OGH 2Ob194/61

OGH2Ob194/6119.5.1961

SZ 34/82

Normen

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334

 

Spruch:

Die Übertretung von Schutzbestimmungen muß an sich noch keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334 Abs. 1 ASVG. begrunden.

Entscheidung vom 19. Mai 1961, 2 Ob 194/61.

I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Der im Wursterzeugungsbetrieb des Beklagten als Lehrling beschäftigte Gottfried G. erlitt am 30. April 1957 bei der Bedienung eines "Fleischwolfs" einen Arbeitsunfall (Abtrennung des rechten Unterarms). Die Klägerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung erbringt an den Verletzten Pflichtleistungen. Sie macht grobes Verschulden des Beklagten am Unfall ihres Versicherten geltend und begehrt vom Beklagten gemäß § 334 ASVG. Ersatz der bisherigen Aufwendungen in der Höhe von 15.284 S 50 g s. A. sowie die Feststellung, daß der Beklagte der Klägerin für ihre Pflichtaufwendungen an Gottfried G. wegen des Unfalls vom 30. April 1957 regreßpflichtig sei. Der Beklagte hat das Begehren dem Grund und der Höhe nach bestritten.

Das im Zusammenhange mit dem bezeichneten Unfall beim Bezirksgericht Judenburg gegen den Beklagten wegen Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG. eingeleitete Strafverfahren endete mit Freispruch von der Anklage gemäß § 259 Z. 3 StPO. Das Strafgericht war zum Ergebnis gekommen, daß der vom Verletzten bediente Fleischwolf nicht als gefährliche Zerkleinerungsmaschine zu bezeichnen sei; es habe ein Übermaß von Unvorsichtigkeit und Gedankenlosigkeit erfordert, mit der Hand in den Kanal der Maschine hineinzugreifen; es fehle das Moment der Voraussehbarkeit, da dem Lehrling bekannt gewesen sei, daß zum Nachstopfen von Fleisch ausschließlich der Stößel zu verwenden sei; der Lehrling habe ähnliche Arbeiten bereits wiederholt verrichtet; der Beklagte habe keinen Grund zur Annahme gehabt, daß sein Lehrling die primitivsten Gebote der Vorsicht außer acht lassen werde, um den Arbeitsprozeß zu beschleunigen.

Das Erstgericht hat die Verhandlung auf den Grund des Anspruchs eingeschränkt und mit Zwischenurteil entschieden, daß der Anspruch der Klägerin aus dem Arbeitsunfall des Gottfried G. vom 30. April 1957 gegenüber dem Beklagten dem Gründe nach zu Recht bestehe. Die Haftung des Beklagten nach § 334 ASVG. sei gegeben, da der Beklagte durch die Verwendung des erst 14 1/2jährigen Lehrjungen an dem durch eine Schutzvorrichtung nicht gesicherten Fleischwolf (einer zweifelsohne gefährlichen Maschine) den Arbeitsunfall des Versicherten grob fahrlässig verschuldet habe.

Der Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht Folge gegeben und in Abänderung des erstgerichtlichen Zwischenurteils das obbezeichnete Klagebegehren mit Endurteil abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das erstgerichtliche Verfahren für mängelfrei erachtet und die erstgerichtlichen Feststellungen als unbedenklich übernommen. Die Annahme eines unfallskausalen groben Verschuldens des Beklagten am Unfall seines Lehrlings sei nach den Umständen dieses Falles aber abzulehnen und demnach das Begehren nach § 334 ASVG. unbegrundet. Zwar habe der Beklagte durch die Verwendung des noch nicht 15 Jahre alten Lehrlings bei der Fleischzerkleinerungsmaschine die Jugendschutzbestimmungen verletzt. Es sei aber zu berücksichtigen, daß sich Gottfried G. in seiner viermonatigen Lehrzeit als sehr verläßlich gezeigt habe; die Verwendung des Holzstößels für das Zuführen von Fleisch in den 21 cm langen Einfüllkanal sei ihm ausdrücklich aufgetragen worden; eine solche Anordnung sei im Maschinenraum auch schriftlich angebracht gewesen; der erforderliche Holzstößel sei im Unfallszeitpunkt auf der Fleischschüssel zur Verwendung bereitgestanden. Eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten sei nicht anzunehmen; mit Rücksicht auf die Anstelligkeit und die bisherige gute Verwendbarkeit des Lehrlings habe der Beklagte nicht voraussehen können, daß Gottfried G. entgegen jeder Vernunft und unter Außerachtlassung jeder Vorsicht mit der Hand in den langen Einfüllkanal greifen und dabei bis zur Schnecke gelangen werde.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der rechtlichen Beurteilung ist von den Bestimmungen des § 334 Abs. 1 ASVG. auszugehen, wonach der Dienstgeber oder der diesem gemäß § 333 Abs. 4 ASVG. Gleichgestellte den Trägern der Sozialversicherung alle gesetzlich zu gewährenden Leistungen zu ersetzen hat, wenn er den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursacht hat. Bei einem minderen Grad des Verschuldens des Dienstgebers sind also solche Ersatzansprüche nicht gegeben (vgl. die erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage des ASVG., Nr. 599 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VII. GP., S. 100). Da der Vorsatz des Beklagten schon nach dem Prozeßvorbringen der Klägerin nicht in Betracht kommt, hängt demnach die Entscheidung von der Beantwortung der Frage ab, ob dem Beklagten grobe Fahrlässigkeit zur Last liegt. Das Berufungsgericht hat diese Frage verneint. Dagegen nimmt die Revisionswerberin Stellung und macht geltend, daß die bezeichnete Frage zu bejahen sei, weil der Beklagte eine Unfallverhütungsvorschrift in doppelter Hinsicht übertreten, nämlich "sowohl wider eine altersbedingte wie auch gegen eine ausbildungsmäßige Unfallverhütungsvorschrift" beharrlich verstoßen habe. Nun dürfen gemäß § 23 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1948, BGBl. Nr. 146, über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen in den im Anhang zu diesem Bundesgesetz (maßgebliche Fassung nach der Verordnung BGBl. Nr. 258/1954) angeführten Betrieben bzw. zu den dort angeführten Arbeiten Jugendliche nicht verwendet werden; Punkt 33 der bezogenen Verordnung verbietet bei der Erzeugung von Nahrungs- und Genußmitteln - unter anderem - die Bedienung und Wartung von Zerkleinerungsmaschinen durch Jugendliche bis zum vollendeten 17. Lebensjahr und erlaubt die Beschäftigung Jugendlicher nach vollendetem 16. Lebensjahr, wenn sie im letzten Lehrjahr stehen. Für den zur Unfallszeit erst im 15. Lebensjahr stehenden Lehrling Gottfried G. hat also im Sinne der vorinstanzlichen Ausführungen das Verbot der Bedienung des Fleischwolfs bestanden, das der Beklagte nicht beachtet hat. In der Übertretung der bezogenen Schutzbestimmungen an sich muß aber nach ständiger Praxis des Revisionsgerichtes (vgl. z. B. JBl. 1959 S. 211), von der abzugehen die Revisionsausführungen keinen Anlaß geben, noch keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334 Abs. 1 ASVG. gelegen sein; vielmehr muß diese Frage nach den Umständen des Einzelfalles gelöst und dabei berücksichtigt werden, daß nur eine ungewöhnliche, auffallende Vernachlässigung als grobe Fahrlässigkeit zu werten ist, sofern der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich vorhersehbar war. In diesem Punkt hat aber das Berufungsgericht im Hinblick auf die vorhergehende Verwendung des Lehrlings im Betrieb des Beklagten und auf die Anleitung bei der Bedienung der Maschine und deren Konstruktion überzeugend dargelegt, daß das Verhalten des Lehrlings bei Eintritt des Unfalls für den Beklagten nicht voraussehbar gewesen ist, wie bereits das Strafgericht in der Begründung des Freispruchs dargelegt hat. Das Revisionsgericht pflichtet dieser Beurteilung des Berufungsgerichtes bei und kommt damit gleichfalls zur Ablehnung der Annahme einer groben Fahrlässigkeit des Beklagten. Demnach ist die Haftung des Beklagten gemäß § 334 ASVG. nicht gegeben, und es erübrigt sich, auf die Eventualausführungen der Parteien im Revisionsverfahren einzugehen.

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