OGH 2Ob169/61

OGH2Ob169/6128.4.1961

SZ 34/68

Normen

ABGB §1311
ABGB §1315
Bauordnung für Niederösterreich §40
ABGB §1311
ABGB §1315
Bauordnung für Niederösterreich §40

 

Spruch:

Haftung eines Baumeisters bei Beistellung der Firmentafel zur Deckung von Pfuscharbeit für die Folgen eines Unfalles auf der Baustelle.

Entscheidung vom 28. April 1961, 2 Ob 169/61.

I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Nach den Feststellungen der Untergerichte war der bei der klagenden Partei versicherte Erich O. auf der Baustelle des Erstbeklagten in W. zur Errichtung einer Tankstelle in seiner Freizeit als Hilfsarbeiter beschäftigt. Er wurde am 1. Juni 1957, als er in einer Baugrube arbeitete, durch eine sich lösende Schotterschichte verschüttet und so schwer verletzt, daß er noch am selben Tag starb. Er hinterließ eine Witwe und zwei Waisen, für die die klagende Unfallversicherungsanstalt Leistungen erbringt. Mit der vorliegenden Klage stellte sie Ansprüche gegen den Erstbeklagten als Bauherrn und Dienstgeber des Verunglückten, gegen den Zweitbeklagten als bevollmächtigten Vertreter des Erstbeklagten und gegen den Drittbeklagten als beauftragten Baumeister zufolge seiner Zusammenarbeit mit den Erst- und Zweitbeklagten gemäß §§ 333 Abs. 4 Z. 1 und 334 ASVG.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung. Der Erstbeklagte wendete ein, daß er einen Architekten zur Planverfassung und den Drittbeklagten als Baumeister zur Ausführung des Baues beigezogen habe und alle Vorkehrungen zur Sicherung der Baustelle vorgenommen worden seien. Das Abrutschen der Schotterschichte sei nicht vorhersehbar gewesen. Er sei im Strafverfahren freigesprochen worden. Gegen den Drittbeklagten sei das Strafverfahren eingestellt worden. Der Drittbeklagte bestritt überhaupt, mit der Baustelle und der Bauführung etwas zu tun gehabt zu haben. Der Drittbeklagte wendete ein, daß er nur mit der Betonierung und den Bauarbeiten betraut worden sei und daß der Erstbeklagte die Erdarbeiten, bei denen sich der Unfall ereignet habe, einer anderen Baufirma in Auftrag gegeben und sie auch zum Teil in eigener Regie durchgeführt habe. Der Unfall habe sich zu einer Zeit ereignet, in der in seinem Betrieb überhaupt nicht gearbeitet worden sei.

Das Erstgericht entschied mit Zwischenurteil, daß das Begehren der klagenden Partei, ihr die Aufwendungen für die Witwe und die Waisen insoweit zu ersetzen, als diese Aufwendungen im Verdienst des Verunglückten Erich O. Deckung fänden, gegenüber dem Erst- und dem Zweitbeklagten zu Recht bestehe. Das Klagebegehren bezüglich des Drittbeklagten wurde mit Endurteil abgewiesen.

Das Erstgericht ging davon aus, daß der Erstbeklagte Dienstgeber des Verunglückten und der Zweitbeklagte bevollmächtigter Vertreter des Erstbeklagten an der Baustelle gewesen sei. Die Unterlassung der Pölzung der Südwand der Baugrube, in der sich der Unfall ereignete, stellte eine grobe Fahrlässigkeit dar, die die beiden Beklagten zu verantworten hätten. Der Drittbeklagte sei weder Dienstgeber des Verunglückten noch dessen Bevollmächtigter im Sinne des § 333 Abs. 4 Z. 1 ASVG. gewesen. Er habe mit den Erdarbeiten nichts zu tun gehabt. Es treffe ihn kein Verschulden und daher auch keine Haftung im Sinne der §§ 1315 und 1327 ABGB.

Das Berufungsgericht wies die Berufung der Erst- und Zweitbeklagten insoweit zurück, als sie eine Entscheidung über die Mithaftung des Drittbeklagten begehrten, und gab ihr im übrigen nicht Folge. Es gab dagegen der Berufung der klagenden Partei Folge und änderte das Zwischenurteil dahin ab, daß die Beschränkung auf den Deckungsfonds zu entfallen habe. Soweit das Klagebegehren gegen den Drittbeklagten abgewiesen worden war, hob es das erstgerichtliche Urteil mit Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte bezüglich des Erst- und des Zweitbeklagten auch die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Erstgericht.

Bezüglich des Drittbeklagten verneinte es zwar eine Haftung nach § 334 ASVG. als Dienstgeber des Verunglückten oder Bevollmächtigter des Erstbeklagten sowie als Nebenunternehmer oder zufolge der Eingliederung des Verunglückten in seinen Betrieb, nahm jedoch den Standpunkt ein, daß das Klagebegehren ihm gegenüber auch auf § 332 ASVG. gestützt sei. Seine Haftung sei in dieser Richtung gegeben, wenn er den Tod des Erich O. mitverschuldet habe. Ein solches Mitverschulden könnte sich dann ergeben, wenn feststunde, daß der Unfall nicht eingetreten wäre, wenn der Erstbeklagte mit den Erdarbeiten einen befugten Baugewerbetreibenden beauftragt hätte. Die Durchführung der Arbeiten durch den Erstbeklagten könnte nur deshalb möglich gewesen sein, weil sie der Drittbeklagte nach außen hin gewerberechtlich gedeckt habe. In dieser Hinsicht seien noch Feststellungen erforderlich. Für den Fall der Mithaftung des Drittbeklagten sei auch die Frage des Mitverschuldens des Verunglückten und die Beschränkung seiner Haftung auf den Deckungsfonds wesentlich.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wurde vom Erst- und vom Zweitbeklagten nicht angefochten, so daß die Entscheidung in diesem Umfang in Rechtskraft erwachsen ist.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der drittbeklagten Partei gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Drittbeklagte ist der Meinung, aus den vom Erstgericht festgestellten Tatsachen sei die Entscheidung möglich, daß ihn ein Verschulden am Tod des Erich O. nicht treffe. Er geht davon aus, daß auch bei Durchführung der Erdarbeiten unter der verantwortlichen Leitung eines befugten Baugewerbeberechtigten unter denselben Bedingungen, nämlich bei Pfuscharbeiten außerhalb der regulären Arbeitszeit der Baufirma, der Unfall eingetreten wäre.

Darin kann ihm nicht gefolgt werden. Es ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, ob die sogenannten Pfuscharbeiten während der regulären Arbeitszeit seines Betriebes oder außerhalb dieser Zeit durchgeführt wurden. Wenn es richtig ist - was noch festzustellen sein wird -, daß der Drittbeklagte von der Durchführung solcher Arbeiten an der Baustelle Kenntnis hatte und daß er diese Arbeiten durch die an der Baustelle angebrachte Firmentafel und somit durch seine Gewerbeberechtigung gedeckt, sich aber während dieser Arbeiten nicht darum gekümmert hat, ob die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen für die Arbeiter getroffen wurden, dann hätte er sich an der Unterlassung der Pölzung der Baugrube, in der sich der Unfall am 1. Juni 1957 ereignet hat, mitschuldig gemacht. Er hätte durch die Deckung solcher arbeiten nach außen hin dem Erstbeklagten als Bauherrn die Möglichkeit geschaffen, diese arbeiten ohne einen gewerbeberechtigten Fachmann durchzuführen, und er hätte dann dessen schuldhafte Handlungen und Unterlassungen, die zum Unfall geführt haben, mitverschuldet. In diesem Zusammenhang soll noch auf die Parteienaussage des Drittbeklagten hingewiesen werden, bei der er zugegeben hat, daß er allein gegenüber der Baubehörde als Bauführer namhaft gemacht worden sei, von den Pfuscharbeiten an der Baustelle Kenntnis gehabt und diese stillschweigend geduldet habe. Diese Angaben des Drittbeklagten werden noch einer Würdigung zu unterziehen sein, und es werden im Zusammenhang mit den anderen bereits aufgenommenen und allenfalls noch aufzunehmenden Beweisen die erforderlichen Feststellungen zu treffen sein.

Der Hinweis des Drittbeklagten in seinem Rekurs, daß auch ein anderer befugter Gewerbetreibender nichts anderes machen hätte können, als Pfuscharbeiten außerhalb der regulären Arbeitszeit zu untersagen, ist nicht überzeugend. In einem solchen Fall hätte der Bauführer sein Verbot überwachen und beim geringsten Verstoß dagegen seinen auftrag zurücklegen müssen. Nur auf diese Weise könnte er sich der Mithaftung für einen Unfall entziehen, der sich bei den von ihm geduldeten Pfuscharbeiten ereignet hat, bei denen die erforderliche Sicherung der Baustelle unterlassen wurde. So hat sich der Drittbeklagte offenbar nicht verhalten. Nach seinen eigenen Angaben könnte angenommen werden, daß er die Pfuscharbeiten stillschweigend geduldet und durch die Belassung seiner Firmentafel an der Baustelle nach außenhin gedeckt habe. In dieser Richtung werden noch genaue Feststellungen zu treffen sein.

Zu der Zeit, als sich der Unfall ereignete, war die mit den Erdarbeiten beauftragte Baufirma an der Baustelle nicht mehr beschäftigt. Es steht fest, daß der Erstbeklagte die sogenannten Nachputzarbeiten in der bereits von der Baufirma ausgehobenen Baugrube in eigener Regie durch die von ihm aufgenommenen Arbeitskräfte durchführen ließ und daß auch der vom Drittbeklagten für die Betonarbeiten beigestellte Arbeiter S. außerhalb der regulären Arbeitszeit Betonarbeiten durchführen sollte. Der Drittbeklagte kann sich daher nicht damit entschuldigen, daß für die Erdarbeiten nicht er, sondern eine andere Baufirma verantwortlich gewesen sei. Er kann sich auch nicht damit entlasten, daß er auf die Vergebung der Erdarbeiten an eine andere Baufirma durch den Erstbeklagten keinen Einfluß nehmen konnte. Es steht fest, daß die Arbeiten, bei denen sich der Unfall ereignet hat, nicht von einer hiezu befugten Baufirma, sondern vom Erstbeklagten in eigener Regie mit den von ihm eingestellten Arbeitern vorgenommen wurden. Falls der Drittbeklagte diese Arbeiten durch seine Gewerbeberechtigung nach außenhin gedeckt haben sollte, wäre auch er für die Übertretung der Bestimmung des § 40 nö. BauO. durch den Erstbeklagten mitverantwortlich.

Wie weit ein Kausalzusammenhang zwischen einem schuldhaften Verhalten oder Unterlassen des Drittbeklagten und dem Unfallsgeschehen durch ein Eingreifen des Erstbeklagten unterbrochen wurde, wie der Drittbeklagte behauptet, wird erst beurteilt werden können, bis der gesamte für die rechtliche Beurteilung der Sache notwendige Sachverhalt feststeht.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte