OGH 6Ob72/60

OGH6Ob72/609.3.1960

SZ 33/31

Normen

ABGB §233
ZPO §6
ABGB §233
ZPO §6

 

Spruch:

Bindung des Prozeßgerichtes an die Entscheidung des Außerstreitrichters über die Entbehrlichkeit der Ermächtigung zur Prozeßführung.

Entscheidung vom 9. März 1960, 6 Ob 72/60.

I. Instanz: Bezirksgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz.

Text

Der wegen Geisteskrankheit (Querulantenwahnes) beschränkt entmundigte Florian W. führt zu 8 Cg 2/59 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Kläger, vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Helmut P., gegen die Firma S. & Co. wegen 20.000 S s. A. einen Rechtsstreit, in dem er verschiedene Ansprüche aus seiner Tätigkeit als selbständiger Handelsagent dieser Firma geltend macht. Das Prozeßgericht hat dem Rechtsanwalt gemäß § 6 ZPO. aufgetragen, die Ermächtigung zur Prozeßführung durch das Pflegschaftsgericht vorzulegen und die Vollmacht durch den Beistand, das Fürsorgeamt L., fertigen zu lassen. In der gegenständlichen Pflegschaftssache hat nun der genannte Beistand den Antrag gestellt, die Genehmigung zur Prozeßführung und zur Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes Dr. P. zu erteilen, während der durch seinen Anwalt vertretene Entmundigte beantragt hat, die Ermächtigung zur Prozeßführung zu erteilen oder auszusprechen, daß zur Erteilung dieser Ermächtigung oder Genehmigung keine Veranlassung bestehe.

Das Erstgericht hat die Anträge des Entmundigten und seines Beistandes auf Erteilung der Ermächtigung zur Prozeßführung abgewiesen, da der Entmundigte in dem Rechtsstreit nur Beträge fordere, die er sich im Sinne des § 246 ABGB. durch seinen Fleiß erworben habe, und der Entmundigte daher gemäß § 2 ZPO. nicht der Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters bedürfe.

Auf Rekurs des Beistandes hat das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen. Die Entscheidung des Prozeßgerichtes, daß eine pflegschaftsbehördliche Ermächtigung zur Prozeßführung erforderlich sei, sei für das Pflegschaftsgericht bindend, weshalb das Erstgericht nur zu prüfen habe, ob eine solche Ermächtigung zu erteilen oder zu versagen sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Entmundigten Folge und stellte den erstgerichtlichen Beschluß wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gegen das rechtliche Interesse an der Beschwerdeführung bestehen keine Bedenken, da dem Entmundigten ein rechtliches Interesse an der Aufrechterhaltung des erstgerichtlichen Beschlusses immerhin zugebilligt werden kann.

Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht besteht in Pflegschaftssachen auch im Rechtsmittelverfahren gemäß § 5 AußStrG. kein Anwaltszwang.

Der im angefochtenen Beschluß vertretenen Ansicht, daß bereits eine das Pflegschaftsgericht bindende Entscheidung des Prozeßgerichtes über die Notwendigkeit einer pflegschaftsbehördlichen Ermächtigung zur Prozeßführung vorliege, kann im Sinne der Ausführungen des Revisionsrekurses nicht gefolgt werden. Die Frage, ob eine Prozeßermächtigung erforderlich ist, ist ebenso wie die Frage, ob eine erforderliche Prozeßermächtigung zu erteilen ist oder nicht, eine materiellrechtliche Frage, deren Entscheidung in erster Linie nicht dem Prozeßgericht, sondern dem Pflegschaftsgericht zusteht (vgl. hiezu Pollak, System des österreichischen Zivilprozeßrechts, 2. Aufl. S. 376). Die für das Prozeßgericht bindende Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes wird durch einen vom Prozeßgericht gemäß § 6 Abs. 2 ZPO. erteilten Auftrag veranlaßt, aber nicht vorweggenommen.

Wie das Erstgericht richtig ausführt, betreffen die vom Entmundigten als Kläger in dem Rechtsstreit geltend gemachten Ansprüche Beträge, die der Entmundigte durch seine Tätigkeit als selbständiger Handelsagent, somit durch seinen Fleiß, erworben zu haben behauptet. Dem Erstgericht ist beizupflichten, daß der Entmundigte, der gemäß § 4 Abs. 1 EntmO. einem mundigen Minderjährigen gleichsteht, in dem Rechtsstreit, der Beträge zum Gegenstand hat, über die der Entmundigte gemäß § 246 ABGB. frei verfügen darf, gemäß § 2 ZPO. nicht der Mitwirkung seines Beistandes als seines gesetzlichen Vertreters bedarf, so daß auch eine Ermächtigung dieses Beistandes nach § 233 ABGB. nicht in Frage kommt. Solange nur eine beschränkte Entmündigung vorliegt und solange dem Beistand des beschränkt Entmundigten nicht gemäß § 4 Abs.3 EntmO. die Verfügung über das, was sich der Entmundigte durch seinen Fleiß erwirbt, vorbehalten wird, steht - entgegen der im Rekurs des Beistandes gegen den erstrichterlichen Beschluß zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht - weder dem Beistand noch dem Pflegschaftsgericht eine Einflußnahme auf die Prozeßführung des Entmundigten zu, wodurch sich auch eine Abwägung der Prozeßchancen des Entmundigten erübrigt.

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