Normen
Kraftfahrgesetz 1955 §85 Abs6
Kraftfahrgesetz 1955 §85 Abs6
Spruch:
§ 85 Abs. 6 KfG. 1955 ist keine Schutzvorschrift zugunsten des Schwarzfahrers, insbesondere des Diebes des Kraftfahrzeuges.
Entscheidung vom 6. Mai 1960, 2 Ob 167/60.
I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Der Versicherungsnehmer Dr. Robert B. ließ am 2. Jänner 1958 seinen Personenkraftwagen vor dem Haus V. Nr. 31 stehen. Der Beklagte nahm das nicht versperrte Fahrzeug eigenmächtig in Betrieb und fuhr in der Dunkelheit gegen einen Alleebaum. Dabei wurde das Fahrzeug so schwer beschädigt, daß es nur mehr als Wrack verkauft werden konnte. Der Beklagte wurde vom Strafgericht wegen Vergehens des unbefugten Betriebes von Fahrzeugen gemäß § 467b StG. zu einer Arreststrafe verurteilt.
Mit der vorliegenden Klage verlangt die klagende Partei den Betrag von 18.000 S, den sie dem Versicherungsnehmer für die Beschädigung des Fahrzeuges ersetzen mußte.
Der Beklagte behauptet, den Versicherungsnehmer treffe ein Mitverschulden zu 5/6, weil er das Fahrzeug gegen mißbräuchliche Inbetriebnahme nicht gesichert und damit gegen die Bestimmung des § 85 Abs. 6 KfG. 1955 verstoßen habe.
Das Erstgericht nahm an, daß der Verstoß gegen die Bestimmung des § 85 Abs. 6 KfG. 1955 für den Schaden nicht ursächlich gewesen sei, und gab dem Klagebegehren vollinhaltlich statt.
Gegen dieses Urteil erhob der Beklagte Berufung; in der Rechtsrüge führte er aus, durch die Verletzung der dem Kraftfahrzeuglenker obliegenden Verpflichtung sei eine adäquate Bedingung für den Erfolg geschaffen worden; sie sei mitverursachend gewesen und begrunde ein Mitverschulden des Versicherungsnehmers, das im Verhältnis zu seinem eigenen geringen Verschulden mit fünf Sechsteln anzunehmen sei.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil. Die vom Beklagten bezogene Vorschrift habe ohne Zweifel u. a. den Zweck, die mißbräuchliche Benützung von Kraftfahrzeugen zu verhindern, damit hiedurch ein Schaden Dritter verhütet werde. Keineswegs könne diese Bestimmung als Schutzvorschrift des sogenannten Schwarzfahrers gedeutet werden, worauf es hinausliefe, wollte man den Erwägungen des Berufungswerbers folgen. Sei aber die Bestimmung des § 85 Abs. 6 KfG. 1955 nicht als Schutzbestimmung (auch) zugunsten des sogenannten Schwarzfahrers zu werten, dann könne aus einer Verletzung dieser Bestimmung durch den Eigentümer des Kraftfahrzeuges keine Mithaftung desselben für den im konkreten Fall eingetretenen Schaden, etwa im Sinne des § 1311 ABGB., gefolgert werden. Die Übertretung einer Schutznorm mache nur insofern haftbar, als durch die Schutznorm gerade dieser Schaden verhindert werden sollte und als gerade diejenigen Interessen verletzt wurden, deren Schutz im Zweckbereich der Norm liege. Eine Haftung bestehe nur insoweit, als der eingetretene Schaden eine solche Beschädigung sei, der das Gesetz in seiner Schutzbestimmung vorzubeugen suche. § 1311 ABGB. ändere nichts daran, daß jede Rechtsnorm durch ihren Zweck begrenzt werde. Wer ein Schutzgesetz übertrete, hafte nicht für beliebige, sondern nur für jene Beschädigungen, denen das Gesetz vorbeugen wolle.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Beklagte führt in seiner Beschwerde aus, es sei rechtsirrig, zu fragen, ob die Bestimmung des § 85 Abs. 6 KfG. 1955 geschaffen worden sei, um den Schwarzfahrer vor Schaden zu bewahren; man müsse vielmehr fragen, ob der Schutz des Fahrzeughalters selbst oder der Schutz der für seinen Schaden aufkommenden Versicherungsanstalt vor Nachteilen im Zweckbereich dieser Norm liege. Diese Frage sei zu bejahen; das Gegenteil lasse sich weder aus dem Gesetz entnehmen, noch würde damit der Zweck der Vorschrift voll erfüllt. Das öffentliche Interesse verlange jedenfalls, daß auch der Fahrzeughalter selbst vor einem Schaden an seinem Fahrzeug möglichst bewahrt werde, wie es auch Unfälle jugendlicher, in der Führung von Kraftfahrzeugen noch nicht geübter Personen durch Schwarzfahrten möglichst hintangehalten wissen wolle.
Dem ist folgendes entgegenzuhalten: Zur Haftung nach § 1311 ABGB. ist nach Lehre und ständiger Rechtsprechung erforderlich, daß die Interessen verletzt wurden, deren Schutz die übertretene Rechtsnorm bezweckt. Auch hier wird die Rechtsnorm durch ihren Zweck begrenzt. Die Bestimmung des § 85 Abs. 6 KfG. 1955 will - gleich den übrigen Bestimmungen dieses Gesetzes - nur jenen Gefährdungen der Sicherheit der Person und des Eigentums vorbeugen, die sich für Dritte aus der unbefugten Inbetriebnahme des Kraftfahrzeuges ergeben. Unter dem Dritten ist der fremde Dritte zu verstehen, d. h. die Person, die völlig außerhalb des Kraftfahrzeugbetriebes steht. Der Schutz des Fahrzeuglenkers und -halters und der für ihren Schaden aufkommenden Versicherungsanstalt liegt keineswegs im Zweckbereich dieser Norm. Die Frage der Adäquanz der Verursachung, die der Beklagte in der Revision anficht, ist bei dieser Rechtslage ohne Bedeutung.
Aus diesen Gründen war der Revision des Beklagten ein Erfolg zu versagen.
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