Spruch:
Die Abhaltung von Kursen durch die Landwirtschaftskammer ist eine Tätigkeit "in Vollziehung der Gesetze". Kein Schadenersatzanspruch gegen einen Kraftwagenlenker der Landwirtschaftskammer für Unfall der Kursteilnehmer im Rahmen des Kurses.
Entscheidung vom 16. September 1960, 2 Ob 208/60.
I. Instanz: Bezirksgericht Leibnitz; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Am 21. Juni 1958 wurde der Kläger bei einem Verkehrsunfall als Insasse eines vom Beklagten gelenkten Kraftfahrzeuges verletzt. Der Kläger begehrt aus diesem Anlaß vom Beklagten Ersatz für seinen Verdienstentgang sowie ein Schmerzengeld. Der Beklagte hat u. a. vorgebracht, er habe die gegenständliche Fahrt mit dem Dienstwagen der Bezirkskammer für Land- und Forstwirtschaft in L. auf dienstliche Anordnung unternommen.
Das Erstgericht wies nach Aufnahme von Beweisen über diesen Umstand die Klage unter gleichzeitiger Nichtigerklärung des Verfahrens zurück. Es stellte im wesentlichen fest:
Der Beklagte sei Beamter der steiermärkischen Landesregierung und der Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft zur Dienstleistung in der Bezirkskammer L. zugewiesen. Am 21. Juni 1958 sei im Rahmen der Schulung von Jungbauern die Besichtigung einer Versuchsanlage bei der M.-Gutsverwaltung in F. vorgesehen gewesen. Da der Schulungsleiter Ing. H. mit seinem Dienstwagen nicht alle Teilnehmer habe mitnehmen können, habe er den Sekretär der Bezirkskammer für Land- und Forstwirtschaft in L., Ing. A., ersucht, den Dienstwagen der Bezirkskammer mit dem Beklagten als Fahrer zur Verfügung zu stellen. Der Bezirkskammersekretär habe den Beklagten beauftragt, die übrigem Teilnehmer mit dem Dienstwagen zu führen. Auf der Fahrt nach F. habe sich der Unfall ereignet.
Der Erstrichter beurteilte diesen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht dahin, daß der Beklagte den Schaden als Organ einer Körperschaft öffentlichen Rechtes in Vollziehung des Gesetzes verursacht habe. Es sei daher der Rechtsweg für die Geltendmachung des Schadenersatzanspruches gegen ihn auf Grund des § 9 Abs. 5 AmtshaftungsG. ausgeschlossen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge und hob den erstrichterlichem Beschluß unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es ging gleichfalls davon aus, daß der Beklagte für die Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft in Steiermark tätig geworden sei, die gemäß § 1 des Landesgesetzes vom 20. Februar 1929, LGBl. Nr. 57 (Bauernkammergesetz), in der Fassung des Gesetzes vom 8. Juni 1949, LGBl. Nr. 41, eine Körperschaft öffentlichen Rechtes sei; in ihren Wirkungskreis falle gemäß § 4 des genannten Gesetzes auch die Beratung und Führung der Land- und Forstwirte, wie sie im vorliegenden Fall vorgenommen worden sei. Als Organhandlung im Sinn des § 1 AmtshaftungsG. habe jedenfalls all das zu gelten, was ein Organ auf Grund eines Auftrages seines Vorgesetzten tue. Die "Frage der Auftragerteilung" sei aber noch nicht genügend geklärt. Da die Vernehmung des Bezirkskammersekretärs Ing. A., der dem Beklagten den Auftrag zur Ausführung der Fahrt mit dem Dienstauto erteilt haben soll, nicht beantragt worden sei, hätten die Streitteile, deren Vernehmung beantragt worden sei, darüber gehört werden müsse.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten Folge, hob das Verfahren ab Klagezustellung, als nichtig auf und wies die Klage zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Unbestritten ist, daß der Beklagte der Kammer für Land- und Forstwirtschaft, also einer Körperschaft öffentlichem Rechtes im Sinne des § 1 AmtshaftungsG., zur Dienstleistung zugewiesen war. Im Zweifel sind alle Verrichtungen des Organes, die der ihm zugewiesene Geschäftskreis gewöhnlich mit sich bringt, dem Rechtsträger zuzurechnen. Dagegen würde aus dem zugewiesenen Geschäftsbereich herausfallen und infolgedessen den Rechtsträger nicht verpflichten, wenn das Organ z. B. mit dem vom Rechtsträger gehaltenen Personenkraftwagen, der gewöhnlich zu dienstlichen Fahrten verwendet wird, eine private Vergnügungsfahrt unternimmt (vgl. Loebenstein - Kaniak, Kommentar zum Amtshaftungsgesetz, S. 48 f.). Daß der Beklagte mit dem Dienstauto der Bezirkskammer L. gefahren ist, nachdem der Schulungsleiter Ing. H. den Bezirkskammersekretär Ing. A. um die Zurverfügungstellung des Fahrzeuges unter Beistellung des Beklagten als Fahrers ersucht hatte, ist nicht bestritten und auch vom Rekursgericht nicht bezweifelt worden. Daß etwa der Beklagte den Dienstwagen eigenmächtig und ohne Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit in Betrieb genommen habe, wurde gar nicht behauptet. Es kann demnach, ohne daß es einer weiteren Klärung bedarf, davon ausgegangen werden, daß der Beklagte die Fahrt mit dem Dienstwagen in seiner Eigenschaft als Bediensteter eines Rechtsträgers im Sinne des § 1 AmtshaftungsG. unternommen hat.
Entscheidend ist daher, ob er "in Vollziehung des Gesetzes" im Sinne des § 1 AmtshaftungsG. gehandelt hat. Unter "in Vollziehung des Gesetzes" ist im Sektor der Verwaltung der Bereich der Hoheitsverwaltung zu verstehen. Den Gegensatz zur Hoheitsverwaltung stellt die Wirtschaftsverwaltung dar. Im allgemeinen spricht man von Hoheitsverwaltung dort, wo die öffentliche Gewalt den Untertanen gegenüber mit Befehls- und Zwangsbefugnis ausgestattet ist (vgl. Loebenstein - Kaniak a. a. O. S. 44 f.). Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, welche mit der herrschenden Lehre (Adamovich - Spanner, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsrechtes, 5. Aufl. I S. 8 ff.) im Einklang steht, ist das maßgebende Merkmal der Wirtschaftsverwaltung darin zu erblicken, daß hier eine grundsätzliche rechtliche Gleichordnung der Körperschaft öffentlichen Rechtes gegenüber den anderen Rechtssubjekten besteht. Der Oberste Gerichtshof hat den formellen Begriff der Hoheitsverwaltung (Just, Trennung von Justiz und Verwaltung und das Amtshaftungsgesetz, ÖJZ. 1954 S. 325 f.), wonach im Sinne des Amtshaftungsgesetzes darunter jede Agende zu verstehen ist, die der Verwaltungsbehörde durch besondere Verwaltungsgesetze anvertraut ist, abgelehnt. Es muß in jedem Falle der Inhalt der übertragenen Agende geprüft werden (SZ. XXVII 256). Den Vorinstanzen kann darin gefolgt werden, daß im vorliegenden Fall die zum Aufgabenbereich der Kammern für Land- und Forstwirtschaft gehörige Beratung und Führung der Land- und Forstwirte durch Abhaltung von Kursen als eine Tätigkeit "in Vollziehung der Gesetze" zu beurteilen ist. Die Kursteilnehmer stehen den Organen der Kammer für Land- und Forstwirtschaft nicht als gleichgeordnete Partner gegenüber. Die Organe bestimmen, wann, wo und in welcher Weise die Beratung und Führung stattfindet und wer zur Teilnahme zugelassen wird. Ihre Tätigkeit gleicht der Tätigkeit der Organe der öffentlichen Unterrichtserteilung, die, ob es sich nun um Pflichtschulen oder andere Lehrveranstaltungen handelt, in das Gebiet der Hoheitsverwaltung fällt (vgl. die bei Loebenstein - Kaniak a. a. O. S. 47 angeführten Beispiele). Daß die Tätigkeit des Beklagten nicht in der Unterweisung der Kursteilnehmer bestand, sondern darin, daß er diese zur Unterrichtsstätte bringen sollte, nimmt ihr nicht die Eigenschaft einer Handlung "in Vollziehung des Gesetzes", weil sie mit der Abhaltung des Kurses in unmittelbarem Zusammenhang stand und auch tatsächliche Verrichtungen darunter fallen können (vgl. Loebenstein - Kaniak a. a. O. S. 49).
Die Voraussetzungen des § 1 AmtshaftungsG. liegen daher vor. In derartigen Fällen ist die Geltendmachung des Anspruches auf Ersatz des Schadens gegen das Organ im ordentlichen Rechtsweg durch § 9 Abs. 5 AmtshaftungsG. ohne jede Einschränkung ausgeschlossen (vgl. Loebenstein - Kaniak a. a. O. S. 109 f.).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)