OGH 4Ob131/59

OGH4Ob131/5927.10.1959

SZ 32/135

Normen

Kollektivvertragsgesetz §2
Kollektivvertragsgesetz §9
Kollektivvertragsgesetz §2
Kollektivvertragsgesetz §9

 

Spruch:

Außerkraftsetzung des durch eine Arbeitsordnung geregelten Anspruches auf Gewährung eines bezahlten Wirtschaftstages durch einen neuen Kollektivvertrag.

Entscheidung vom 27. Oktober 1959, 4 Ob 131/59.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Untergerichte haben das Klagebegehren, festzustellen, daß die Klägerin gegenüber der Beklagten im Rahmen ihres Dienstverhältnisses als Angestellte das Recht auf Gewährung eines bezahlten allmonatlichen Hauswirtschaftstages besitze, abgewiesen.

Die Klägerin ist seit 15. Oktober 1952 bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte bedienstet. Seit ihrem Dienstantritt wird ihr allmonatlich bei einer 45stundigen, auf die Werktage Montag bis Freitag verteilten wöchentlichen Arbeitszeit ein Hauswirtschaftstag gewährt. Dieses Recht ist überdies im Jahre 1956 in der Arbeitsordnung der Beklagten verankert worden. Obwohl sich nach Inkrafttreten des Kollektivvertrages betreffend die Einführung der 45-Stunden-Woche hinsichtlich der Arbeitszeit der Klägerin nichts geändert hat, lehnt die Beklagte ab Februar 1959 die Gewährung eines bezahlten Wirtschaftstages ab. Die Beklagte beruft sich bei Einstellung der Gewährung des bezahlten Wirtschaftstages auf § 7 des Kollektivvertrages. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Kollektivvertrages sind vorliegendenfalls gegeben, eine Ausnahme nach § 1 Abs. 2 des Kollektivvertrages liegt nicht vor. In dem hier interessierenden Passus der Arbeitsordnung heißt es: "Trotz der Fünftagewoche wird den weiblichen Dienstnehmern ein bezahlter Wirtschaftstag einmal im Monat gewährt. Diese Regelung gilt auch für den Urlaubsmonat."

Das Erstgericht begrundete die Abweisung des Feststellungsbegehrens mit folgenden rechtlichen Erwägungen: § 7 des seit 1. Februar 1959 wirksamen Kollektivvertrages betreffend die Einführung der 45- Stunden-Woche bestimme ausdrücklich, daß bestehende Regelungen über die Gewährung eines Hausarbeitstages an weibliche Dienstnehmer außer Kraft treten, sofern die wöchentliche Normalarbeitszeit auf fünf Tage verteilt ist. Dies treffe im vorliegenden Falle zu. Die Klägerin wäre von der Bestimmung des Kollektivvertrages nur dann ausgenommen, wenn die Bestimmung den Beisatz enthielte, daß von ihr jene Fälle ausgenommen seien, in denen bereits vor Inkrafttreten des Kollektivvertrages eine 45stundige, auf fünf Tage verteilte Arbeitszeit bestanden habe. Die Abänderungsmöglichkeit von Arbeitsordnungen und einzelnen Dienstverträgen durch einen Kollektivvertrag ergebe sich aus seiner Überordnung ihnen gegenüber. Sondervereinbarungen seien nur unter der Voraussetzung zulässig, daß sie durch den Kollektivvertrag nicht ausgeschlossen würden und überdies für den Dienstnehmer günstiger seien oder eine im Kollektivvertrag nicht geregelte Materie beträfen. Ob der Kollektivvertrag auf Grund seiner Überordnung die erwähnte Bestimmung der Arbeitsordnung außer Kraft gesetzt habe oder ob er einen Ausschluß im Sinne des § 2 KollVG. darstelle, in jedem Falle der Auslegung sei dies für die Entscheidung einerlei. Könne eine spätere Kollektivvertragsbestimmung einen früheren Kollektivvertrag zuungunsten des Dienstnehmers abändern, so sei nicht zu bezweifeln, daß ein Kollektivvertrag auch Bestimmungen der Arbeitsordnung und des Einzeldienstvertrages zuungunsten des Dienstnehmers abändern könne. Aus § 21 Abs. 2 KollVG. ergebe sich, daß die Kollektivvertragsparteien auch zur Vereinbarung einer Arbeitsordnung befugt seien. Die Klage hätte nur Erfolg haben können, wenn § 7 Abs. 1 des bezogenen Kollektivvertrages gegen eine zwingende gesetzliche Bestimmung verstieße, was aber nicht der Fall sei. Eine rechtliche Grundlage für die Gewährung eines "Hausarbeitstages" sei in der Anordnung des Reichsministers vom 22. Oktober 1943, RABl. 1943 S. III 325, über die Arbeitszeitverkürzung für Frauen, Schwerkriegsbeschädigte und minderleistungsfähige Personen (Freizeitanordnung) geschaffen worden. § 2 dieser Anordnung gewähre Frauen mit eigenem Hausstand bei wöchentlicher Arbeitszeit von mindestens 48 Stunden unter gewissen Voraussetzungen Freizeit (Hausarbeitstag). Da eine mindestens 48stundige wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin nicht vorliege, könne der in Rede stehende Kollektivvertrag schon aus diesem Grund gegen die erwähnte Anordnung nicht verstoßen.

Das Berufungsgericht war der Auffassung, daß es vor allem um die Frage gehe, ob die in der Arbeitsordnung und im Einzeldienstvertrag getroffene Vereinbarung über einen Hauswirtschaftstag durch den mehrfach erwähnten Kollektivvertrag zuungunsten der Klägerin abgeändert werden könne. In Übereinstimmung mit der Rechtsansicht des Erstgerichtes sei diese Frage zu bejahen. In der Entscheidung SZ. XXXI 152 habe sich der Oberste Gerichtshof ausführlichst mit diesen Fragen befaßt und sei zu dem Schluß gekommen, daß das österreichische Kollektivvertragsrecht dem Ordnungsprinzip den Vorrang vor dem Günstigkeitsprinzip gegeben und den Kollektivvertragsparteien die gesetzliche Ermächtigung erteilt habe, innerhalb des Bereichs des nachgiebigen Rechtes und in gewissen Fällen auch innerhalb zwingender Rechtsvorschriften allgemein verbindliche Rechtsnormen aufzustellen, die wie Gesetze wirkten und, wenn sie zwingend seien, auch Sondervereinbarungen norm-(gesetz-)widrig machten (§ 2 Abs 3 KollVG.). Die Folge dieser Normwidrigkeit sei die wenn auch nur zeitweise, Aufhebung einer Sondervereinbarung.

Die Rechtsquellen - nach ihrer Stufenfolge: Kollektivvertrag (Satzung), Arbeitsordnung, Betriebsordnung und Einzelarbeitsvertrag - hätten untereinander verschiedene Kraft, so zwar, daß die höhere die niedrigere außer Kraft setzen könne, aber nicht umgekehrt. Auch die Einzelabrede könne durch Abschluß eines Kollektivvertrages aufgehoben werden, wenn sich aus dem Kollektivvertrag die Absicht ergebe, eine günstigere Bestimmung zu beseitigen. Es bestehe daher nur die Besonderheit, daß solche Einzelabreden durch Kollektivverträge in der Regel nicht unbedingt inhaltlich derogiert würden, wenn sie für die Arbeitnehmer günstiger seien. Sie würden jedoch derogiert, wenn und soweit die Kollektivvertragsparteien sie beseitigen wollten. Aus dem Wortlaut des § 1 des Kollektivvertrages ergebe sich klar der Wille der kollektivvertragschließenden Parteien, die für die Klägerin sicherlich günstigere Bestimmung der Arbeitsordnung bzw. des Einzeldienstvertrages aufzuheben. Deshalb könne auch nicht gesagt werden, daß § 7 des Kollektivvertrages rechtswidrig sei. Von wohlerworbenen Rechten sei auch nicht die Rede, da die Regelung nicht für die Vergangenheit, sondern für die Zukunft wirke.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In weitschweifigen Ausführungen, die ständig denselben Gedanken wiederholen, versucht die Revisionswerberin die rechtliche Beurteilung der hier in Rede stehenden Kollektivvertragsbestimmung als irrig darzustellen. Sie stimmt zwar der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ. XXXI 152 zu, daß das Günstigkeitsprinzip im österreichischen Recht nicht gilt, will aber aus der Beantwortung der Frage, ob für die Abänderung untergeordneter Bestimmungen durch einen Kollektivvertrag materielle oder formelle Derogation Platz zu greifen habe, für ihren Standpunkt Wesentliches gewinnen. Rechtlich sei davon auszugehen, daß kollektivvertragliche Regelungen nicht über den Umweg des Einzeldienstvertrages, sondern unmittelbar auf die betroffenen Dienstverhältnisse einwirkten. Werde durch einen Kollektivvertrag ein vertraglich zustehendes Recht entzogen, so würde der Einzelarbeitsvertrag nicht abgeändert, sondern bleibe weiterhin aufrecht und sei nur rechtlich nicht durchsetzbar. Bei formeller Derogation würde der Kollektivvertrag einzelvertragliche Regelungen mit der Wirkung auf heben und abändern können, daß auch nach Wegfall des Kollektivvertrages die vertragliche Regelung durch die eingetretene Änderung abgeändert bleibe. In gleicher Weise sei auch die Einwirkung des Kollektivvertrages auf eine Arbeitsordnung zu beurteilen. Die Abänderung einer Arbeitsordnung durch einen Kollektivvertrag gemäß § 21 KollVG. sei nur für den Fall vorgesehen, daß die Arbeitsordnung zwischen kollektivvertragsfähigen Körperschaften vereinbart werde. Es sei somit davon auszugehen, daß der Kollektivvertrag neben den genannten Normen als zusätzliche Rechtsquelle bestehe, die unmittelbar ihre Wirkung auf die betroffenen Dienstnehmer-Verhältnisse ausübe, die Bestimmungen einer Arbeitsordnung oder eines Einzeldienstvertrages aber dennoch nicht derogiere, sondern lediglich materiell ergänze oder in ihren Wirkungen aussetze. Eine kollektivvertragliche Regelung sei nur dann dem Gesetz gemäß getroffen, wenn eine materielle Regelung der Rechte und Pflichten erfolge. Eine Aufhebung vertraglicher Bestimmungen oder von Bestimmungen einer Arbeitsordnung ohne materielle Regelung beinhalte lediglich eine formelle Änderung, die dem Kollektivvertrag nicht zukomme. Die Prüfung der hier maßgebenden Bestimmung des Kollektivvertrages ergebe die Verneinung der Frage, ob für den betroffenen Kreis von Dienstnehmern dadurch eine materielle Regelung getroffen worden sei. Habe bisher in einem Betrieb eine Regelung bestanden, daß weibliche Dienstnehmer alle vier Wochen einen Hauswirtschaftstag gewährt erhielten, mit dem Zusatz, bei Fünftagewoche stehe der Hauswirtschaftstag jedoch nur alle sechs Wochen zu, so trete lediglich die Regelung über den Hausarbeitstag betreffend die Fünftagewoche außer Kraft. Bewirkt werde demnach, daß in diesem Fall der Hausarbeitstag statt alle sechs Wochen schon alle vier Wochen zustehe.

Es erübrigt sich, zu den Ausführungen der Revision über den Unterschied der Wirkung formeller und materieller Derogation von Bestimmungen untergeordneter Rechtsquellen durch den Kollektivvertrag Stellung zu nehmen, weil § 7 KollVG. entgegen der Meinung der Revisionswerberin eine materielle Regelung trifft. Die Ausführungen der Revision können, wie die Revisionsbeantwortung richtig hervorhebt, nichts daran ändern, daß mit Wirksamkeitsbeginn des hier in Rede stehenden Kollektivvertrages die Bestimmung der Arbeitsordnung, wonach weiblichen Angestellten ein bezahlter Wirtschaftstag einmal im Monat zusteht, außer Kraft gesetzt wurde. Der Kollektivvertrag ist gemäß § 9 KollVG. in seinen die Rechtsverhältnisse zwischen dem Dienstnehmer und dem Dienstgeber regelnden Bestimmungen Bestandteil des Dienstvertrages. § 2 Abs. 3 KollVG. bestimmt, daß der Kollektivvertrag weder durch Arbeitsordnung noch durch Dienstvertrag aufgehoben und beschränkt werden kann; gleiches gilt im Verhältnis zwischen Arbeitsordnung und Dienstvertrag nach § 25 KollVG. Mit § 7 des Kollektivvertrages vom 28. Jänner 1959 betreffend die Einführung der 45-Stunden-Woche haben die Kollektivvertragspartner die Abänderung bestehender Regelungen in der Weise verfügt, daß bestehende Regelungen über die Gewährung eines Hausarbeitstages an weibliche Dienstnehmer außer Kraft treten, sofern die wöchentliche Normalarbeitszeit auf fünf Tage verteilt ist. Nichts spricht gegen die Wirksamkeit dieser Regelung; so wenig die Ausführungen der Revisionswerberin, die Gegenteiliges vermeinen, überzeugen können, so wenig trifft der Schluß aus dem in der Revision angeführten Beispiel zu. Richtigerweise entfällt auch im Beispielsfall der bezahlte Hausarbeitstag. Die Regelung, wie sie der Kollektivvertrag trifft, ist klar und gibt Zwei- oder Mehrdeutigkeiten keinen Raum.

Da die Revisionswerberin gegen die Argumentation der auch im angefochtenen Urteil bezogenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ. XXXI 152 nicht nur nichts Stichhältiges vorzubringen weiß, sie vielmehr als richtig anerkennt, die kollektivvertragliche Regelung aber an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt, schließt sich der Oberste Gerichtshof der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Urteiles an.

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