OGH 5Ob618/59

OGH5Ob618/5913.1.1960

SZ 33/4

Normen

NWG §1
NWG §2
NWG §1
NWG §2

 

Spruch:

Die Einräumung eines Notweges zu Gunsten eines Grundstückes hat nicht dessen zeitlich unbegrenzt mögliche Bewirtschaftung oder Benützung unter Schonung der Substanz zur Voraussetzung.

Sie ist auch bei Entstehung des Bedarfes nach einem Notweg durch die Intensivierung der Nutzung des Grundstückes möglich.

Entscheidung vom 13. Jänner 1960, 5 Ob 618/59.

I. Instanz: Bezirksgericht Amstetten; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten.

Text

Das Rekursgericht wies in Abänderung der Entscheidung des Erstgerichtes, die nur von der Antragsgegnerin Maria A. angefochten worden war, den Antrag auf Einräumung eines Notweges über die der Antragsgegnerin Maria A. gehörige Grundparzelle 564/4 der EZ. 77 KG. H. zum Zweck der Schottergewinnung aus der Parzelle des Antragstellers Nr. 572/1 der EZ. 53 KG. H. mit der Begründung ab, daß unter den im § 1 NotwegeG. gebrauchten Worten "ordentliche Bewirtschaftung und Benützung" nur eine zeitlich unbegrenzt mögliche Bewirtschaftungs- oder Benützungsform des Grundstückes, die unter Schonung der Substanz erfolge, verstanden werden könne. Überdies habe der Antragsteller dadurch, daß er auf der Parzelle 572/1, die er im Jahr 1953 gekauft hatte und die eine für die landwirtschaftliche Nutzung ausreichende Wegverbindung besaß, ein der Schottergewinnung dienendes Unternehmen errichtete, den Bedarf nach einem Notweg selbst geschaffen. Es könne nicht Sinn des Notwegegesetzes sein, eine durch willkürliche Entscheidungen eines Gründeigentümers geschaffene oder erst zu schaffende Zwangslage durch Einräumung eines Notweges zu Lasten der Grundnachbarn wieder zu beseitigen (SZ. X 232, NotZ. 1956 S. 107). Das Notwegegesetz schaffe eben Abhilfe nur gegen eine bestehende und ohne Zutun des Gründeigentümers eingetretene Notwegebedürftigkeit, nicht aber gegen einen Notstand, den der Gründeigentümer selbst in Kenntnis der gegebenen Sachlage veranlaßt habe. Schließlich bestehe auch - zumindest derzeit - kein rechtliches Interesse an der Einräumung des Notweges. Der Notweg sei nur über eine - allerdings bereits auf öffentlichem Gut gelegene - Brücke erreichbar, gegen deren Benützung für Schotterfuhrwerke öffentlich-rechtliche Bedenken bestunden. Solange nicht die Befahrbarkeit der Brücke festgestellt und die diesbezüglichen Bedenken der zuständigen Verwaltungsbehörde beseitigt seien, sei eine Benützung des Notweges nicht möglich und daher ein rechtliches Interesse an dessen Einräumung nicht gegeben.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Antragstellers Folge und hob den Beschluß des Rekursgerichtes auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, daß die Einräumung eines Notweges zugunsten eines Grundstückes dessen zeitlich unbegrenzt mögliche Bewirtschaftung oder Benützung unter Schonung der Substanz voraussetze, steht im Widerspruch zur Judikatur (GlU. 15.904, GlU. 16.073, GlUNF. 28) und Rechtslehre (Klang 2. Aufl. II 159; Ehrenzweig 2. Aufl. I/2 S. 347). Sie findet weder im Wortlaut des Gesetzes noch in seiner Entstehungsgeschichte eine Grundlage. Nach dem Sprachgebrauch muß von ordentlicher Benützung eines Grundstückes dann gesprochen werden, wenn aus ihm der Nutzen gezogen wird, den es nach seiner Natur und Beschaffenheit zu gewähren vermag (GlU. 16.073). Die Frage, ob eine ordentliche Benützung vorliegt, darauf abzustellen, ob dabei ein "Substanzeingriff" erfolgt, geht schon deshalb nicht an, weil die Grenze, wann von einem Eingriff in die Substanz und wann von einer Benützung ohne einen solchen gesprochen werden kann, eine fließende ist. Die Schlägerung eines Waldes etwa bedeutet im Gründe genommen auch einen Eingriff in die Substanz, eine unsachgemäß betriebene Forst- oder Landwirtschaft kann sogar zur Versteppung oder Verkarstung des Gründes, also zu seiner wirtschaftlichen Vernichtung führen, obwohl niemand daran zweifeln wird, daß die Einräumung eines Notweges zugunsten eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes ohne Rücksicht auf die Art der Bewirtschaftung zulässig ist. Umgekehrt bedeutet die Benützung eines Gründes zur Schottergewinnung nicht unbedingt den "Verbrauch seiner Substanz". Der Grund kann nach Einstellung der Schottergewinnung wieder aufgeforstet, er kann als Baugrund verwendet werden u. dgl. Das Gesetz trifft keine Unterscheidung zwischen Benützung mit oder ohne Schonung der Substanz, es will jegliche wirtschaftliche Benützung des Grundstückes ermöglichen (GlUNF. 28). Auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergeben sich für die vom Rekursgericht vertretene Meinung keine Anhaltspunkte. Wie sich aus den erläuternden Bemerkungen zu dem Gesetzesentwurf für das Notwegegesetz ergibt, bezweckt das Gesetz auch, den Gründeigentümer in die Lage zu versetzen, seinen Wirtschaftsbetrieb in rationellerer, freierer und intensiverer Weise einzurichten GlU. 15.904). Hiebei kann es keinen Unterschied machen, ob die Intensivierung der Nutzung in einer Rationalisierung der auf dem Grund betriebenen Landwirtschaft oder durch Aufnahme der gewerblichen Nutzung besteht. Das Notwegegesetz bezweckt nicht nur die Ermöglichung oder Erleichterung der auf einem Grundstück betriebenen Landwirtschaft, sondern die Ermöglichung oder Erleichterung der Bewirtschaftung oder Benützung von Grund und Boden überhaupt (GlU. 16.073). Voraussetzung ist nur, daß es sich bei dem auf der Liegenschaft betriebenen Unternehmen um einen Betrieb handelt, der an eine Liegenschaft gebunden ist und nicht ebensogut auf irgendeinem anderem Grundstück betrieben werden könnte (SZ. X 232, SZ. XV 72).

Will aber das Gesetz die Intensivierung der Nutzung ermöglichen oder erleichtern, dann kann es nicht in seiner Absicht gelegen sein, dem Eigentümer des Gründes einen Notweg nicht zuzugestehen, wenn er den Bedarf nach einem solchen durch einen freien Willensentschluß, nämlich durch die Intensivierung der Nutzung, selbst geschaffen hat. Die Berufung des Rekursgerichtes auf die Entscheidung NotZ. 1956 S. 107 geht hier fehl. Bei dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall ergab sich der Bedarf nach einer Wegverbindung überhaupt erst durch den Verkauf eines Teiles eines bisher in einer Hand vereinigten Grundkomplexes, wobei es bei Abschluß des Kaufvertrages nicht gelang, den Verkäufer zur Einräumung einer über die Servitut des Gehweges hinausgehenden Wegservitut zu bewegen. Trotzdem hat die Eigentümerin des verkauften Grundstückes dann auf diesem Grundstück ein größeres Schutzhaus gebaut und wollte nun auf Grund des Notwegegesetzes das erreichen, was bei Abschluß des Kaufvertrages nicht zu erreichen war, nämlich die Einräumung eines Fahrweges. Hier war der Mangel einer ausreichenden Wegverbindung tatsächlich auf die auffallende Sorglosigkeit der Antragstellerin zurückzuführen (§ 2 Abs. 1 NotwegeG.), die bei der Errichtung ihrer Schutzhütte darauf hätte Bedacht nehmen müssen, daß ihr laut Vertrag mit dem früheren Eigentümer des Gründes als einzige Wegverbindung ein Gehweg zur Verfügung stand. Anders im vorliegenden Fall, wo eine solche vertragliche Bindung nicht bestand und der Bedarf nach einer besseren Wegverbindung ohne Zusammenhang mit dem im Jahr 1953 erfolgten Kauf des Gründes durch Aufnahme einer gewerblichen Nutzung des Gründes entstand, die geeignet ist, den Anspruch auf die Einräumung eines Notweges zu begrunden, sofern die anderen im Gesetz gegebenen Voraussetzungen gegeben sind.

Entgegen der Meinung des Rekursgerichtes stehen auch öffentliche Rücksichten (§ 4 Abs. 3 NotwegeG.) der Einräumung des Notweges nicht entgegen. Die Bezirkshauptmannschaft A. hat für das Gericht bindend (§ 9 Abs. 4 NotwegeG.) ausgesprochen, daß an sich aus öffentlichen Rücksichten keine Bedenken gegen die Benützung eines der Grundstücke, die für den Notweg in Betracht kommen, bestehen. Sie hat lediglich Bedenken hinsichtlich der Tragfähigkeit der im Bereich des öffentlichen Weges liegenden Brücke geäußert, der die Zufahrt zu dem geplanten Notweg ermöglicht. Abgesehen davon, daß diese Bedenken sich lediglich auf die unbeschränkte Benützung der Brücke durch schwerere Fahrzeuge beziehen, besteht auch die Möglichkeit einer entsprechenden Instandsetzung der Brücke.

Mit den vom Rekursgericht herangezogenen Gründen läßt sich somit die Abweisung des Antrages auf Einräumung eines Notweges nicht rechtfertigen. Da das Rekursgericht, von seiner als irrig erkannten Rechtsansicht geleitet, zu den Ausführungen des Rekurses, die in ganz anderer Richtung gehen und dem erstgerichtlichen Verfahren u.

a. auch wesentliche Mängel zum Vorwurf machen, nicht Stellung genommen hat, war die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses notwendig.

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