OGH 2Ob376/61

OGH2Ob376/6120.10.1961

SZ 34/153

Normen

ABGB §1009
ABGB §1299
ZPO §391 Abs2
ABGB §1009
ABGB §1299
ZPO §391 Abs2

 

Spruch:

Wurde eine Gegenforderung mit Widerklage geltend gemacht, dann ist die Fällung eines Teilurteils über die Gegenforderung auch dann möglich, wenn die Klage noch nicht zur Endentscheidung reif ist.

Zur Sorgfaltspflicht des beauftragten Rechtsanwaltes.

Entscheidung vom 20. Oktober 1961, 2 Ob 376/61.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Rechtsanwalt Dr. Alfons K. hatte über Lucie E., die Gattin bzw. Mutter der beiden Widerkläger, den Auftrag übernommen, sie in der Rückstellungsangelegenheit betreffend die Rückstellung der ihren zukommenden Anteile an dem seinerzeit arisierten Familienunternehmen des Ignaz F. zu vertreten. Er war in gleicher Weise auch von Anny D. beauftragt und bevollmächtigt, die Rückstellung der ihr zukommenden Anteile an dem arisierten Unternehmen des Ignaz F. durchzuführen. Dieses Familienunternehmen war nach der Entziehung mit einem dem Kommerzialrat St. entzogenen Unternehmen fusioniert worden.

Dr. Alfons K. brachte am 16. August 1957 gegen die Beklagten und Widerkläger eine Klage auf Zahlung seines Honorars im Betrage von 500.000 S ein; das Verfahren wurde nach seinem Tod von der Witwe und erbserklärten Erbin Irma K. fortgesetzt.

Die Beklagten in diesem Verfahren bestritten das Begehren auf Zahlung des Honorars dem Gründe und der Höhe nach und wendeten überdies eine Schadenersatzforderung von 825.179 S 19 g wegen mangelhafter Vertretung compensando ein; später zogen sie aber diese Einwendung zurück, um sie mit Widerklage geltend zu machen.

Am 7. April 1960 brachten die Widerkläger die gegenständliche Widerklage ein, in der sie die im Honorarforderungsprozeß compensando geltend gemachte Schadenersatzforderung von 825.179 S 19 g klageweise geltend machten. Die Widerklage wurde mit der Klage zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Das Erstgericht wies mit Teilurteil vom 12. Dezember 1960 das Schadenersatzbegehren der Widerkläger ab.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Teilurteil.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten und widerklagenden Parteien nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Soweit die Revisionswerber die Fällung eines Teilurteiles wegen Mangels der Voraussetzungen bekämpfen, ist ihnen entgegenzuhalten, daß mit der Geltendmachung des Anspruchs durch Widerklage der früher einredeweise geltend gemachte Aufrechnungsanspruch ein selbständiger Anspruch geworden ist; über ihn kann gemäß § 391 Abs. 2 ZPO. mit Teilurteil entschieden werden; sollten die in der Klage und Widerklage geltend gemachten Forderungen nicht gleichzeitig entscheidungsreif sein, kann - anders als im Fall der Aufrechnungseinrede - über die Gegenforderung früher entschieden werden als über die Klageforderung (Melichar, Die Geltendmachung von Gegenforderungen im österreichischen Zivilprozeß- und Exekutionsrecht, JBl. 1946 S. 56). Der Umstand, daß kein Beschluß auf Trennung der zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Sachen gefaßt wurde, steht dem ebensowenig entgegen wie die Tatsache, daß die mit Widerklage geltend gemachte Forderung auch wieder zum Gegenstand einer compensando-Einwendung der Revisionswerber im Honorarforderungsprozeß gemacht worden ist.

Auch die Rechtsrüge ist nicht begrundet.

Die Revisionswerber machen Rechtsanwalt Dr. Alfons K. unter Berufung auf § 1299 ABGB. zum Vorwurf, daß er die nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt außer acht gelassen und ihnen dadurch schweren Schaden zugefügt habe. Im einzelnen führen sie aus, er habe es unterlassen, in dem an Dr. S. als Vertreter des Kommerzialrates St. gerichteten Schreiben vom 3. Oktober 1953 zum Ausdruck zu bringen, daß ohne seine Zustimmung ein Vergleich nicht abgeschlossen werden dürfe; er habe es ferner unterlassen, sie von diesem Schreiben in Kenntnis zu setzen, obwohl er wissen mußte, daß durch das Zustandekommen einer Einigung zwischen Anny D. und Kommerzialrat St. ohne ihre Beteiligung ihre Rückstellungsansprüche in Frage gestellt wären. Dr. Alfons K. habe es schließlich unterlassen, sie - ungeachtet des im Wege der Luftpost übersendeten Schreibens vom 5. Februar 1954 - von dem Vorkaufsrecht, das ihnen von Anny D. eingeräumt worden sei, so rasch wie möglich fernmündlich oder fernschriftlich in Kenntnis zu setzen.

Diesen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten: Das Revisionsgericht vermag der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes nicht zu folgen, daß Dr. Alfons K. im Rahmen seines Mandates nur verpflichtet gewesen sei, die Interessen der Revisionswerber insoweit zu vertreten, als sie durch den Auftrag, die Rückstellungsansprüche durchzusetzen, bestimmt waren; für den Auftrag darf nicht allein der Wortlaut des Auftrages maßgebend sein, sondern die "erklärte Absicht" und der dem Beauftragten bekannte Zweck des Geschäftes. § 1009 ABGB. verpflichtet ihn daher, alle Mittel anzuwenden, die die Natur des Geschäftes notwendig erfordert und die im Einklang mit der Absicht des Geschäftsherrn stehen. Der Beauftragte haftet keinesfalls nur für die Sorgfalt, die er in eigenen Angelegenheiten anwendet; er haftet für jedes Verschulden, wobei es genügt, daß überhaupt die Möglichkeit eines schädlichen Erfolges von der Art des wirklich eingetretenen vorhersehbar war; es muß keineswegs der konkrete Verlauf, wie er in Wirklichkeit zum Schaden geführt hat, in allen seinen Einzelheiten vorhersehbar gewesen sein, es muß nur vorhersehbar gewesen sein, daß beim gewöhnlichen Lauf der Dinge der Schaden verursacht werden könne; ist durch Hinzutreten von Umständen, die außerhalb des gewöhnlichen Laufes der Dinge lagen, der Schaden eingetreten, so brauchen sie nicht vorhergesehen zu werden. Für den Mangel außergewöhnlicher Kenntnisse und außergewöhnlichen Fleißes wird auch vom Rechtsanwalt nicht gehaftet; auch von ihm können nur die Kenntnisse und der Fleiß verlangt werden, die seine Fachgenossen gewöhnlich haben (Wolff in Klang 2. Aufl. VI 48 und die dort angeführte Literatur und Rechtsprechung). An diesen Grundsätzen vermag der Umstand nichts zu ändern, daß der Beauftragte die Interessen anderer Personen gleichfalls zu vertreten hat. Aus dem gemeinsamen Auftrag erwächst für ihn als Anwalt nur die Verpflichtung, beide Auftraggeber mit gleicher Sorgfalt zu behandeln und vor Interessengefährdung zu bewahren.

Wird auch dieser strenge Maßstab, wie ihn § 1299 ABGB. für jede Tätigkeit eines Sachverständigen und damit auch eines Rechtsanwaltes fordert, an die beanstandeten Handlungen und Unterlassungen des Dr. Alfons K. angelegt, so kann dennoch ein Verschulden auf seiner Seite nicht gefunden werden. Aus dem Inhalt des Schreibens vom 3. Oktober 1953 ergibt sich deutlich genug, daß Dr. Alfons K. seine Zustimmung nur zu Fühlungnahmen und zu Besprechungen gab; eines den Interessen der Revisionswerber dienenden Vorbehaltes bedurfte es umso weniger, als dieses Schreiben, dessen Grund ausschließlich in rein standesrechtlichen Erwägungen lag, allein die Rechtssphäre der Anny D. betraf. Eine besondere Verständigung der Revisionswerber von diesem Schreiben war nicht notwendig, weil bei dem Umstand, daß schon vorher wiederholt Besprechungen und Fühlungnahmen solcher Art stattfanden, ein schädlicher Erfolg als Folge dieses Schreibens nicht vorhergesehen werden konnte. Das gleiche gilt von der unterbliebenen fernmündlichen oder fernschriftlichen Verständigung über das von Anny D. eingeräumte Vorkaufsrecht nach Zustandekommen der Einigung mit Kommerzialrat St.: die Möglichkeit irgendeines schädlichen Erfolges von der Art des wirklich eingetretenen Schadens war für Dr. Alfons K. zur Zeit der Unterlassung nicht vorhersehbar, und zwar umso weniger, als der vorzeitige Abschluß des Vergleiches zwischen Anny D. und Kommerzialrat St. außerhalb des zu erwartenden Laufes der Dinge lag. Aus der Abfassung des Schreibens vom 5. Februar 1954 und der Einhaltung des von der Anbotstellerin selbst vorgeschlagenen Weges der Verständigung der Revisionswerber "per Luftpost expreß" kann eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nicht abgeleitet werden, zumal jede andere Art der Verständigung - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - mit Risken verbunden gewesen wäre, die einem Anwalt aus Haftungsgrunden nicht zuzumuten sind.

Aus diesen Gründen ist der Schadenersatzanspruch der Revisionswerber von den Gerichten mit Recht abgewiesen worden; das angefochtene Urteil der zweiten Instanz war daher zu bestätigen.

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