OGH 1Ob177/60

OGH1Ob177/6010.6.1960

SZ 33/63

Normen

ABGB §1325
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §§1 ff
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333
AHG §1
ABGB §1325
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §§1 ff
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333
AHG §1

 

Spruch:

Bei Dienstunfällen der Wehrpflichtigen des Präsenzdienstes kann gegen die Republik Österreich der Anspruch auf Schadenersatz (Schmerzengeld) nach dem Amtshaftungsgesetz geltend gemacht werden.

Die Vorschriften des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, insbesondere die des § 333, gelten, anders als für zeitverpflichtete Soldaten, für Wehrpflichtige des Präsenzdienstes nicht.

Entscheidung vom 10. Juni 1960, 1 Ob 177/60.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien

Text

Der Kläger befand sich nach den Feststellungen der Untergerichte im militärischen Präsenzdienst, als der Funker Rudolf W. am 15. November 1957 den Unfall eines Heereslastkraftwagens schuldhaft herbeiführte, bei dem der Kläger verletzt wurde. Er verlangt von der Republik Österreich nach dem Amtshaftungsgesetz die Zahlung eines Schmerzengeldes in der noch strittigen Höhe von 8480 S. Die Beklagte wendet dagegen ein, daß die sozialrechtlichen Normen des Wehrgesetzes vom 7. September 1955, BGBl. Nr. 181, des Heeresgebührengesetzes vom 18. Juli 1956, BGBl. Nr. 152, des Gesetzes vom 18. Juli 1956 über den sozialversicherungsrechtlichen Schutz der den Präsenzdienst leistenden Wehrpflichtigen. BGBl. Nr. 153, und des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, als spezialgesetzliche Bestimmungen den Vorschriften des Amtshaftungsgesetzes vorgingen. Jedenfalls müsse der § 333 Abs. 1 ASVG., der die Haftung des Dienstgebers für Körperverletzungen des Sozialversicherten infolge von Arbeitsunfällen auf die Fälle des vorsätzlichen Handelns einschränke, analog angewendet werden.

Das Erstgericht wies die Klage, hinsichtlich 4020 S mangels Einleitung des Vorverfahrens bei der Finanzprokuratur wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück und hinsichtlich des Restbetrages von 8480 S ab. Durch § 40 WehrG., §§ 13 ff. HeerGebG. und die Bestimmungen des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 seien die im Präsenzdienst stehenden Wehrpflichtigen in bezug auf Krankenfürsorge und sozialversicherungsrechtlichen Schutz genauso wie Dienstnehmer im Rahmen der Unfallversicherung gestellt. Wenn auch der Wehrdienst eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung darstelle und kein Dienstvertrag zwischen dem Staat und dem Wehrpflichtigen bestehe, sei doch der wirtschaftliche Grund für die Haftungseinschränkung des Dienstgebers nach § 333 Abs. 1 ASVG. auch bei Dienstunfällen von Wehrpflichtigen gegeben. So wie der Dienstgeber aus eigenen Mitteln Beiträge zur Unfallversicherung leiste, trage der Staat die Kosten des sozialrechtlichen Schutzes des Wehrpflichtigen. Dazu komme, daß die sozialrechtliche Stellung des Wehrpflichtigen durch die früher angeführten Gesetze abschließend und ausschließlich geregelt sei, so daß für die Anwendung allgemeiner Vorschriften, wie des Amtshaftungsgesetzes, kein Raum sei.

Infolge Berufung des Klägers gegen den abweisenden Teil des erstgerichtlichen Urteils änderte ihn das Berufungsgericht mit Zwischenurteil dahin ab, daß der Schmerzengeldanspruch des Klägers dem Gründe nach als zu Recht bestehend erkannt wurde. In den vom Erstgericht angeführten Gesetzen seien nach der Meinung des Berufungsgerichtes zwar die sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche des Wehrpflichtigen, nicht aber sein Recht auf Bezahlung von Schmerzengeld geregelt. Da der Schmerzengeldanspruch durch keinen Sozialversicherungsanspruch gedeckt sei, bestehe kein Hindernis, vom Beschädiger nach den allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes über Schadenersatz Schmerzengeld zu verlangen. Es komme auch nicht in Frage, die Bestimmung des § 333 Abs. 1 ASVG. auf den vorliegenden Fall analog anzuwenden. Mit Rücksicht darauf nämlich, daß der Wehrdienst eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung sei, bestehe zwischen dem Staat und dem Wehrpflichtigen kein Dienstverhältnis, und die Beklagte sei daher keineswegs als Dienstgeberin des Klägers anzusehen. Wenn darauf hingewiesen werde, daß die Vorschriften der Gesetze über die Entschädigung für Untersuchungshaft und die Entschädigung ungerechtfertigt verurteilter Personen die Anwendung des Amtshaftungsgesetzes ausschlössen, habe dies auf den vorliegenden Fall keinen Bezug. Während in den beiden Gesetzen die Ersatzansprüche aus den genannten Schadensgrunden im einzelnen geregelt seien, finde sich in den sozialgesetzlichen Bestimmungen für Schmerzengeldansprüche eines Wehrpflichtigen überhaupt keine Sonderregelung. Bei der in Frage stehenden Dienstfahrt habe W. in Befolgung eines Befehls, also in Vollziehung der Gesetze (§ 1 Abs. 1 AmtshaftungsG.), gehandelt. Der Kläger habe auf Grund des vom Strafgericht festgestellten schuldhaften Verhaltens des W. gemäß § 1325 ABGB. grundsätzlich Anspruch, daß die Beklagte als Rechtsträger ihm Schmerzengeld zahle.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, haben die Wehrpflichtigen des Präsenzdienstes durch die Bestimmungen des § 40 WehrG., der §§ 4 ff. HeerGebG. und der §§ 6 ff. KOVG. 1957 Anspruch außer auf Gebührnisse (Besoldung, Unterkunft, Verpflegung, Bekleidung) auch auf Fürsorge (ärztliche Betreuung, Familienunterhalt, Mietzinsbeihilfe, sonstige Beihilfen), sozialversicherungsrechtlichen Schutz (vgl. G. vom 18. Juli 1956, BGBl. Nr. 153) und Versorgung (Beschädigtenrente, Pflegezulage, Blindenzulage, Führhundzulage, berufliche Ausbildung, Heilfürsorge, Körperersatzstücke und orthopädische Behelfe, Hinterbliebenenrente, Sterbegeld und Gebührnisse für das Sterbevierteljahr) erhalten.

Den sozialversicherungsrechtlichen Schutz hat das Gesetz vom 18. Juli 1956, BGBl. Nr. 153, zum Gegenstand. Dieses Gesetz behandelt aber nur die Kranken- und die Pensionsversicherung. Für die Unfallversicherung sollen besondere Vorschriften erlassen werden (vgl. die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, Nr. 24 S. 2 f., und den Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung, Nr. 42 S. 1, der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VIII. GP.). Bis zur Erlassung dieser Vorschriften gilt, das Kriegsopferversorgungsgesetz auch für die Wehrpflichtigen es Präsenzdienstes (vgl. Gehrmann - Rudolph - Teschner, ASVG., V A 9 S. 103, Anm.; Schöberle, Kriegsopferversorgungsgesetz, S. 18 Anm. 3).

Für zeitverpflichtete Soldaten (§ 10 WehrG.) hingegen gelten die Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, da sie als Dienstnehmer anzusehen sind (Gehrmann - Rudolph - Teschner a. a. O. S. 104 Punkt 2).

Bei den oben angeführten Leistungen für die Wehrpflichtigen des Präsenzdienstes handelt es sich, wenn von den hier nicht interessierenden Gebührnissen abgesehen wird, um die Beseitigung von Schädigungen des Wehrpflichtigen, die sich durchaus im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung hält. Dies ergibt sich aus der Umschreibung der einzelnen vergleichbaren Sozialversicherungsleistungen im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz: §§ 133 ff. (Krankenversicherung), § 173 (Unfallversicherung). Besonders die Leistungen aus der Unfallversicherung stimmen mit den Versorgungsleistungen nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 weitgehend überein.

Aus der vielfachen materiellen Gleichstellung der Wehrpflichtigen des Präsenzdienstes mit Sozialversicherten kann jedoch entgegen der Meinung der Beklagten nicht der Schluß gezogen werden, daß damit alle Ersatzansprüche der Wehrpflichtigen aus Schädigungen im Wehrdienst erschöpfend geregelt werden sollten. So wie Sozialversicherte, abgesehen von der Einschränkung des § 333 ASVG., nicht gehindert sind, über die Sozialversicherungsleistungen hinausgebenden Schadenersatz vom Dienstgeber zu verlangen, können auch Wehrpflichtige des Präsenzdienstes die Gutmachung ihres weitergehenden Schadens, insbesondere auch die Zahlung von Schmerzengeld nach § 1325 ABGB. begehren, weil die wehrrechtlichen Vorschriften solche Ansprüche überhaupt nicht behandeln und mangels Ausschließlichkeit der behandelten Rechte nicht beseitigt haben.

In diesem Zusammenhang könnte eingewendet werden, daß sich die Ansprüche der Sozialversicherten gegen die Sozialversicherungsträger richten und die davon verschiedenen Schadenersatzansprüche der Sozialversicherten gegen die Dienstgeber im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz nicht geregelt werden sollten, während die früher angeführten wehrrechtlichen Vorschriften gerade die Rechtsbeziehungen zwischen Wehrpflichtigen des Präsenzdienstes und der Republik Österreich zum Gegenstand haben. Um jedoch annehmen zu können, daß über die Ersatzleistungen nach diesen Vorschriften hinaus weitergehende Schadenersatzansprüche nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes nicht geltend gemacht werden dürfen, wäre es notwendig gewesen, einen derartigen Ausschluß ausdrücklich zu normieren. Dies wäre um so nötiger gewesen, als bei der Erlassung der wehrrechtlichen Gesetze das Amtshaftungsgesetz längst in Kraft war und daher die Möglichkeit bestand, daß die Republik Österreich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes auf Schadenersatzleistungen in Anspruch genommen werden könnte.

Es ist auch nicht möglich, die im § 333 ASVG. enthaltene Beschränkung der Haftung der Dienstgeber bei Arbeitsunfällen auf die Republik Österreich im Verhältnis zu den Wehrpflichtigen des Präsenzdienstes zu übertragen. Diese Wehrpflichtigen sind, anders als die zeitverpflichteten Soldaten, nicht als Dienstnehmer im Sinne des § 4 ASVG. anzusehen. Für sie gilt das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz daher auch nicht subsidiär, also auch nicht die Bestimmungen über die Unfallversicherung und insbesondere nicht der § 333. Auch eine analoge Anwendung dieser Vorschrift ist nicht möglich. Denn das Kriegsopferversorgungsgesetz ist, von einzelnen Bestimmungen (z. B. §§ 22, 26, 28 f.) abgesehen, kein Sozialversicherungsgesetz. Die Republik Österreich erbringt die Leistungen auf Grund dieses Gesetzes ja nicht als Dienstgeber (vgl. auch den Kreis der Versorgungsberechtigten).

Es besteht daher kein Hindernis, bei Dienstunfällen von Wehrpflichtigen des Präsenzdienstes die Schadenshaftung der Republik Österreich nach dem Amtshaftungsgesetz in Anspruch zu nehmen.

Aus dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien ergibt sich, daß der Kläger zur Zeit des Unfalls Wehrpflichtiger des Präsenzdienstes war und als solcher auf dem in Frage stehenden Heereslastkraftwagen Dienst machte. Er befand sich in militärischer und daher hoheitsrechtlicher Unterordnung unter die Vorgesetzten, seiner Einheit. Beide Parteien gehen ohnedies davon aus, daß das Amtshaftungsgesetz in sich anzuwenden ist. Darüber hinaus hat das Strafgericht im Urteil vom 15. April 1958 ausdrücklich festgestellt, daß die Soldaten von einer Nachtübung gekommen sind. Daß Truppenübungen des Bundesheeres als staatlicher Hoheitsakt anzusehen sind, hat der Oberste Gerichtshof schon in seiner Entscheidung SZ. XIII 188 ausgesprochen (vgl. § 34 Abs. 3 WehrG.).

Es ist der beklagten Partei zuzugeben, daß der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Ansicht vertritt, das Amtshaftungsgesetz sei auf Schädigungen infolge ungerechtfertigter gerichtlicher Haft und ungerechtfertigter Verurteilung nicht anwendbar, weil diese Schädigungen in Sondergesetzen behandelt werden (JBl. 1959 S. 601 u. a.). Der Unterschied zu den wehrrechtlichen Gesetzen besteht indessen darin, daß in den Gesetzen vom 18. August 1918, RGBl. Nr. 318 (über die Entschädigung für Untersuchungshaft), und vom 2. August 1932, BGBl. Nr. 242 (über die Entschädigung ungerechtfertigt verurteilter Personen), die einschlägige Art des Schadenersatzes überhaupt geregelt ist, während dies für die wehrrechtlichen Gesetze, die den zivilrechtlichen Schadenersatz nicht behandeln, nicht zutrifft.

Da nach den Feststellungen der Untergerichte die Voraussetzungen für die Amtshaftung der Beklagten vorliegen und kein Hindernis besteht, ihr eine Schmerzengeldverpflichtung nach § 1325 ABGB. aufzuerlegen, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, liegt der geltend gemachte Revisionsgrund nicht vor. Der Revision mußte daher der Erfolg versagt werden.

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