Spruch:
Keine Verminderung der einer ledigen Frauensperson für Verunstaltung gebührenden Entschädigung wegen Versorgung der Geschädigten durch eigene berufliche Tätigkeit.
Entscheidung vom 14. Oktober 1959, 2 Ob 317/59.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Das Erstgericht sprach der Klägerin unter dem Titel des § 1326 ABGB. einen Betrag von 40.000 S zu.
Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es der Klägerin 20.000 S zusprach und das Mehrbegehren abwies.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und stellte das erstgerichtliche Urteil wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Rechtsrüge der Klägerin in bezug auf die Ausmittlung des ihr nach § 1326 ABGB. gebührenden Entschädigungsbetrages kann Berechtigung nicht abgesprochen werden.
Das Erstgericht hat der Klägerin unter diesem Titel den Betrag von 40.000 S zuerkannt, wobei es allerdings auch in diesem Zusammenhang auf die Beeinträchtigung ihrer Lebensfreude verwies, entsprechend dem Prozeßstandpunkte der klagenden Partei, die für verminderte Heiratsaussichten und "sonstiges Ungemach" insgesamt 80.000 S begehrt hatte. In tatsächlicher Hinsicht ist das Erstgericht diesbezüglich der Aussage der Schwester der Klägerin als Zeugin und den Angaben der Klägerin gefolgt: in Anbetracht der Jugend, der Vorbildung und der äußeren körperlichen Vorzüge der Klägerin, bei ihren guten sportlichen und tänzerischen Leistungen habe die Klägerin die Aussicht gehabt, sich einen Ehepartner aus besseren Kreisen zu wählen; sie habe sich tatsächlich mit dem künftigen Dipl.-Ing. Alfred S. mit Zustimmung ihrer Eltern verlobt. Diese Verlobung sei von dem Genannten zu Weihnachten 1956 zwecks Vermeidung künftiger Zwistigkeiten wegen der unfallsbedingten Unmöglichkeit einer weiteren Beteiligung der Klägerin an sportlichen und gesellschaftlichen Ereignissen gelöst worden; die Heiratsaussichten der Klägerin seien mit Rücksicht auf ihren nunmehrigen körperlichen Zustand auf ein Minimum gesunken. In rechtlicher Hinsicht hat das Erstgericht ausgeführt, daß es zur Annahme verminderter Heiratsaussichten der Klägerin gar nicht des Nachweises, daß die Verlobung wegen der Unfallsfolgen gelöst wurde, bedurft hätte; es genüge, daß sich die Heiratsaussichten der Klägerin infolge ihres nunmehrigen und auf Lebenszeit andauernden Zustandes ganz allgemein vermindert hätten.
Das Berufungsgericht hat der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des § 1326 ABGB. 20.000 S zuerkannt, das Mehrbegehren zu diesem Punkt aber für unbegrundet erachtet. Nicht zu berücksichtigen seien in diesem Rahmen die aus der Verunstaltung resultierenden seelischen Schmerzen der Klägerin. Nach § 1326 ABGB. sei jener zukünftige Vermögensschaden zu ersetzen, den insbesondere eine Frauensperson dadurch erleide, daß durch eine Verunstaltung ihr besseres Fortkommen verhindert werde. Darunter seien bei Frauen auch die "verminderten Heiratsaussichten" zu verstehen. Der sich daraus ergebende Vermögensschaden trete allerdings, seitdem die Frau in den letzten 30 bis 50 Jahren weitgehend selbst ins Berufsleben getreten sei, wesentlich zurück, da die Ehe der Frau jetzt nicht mehr die einzige wirtschaftliche Versorgung gewährleiste, wie dies zur Zeit der Entstehung des ABGB. noch vorwiegend der Fall gewesen sei. Die Klägerin stehe bereits als Angestellte im Beruf, so daß sie die Minderung der Heiratsaussichten wirtschaftlich nicht so schwer treffe, als wenn sie ihre Versorgung nur in einer Ehe finden könnte.
In diesem Punkt liegt die Revision der Klägerin vor, die aus dem Revisionsgrunde des § 503 Z. 4 ZPO. die Zuerkennung einer Entschädigung von insgesamt 40.000 S aus dem Rechtsgrunde des § 1326 ABGB. zu erreichen sucht.
Die durch den Verkehrsunfall vom 6. März 1955 hervorgerufene Verunstaltung der Klägerin übt auf die "freie Erwerbs- und Standeswahl" (vgl. Ehrenzweig, 2. Aufl. II/1 S. 632) einen nachteiligen Einfluß aus; sie beeinträchtigt die Versorgung der Klägerin durch eine angemessene Heirat. Zutreffend hat das Erstgericht in diesem Zusammenhang auf die Lösung des Verlöbnisses durch Alfred S. hingewiesen und den Entschädigungsanspruch der Klägerin nach § 1326 ABGB. auch abgesehen von diesem konkreten Umstande aus allgemeinen Erwägungen bejaht. Das Berufungsgericht hat gegen die grundsätzliche Berechtigung der Klägerin, Ersatz nach § 1326 ABGB. von der Beklagten zu fordern, keine Bedenken, es will aber die Höhe des Entschädigungsbetrages deshalb enger begrenzen, weil die Klägerin bereits durch ihre eigene beruflichen Tätigkeit versorgt sei. Dieser Ansicht kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die Ausübung einer eigenen beruflichen Tätigkeit durch eine Frau keineswegs die Möglichkeit ihrer Eheschließung und damit einer günstigeren wirtschaftlichen Lage ausschließt. Diese Erwägung muß vorliegendenfalls umso mehr gelten, als die Klägerin konkrete Aussichten einer Heirat mit einem angehenden Techniker dargetan und zugleich nachgewiesen hat, daß diese Aussichten infolge des ihr zugestoßenen Unfalls zunichte geworden sind. Zutreffend weist die Revisionswerberin aber auch darauf hin, daß sie nunmehr als kleine Angestellte ohne jede Aussicht auf besonderen Aufstieg im Leben stehe. Die durch den Unfall vom 6. März 1955 herbeigeführte Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung der Klägerin bedeutet ja auch eine Erschwernis im Fortkommen der Klägerin im Angestelltenberuf, weil ihr damit Stellen verschlossen bleiben müssen, in denen auf äußere Erscheinung besonderes Gewicht gelegt wird. Mit Rücksicht auf alle Umstände dieses Falles erachtet daher das Revisionsgericht das in dritter Instanz noch aufrechte Begehren der Klägerin aus dem Titel des § 1326 ABGB. in der Höhe von insgesamt 40.000 S nicht für überhöht, so daß unter Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidung das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen war.
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