die Beklagte sei nicht gerechtfertigt, weil diese die Herstellung des Fußbodenbelages ohne Betonunterlage trotz Warnung verlangt habe.

Die Beklagte hat zugegeben, der Klägerin den Auftrag zur Herstellung des Fußbodenbelages erteilt zu haben, hat aber die von der Klägerin behauptete Warnung bestritten.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen und folgende Feststellungen getroffen: Sowohl der Vertreter der Firma I., der Lieferantin der Plastikfliesen an die Beklagte, als auch der Gatte der Klägerin, Rudolf P., hätten die mit ihnen namens der Beklagten verhandelnden Personen darauf hingewiesen, daß bei einer Hartfaserplattenunterlage der Fußboden nicht so schön ausfallen würde wie bei einem kompakten Betonunterboden, doch sei dies wegen des Preisunterschiedes in Kauf genommen worden. Die Verlegungsarbeiten seien sachgemäß ausgeführt. Der alleinige Grund für die Unebenheit des Bodens sei das Fehlen eines Betonunterbodens. Die Klägerin sei die Gewerbeberechtigte, ihr Gatte Rudolf P. sei aber zu 50% an ihrem im Handelsregister nicht eingetragenen Unternehmen beteiligt und führe dieses Unternehmen zusammen mit der Klägerin. Durch den Briefkopf "S. u. R. P." werde die gemeinsame Betriebsführung nach außen zum Ausdruck gebracht. Das Erstgericht beurteilte diesen festgestellten Sachverhalt in rechtlicher Beziehung dahin, daß zwischen der Klägerin und ihrem Gatten eine Gesellschaft bürgerlichen Rechtes vorliege. Deshalb sei die Klägerin allein zur Klage nicht legitimiert und könne insbesondere auch nicht etwa die Hälfte der Klageforderung geltend machen.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der Klägerin Folge gegeben und in Abänderung des erstgerichtlichen Urteiles im Sinne des Klagebegehrens erkannt. Die Geltendmachung des Mangels der Aktivlegitimation sei eine der Disposition der beklagten Partei vorbehaltene Einrede materiellen Rechtes. Die mangelnde Aktivlegitimation dürfe daher nicht von Amts wegen aufgegriffen, sondern nur auf Einrede der beklagten Partei beachtet werden. Da im Gegenstandsfall die Beklagte in erster Instanz nicht behauptet habe, daß die Klägerin nicht aktiv legitimiert sei, hätte das Erstgericht nicht auf diese Frage eingehen dürfen. Da nach den vom Erstgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen, die die Beklagte in ihrer Berufungsmitteilung nicht angefochten habe und die daher der Entscheidung des Berufungsgerichtes zugrunde zu legen seien, die Unebenheit des Fußbodens nicht auf eine fehlerhafte Arbeit der Klägerin zurückgehe, sondern darauf, daß die Beklagte entgegen dem fachmännischen Rat und trotz Warnung durch die Klägerin aus Sparsamkeitsgrunden die Herstellung einer Betonunterlage abgelehnt habe, sei die klagsgegenständliche Entgeltsforderung berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Was die Frage der Klagelegitimation anlangt, so erweist sich die unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung unternommene Bekämpfung des Berufungsurteiles in der Revision allerdings im Ergebnis nicht als begrundet.

Die Frage, ob der sogenannte Mangel der Sachlegitimation (der Aktiv- oder Passivlegitimation) von Amts wegen wahrzunehmen ist oder ob er nur auf Einrede der beklagten Partei wahrgenommen werden darf, kann in dieser allgemeinen Fassung weder bejaht noch verneint werden. Vorwegzunehmen ist, daß die sogenannte Sachlegitimation keine gesetzliche Kategorie, sondern ein in der Praxis herausgebildeter, aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung gewiß zweckmäßiger Begriff ist (Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, S. 334; für den deutschen Rechtsbereich ebenso Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. S. 193). Die Bestreitung der Sachlegitimation ist nichts anderes als die Bestreitung des materiellen Klageanspruches aus einem bestimmten Grund, nämlich die Bestreitung der subjektiven Voraussetzungen desselben, die Bestreitung der subjektiven Seite des streitigen Rechtsverhältnisses, die Bestreitung der materiellen Rechtszuständigkeit (Rosenberg a. a. O.). Die Einrede der mangelnden Sachlegitimation ist also nichts anderes als jede materiellrechtliche (meritorische) Abwehr des Klageanspruches, jede Sachabwehr - mit dem Inhalt daß dem Kläger gegen den Beklagten der Klageanspruch nicht zustehe. Diese Einrede wird nur durch ihre Begründung dahin differenziert, der Klageanspruch stehe dem Kläger gegen den Beklagten nicht zu, weil er einem anderen (im Fall des Mangels der Aktivlegitimation) oder gegen einen anderen (im Fall des Mangels der Passivlegitimation) zustehe (Wolff, Grundriß des österreichischen Zivilprozeßrechts, 2. Aufl. S. 119). In diesem Sinn ist die Frage der Sachlegitimation wie die Frage nach dem Zurechtbestehen des Klageanspruches überhaupt sowohl Tat- als auch Rechtsfrage. Für eine andere Behandlung der Frage der Sachlegitimation als der Prozeßhauptfrage nach dem Bestehen des Klageanspruches schlechthin bietet das Gesetz nicht die geringste Handhabe (Schima in der Anm. zu Rspr. 1937 Nr. 118 mit Entscheidungszitaten; Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, II S. 127 f. Anm. 41 und 42 vor § 1 ZPO.). Wenn sich daher bereits aus dem Klagevorbringen die mangelnde Sachlegitimation ergibt, ist das Klagebegehren auch ohne besondere, den Mangel der Sachlegitimation geltend machende Einrede abzuweisen (SZ. XXX 38). In der Bestreitung des Klageanspruches ist auch eine Bestreitung der Sachlegitimation gelegen (2 Ob 333/52). Werden die Tatsachenbehauptungen des Klägers zur Gänze bestritten, so erfaßt diese Bestreitung auch die Behauptung jener Tatsachen, die dartun sollen, daß der Anspruch gerade dem Kläger und gerade gegen den Beklagten zustehe. Da das Gericht an die Rechtsansicht der Parteien nicht gebunden ist, ist der Mangel der Sachlegitimation auch ohne ihn behauptende Einwendung dann zu beachten, wenn der Beklagte Tatsachen behauptet hat, aus denen sich bei richtiger rechtlicher Beurteilung der Mangel der Sachlegitimation ergibt (Rspr. 1937 Nr. 118). Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes, auch soweit er die Legitimationsfrage betrifft, ist somit der in dieser Hinsicht den Gegenstand einer Rechtsfrage bildende Mangel der Sachlegitimation von Amts wegen ohne ihn geltend machende Einwendung, und zwar auch in höherer Instanz, zu beachten. Dagegen fällt die Einwendung der mangelnden Sachlegitimation unter das Neuerungsverbot, wenn mit ihr neuer Tatsachenstoff berücksichtigt werden soll, wenn sie eine Erweiterung der bisherigen Tatsachengrundlage enthält (Schima und Fasching a. a. O.). Der sogenannte Mangel der Sachlegitimation (Aktiv- oder Passivlegitimation) ist also von Amts wegen zu beachten, wenn das - allenfalls durch richterliche Prozeßleitung gemäß § 182 ZPO. zu ergänzende (Schima a. a. O.) - Tatsachenvorbringen des Beklagten die Sachlegitimation in Frage stellt oder schon nach dem Vorbringen des Klägers oder nach dem festgestellten Sachverhalt die Legitimation nicht gegeben ist. In allen anderen Fällen bedarf es einer auf Tatsachenbehauptungen gestützten Einrede des Beklagten. Wurde in manchen Entscheidungen schlechthin ausgesprochen, daß der Mangel der Sachlegitimation nur auf Einwendung zu beachten sei, mag es sich hiebei (wie bei Rspr. 1937 Nr. 118) um Fälle gehandelt haben, bei denen die tatsächlichen Grundlagen der Sachlegitimation gemäß § 267 Abs. 1 ZPO. als zugestanden angesehen wurden.

Im Gegenstandsfall hat die Beklagte bei der Verhandlung vom 25. Oktober 1960 ausdrücklich zugestanden, der Klägerin den Auftrag zur Herstellung des Fußbodenbelages erteilt zu haben. Diese von der Klägerin behauptete Tatsache bedurfte daher gemäß § 266 Abs. 1 ZPO. keines weiteren Beweises. Ein Widerruf des Geständnisses ist nicht erfolgt, insbesondere auch in dem von der Beklagten gestellten, bei der durch die Klage eindeutig festgelegten Klägerrolle völlig unberechtigten, rein verfahrensrechtlichen Antrag, den Gatten der Klägerin als Partei zu vernehmen, nicht gelegen. Da die Feststellungen des Erstgerichtes hinsichtlich einer gemeinsamen Betriebsführung der Klägerin und ihres Gatten Rudolf P. nicht ausschließen, daß die Klägerin - wie unbestritten - das gegenständliche Geschäft mit der Beklagten alle in abgewickelt hat, war die Rechtsrüge der Klägerin in der Berufung berechtigt und dem Standpunkt des Berufungsgerichtes, das Erstgericht hätte ohne ein die Aktivlegitimation in Zweifel ziehendes tatsächliches Vorbringen der Beklagten nicht annehmen dürfen, der Auftrag sei nicht der Klägerin allein erteilt worden, im Ergebnis zu folgen. Daß die Klägerin (die überdies einer Bestreitung ihrer Legitimation im Sinne der Entscheidungen SZ. XXIV 158, 1 Ob 93/54, 1 Ob 195/55, 3 Ob 464/59, 5 Ob 201/61 u. a. durch Beibringung der Zustimmung ihres Gatten zur Prozeßführung hätte begegnen können) in ihrer Berufung bei Bekämpfung der Rechtsansicht des Erstgerichtes von der Annahme ausgegangen zu sein scheint, nicht sie habe die Bestellung erhalten, sondern eine offene Handelsgesellschaft, deren Forderung sie geltend machen könne, konnte ihr nicht schaden, da im Berufungsverfahren gemäß § 482 ZPO. Neuerungen unzulässig sind und eine Änderung der dem Ersturteil zugrunde liegenden Klage selbst mit Einwilligung der Beklagten durch § 483 Abs. 3 ZPO. verwehrt erscheint.

Dagegen ist der geltend gemachte Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens gegeben. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner neueren Rechtsprechung - abgesehen von der in dieser Hinsicht vereinzelt gebliebenen Entscheidung JBl. 1960 S. 127 - stets die Rechtsansicht ausgesprochen, daß die in erster Instanz siegreich gebliebene Partei nicht bei Vermeidung von Rechtsnachteilen verhalten ist, im Berufungsverfahren die erstgerichtliche, in ihrem Sinn ergangene Entscheidung nicht tragende, erstgerichtliche Tatsachenfeststellungen für den Fall zu bekämpfen, daß das Berufungsgericht eine Rechtsansicht vertritt, bei der diese Tatsachenfeststellungen für die Entscheidung wesentlich werden. Denn das Rechtsmittelsystem der Zivilprozeßordnung kennt keine Anschlußberufung, mit der die in erster Instanz siegreiche Partei ihr unrichtig erscheinende Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes bekämpfen könnte und bekämpfen müßte (SZ. XXVI 262 = JBl. 1954 S. 307, 2 Ob 555/53, 2 Ob 138/54, 2 Ob 71/55, 7 Ob 447/55, 3 Ob 90/56, 2 Ob 11/56, 3 Ob 225/56, 3 Ob 169/57, 7 Ob 364/57, 6 Ob 169, 170/59, 6 Ob 185/61, 2 Ob 440/61). Der Oberste Gerichtshof sieht sich nicht veranlaßt, im vorliegenden Fall von dieser Rechtsansicht abzugehen. Wenn das Berufungsgericht infolge einer von der rechtlichen Beurteilung der Sache durch das Erstgericht abweichenden rechtlichen Beurteilung dazu gelangt ist, für das erstgerichtliche Urteil unmaßgebliche erstrichterliche Feststellungen - nämlich die Feststellungen, daß die Unebenheit des Fußbodens nicht auf eine fehlerhafte Arbeit der Klägerin zurückgehe, sondern darauf, daß die Beklagte aus Sparsamkeitsgrunden entgegen dem fachmännischen Rat und trotz (ausreichender) Warnung durch die Klägerin die Herstellung einer Betonunterlage abgelehnt habe - als für die Entscheidung des Rechtsstreites maßgebend anzusehen, dann durfte es nach dem Ausgeführten nicht ohne weiteres diese erstrichterlichen Feststellungen, als von der Beklagten im Berufungsverfahren nicht bekämpft, seiner Entscheidung zugrunde legen. Es hätte vielmehr diese Feststellungen unter Berücksichtigung des im Zusammenhang mit ihnen stehenden Sach- und Beweisvorbringens der Beklagten in erster Instanz selbständig prüfen und entweder als unbedenklich übernehmen oder bei Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes zur Beweiswiederholung schreiten müssen (2 Ob 712/56, 6 Ob 2/59, 6 Ob 169, 170/59. 6 Ob 185/61 u. a.). Die Mängelrüge der Beklagten ist daher berechtigt; das angefochtene zweitgerichtliche Urteil war aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.

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