OGH 1Ob246/59 (1Ob245/59)

OGH1Ob246/59 (1Ob245/59)19.8.1959

SZ 32/94

Normen

HGB §377
HGB §377

 

Spruch:

Fehlende Waschbarkeit und mangelnde Reißfestigkeit eines Stoffes sind offene Mängel, die ein Fachmann sofort erkennen kann (§ 377 HGB.).

Entscheidung vom 19. August 1959, 1 Ob 245, 246/59.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht sprach der klagenden Partei den aus dem Titel des entgangenen Gewinnes begehrten Betrag von 1800 US-Dollar, in österreichische Schilling umgerechnet, zu und sprach aus, daß die auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes gestützte Gegenforderung des Beklagten in der Höhe von 20.000 S nicht zu Recht bestehe. Der Beklagte habe - so stellt das Erstgericht fest - mit dem Auftrag vom 22. Februar 1955 beim Vertreter Josef L. der klagenden Partei und dessen Subvertreter Ernst B. 100.800 m Stoff Vichy Qualität 273/X (avenir) zum Preis von 0.18 Dollar per Meter bestellt, wobei er die Bestellung von der Zusage einer Probesendung von 5000 bis 10.000 m abhängig gemacht habe. Die klagende Partei habe daraufhin dem Beklagten die Probesendung von 10.480 m Stoff zukommen lassen, die er unbeanstandet übernommen und bezahlt habe. Am 8. April 1955 habe der Beklagte die weitere Warenmenge abgerufen und um Lieferung von je 10.000 m wöchentlich ersucht. Nachdem die klagende Partei etwa 30.000 m des bestellten Stoffes nach Hamburg zum Weitertransport nach Wien verschifft hatte, hätten der Beklagte und dessen Geldgeberin, die Firma Adolf B. und P., am 17. Mai 1955 der klagenden Partei mitgeteilt, daß die gelieferte Ware nicht den Erwartungen entspreche und der Beklagte deshalb den Abruf der weiteren Stoffmenge storniere. Am 20. Mai 1955 habe der Beklagte die zuerst gelieferte Ware gerügt, weil sie unter den Händen zerreiße und die Farbe das Waschen nicht aushalte. Die klagende Partei habe aber mit den Schreiben vom 24. und 26. Mai 1955 die Beanstandungen zurückgewiesen, weil der Beklagte die Ware selbst ausgesucht und eine Probelieferung erhalten habe, die er habe untersuchen können. Die klagende Partei sei sodann am 4. November 1955 vom Kaufvertrag zurückgetreten und verlange den entgangenen Gewinn von 0.02 Dollar pro Meter, für 90.000 m daher 1800 Dollar. Da nach dem Gutachten des Sachverständigen Ing. G. der gelieferte Stoff ein Baumvollstoff minderer Qualität sei, der nur eine geringe Wasser- und Waschechtheit aufweise und an den nur geringste Gebrauchsansprüche gestellt werden dürften, da jeder Fachmann die mindere Qualität trotz der Appretur ohne weiteres feststellen könne, und da bei einem Stoff mit dem sehr niedrigen Preis von 0.18 Dollar (gleich 4 S 68 g) pro Meter mangels besonderer Zusage keine Waschechtheit vorausgesetzt werden könne, habe der Beklagte die Ware nicht nachträglich beanstanden können. Wegen des Annahmeverzuges des Beklagten sei die klagende Partei vielmehr berechtigt gewesen, ihren Rücktritt vom Vertrag, betreffend die 90.000 m Stoff, zu erklären und Schadenersatz zu verlangen. Der Beklagte sei nach §§ 920, 921 ABGB. verpflichtet, der klagenden Partei diesen Schaden, der auch den entgangenen Gewinn umfasse (Art. 8 Nr. 2 der 4. EVzHGB.), in der angemessenen Höhe des Klagebetrages zu ersetzen. Die Gegenforderung des Beklagten von 20.000 S, die er auf die angeblich nicht vertragsgemäße Lieferung durch die klagende Partei stütze, bestehe hingegen nicht zu Recht.

Infolge Berufung des Beklagten bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil als Zwischenurteil insofern, als das grundsätzliche Bestehen der Klageforderung und das Nichtbestehen der Gegenforderung des Beklagten angenommen wurde. Hinsichtlich der Höhe des Schadens der klagenden Partei hob das Berufungsgericht aber das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und im wesentlichen auch dessen rechtliche Beurteilung der Sache. Die geringe Reißfestigkeit des Stoffes sei - so nimmt das Berufungsgericht an - kein geheimer Mangel gewesen, so daß er vom Beklagten nicht mehr geltend gemacht werden könne. Ebensowenig sei das Zustandekommen einer Vereinbarung erwiesen, wonach die geringe Waschechtheit objektiv ein Mangel der an sich mustergemäßen Ware wäre, die der Lieferung die Eignung zur Erfüllung des Kaufvertrages nähme. Der Beklagte habe deshalb die Bestellung vom 22. Februar und 8. April 1955 nicht stornieren dürfen, und die klagende Partei habe das Recht gehabt, vom Vertrag zurückzutreten. Die Feststellung der Höhe des der klagenden Partei entgangenen Gewinnes bedürfe jedoch noch weiterer Feststellungen. Maßgebend seien nämlich die konkreten Verhältnisse der klagenden Partei, da sie sich schon in der Klage auf die vorzulegenden Kalkulationsgrundlagen berufen und bei der Streitverhandlung vom 4. Februar 1956 vorgebracht habe, daß 0.02 Dollar pro Meter für sie ein angemessener Gewinn sei, weil ihr die Stellung einer Produzentin und Exporteurin zukomme. Da das Erstgericht keine Tatsachen festgestellt hat, welche die Höhe des der Klägerin gebührenden Schadenersatzbetrages rechtfertigten, müßten bei Berechnung des abstrakten Differenzschadens im Sinne des § 921 ABGB. die maßgebenden typischen Grenzwerte (Einstandspreis, Verkaufspreis und allenfalls Kosten der Lieferung) konkret festgestellt werden.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte die Entscheidung des Berufungsgerichtes.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Beklagte hält das Verfahren des Berufungsgerichtes für mangelhaft, weil es ohne Rückhalt im erstgerichtlichen Urteil festgestellt habe, daß der Stoff nicht als Hemdenstoff angeboten worden und auch keine stillschweigende Einigung der Parteien zustandegekommen sei, der Stoff müsse zur Herstellung von Hemden geeignet sein. Ohne Wiederholung und Ergänzung des Beweisverfahrens sei das Berufungsgericht zu einer solchen Feststellung nicht befugt gewesen. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß das Berufungsgericht allerdings davon spricht, das Erstgericht habe eine ausdrückliche Feststellung in dieser Richtung nicht getroffen. Das Berufungsgericht hat aber den Hinweis des Erstgerichtes, daß weder in der Bestellung noch in den Fakturen von der Lieferung eines Hemdenstoffes oder ähnlichem die Rede sei und nur der Beklagte in seiner Parteiaussage angegeben habe, der Vertreter der Klägerin habe ihm Hemdenzephir angeboten, mit Recht dahin ausgelegt, daß auch das Erstgericht schon einen Beweis, daß nach den Abmachungen der Streitteile die Eignung des Stoffes für die Erzeugung von Hemden gegeben sein müsse, als nicht erbracht angesehen hat. Von einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens kann daher nicht gesprochen werden.

In rechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, daß auf den vorliegenden Fall nach den §§ 36 erster Halbsatz, 862a erster Satz ABGB. österreichisches Recht anzuwenden ist, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat. Der Beklagte macht geltend, daß nach dem bestehenden Handelsbrauch Farbechtheit und Reißfestigkeit eines gelieferten Stoffes vom Käufer vorausgesetzt würden. Insbesondere sei mangels besonderer Vereinbarung Ware mittlerer Art und Güte Gegenstand des Kaufes gewesen. Mit Rücksicht auf den auffallend niedrigen Preis des Stoffes konnte der Beklagte indessen von vorneherein nicht mit einer besonderen, gewöhnlich vorausgesetzten (§ 922 ABGB.) Qualität des Stoffes rechnen, wie dies auch von den Untergerichten auf Grund des Gutachtens eines Sachverständigen als Handelsbrauch angenommen worden ist. Der Umstand, daß der zweite Sachverständige davon abweichende Angaben gemacht hat, spielt im Revisionsverfahren keine Rolle, weil es Sache der nicht mehr bekämpfbaren Beweiswürdigung in den unteren Instanzen war, klarzustellen, welchem der Sachverständigen mehr Glauben beizumessen sei. Es handelt sich entgegen der Meinung des Beklagten bei der Waschbarkeit und Reißfestigkeit eines Stoffes um offene Mängel, die ein Fachmann nach den Feststellungen des Erstgerichtes sofort erkennen kann (§ 377 HGB.). Die klagende Partei hat die vertragsmäßig bedungene und genehmigte Ware geliefert, und der Beklagte kann mangels rechtzeitiger Mängelrüge die Bezahlung des der klagenden Partei zufolge des Rücktrittes vom Vertrag entstandenen Schadens (§ 921 ABGB.) nicht ablehnen.

Der der klagenden Partei erwachsene Schaden besteht nach ihrer Behauptung im Entgang des Gewinnes aus dem mißglückten Rechtsgeschäft mit dem Beklagten. Da jeder Schaden nach dem Nachteil zu beurteilen ist, der dem Geschädigten entstanden ist, kommt es im vorliegenden Fall auf die Verhältnisse an, unter denen portugiesische Lieferanten ihre Exportgeschäfte mit österreichischen Käufern abzuwickeln pflegen.

Was die Höhe des Schadens der klagenden Partei betrifft, meint diese, daß die vorliegenden Beweisunterlagen ausgereicht hätten, um konkrete Feststellungen des Berufungsgerichtes zu ermöglichen. Abgesehen davon aber, daß das Erstgericht solche konkrete Feststellungen nicht getroffen hat und schon deshalb die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles am Platz war, reichen die von der klagenden Partei angeführten Beweismittel zu den vom Berufungsgericht mit Recht als notwendig angesehenen Feststellungen nicht hin. Es fehlt die Sicherheit, daß sich die angeführten Beweise überhaupt auf Fälle beziehen, die mit dem vorliegenden übereinstimmen und die maßgebenden Verhältnisse ausreichend berücksichtigen.

Es wäre auch nicht möglich gewesen, die Höhe des Schadens der klagenden Partei nach § 273 ZPO. festzustellen, da die konkrete Feststellung des Schadens der klagenden Partei keineswegs nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist.

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