OGH 2Ob239/61

OGH2Ob239/6116.6.1961

SZ 34/93

Normen

ABGB §1293
ZPO §393
ABGB §1293
ZPO §393

 

Spruch:

Handelt es sich um eine auf jeden Fall der Vorteilsausgleichung unterliegende Leistung des Sozialversicherungsträgers, dann ist die Berücksichtigung dieser Leistung eine reine Rechenaufgabe, die nur im Verfahren über die Höhe des Anspruches gelöst werden kann.

Entscheidung vom 16. Juni 1961, 2 Ob 239/61.

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Der Ehemann der Klägerin, Johann E., wurde am 12. Oktober 1957 kurz nach Mitternacht auf der Bundesstraße Nr. 1 zwischen W. und L. von einem vom Beklagten gelenkten, dessen ursprünglich mitbeklagter Gattin Edith H. gehörigen PKW. niedergestoßen und schwer verletzt; er verstarb am 14. Oktober 1957.

Die Klägerin begehrte vom Beklagten, weil er den Unfall verschuldet habe, und von seiner Gattin als Halterin des Wagens mit der Behauptung, sie sei "seinerzeit im Wagen mitgefahren", den Ersatz der ihr im Zusammenhang mit dem Begräbnis ihres Mannes erwachsenen Auslagen im Betrage von 11.350 S 50 g, ferner mit der Behauptung, Johann E. habe monatlich 1401 S verdient und es seien ihr durch seinen Tod monatlich 500 S entgangen, ab 1. November 1957 eine Monatsrente in dieser Höhe.

Der Beklagte beantragte durch seinen Abwesenheitskurator, die Klage abzuweisen. Er wendete ein, daß Johann E. den Unfall allein verschuldet habe, weil er in schwer betrunkenem Zustand versucht habe, den PKW. des Beklagten anzuhalten, und zu diesem Zweck plötzlich und für den Beklagten unvorhersehbar in die Fahrbahn getreten sei. Mit einem solchen Verhalten habe der Beklagte nicht rechnen können. Das Alleinverschulden des Johann E. ergebe sich auch aus der Tatsache, daß er auch an früheren Unfällen allein schuldig gewesen sei. Die bei früheren Unfällen entstandenen Schäden und nicht der Unfall vom 12. Oktober 1957 hätten den Tod des Johann E. verursacht. Die Ansprüche seien auch der Höhe nach nicht berechtigt.

Das Erstgericht wies mit End- und Zwischenurteil die Klage gegen Edith H. zur Gänze, gegenüber dem Beklagten hinsichtlich des gesamten Kapitalbetrages und einer Monatsrente von 375 S ab und sprach aus, daß der Anspruch auf Zahlung einer Monatsrente von 125 S ab 1. November 1957 dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es kam zu dem Ergebnis, daß der Beklagte den Wagen seiner Gattin gegen deren Willen benützt habe, daß der Kläger unmittelbar nach dem - nicht bestrittenen - Anprall an den Wagen mit schweren Verletzungen in einer Blutlache auf der Fahrbahn gelegen sei, daß sich der Ablauf des Unfalles nicht mit Sicherheit feststellen lasse, weshalb ein Verschulden des Beklagten nicht erkennbar sei. Er hafte jedoch gemäß § 7 Abs. 3 KraftfVerkG. an Stelle des Halters, da er - ebensowenig wie die Klägerin sein Verschulden - nicht beweisen könne, daß der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis, insbesondere das Verhalten des Verunglückten, verursacht worden sei und er selbst die nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt angewendet habe. Seine Haftung bestehe jedoch nur in dem durch § 12 KraftfVerkG. begrenzten Rahmen. Der Klägerin seien durch den Tod ihres Mannes 350 S monatlich entgangen. Auch unter Berücksichtigung eines Betrages von 6108 S, den sie als Abfindungsbetrag im Sinne des § 269 Abs. 2 ASVG. vom Sozialversicherungsträger erhalten habe, betrage ihr Schaden noch immer 125 S monatlich. Da daß Verfahren auf den Grund des Anspruches beschränkt worden sei, ein Endurteil somit die - nach Ansicht des Erstgerichtes nicht zweckmäßige - Wiedereröffnung des Verfahrens erfordert hätte, sei mit Zwischenurteil zu entscheiden gewesen, obwohl feststehe, daß der Klägerin eine Rente von 125 S monatlich gebühre.

Das Berufungsgericht bestätigte das nur vom Beklagten in Ansehung der Vorabentscheidung nach § 393 Abs. 1 ZPO. angefochtene Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige. Während es im übrigen den Erwägungen des Erstgerichtes folgte, mißbilligte es die von ihm angestellte Berechnung des Entganges der Klägerin. Bei dieser sei unter Bedachtnahme auf die Legalzession in Anwendung des § 12 KraftfVerkG. vom Kapitalsbetrag von 25.000 S die Leistung des Sozialversicherungsträgers abzuziehen und vom Restkapital die Höhe der 6%igen Jahres- und der entsprechenden Monatsrente zu berechnen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei teilweise Folge und sprach aus, daß der Anspruch der klagenden Partei gegenüber der beklagten Partei auf Zahlung einer monatlichen Rente ab 1. November 1957 für die mutmaßliche Dauer des Lebens des Johann E. dem Gründe nach zu Recht besteht.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Als rechtlich verfehlt bezeichnet es die Revision, daß das Berufungsgericht einerseits dem Beklagten die Beweislast für die Beobachtung der gebotenen Sorgfalt auferlege, andererseits aber nicht sagen könne, inwiefern der Beklagte diese Sorgfaltspflicht verletzt habe.

Bei der Verteilung der Beweislast hat das Berufungsgericht nicht geirrt. Zufolge § 7 Abs. 2 des mit Rücksicht auf den Unfallszeitpunkt anzuwendenden KraftfVerkG. wird die Ersatzpflicht durch ein unabwendbares Ereignis ausgeschlossen, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeuges noch auf einem Versagen seiner Verrichtungen beruht, wobei als unabwendbar ein Ereignis u.

a. dann gilt, wenn es auf das Verhalten des Verletzten zurückzuführen ist und Halter und Führer jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben. Der seine Ersatzpflicht (§ 7 Abs. 1 KraftfVerkG.) bestreitende Halter und ebenso der an seiner Stelle in dem in § 7 Abs. 3 KraftfVerkG. geregelten Fall zum Ersatz des Schadens verpflichtete Benützer hat daher zu beweisen, daß ein unabwendbares Ereignis vorliegt; er hat - im vorliegenden Fall - das Verhalten des Verletzten selbst und überdies die Beobachtung jeder nach den Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt zu beweisen. Erst damit ist das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses dargetan (vgl. EvBl. 1948 Nr. 170). Dem Beklagten ist schon der Beweis des Verhaltens des getöteten Johann E. nicht gelungen. Es erübrigte sich daher jede Prüfung in der Richtung der weiteren Voraussetzungen. Lediglich in Erwiderung auf die Ansicht der Revision, daß von einer Verletzung der gebotenen Sorgfalt - nur - bei einem Verstoß gegen Verkehrsvorschriften gesprochen werden könne, ist zu sagen, daß dies nicht zutrifft. Allerdings gehört zur Sorgfalt vor allem das Einhalten aller zur Ordnung des Kraftfahrzeugverkehrs und zum Schutz der durch den Kraftfahrzeugverkehr betroffenen Personen und Sachen erlassenen Vorschriften. Allein die gesetzlichen Vorschriften bieten nur Durchschnittsregeln für typische Fälle und reichen nicht für alle Einzelfälle aus. Daher muß der konkrete Fall an einem allgemeinen Diligenzmaßstab gemessen werden, wobei die Vorsicht eines sachkundigen, erfahrenen Fachmannes richtunggebend ist (Veit - Veit, Das Kraftfahrzeughaftpflichtrecht, 5. Aufl. S. 55 ff.). Der Hinweis der Revision auf die weniger strenge Haftung des Führers gegenüber dem Halter (§ 18 KraftfVerkG.) geht fehl, denn, wie schon erwähnt, kann sich der an Stelle des Halters haftende Schwarzfahrer von seiner Haftung nur durch den Entlastungsbeweis nach § 7 Abs. 2) KraftfVerkG. befreien; der Entlastungsbeweis nach § 18 Abs. 1 zweiter Satz dieses Gesetzes reicht nicht aus (vgl. die bei Veit - Veit a. a. O. S. 61 unter Nr. 4 angeführte Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofes).

Einen Rechtsirrtum erblickt die Revision auch in der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß das Erstgericht erst im Verfahren über die Höhe des klägerischen Rentenanspruches auch über die Vorteilsausgleichung abzusprechen haben werde. Sie verweist diesbezüglich auf die Veröffentlichung der Entscheidung JBl. 1959 S. 156, der u. a. der Rechtssatz vorangestellt ist, daß die Einrede der Vorteilsausgleichung den Anspruchsgrund betreffe und im Verfahren über die Anspruchshöhe nicht mehr erhoben werden könne. Dieser Rechtssatz stimmt mit der auch in der Lehre vertretenen Ansicht überein, doch kann hienach auch in jedem Fall die Einrede der Vorteilsausgleichung dem Nachverfahren über die Höhe vorbehalten werden (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 10. Aufl. S. 878 f.). Uneingeschränkt kann er nur dort gelten, wo die Frage, ob sich ein Vorteil überhaupt zur Ausgleichung eignet, strittig ist (z. B. freiwillige Zuwendungen, Ansprüche aus privaten Versicherungen u. dgl.). Handelt es sich jedoch - wie hier - um eine auf jeden Fall der Vorteilsausgleichung unterliegende Leistung des Sozialversicherungsträgers, dann ist die Berücksichtigung dieser Leistung eine reine Rechenaufgabe, die nur im Nachverfahren über die Höhe des Anspruches gelöst werden kann.

Der weitere mit der Rechtsrüge erhobene Einwand, es hätte im Sinne der in der Entscheidung SZ. XXVI 87 entwickelten Grundsätze der Gesamtschaden unter Zugrundelegung eines Mitschuldverhältnisses von 5 : 1 zu Lasten des Getöteten geteilt und von dem so ermittelten Betrag die Leistung des Sozialversicherungsträgers abgezogen werden müssen, geht angesichts des Umstandes, daß ein den Unfall mitverursachendes Verhalten des Johann E. nicht erwiesen wurde, ins Leere. Damit erledigt sich auch der Vorwurf, daß das Ausmaß des Mitverschuldens des Getöteten zu Unrecht im Spruch des Ersturteils keinen Ausdruck gefunden habe.

Berechtigung kann jedoch der Revision insofern nicht abgesprochen werden, als sie sich darüber beschwert, daß das Berufungsgericht das Zurechtbestehen des Rentenanspruches der Klägerin ohne zeitliche Begrenzung billigte. Der Beklagte hat in erster Instanz ganz allgemein eingewendet, daß die Ansprüche der Klägerin der Höhe nach nicht begrundet seien. Der Einwand, die Rente sei nicht auf unbestimmte Zeit zuzusprechen, kann jedenfalls als von dieser allgemeinen Wendung mitumfaßt angesehen werden, zumal auch die Dauer der Rentenleistung ein Element ihrer Höhe ist. Nun verpflichtet § 10 Abs. 2.KraftfVerkG. den Ersatzpflichtigen zum Ersatz von Unterhaltskosten, die der Getötete kraft Gesetzes hätte leisten müssen, nur insoweit, als dieser hiezu während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens verpflichtet gewesen wäre. Wenn also die Rente mit dem mutmaßlichen Tod des Unterhaltspflichtigen endet, dann muß auf jeden Fall geprüft werden, wie lange der Getötete voraussichtlich zur Gewährung des Unterhaltes verpflichtet gewesen wäre. Der Zuspruch einer Rente auf Lebensdauer aus dem Rechtsgrund des § 1327 ABGB. ist nicht zulässig. Vielmehr ist es Aufgabe des Gerichtes, die dem Unterhaltsberechtigten zustehende Rente genau auf jenen Zeitraum zu begrenzen, während dessen der Getötete mutmaßlich zum Unterhalt verpflichtet gewesen wäre (Wolff in Klang 2. Aufl. VI 150 f; Geigel a. a. O. S. 102). Dies umso mehr, als der Beklagte, wenn die Dauer der Rente nicht mit der mutmaßlichen Dauer der Unterhaltspflicht begrenzt würde, diesem Umstand nicht mehr in einer Feststellungs- oder Oppositionsklage geltend machen könnte (ZVR. 1958 Nr. 13). Dieser Auffassung entsprechend war der Revision teilweise Folge zu geben und der Spruch des Urteils der ersten Instanz entsprechend zu ändern. Die kalendermäßig festzusetzende zeitliche Begrenzung der Rentenleistung wird im Nachverfahren über die Höhe des Anspruches im Wege freier Beweiswürdigung auf Grund ergänzender Beweisaufnahme (Sachverständigengutachten) stattzufinden haben. Die Anführung eines Betrages im Zwischenurteil hatte zu entfallen, weil die ziffernmäßige Höhe der Rente noch nicht feststeht.

Hingegen kann sich der Revisionswerber über die Anführung des Betrages von 125 S im Ersturteil nicht mit Recht beschweren. Zwar hat das Berufungsgericht das Ersturteil im vollen Umfang bestätigt. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich jedoch, daß die Klägerin nach der vom Berufungsgericht für das Erstgericht bindend aufgezeigten, vom Revisionsgericht gebilligten Berechnungsmethode auf keinen Fall die Höchstrente von 125 S, sondern nur einen geringeren Betrag bekommen kann, so daß der Anführung des Betrages im Spruch des Ersturteils nicht die vom Erstgericht vermeinte Bedeutung, die Klägerin habe jedenfalls Anspruch auf die Vollrente, zukommt.

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