OGH 1Ob354/61

OGH1Ob354/6113.9.1961

SZ 34/120

Normen

HGB §142
HGB §142

 

Spruch:

Zu den Voraussetzungen für die Geschäftsübernahme nach § 142 HGB.

Entscheidung vom 13. September 1961, 1 Ob 354/61.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Klägerin und der Erstbeklagte sind Komplementäre, die Zweitbeklagte ist Kommanditistin der am 7. April 1948 gegrundeten Kommandit-, Gesellschaft S. Sie sind Geschwister und haben das früher von ihrem Vater als Alleininhaber geführte Unternehmen, das sich mit der Erzeugung und dem Vertrieb von chemisch-hygienischen Produkten befaßt, nach dessen Tod übernommen. Es handelt sich also um einen Familienbetrieb. Die Zweitbeklagte lebt in Chile, kommt nur gelegentlich nach Wien und übt im Betrieb keine Tätigkeit aus. Die Klägerin verrichtet vereinbarungsgemäß hauptsächlich die buchhalterischen Arbeiten, der Erstbeklagte ist Chemiker, ihm obliegt hauptsächlich die Leitung des Erzeugungsbetriebes.

Die Klägerin begehrt den Ausschluß der beiden Beklagten aus der Gesellschaft und die Übernahme des Unternehmens ohne Liquidation durch sie, weil sich der Erstbeklagte verschiedene Verfehlungen gegen die Gesellschaft habe zuschulden kommen lassen, vor allem aber, weil er die Klägerin bei einer Auseinandersetzung täglich mißhandelt und verletzt habe. Die Zweitbeklagte habe sich geweigert, auf der Seite der Klägerin gegen den Erstbeklagten vorzugehen, und habe auch verschiedene Verfehlungen begangen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest, der Erstbeklagte habe sein Privatkonto um zirka 220.000 S, die Klägerin ihres um zirka 140.000 S überzogen. Dadurch sei das Unternehmen aber nie passiv geworden. Der Erstbeklagte habe es nicht entgegen seiner Verpflichtung aus dem Gesellschaftsvertrag unterlassen, neue Artikel zu schaffen, er habe vielmehr die Vertretung der Firma R. gebracht und das Produkt "L." entwickelt. Er habe die ihm zustehende Remuneration nicht auf 12 Monate aufgeteilt, sondern sie im November und Dezember 1958 auf zweimal behoben; die Klägerin habe aber selbst ihre gesamte Remuneration im Dezember 1958 behoben. Der Erstbeklagte habe Interesse für das Unternehmen gehabt und es nicht versäumt, die nötigen Investitionen vorzunehmen, wenn das auch zögernd erfolgt sei. Er habe sich zwar geweigert, den der Firma gehörigen PKW., der hauptsächlich von ihm benützt worden sei, zu verkaufen, weil er den Wagen aus Repräsentationsgrunden für notwendig gehalten habe. Die Haltung dieses Wagens habe aber die finanzielle Lage des Unternehmens nicht verschlechtert. Hinsichtlich des Vorfalles vom 27. November 1958, auf den sich die Klägerin hauptsächlich stützt, stellte das Erstgericht fest, es sei zwischen dem Erstbeklagten und der Klägerin zu einer Auseinandersetzung gekommen, weil die Klägerin dem Erstbeklagten den Garagenschlüssel entzogen habe. Bei dieser Auseinandersetzung habe sie ihn "Verbrecher", "Einbrecher" und "Ehebrecher" beschimpft. In seiner Empörung darüber habe sie der Erstbeklagte bei der Schulter gefaßt und einige Meter nach hinten gedrängt, wobei sie an einen Kistenstapel und einen Ofen angestoßen sei. Dadurch habe sie eine Thoraxprellung, Hautabschürfungen, Blutunterlaufungen und eine Prellung im Bereich des linken Kniegelenkes erlitten. Eine Absicht des Erstbeklagten, die Klägerin zu verletzen, sei aber nicht erweislich. Der Erstbeklagte sei gewöhnlich ein ruhiger Mensch und habe sich zu diesen Tätlichkeiten nur durch die Beschimpfungen, hinreißen lassen. Er habe sich drei Monate später wegen dieses Vorfalles bei der Klägerin entschuldigt.

Die Zweitbeklagte habe sich geweigert, auf der Seite der Klägerin gegen den Bruder vorzugehen und dessen Ausschluß aus der Gesellschaft zu begehren. Sie habe sich einmal in den Räumen des Unternehmens vor Angestellten geäußert, der Klägerin gehöre nicht einmal ein Löffelchen. Das sei dahin zu verstehen, daß die Zweitbeklagte sehr viele Barmittel in das Unternehmen gepumpt habe.

Das Erstgericht beurteilte diese festgestellten Verfehlungen nicht als so schwerwiegend, um das Klagebegehren zu rechtfertigen. Aber selbst wenn man diese Verfehlungen als Ausschließungsgrunde werten wollte, sei das Klagebegehren nicht gerechtfertigt, weil auch die Klägerin solche Gründe gesetzt habe. Sie könne daher nicht die Übernahme des Unternehmens, sondern nur dessen Auflösung verlangen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte auch die rechtliche Beurteilung. Eine Klage nach § 142 HGB. sei nur eine äußerste Maßnahme, wenn besonders schwere Verfehlungen vorlägen und bei beiderseitigen Verfehlungen die Verfehlungen des Klägers gegenüber den Verfehlungen des Beklagten unerheblich erschienen. Davon könne im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Die Tätlichkeiten des Erstbeklagten am 27. November 1958, die der Anlaß zur Klage gewesen seien, schieden als Übernahmsgrund aus, weil eine Wiederholungsgefahr nicht vorliege und sie durch das Verhalten der Klägerin provoziert worden seien. Die übrigen Verfehlungen seien weder im einzelnen noch in ihrer Gesamtheit geeignet, das Klagebegehren zu rechtfertigen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Obwohl § 142 HGB. von einer Zweimanngesellschaft spricht, kommen diese Bestimmungen auch hier zur Anwendung, weil von der Klägerin bei den beiden anderen Gesellschaftern Ausschließungsgrunde behauptet werden und im Falle ihres Ausschlusses die Gesellschaft unterginge. Es muß also auch in diesem Fall dem schuldlosen Gesellschafter die Übernahme des Unternehmens unter Ausschluß der Liquidation gewährt werden (3 Ob 38, 39/58, 1 Ob 340/54). Es kommen dann aber, wie bereits die Untergerichte zutreffend ausführten, die besonders strengen Voraussetzungen des § 142 HGB. zur Anwendung. Die Übernahme durch einen Gesellschafter soll nach herrschender Lehre und Rechtsprechung nur eine äußerste Notmaßnahme darstellen, um zu verhindern, daß der wirtschaftliche Wert, der im Unternehmen steckt, durch die Ausschließung der schuldigen Gesellschafter verlorengeht. Wenn sich aber beide Parteien etwas zuschulden kommen ließen, kommt in der Regel eine Ausschließung nicht in Betracht, sondern eine Auflösung der Gesellschaft, denn es kann nicht zu Lasten eines Gesellschafters oder einer Gesellschaftergruppe das Geschäft dem anderen erhalten werden (Schlegelberger - Geßler, HGB., 3. Aufl. § 140 Anm. 5, und außer den bereits von den Untergerichten zitierten Entscheidungen noch 2 Ob 33/61, 1 Ob 249, 250/61).

Die Klägerin bekämpft in ihrer Rechtsrüge unzulässigerweise die Beweiswürdigung, wenn sie entgegen den Feststellungen der Untergerichte davon ausgeht, der Erstbeklagte habe sie gewürgt. Aber selbst die Feststellung, der Erstbeklagte habe sie bei der Auseinandersetzung am 27. November 1958 nicht nur an der Schulter, sondern auch am Hals gepackt, rechtfertigt noch nicht die Feststellung, er habe sie gewürgt, weil das Würgen ein Zusammendrücken des Halses und nicht ein bloßes Anpacken voraussetzt. Die Verletzungen, die die Klägerin bei dieser Auseinandersetzung erlitt, haben die Untergerichte keineswegs übergangen. Das Erstgericht hat sie festgestellt, und das Berufungsgericht hat die Feststellungen übernommen. Wenn die Klägerin aber eine Absicht des Erstbeklagten, sie schwer zu verletzen, annimmt, setzt sie sich wieder mit den Feststellungen der Untergerichte in Widerspruch und bekämpft unzulässigerweise deren Beweiswürdigung.

Die Untergerichte haben den Vorfall vom 27. November 1958, auf den die Klägerin nach ihren eigenen Ausführungen das Klagebegehren in erster Linie stützt, zutreffend als nicht so schwerwiegend beurteilt, im die Voraussetzungen der §§ 133, 140 HGB. im Zusammenhang mit § 142 HGB. zu erfüllen. Dabei wurde zu Recht berücksichtigt, daß die Klägerin durch schwere Beschimpfungen den Erstbeklagten provoziert hat und daß es sich um Geschwister handelt.

Die übrigen von den Untergerichten festgestellten Verfehlungen der Beklagten können, wie selbst die Klägerin zubilligt, einzeln betrachtet nicht als Ausschließungsgrunde gewertet werden. Es ist den Untergerichten aber auch beizustimmen, daß diese Verfehlungen auch in ihrer Gesamtheit und im Zusammenhang mit dem oben genannten Vorfall nicht derart sind, um die Verfehlungen des Erstbeklagten gegenüber den Verfehlungen der Klägerin als so sehr überwiegend bezeichnen zu können, daß dagegen die Verfehlungen der Klägerin unerheblich erscheinen. Die Verweisung der Klägerin auf den Kommentar von Baumbach - Duden betrifft die Ausführungen zu § 133 HGB. über die Auflösung einer Gesellschaft. Im selben Kommentar wird aber zu § 140 HGB. ausgeführt, daß die Rechtsprechung an die Ausschließung eines Gesellschafters höhere Anforderungen stellt als an die Auflösung der Gesellschaft. Dabei sei eine Verwandtschaft der Gesellschafter für die Ausschließung erschwerend. Zu § 142 HGB. wird ausgeführt, daß die Übernahmsklage noch wichtigere Gründe verlange und hier noch mehr als im Falle des § 140 HGB. das Verhalten des Klägers abzuwägen sei. Es genüge nicht, daß bei Verfehlungen beider Teile die des Beklagten irgendwie überwiegen. Wenn die Klägerin in zehn Punkten Verfehlungen der Beklagten aufzählt, bekämpft sie wieder unzulässigerweise, die Beweiswürdigung der Untergerichte und geht zum Teil von anderen Feststellungen aus. Es sei hier auf die Gegenüberstellung der Verfehlungen der Klägerin und jener der Beklagten im Urteil des Erstgerichtes verwiesen.

Gegen die Zweitbeklagte machte die Klägerin ursprünglich nur geltend, sie habe sich der Klage gegen den Bruder nicht angeschlossen und das Vorgehen der Klägerin nicht gebilligt. Daß dieses Verhalten keinen Ausschließungsgrund darstellt, haben schon die Untergerichte zutreffend ausgeführt. Aber auch die weiteren, erst im Laufe des Rechtsstreites herangezogenen Tatbestände können weder im einzelnen noch in ihrer Gesamtheit als Ausschließungsgrunde gewertet werden.

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