Spruch:
Vom unredlichen Besitzer einer Erbschaft kann gemäß § 335 ABGB. die Herausgabe aller Vorteile und daher auch die Herausgabe der für die Erbschaftsstücke erlangten anderen Sachen begehrt werden. Entscheidung vom 31. Mai 1960, 2 Ob 370/59.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Kläger sind Brüder der am 19. Oktober 1944 ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung gestorbenen Elisabeth E. Der Beklagte war ihr Ehegatte. Der Nachlaß der Verstorbenen wurde dem Beklagten zur Hälfte und den Klägern zu je 1/4 auf Grund des Gesetzes eingeantwortet. Der reine Wert des Nachlasses betrug auf Grund des errichteten Inventars 384.535 S, worin auch 2581 Aktien der N.-AG. enthalten und mit 415.541 S bewertet waren.
Zwischen den Erben wurde vereinbart, daß der Beklagte den ganzen Nachlaß mit Aktiven und Passiven, somit auch die vorerwähnten Aktien der N.-AG., übernehmen sollte, wogegen er auf seinen Anteil an einem etwaigen späteren Realisat aus den Legats- und Erbrechtsansprüchen der Elisabeth E. gegenüber ihren vorverstorbenen Eltern zugunsten der Kläger verzichtete und jeder der beiden Kläger je 100.000 S zur Abdeckung ihrer Erbteilungsansprüche zahlte.
Die Kläger behaupten nun, der Aktienbesitz ihrer Schwester Elisabeth E. habe im Zeitpunkt der Besetzung Österreichs im Jahr 1938 8000 Stück betragen. In der Verlassenschaftsabhandlung nach Elisabeth E. habe der Beklagte zunächst überhaupt den Aktienbesitz der Erblasserin verschwiegen, dann aber nur das Vorhandensein von 2575 Aktien der N.-AG. zugegeben. Vom Vorhandensein des übrigen Aktienbesitzes der Erblasserin (5425 Aktien der N.-AG.) hätten die Kläger erst nachträglich im Zuge von Vergleichsverhandlungen in einer Rückstellungssache Kenntnis erlangt.
Im Jahre 1950 habe der Beklagte die in seinem Besitz befindlichen 20.000 Aktien der N.-AG. (Nominale 2.000.000 S) an die S.-AG. unter folgenden Bedingungen verkauft: Die S.-AG. lieferte an den Beklagten Nominale 1.200.000 S S.-Aktien; die S.-AG. räumte dem Beklagten außerdem das Recht ein, die im Klagebegehren bezeichneten Liegenschaften, die im Eigentum der N.-AG. standen, zu einem Preis von zirka 200.000 S zu erwerben.
Jeder Kläger habe somit Anspruch auf 1/4 der verschwiegenen 5425 Aktien, somit auf je 1356.25 Aktien. Dies entspreche 6.7812% (richtig 6.78125%) des von der S.-AG. für 20.000 Aktien gezahlten Kaufpreises. Der Beklagte sei als unredlicher Besitzer gemäß § 335 ABGB. verpflichtet, alle durch seinen unredlichen Besitz erlangten Vorteile herauszugeben. Daraus folge der Anspruch der Kläger auf je 6.7812% des von der S.-AG. an den Beklagten gezahlten Kaufpreises. Es wurde daher begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, jedem der beiden Kläger
1.) Aktien der S.-AG. im Nominale von 81.374 S zu übergeben, d. s. 6.7812% von 1.200.000 S, dem Nominale der gesamten von der S.-AG. an den Beklagten gelieferten Aktien;
2.) den Beklagten schuldig zu erkennen, Zug um Zug gegen Zahlung von 6.78% des vom Beklagten selbst an die S.-AG. geleisteten Kaufpreises von 200.000 S einen Anteil von 6.78% an den Liegenschaften, die die S.-AG. dem Beklagten nach dem oben wiedergegebenen Vertrag ins Eigentum übertragen hatte, den Klägern ins Eigentum zu übertragen und einzuwilligen, daß das Eigentumsrecht der Kläger ob diesen Liegenschaftsanteilen grundbücherlich einverleibt werde.
Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil, daß die in der Klage geltend gemachten Ansprüche dem Gründe nach zu Recht bestehen. Der Beklagte habe sich in der Verlassenschaftsabhandlung nach Elisabeth E. erst in einem verhältnismäßig späten Stadium zur Anmeldung von 2575 Aktien entschlossen, während er das Vorhandensein weiterer Aktien und anderer Ansprüche der Verlassenschaft verschwiegen habe. Auf Grund der Einantwortung hätten die Kläger als gesetzliche Erben Anspruch auf je ein Viertel der verheimlichten 5425 Aktien, an deren Stelle nach dem Verkauf der für sie erzielte Erlös trete, da der Beklagte als unredlicher Besitzer anzusehen sei. Der Erbvergleich beziehe sich nicht auf den gegenständlichen Anspruch.
Das Berufungsgericht wies in Abänderung des erstgerichtlichen Zwischenurteils das Klagebegehren ab. Nach seiner Rechtsansicht seien unter den im § 335 ABGB. - auf den sich die Klage stützt - genannten Vorteilen "im wesentlichen" nur die Früchte zu verstehen, nicht aber das Äquivalent für die Veräußerung des gesamten Besitzes. Da der Beklagte nicht mehr im Besitz der als Eigentum beanspruchten Aktien der N.-AG. sei, verwandle sich der Anspruch der Kläger auf Herausgabe ihres Eigentums in einen Schadenersatzanspruch. Nach § 1323 ABGB. sei zur Ersatzleistung für einen verursachten Schaden alles in den vorigen Stand zurückzuversetzen oder, wenn dies nicht tunlich sei, der Schätzungswert zu vergüten. Die Kläger hätten nicht die ihnen angeblich vorenthaltenen Aktien der N.-AG. begehrt; es wäre ihnen freigestanden, überhaupt ein bestimmtes Quantum Aktien der N.-AG. als vertretbare Sachen zu begehren, falls deren Beschaffung tunlich sein sollte, also für den Beklagten nicht einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde. Die Forderung der Kläger auf die Überlassung von Aktien der S.-AG. und von Eigentumsanteilen an bestimmten Liegenschaften könne aber nicht mehr als Naturalherstellung durch Schaffung einer im wesentlichen gleichen Lage angesehen werden. Daß durch die Leistung von S.-Aktien und Übertragung von Eigentumsanteilen an bestimmten Liegenschaften den Klägern Schadenersatz mittels Herstellung einer im wesentlichen gleichen Lage geleistet werden solle, sei als Klagegrund auch gar nicht geltend gemacht worden. Die Klagebehauptungen rechtfertigten somit die Ansprüche der Kläger nicht, so daß schon deshalb die Klage sofort abzuweisen gewesen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Sache an dieses Gericht zur neuerlichen Entscheidung zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß es sich diesfalls nicht um eine Erbschaftsklage im Sinne des ersten Satzes des § 823 ABGB. handelt, sondern um die Geltendmachung eines einzelnen Anspruches der Kläger - als eingewiesener Erben nach Elisabeth E. - auf der Verlassenschaft nach der Genannten gehörige Sachen im Sinne des zweiten Satzes des § 823 ABGB. Da § 824 ABGB. auf die Bestimmungen über den redlichen oder unredlichen Besitzer verweist, ist zur Beurteilung des Sachverhaltes § 335 ABGB. heranzuziehen, auf den auch die Klage Bezug nimmt. Von entscheidungswesentlicher Bedeutung ist daher die Beantwortung der Frage, was unter den im § 335 ABGB. angeführten, "durch den Besitz einer fremden Sache erlangten Vorteilen" zu verstehen ist.
Nach der Ansicht des Berufungsgerichtes, das hiezu auf Klang 2. Aufl. II 99 zu §§ 335 f. und Ehrenzweig 2. Aufl. I/2 S. 292 verweist, sind darunter "im wesentlichen" nur die Früchte der Sache zu verstehen. Nun führt Klang a. a. O. zwar aus, daß "selbstverständlich" die Früchte herauszugeben seien, sagt aber damit noch keineswegs, daß der Anspruch des Herausgabeberechtigten nur auf die Früchte beschränkt sein solle. Ehrenzweig führt a. a. O. aus, der unredliche Besitzer müsse gemäß § 335 ABGB. alle durch den Besitz der fremden Sache erlangten Vorteile herausgeben, also auch dasjenige, was der Eigentümer nicht erlangt hätte; in Anm. 5 spricht er von "Früchten im ausgedehntesten Verstande" und verweist hinsichtlich der Rechnungslegung auf die sogenannte unechte Geschäftsführung. Auf die Geschäftsführung ohne Auftrag verweist - allerdings hinsichtlich eines allfälligen Aufwandersatzes - auch § 366 ABGB. Hiezu führt Ehrenzweig 2. Aufl. II/1 S. 716 aus, daß derjenige, der ein an sich fremdes Geschäft in der unredlichen Absicht besorge, den Nutzen für sich zu behalten, es sich gefallen lassen müsse, daß der Eigentümer, wenn er wolle, über die unredliche Absicht hinwegsehe und ihn so behandle, wie wenn er das Geschäft redlich, also mit Geschäftsführungsabsicht, unternommen hätte; gelinge es z. B. einem Dieb als dem Musterbeispiel des unredlichen Besitzers, die gestohlene Sache mit Vorteil zu veräußern, so gebühre auch dieser Vorteil dem Eigentümer; denn seine Sache sei wissentlich vom Dieb verwertet worden, sein Geschäft habe der Dieb besorgt, freilich nicht in Geschäftsführungs-, sondern in unredlicher Absicht. Auf eigene Unredlichkeit aber dürfe sich niemand berufen.
Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes kann also nicht Klang und schon gar nicht Ehrenzweig zur Begründung der Ansicht herangezogen werden, daß unter "allen Vorteilen" im Sinne des § 335 ABGB. im wesentlichen nur die Früchte zu verstehen seien. Eine so enge Auslegung dieser Gesetzesstelle würde auch weder der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang noch der Absicht des Gesetzgebers (§ 6 ABGB.) gerecht werden. Der unredliche Erbschaftsbesitzer hat gemäß § 335 ABGB. alle Früchte und sonstigen Vorteile herauszugeben, er muß also, wenn er für die Sache einen ihren Wert übersteigenden Kaufpreis erlangt hat, den vollen Gegenwert herausgeben (Ehrenzweig 2. Aufl. II/2 S. 617; auch RkvRspr. IV/24 a). Es wäre nicht einzusehen, warum er zwar im Fall eines Verkaufes der Sache den hiefür erlangten Kaufpreis, hingegen im Fall eines Tausches nicht die hiefür erlangte Ware herausgeben müßte (vgl. auch Weiß in Klang 2. Aufl. III 1075 zu §§ 823 ff. ABGB.) Die Entscheidung EvBl. 1954 Nr. 357 steht damit nicht im Widerspruch; sie führt nur aus, daß der unredliche Besitzer Sachen, die mit den Erträgnissen der Sache angeschafft wurden, nicht gemäß § 335 ABGB. herausgeben muß. In dem dem gegenständlichen Rechtsstreit zugrunde liegenden Fall wurden jedoch nicht mit den Erträgnissen der Erbschaftsstücke neue Sachen angeschafft, sondern die Erbschaftsstücke selbst gegen andere Sachen vertauscht. Diese anderen Sachen haben aber wie ein Kaufpreis, der bei einem allfälligen Verkauf der Erbschaftsstücke erlangt worden wäre, an die Stelle der Erbschaftsstücke zu treten, ebenso wie übrigens auch nach § 1447 ABGB. bei anderen als Geldschulden - denn Geldschulden erlöschen ja durch zufällige Unmöglichkeit nicht (siehe die in der Manzschen Großen Ausgabe des ABGB. von Kapfer, 26. Aufl., zu § 1447 unter Nr. 30 angeführten Entscheidungen) - ein Anspruch auf Herausgabe des stellvertretenden commodum begrundet ist (Rkw 46/54; Pisko - Gschnitzer in Klang 2. Aufl. VI 550 f.).
Nach den durchaus überzeugenden Ausführungen Ehrenzweigs a. a. O. will der Gesetzgeber den unredlichen Besitzer, der auf Grund eines Geschäftes mit der Sache einen Vorteil erlangt hat, nicht anders und jedenfalls nicht besser behandeln als einen redlichen Geschäftsführer ohne Auftrag, der gemäß § 1040 ABGB. gleich einem Bevollmächtigten allen aus dem Geschäft entspringenden Nutzen im Sinne des § 1009 ABGB. herauszugeben hat.
Es kann schließlich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes auch nicht gesagt werden, daß die Herausgabe der Vorteile - und als solche stellen sich die an Stelle der N.-Aktien erlangten Vermögenswerte dar - nur im Weg einer Schadenersatzklage verlangt werden könne, weil die Eigentumsklage im Sinne des § 369 ABGB. gegen den Beklagten, der die ursprünglichen Sachen (N.-Aktien) nicht mehr in seiner Macht habe, nicht mehr möglich sei. § 823, 2. Satz, ABGB. verweist hinsichtlich der Herausgabe einzelner Erbschaftsstücke allerdings auf die Eigentumsklage. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß dem Berechtigten nur die Eigentumsklage im Sinne des § 369 ABGB. (rei vindicatio) zusteht; wenn der unredliche Besitzer die Sache nicht mehr hat und daher die rei vindicatio (im technischen Sinn) gegen ihn zu keinem Erfolg führen könnte, kann dem Berechtigten nicht die Möglichkeit genommen werden, auf Grund des § 335 ABGB. zwar nicht mehr die Sache selbst, aber alle aus der Sache erlangten Vorteile zu begehren. Anders als im römischen Recht sind im österreichischen Recht nicht bloß bestimmte Klagetypen gegeben, sondern es steht jedermann frei, auf Grund jeder in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmung eine entsprechende Klage einzubringen.
Eine solche auf § 335 ABGB. gestützte Klage haben die Kläger eingebracht; sie haben sich von allem Anfang an nicht auf § 369 ABGB. gestützt, es kann daher ihre Klage nicht deshalb abgewiesen werden, weil die Voraussetzungen dieser letzteren Gesetzesstelle - daß nämlich der Beklagte die Erbschaftsstücke noch in seiner Macht hat - nicht gegeben sind. Gemäß § 335 ABGB. sind die Kläger berechtigt, vom Beklagten, falls er unredlicher Erbschaftsbesitzer ist, die Herausgabe aller Vorteile und daher auch die Herausgabe der für die Erbschaftsstücke erlangten anderen Sachen zu begehren. Es stunde übrigens entgegen der Ansicht der zweiten Instanz der Behandlung dieser Klage auch nichts entgegen, wenn man das Begehren, das als solches in der Klage genau bezeichnet und begrundet wurde, als Schadenersatzbegehren auffaßte; denn die rechtliche Beurteilung des Begehrens ist Sache des Gerichtes. Doch ist zu berücksichtigen, daß die Haftung des unredlichen Besitzers nach § 335 ABGB. nicht als ein Ausfluß der allgemeinen Verschuldenshaftung gemäß §§ 1295 und 1324 ABGB. anzusehen ist, weil es ja auch den Fall eines unredlichen Besitzers ohne Verschulden geben kann (Klang 2. Aufl. II 99). In der Bestimmung des § 335 ABGB. ist vielmehr eine besondere, dem unredlichen Besitzer auferlegte Diligenzpflicht zu sehen, deren Unterlassung nach dieser besonderen Norm und nicht - wie das Berufungsgericht meint - nach den allgemeinen Bestimmungen des 30. Hauptstückes des ABGB. über den Schadenersatz zu beurteilen ist. Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die Ausführungen des Berufungsgerichtes in dieser Richtung.
Da somit die rechtlichen Erwägungen, aus denen das Berufungsgericht zur Abweisung des Klagebegehrens gekommen ist, vom Revisionsgericht nicht gebilligt werden können, das Berufungsgericht aber entsprechend seiner Rechtsansicht auf die übrigen in der Berufung des Beklagten gegen das erstgerichtliche Urteil ausgeführten Gründe nicht eingegangen ist, war sein Urteil aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Abweisungsgrund an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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