OGH 5Ob93/60

OGH5Ob93/609.3.1960

SZ 33/30

Normen

Mietengesetz §19 Abs2 Z10
Mietengesetz §19 Abs2 Z10

 

Spruch:

Die Unterlassung der Anzeige der Überlassung nach § 19 Abs. 2 Z. 10 MietG. kann den zurückbleibenden nahen Angehörigen nicht zum Nachteil gereichen.

Entscheidung vom 9. März 1960, 5 Ob 93/60.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Klägerin und der Nebenintervenient Josef St. sind seit 28. September 1930 miteinander verheiratet. Sie haben am 11. Jänner 1939 die zu diesem Zeitpunkt vom Nebenintervenienten gemietete Wohnung Nr. 23 im Haus Wien 6., G.-Straße 34, bezogen. Am 4. Jänner 1955 verließ der Nebenintervenient die Wohnung. Er zahlte noch durch einige Monate bis etwa April 1955 den Mietzins, weigerte sich aber in der Folge, den Zins weiterzubezahlen, und erklärte, als er deshalb von seiner Gattin und seiner Tochter zur Rede gestellt worden war, die Wohnung interessiere ihn nicht mehr, und sie sollten damit machen, was sie wollen. Seit Mai 1955 wurde der Mietzins von der Klägerin der Hausbesorgerin gezahlt, ohne daß ausdrücklich bekanntgegeben worden wäre, ob die Klägerin den Zins im eigenen Namen oder im Namen ihres Gatten leiste. Der Nebenintervenient, der die Überlassung der Wohnung an seine Gattin den Hauseigentümern nie zur Anzeige gebracht hatte, äußerte sich, nachdem vorher von der Klägerin die Übertragung der Hauptmietrechte an sie durch die Hauseigentümer verlangt worden war, gegenüber dem Hausverwalter, der ihm von dem Begehren der Klägerin Mitteilung gemacht hatte, er bleibe nach wie vor Hauptmieter, und eine Übertragung der Mietrechte komme nicht in Frage. Im März 1959 richtete der Hausverwalter ein Schreiben an den Nebenintervenienten, in dem er darauf hinwies, daß der Nebenintervenienten die Wohnung seit Jahren nicht mehr zur Befriedigung eines regelmäßigen Wohnungsbedürfnisses verwende, und ihn aufforderte, in seinem Büro vorzusprechen, um den Gerichtsweg zu vermeiden. Die Klägerin teilte hierauf dem Hausverwalter mit, daß sie sich als Hauptmieterin der Wohnung betrachte. Nunmehr gab der Hausverwalter der Hausbesorgerin den Auftrag, den Mietzins nur mehr vom Nebenintevenienten entgegenzunehmen. Der Nebenintervenient zahlt seit April 1959 den Mietzins für die Wohnung, die Klägerin erlegt seither einen entsprechenden Betrag zu Gericht.

Das Erstgericht, das den oben festgehaltenen Sachverhalt als erwiesen annahm, vertrat die Rechtsansicht, daß der Nebenintervenient zwar die Wohnung, die er bis dahin gemeinsam mit seiner Gattin bewohnt hatte, verlassen und, wie sich aus seinem Verhalten und seiner Erklärung der Klägerin gegenüber ergebe, auch im Sinne des § 19 Abs. 2 Z. 10 MietG. der Klägerin überlassen habe, daß aber dennoch die Klägerin nicht als Hauptmieterin der Wohnung anzusehen sei, weil nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes erst die Anzeige des weichenden Mieters die Fiktion der Entstehung eines Mietvertrages zwischen den zurückgebliebenen Angehörigen und dem Vermieter begrunde. Es sei aber auch nach den getroffenen Feststellungen weder ausdrücklich noch stillschweigend zwischen der Klägerin und den Beklagten ein Mietvertrag über die Wohnung zustande gekommen. Von einer ausdrücklichen Mietvereinbarung könne schon deshalb keine Rede sein, weil der Hausverwalter Dr. K., als die Klägerin von ihm die Anerkennung ihrer Hauptmietrechte begehrte, auf einer Verzichtserklärung des Nebenintervenienten bestanden habe. Ob der Hausverwalter einen Meldezettel unterschrieben habe, auf dem die Klägerin als Hauptmieterin bezeichnet war, sei für die Entscheidung ohne Belang. Ein stillschweigender Vertragsabschluß durch Zinszahlung durch die Klägerin komme nicht in Frage, weil die Klägerin nicht ausdrücklich bekanntgegeben habe, ob sie den Mietzins im eigenen Namen oder im Namen ihres Gatten zahle.

Das Berufungsgericht, das die Feststellungen des Erstgerichtes übernahm, teilte auch dessen Rechtsansicht, daß zwischen den Streitteilen weder ausdrücklich noch stillschweigend ein Mietverhältnis begrundet wurde. Der Oberste Gerichtshof vertrete zwar in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß die Anzeige der Wohnungsüberlassung eine bloße Ordnungsvorschrift sei. Das Berufungsgericht meinte aber, daß der Angehörige erst mit der Verständigung des Vermieters von der Überlassung der Wohnung diesem gegenüber als Mieter anzusehen und für den Mietzins zahlungspflichtig sei. Erst von diesem Zeitpunkt an könne der Vermieter verpflichtet sein, die bezeichneten Angehörigen als Hauptmieter zu behandeln und den Zins, den sie im eigenen Namen zahlten, von ihnen anzunehmen. Diese Einschränkung entspreche dem klaren Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes; sie sei insbesondere dann angebracht, wenn, wie hier, der bisherige Mieter mit seiner zurückgebliebenen Gattin in Streit verfangen sei, beide gegenteilige Ziele verfolgten und der bisherige Mieter dem Vermieter gegenüber wiederholt erklärt habe, eine Übertragung der Mietrechte an die Klägerin komme nicht in Frage. Es würde zu unerträglichen Konsequenzen führen und den Vermieter unter Umständen vor unlösbare Schwierigkeiten stellen, wollte man auch in diesem Fall den Standpunkt vertreten, der Vermieter müsse jeden, der behauptet, kraft Gesetzes in das Mietverhältnis allein eingetreten zu sein, als solchen Mieter anerkennen, um damit seinem bisherigen Vertragspartner oder allfälligen sonstigen Angehörigen gegenüber womöglich vertragsbrüchig zu werden. Es könne nicht Aufgabe des Vermieters sein, bei widerstreitenden Erklärungen der Beteiligten für eine Partei Stellung zu nehmen. Das Berufungsgericht bestätigte daher die das Begehren auf Feststellung der Hauptmietrechte der Klägerin abweisende Entscheidung des Erstgerichtes.

Der Oberste Gerichtshof stellte in Abänderung des Urteiles des Berufungsgerichtes fest, daß der Klägerin das Hauptmietrecht an der Wohnung zustehe.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach den Feststellungen der Untergerichte kann das Verhalten des Nebenintervenienten nur als Verlassen der Wohnung und Überlassen derselben an die in der Wohnung zurückbleibende Ehegattin gewertet werden. Wenn in der Revisionsbeantwortung der Beklagten und des Nebenintervenienten hiezu ausgeführt wird, von einem Überlassen der Wohnung an die Klägerin könne deshalb nicht die Rede sein, weil es hiezu an dem Willen und der Absicht auf seiten des bisherigen Mieters, die Wohnung aufzugeben, gefehlt habe, ist ihr folgendes zu erwidern:

Der Nebenintervenient hat, wie die Untergerichte ausdrücklich festgestellt haben, der Klägerin gegenüber erklärt, die Wohnung interessiere ihn nicht mehr, sie solle mit der Wohnung machen, was sie wolle. Er hat auch in der Folge bis zum April 1959, also durch vier Jahre, die Mietzinszahlung unterlassen. Ein solches Verhalten kann nach der Verkehrssitte (§ 863 ABGB.) nur dahin verstanden werden, daß der Nebenintervenient die Wohnung verlassen hat, um sie aufzugeben und seiner Gattin zu überlassen. Dieser einmal eindeutig zum Ausdruck gekommene Entschluß kann nicht dadurch wieder aufgehoben werden, daß der Mieter, der die Wohnung bereits einem nahen Angehörigen überlassen hat, später dem Hausverwalter gegenüber erklärt, er denke nicht daran, die Hauptmietrechte aufzugeben.

Es bleibt daher nur die Frage zu entscheiden, welche Bedeutung der Unterlassung der Anzeige von der Überlassung der Wohnung zukommt. Hier ist nun allerdings die Rechtsprechung nicht einheitlich. So hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung ZBl. 1938 Nr. 71 ausgesprochen, daß die Überlassung der Wohnung erst vom Zeitpunkt der erstatteten Anzeige an wirksam werde. Nach der Entscheidung SZ. XXII 187 = EvBl. 1950 Nr. 55 setzt eine nach § 19 Abs. 2 Z. 10 MietG. zulässige Wohnungsüberlassung voraus, daß dem Dritten die alleinige Innehabung der Wohnung eingeräumt und dem Hauseigentümer hievon Anzeige erstattet wird. Die Entscheidung MietSlg. 4664 läßt erst vom Zeitpunkt der Anzeige an den Übergang der Mietrechte auch dem Vermieter gegenüber rechtswirksam werden. In anderen Entscheidungen wird wiederum die Ansicht vertreten, die Anzeige von der Überlassung des Bestandraumes an den Vermieter habe keine konstitutive Wirkung, sie führe lediglich die Verpflichtung des Nachfolgers zur Zinszahlung herbei. Es müsse aber dem Vermieter das Recht gewahrt bleiben, insolange den ursprünglichen Mieter als solchen anzusehen und in Anspruch zu nehmen, als ihm nicht die Anzeige von der Überlassung an eine der in dieser Gesetzesstelle genannten Personen gemacht wurde (MietSlg. 12.727, 555, 557 u. a.). Diese Auffassung beruht offensichtlich auf dem Ausschußbericht 1929 (siehe bei Hesse, Das Mietengesetz, S. 131), wonach der bisherige Mieter durch die Überlassung allein noch nicht als Mieter ausscheidet, sondern für den Mietzins gleichfalls zahlungspflichtig bleibt, wenn ihn der Vermieter nicht aus der Zahlungspflicht entläßt. Zingher (Das Mietengesetz, 11. Aufl. S. 55) ist der Meinung, daß nach dem Wortlaut des Gesetzes der Mietrechtsübergang durch die tatsächliche Überlassung eintritt, daß jedoch die Zahlungspflicht des eintretenden Mieters erst mit der Anzeige in Kraft tritt. In der Entscheidung GerH. 1931 S. 212 = MietSlg. 12.726) wird ausgeführt, daß der Übergang der Mietrechte kraft Gesetzes eintrete, gleichgültig ob eine Anzeige erstattet wurde und ob diese der Vermieter zur Kenntnis nehme oder nicht. Die Folge der Unterlassung der Anzeige sei bloß die, daß der Mieter, der die Wohnung verlassen habe, weiter als Mieter anzusehen und zur Zahlung des Zinses verpflichtet sei. Auch der Verwaltungsgerichtshof sagt in seiner Entscheidung MietSlg. 1402 = ÖJZ. 1950 S. 388 = JBl. 1950 S. 297, daß nach § 19 Abs.2 Z. 10 MietG. im Fall einer Wohnungsüberlassung der Eintritt in den bestehenden Mietvertrag kraft gesetzlicher Fiktion nur stattfinde, wenn der bisherige Mieter die Wohnung verläßt. Die in den zuletzt angeführten Entscheidungen zum Ausdruck kommende Rechtsansicht hat sich bereits der erkennende Senat in der Entscheidung 5 Ob 364/58 zueigen gemacht, indem er dort ausführt, die Anzeige der Überlassung an den Vermieter sei eine bloße Ordnungsvorschrift, deren Verletzung nur mit der Rechtsfolge verbunden sei, daß der Mieter, der die Wohnung verlassen habe, weiter dem Vermieter gegenüber zur Zahlung des Zinses verpflichtet bleibe. Die Unterlassung der Anzeige könne aber den zurückgebliebenen nahen Angehörigen hinsichtlich ihrer schon kraft Gesetzes erworbenen Mietrechte nicht zum Nachteil gereichen. Der erkennende Senat hält an dieser Entscheidung in der Erwägung fest, daß nach Sinn und Zweck der seit 1929 novellierten Fassung des § 19 Abs.2 Z. 10 MietG. nicht nur das persönliche Wohnungsbedürfnis des Mieters, sondern auch das Wohnungsbedürfnis seiner nahen Angehörigen geschützt werden soll, die beim Verlassen der Wohnung durch den Mieter mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebten (vgl. SZ. XII 33). Damit ist aber die Rechtssache bereits im Sinne des von der Klägerin gestellten Klagebegehrens entschieden.

Es mag sein, daß in dem Fall, in dem der Mieter eine Überlassung der Wohnung an einen nahen Angehörigen bestreitet und behauptet, nach wie vor Mieter der Wohnung zu sein, der Vermieter vor die von ihm ohne Zuhilfenahme des Gerichtes nur schwer zu lösende Frage gestellt wird, ob der bisherige Mieter oder der zurückgebliebene Angehörige Mieter der Wohnung sei. Allein diese Schwierigkeiten wurden, worauf schon Swoboda in seinem Kommentar zum Mietengesetz (2. Aufl. S. 226 ff.) mit Recht hinweist, durch die in das Gesetz aufgenommene Fiktion heraufbeschworen. Sie zu beseitigen, mag eine Änderung der Bestimmung des § 19 Abs. 2 Z. 10 MietG. im Weg der Gesetzgebung rätlich erscheinen lassen. Bis dahin wird aber die Rechtsprechung diese Schwierigkeiten zu meistern haben. Würde man dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 Z. 10 MietG. folgen und das Entstehen des Mietverhältnisses mit den nahen Angehörigen nicht an die Überlassung der Wohnung durch den ausscheidenden Mieter, sondern an dessen Anzeige an den Vermieter knüpfen, dann würde vielfach der oben dargelegte Zweck der Bestimmung des § 19 Abs. 2 Z. 10 MietG. nicht erfüllt werden. Denn der Mieter, der eine Wohnung aufgibt und sie seinen Angehörigen überläßt, hat häufig kein Interesse daran, daß seinen Angehörigen das Recht zur Benützung der Wohnung gewahrt bleibt.

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