OGH 6Ob209/59

OGH6Ob209/5924.6.1959

SZ 32/84

Normen

ABGB §§254 ff
ABGB §§254 ff

 

Spruch:

Eine Entlassung des Vormundes ist auch ohne Vorliegen der in den §§ 254 bis 256, 259, 260 ABGB. angeführten Gründe immer möglich, wenn seine Beibehaltung dem Interesse des Mundels abträglich wäre.

Entscheidung vom 24. Juni 1959, 6 Ob 209/59.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der am 10. Juni 1944 geborene Hans Peter T. ist ein uneheliches Kind der Gertrude T., die bis zu ihrem Tod am 9. Mai 1956 auch Vormunderin war. Sein Vater war ein in Kriegsgefangenschaft geratener ehemaliger griechischer Offizier. Gertrude T. war, ebenso wie ihre Mutter Marianne T., an einer offenen Handelsgesellschaft beteiligt, die eine Apotheke in Wien betreibt. Am 14. Mai 1956 beantragte Marianne T. unter Hinweis auf ihr Alter von damals 71 Jahren und ihren angegriffenen Gesundheitszustand, die Rechtsanwältin Dr. M., zu welcher sie als Rechtsfreundin der Familie Vertrauen habe, zum Vormund für den Minderjährigen zu bestellen. Dies geschah mit Beschluß vom 2. Juni 1956.

Am 4. März 1958 beantragte Marianne T. zum ersten Mal, Dr. M. ihres Amtes als Vormunderin zu entheben; sie begrundete dies damit, daß ihr der Minderjährige, der bei einer Familie K. - es handelt sich um einen mit einer (allerdings keine Praxis führenden) Ärztin verheirateten Lehrer - untergebracht ist, entfremdet werde, daß durch die Vormundschaft das geistige und körperliche Wohl des Minderjährigen leide und Dr. M. unbegrundeterweise Erholungsaufenthalte des Mundels in Tirol, wo es sich bei der Großmutter aufhalten könnte, unmöglich mache. Dieser Antrag wurde mit Beschluß vom 22. Juli 1958 abgewiesen, was das Rekursgericht mit Beschluß vom 3. September 1958 bestätigte.

Am 24. November 1958 beantragte Marianne T. neuerlich die Enthebung der bisherigen Vormunderin und die Bestellung eines Mannes zum neuen Vormund. Am gleichen Tag stellte der minderjährige Hans Peter T. selbst einen analogen Antrag. Marianne T. begrundete ihren Antrag im wesentlichen mit den gleichen Argumenten wie das erste Mal. Während des Verfahrens brachte sie noch vor, der Minderjährige habe wegen seiner Eingabe an das Gericht vom Gatten der Vormunderin eine Ohrfeige bekommen; Dr. M. habe ihm ihrerseits mit einer Einweisung nach Eggenburg oder Kaiserebersdorf gedroht.

Der Erstrichter, der den Antrag des Minderjährigen bisher nicht erledigte, wies den neuen Antrag der Großmutter wiederum ab.

Ihr Rekurs, in welchem sie ihr Begehren dahin änderte, sie möge selbst zur Vormunderin und Regierungsrat Josef K., nach der Aktenlage ein Bezirksschulinspektor, den sie schon früher als Vormund in Vorschlag gebracht hatte, zum Mitvormund bestellt werden, blieb erfolglos.

Der Oberste Gerichtshof wies den außerordentlichen Revisionsrekurs der Großmutter des Minderjährigen zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Vor Prüfung des Revisionsrekurses ist zunächst klarzustellen, ob der mütterlichen Großmutter im vorliegenden Verfahren überhaupt die Rekurslegitimation zukommt.

Ein Recht auf Bestellung zur Vormunderin hat sie jedenfalls nicht. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob eine gesetzliche Berufung auf Grund der Verwandtschaft bei unehelichen Kindern überhaupt abgelehnt wird (vgl. hiezu Bartsch in Klang 1. Aufl. I/1 S. 988, 990; SZ, X 213) oder ob sie zwar als gegeben (vgl. hiezu Ehrenzweig 2. Aufl. II/2 S. 305), aber als verschwiegen im Sinne des § 259 ABGB. angesehen wird. Nun ist jedermann berechtigt, dem Gerichte Umstände anzuzeigen, die zu einer Verfügung nach § 254 ABGB. Anlaß geben können. In erster Linie sind dazu die Verwandten berufen (§ 217 ABGB.), auf deren Stellungnahme es auch in anderen, für den Pflegebefohlenen wichtigen Fällen ankommen kann (§ 252 ABGB.). Gewiß kommt nicht jedem, der eine Anzeige nach den §§ 178, 217 ABGB. erstattet, aus diesem Gründe allein schon Parteistellung im Sinn des § 9 AußStrG. zu. Den nächsten Verwandten wird aber zur Gewährleistung der Wahrung der Interessen des Pflegebefohlenen zumindest in besonders gelagerten Fällen auch das Rekursrecht nicht abgesprochen werden können (vgl. hiezu Ott, Rechtsfürsorgeverfahren, S. 243; Rintelen, Grundriß des Verfahrens außer Streitsachen, S. 34; GlUNF. 4226, RiZ. 1932 S. 188, JBl. 1954 S. 516, 2 Ob 401/57). Da es sich bei der Rechtsmittelwerberin nach der Aktenlage um die nächste, wenn nicht die einzige Verwandte des mj. Hans Peter T. handelt, kann und muß ihre Rekurslegitimation in Anbetracht der Bedeutung der aufgerollten Fragen bejaht werden.

Der Oberste Gerichtshof vermag sich der Ansicht des Rekursgerichtes, die Fälle, in denen ein Vormund gegen seinen Willen entlassen werden kann, seien im Gesetz, und zwar einerseits in den §§ 254 bis 256 ABGB., andererseits in den §§ 259, 260 ABGB. erschöpfend aufgezählt, nicht anzuschließen. Sie hat zwar dem Wortlaut nach die Ausführungen von Bartsch in Klang a. a. O. 1079 für sich, doch kann nicht übersehen werden, daß sich auch dieser Autor bemüht, durch eine möglichst weitherzige Auslegung des Begriffes einer "Unfähigkeit des Vormundes" (§ 254 ABGB.) darzutun, daß die Entlassung eines Vormundes praktisch in allen Fällen möglich ist, in denen seine Beibehaltung dem Interesse des Mundels abträglich wäre (Bartsch a. a. O. 1080 f.). Geht man nun davon aus, daß nach dem Grund- und Leitprinzip des gesamten Vormundschaftsrechtes immer das Wohl des Mundels maß- und ausschlaggebend ist, kommt man uneingeschränkt zur Auffassung, daß eine Entlassung des Vormundes immer dann möglich sein muß, wenn sie im Interesse des Mundels geboten erscheint. Der Oberste Gerichtshof hat daher keine Veranlassung, von der Auffassung abzugehen, daß die Fälle einer Entlassung des Vormundes im Gesetz nicht erschöpfend aufgezählt sind (1 Ob 345/51).

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