Normen
ABGB §37
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §332
Reichsversicherungsordnung §1542
ABGB §37
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §332
Reichsversicherungsordnung §1542
Spruch:
Bei Verletzung oder Tötung eines Angehörigen der Deutschen Bundesrepublik in Österreich kann sein Sozialversicherungsträger Regreßansprüche in Österreich geltend machen.
Entscheidung vom 22. April 1960, 2 Ob 583/59.
I. Instanz: Kreisgericht Krems; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Josef G. wurde bei einem Verkehrsunfall, der sich am 17. Juli 1955 auf der M.-Bundesstraße ereignete, tödlich verletzt. G. war in Melsungen (Deutsche Bundesrepublik) beschäftigt und ansässig und bei der klagenden Partei sozialversichert. Diese hat für seine Witwe Leistungen (Rente und Krankenversicherungsbeiträge) in der Höhe der Klagssumme erbracht. Sie begehrt deren Ersatz unter Berufung auf § 1542 RVO. vom Beklagten, der wegen dieses Unfalles des Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach §§ 335, 337 lit. b StG. rechtskräftig schuldig erkannt wurde.
Das Erstgericht wies, die Klage ab. Da die Schädigungshandlung im Inland erfolgt sei, sei österreichisches Recht anzuwenden, der Sachverhalt daher unter Bedachtnahme auf § 332 ASVG. zu beurteilen. Das ASVG. regle lediglich die allgemeine Sozialversicherung im Inland beschäftigter Personen (einschließlich der den Dienstnehmern gleichgestellten selbständigen Erwerbstätigen). Dem Getöteten und seiner Witwe stunden daher nach dem ASVG. keine Leistungen zu. Der Eintritt der Legalzession gemäß § 332 ASVG. setze voraus, daß der Versicherer einer Person Leistungen erbracht habe, der nach den Bestimmungen des ASVG. Leistungen zustunden. G. und seine Witwe hätten keinen Anspruch gegen den österreichischen Sozialversicherungsträger, weshalb Schadenersatzansprüche der Witwe gegen den Beklagten nicht auf die klagende Partei übergegangen seien.
Infolge Berufung der klagenden Partei hob das Berufungsgericht das Ersturteil mit Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück. Die Frage, ob die der Witwe gegen den Schädiger zustehende Forderung auf die klagende Partei übergegangen sei, sei nach dem für diesen Rechtsgrund maßgebenden Recht zu beurteilen, mit der Einschränkung, daß die Lage des Schuldners durch die Zession nicht verschlechtert werden dürfe. Die vorliegend maßgebliche Bestimmung des § 1542 RVO. sehe einen solchen Forderungsübergang vor. Josef G. bzw. seine Witwe habe durch den Unfall einen dem österreichischen Recht unterliegenden Anspruch gegen den Beklagten, einen zweiten dem deutschen Recht unterliegenden Anspruch gegen die klagende Partei erworben. Aus dem österreichischen Recht liege ein Zessionsgrund nicht vor, wohl aber aus dem deutschen Recht. Die Forderung der Witwe sei gemäß § 1542 RVO. auf die klagende Partei übergegangen. Der Vollzug der durch diese Bestimmung getroffenen Anordnungen unterliege dem Statut der Forderung. Die klagende Partei sei wie ein österreichischer Sozialversicherungsträger berechtigt, den Ersatz ihrer Leistungen im Rahmen des Deckungsfonds zu verlangen. In bezug auf diesen fehle es jedoch an ausreichenden Feststellungen.
Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen der beklagten Partei und der auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenientin, der A.- Versicherungs-A. G., nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die der Lehrmeinung Raapes (Internationales Privatrecht, 4. Aufl. S. 469 ff.) folgende Ansicht des Berufungsgerichtes wird durch die Rekursausführungen nicht widerlegt. Im einzelnen ist auf sie zu erwidern:
Entgegen dem Standpunkt des Beklagten ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Zweiteilung des Anspruches nicht nur möglich, sondern in Lehre und Rechtsprechung anerkannt. Während über die Forderungsabtretung als solche - also beispielsweise über die Möglichkeit der Abtretung, die Art und Weise, wie sie durchgeführt wird, das Erfordernis der Verständigung des Schuldners - das für die abgetretene Forderung maßgebende Recht entscheidet, richtet sich das der Abtretung zugrunde liegende Kausalverhältnis nach seinem eigenen Statut (vgl. Palandt, BGB., 18. Aufl. S. 693). Schnitzer (Handbuch des Internationalen Privatrechtes, 4. Aufl. S. 656) führt unter Berufung auf die Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichtes den Fall an, daß ein im Inland Versicherter im Ausland einen Unfall erleidet, was zur Folge hat, daß zwei verschiedene Rechte zur Anwendung kommen können.
Ergibt sich die Möglichkeit der Anwendung zweier verschiedener Rechte aus den Grundsätzen des internationalen Privatrechts, dann geht der von beiden Rekurswerbern erhobene Einwand, daß der österreichische Gesetzgeber nur den im Gesetz erschöpfend aufgezählten Sozialversicherungsträgern das Privilegium der Legalzession eingeräumt habe, ins Leere.
Was insbesondere das von der Nebenintervenientin geltend gemachte Bedenken betrifft, es könnte im Wege der Analogie beispielsweise auch der österreichische Staat Regreß für einen Versorgungsgenuß nehmen, den er der Witwe eines bei einem Unfall getöteten Beamten leistet, so ist darauf zu erwidern, daß im Dienstrecht der österreichischen Bundesbeamten eine dem § 1542 RVO. entsprechende Legalzession fehlt. In diesem Fall läuft also der Schädiger nicht Gefahr, durch das Zusammentreffen eines privatrechtlichen Schadenersatzanspruches mit einem öffentlich-rechtlichen Regreßanspruch über das Ausmaß des ihm nach seinem Verschulden zurechenbaren Schadens hinaus belastet zu werden (2 Ob 20/53).
Zweckmäßigkeitserwägungen, wie sie die Nebenintervenientin unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Benachteiligung des inländischen Gläubigers anstellt, rechtfertigen es nicht, die Anwendung von Grundsätzen des internationalen Privatrechts abzulehnen und auf diese Weise zu dem Ergebnis zu gelangen, daß im vorliegenden Fall § 1542 der deutschen RVO. nicht anwendbar sei. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung könnte nur unter dem Gesichtspunkt des ordre public abgelehnt werden. Daß dies hier nicht möglich ist, ergibt sich bereits daraus, daß die in Rede stehende Bestimmung des deutschen Rechtes mit der zur fraglichen Zeit in Österreich in Geltung gestandenen Bestimmung wörtlich und inhaltlich vollkommen übereinstimmt. Was aber die mögliche Benachteiligung eines Inländers anlangt, so ist Aufgabe des ordre public nicht der Schutz inländischer Rechtssubjekte, sondern der Schutz der inländischen Rechtsordnung vor dem Eindringen von mit ihr unvereinbaren ausländischen Rechtsgedanken. Nicht entscheidend ist, ob durch die ausländischen Bestimmungen die Interessen eines Inländers geschädigt werden oder nicht. Für die Frage, ob der ordre public einzugreifen hat oder nicht, kommt es nicht auf die vermögensrechtlichen Vor- oder Nachteile eines Inländers an (Scheucher, Der ordre public im österreichischen Recht, ZfRV. 1960 S. 15 ff.).
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