OGH 5Ob345/59

OGH5Ob345/599.9.1959

SZ 32/102

Normen

ABGB §1017
ABGB §1029
4. Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art8 Nr. 9
ABGB §1017
ABGB §1029
4. Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art8 Nr. 9

 

Spruch:

Art. 8 Nr. 9 der 4. EVzRGB. gilt auch für Blankoquittungen, die erst in Gegenwart des Zahlenden ausgefüllt wurden.

Entscheidung vom 9. September 1959, 5 Ob 345/59.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung des Betrages von 3544 S, d. i. des Kaufpreises für eine der Beklagten von der Klägerin gelieferte Waschmaschine zum Preis von 6600 S abzüglich eines Betrages von 2000 S, welcher der Beklagten für eine alte Waschmaschine gutgeschrieben wurde, und des Betrages von 1056 S, d.

i. der 16%igen Provision, die eine Vertretergruppe der Klägerin zu verrechnen berechtigt war. Der Entscheidung des Erstgerichtes liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Gruppe fuhr mit einem VW-Kombiwagen herum, der Eigentum der Klägerin war, und die Aufschrift R. & B. trug. Sie bestand aus mehreren Personen, darunter Ernst S. und Wolfgang L., und nahm Bestellungen von Waren für die Klägerin entgegen. Dem Wolfgang L. wurden von der Klägerin ein Auftrags- und ein Quittungsbuch übergeben. Die Auftragsformulare enthalten u. a. den Vermerk, daß an Vertreter geleistete Anzahlungen nicht anerkannt würden - es sei denn, daß eine Inkassovollmacht vorgewiesen werde -, daß Zahlungen ausschließlich an R. & B. zu richten seien und daß anders geleistete Zahlungen nicht anerkannt würden. Die vorgedruckten Quittungen tragen die Überschrift "Kassabestätigung" und sind mit fettgedruckten Ziffern fortlaufend numeriert. Auf der Seite ist die Firma der Klägerin mit ihrer Anschrift und den Kontonummern von Kreditanstalt und Postsparkasse vermerkt. Der Text lautet:

"Sie erlegten heute den Betrag von ... i. W. ..., welchen wir Ihnen laut tieferstehender Aufstellung dankend gutgeschrieben haben.

R. & B. Maschinen und Elektrogeräte."

Eine auf 1000 S beschränkte Inkassovollmacht hatte nur Wolfgang L. Die Aufträge wurden aber von S. aufgenommen, da L. nicht imstande war, richtige Aufträge entgegenzunehmen. S. kassierte von der Beklagten, wie auch in vier anderen Fällen, wo die Inkassi von der Klägerin anerkannt wurden, den Kaufpreis. Er stellte sich als "Dr. S." vor. Die von der Beklagten und ihrem Gatten vorgebrachten Bedenken gegen die Inkassoberechtigung des S. zerstreuten dieser und die anderen Angehörigen der Verkaufsgruppe durch den Hinweis darauf, daß S. nicht Vertreter, sondern Verkaufsbeamter sei und von der Klägerin den Originalkassablock hätte, so daß die Zahlungen nicht an ihn, sondern an die Klägerin selbst erfolgten. Auf dieselbe Weise wurden auch die anderen Käufer, deren Zahlungen von der Klägerin anerkannt wurden, zur Leistung der Zahlungen an S. veranlaßt.

Das Erstgericht gelangte zur Verurteilung der Beklagten auf Grund der Erwägung, daß S. nicht inkassoberechtigt gewesen sei und daher die Zahlungen an ihn nur insofern mit schuldbefreiender Wirkung erfolgt seien, als sie nicht den Betrag überstiegen, den die Verkaufsgruppe als Provision zu verrechnen berechtigt war.

Das Berufungsgericht wies in Abänderung des Ersturteiles die Klage zur Gänze ab. Es nahm den Standpunkt ein, daß die Klägerin dadurch, daß sie S. in die Lage versetzt habe, Kassabestätigungen in unbeschränkter Höhe auszustellen, einen äußeren Tatbestand gesetzt habe, auf Grund dessen Dritte von dem Vorhandensein der Vertretungsmacht und der Inkassovollmacht des S. überzeugt sein mußten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der klagenden Partei ist zuzugeben, daß nach dem Inhalt des Antragsformulars die Beklagte nur entweder an einen mit Inkassovollmacht ausgewiesenen Vertreter oder an die klagende Partei selbst zahlen durfte. Aber für die Frage nach der Inkassoberechtigung des S. ist nicht nur der Inhalt des Antragsformulars, sondern auch der Inhalt der Kassabestätigungsformulare von Bedeutung, in deren Besitz S. durch die Klägerin gekommen ist, da der Übernahmeschein über den Erhalt des Auftragsbuches und des Quittungsbuches nicht nur von den beiden anderen Mitgliedern der Verkaufsgruppe, d. s. Wolfgang L. und Anna W., sondern auch von S. gezeichnet ist. Die gesetzliche Grundlage für diese rechtliche Beurteilung findet sich in der aus Art. 296 AHGB. und § 370 DBGB. übernommenen Bestimmung des Art. 8 Nr. 9 der

4. EVzHGB. Danach gilt der Überbringer einer Quittung als ermächtigt, die Leistung zu empfangen, sofern nicht die dem Leistenden bekannten Umstände der Annahme einer solchen Ermächtigung entgegenstehen. Diese Bestimmung ist auch auf die Leistung auf Blancoquittungen anwendbar, die vom Ermächtigten unberechtigt ausgefüllt worden sind (Palandt, BGB., 18. Aufl. S. 338 zu § 370 BGB.; Reichsgerichtsräte-Kommentar zum BGB.. 10. Aufl. I S. 675). Wer ein Blankett übergibt, muß damit rechnen, daß das Blankett ausgefüllt präsentiert wird (Staub - Pisko, Kommentar zum AHGB., IV S. 155 zu Art. 296 AHGB.). Allerdings ist dabei in erster Linie an die Übergabe eines bereits unterschriebenen und vom Präsentanten ausgefüllten Quittungsformulars an den Zahlenden zu denken. Der in der Bestimmung des Art. 8 Nr. 9 der 4. EVzHGB. verankerte Grundsatz des Schutzes des gutgläubigen Vertragspartners muß aber dazu führen, daß auch dann, wenn das Quittungsformular erst vor den Augen des Vertragspartners ausgefüllt wird, der Aussteller vom Vertragspartner als zum Geldempfang berechtigt angesehen werden kann, insofern der Aussteller nicht nur im Besitz eines einzelnen Quittungsblanketts, sondern im Besitz eines ganzen Quittungsbuches ist, dessen Blätter fortlaufend numeriert und mit der Firma des Lieferanten gezeichnet sind. Dadurch muß in dem Käufer der Eindruck erweckt werden, daß der Vertreter berechtigt ist, für die von ihm vertretene Firma Zahlungen in Empfang zu nehmen und den Empfang namens der Firma zu bestätigen. Der Einwand der Revision, es sei aus buchhalterischen, steuerlichen und aus Kontrollgrunden zwingend die Übergabe von Kassabestätigungsbüchern vorgeschrieben, ist nicht stichhältig. Die von der Revision angegebenen Gründe mögen es rechtfertigen, daß Zahlungen nur auf vorgeschriebenen Kassabestätigungsformularen bestätigt werden. Wenn aber der Vertreter einer Firma zur Empfangnahme von Zahlungen überhaupt nicht berechtigt ist, fehlt jeder Anlaß, Inkassobestätigungsbücher auszuhändigen. Die Aushändigung des Kassabestätigungsbuches muß für jeden Außenstehenden einen deutlichen Hinweis darauf darstellen, daß der Vertreter zur Empfangnahme von Zahlungen berechtigt ist. Er kann daher Zahlungen an den Vertreter mit schuldbefreiender Wirkung leisten, sofern er nicht aus den Umständen entnehmen mußte, daß die Verwendung des Kassabestätigungsbuches eine mißbräuchliche oder daß die Inkassoberechtigung des Vertreters nur eine beschränkte ist.

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