OGH 6Ob106/59

OGH6Ob106/5915.4.1959

SZ 32/49

Normen

ABGB §1210
VerG §4
ABGB §1210
VerG §4

 

Spruch:

Ist in den Vereinsstatuten der Ausschluß eines Mitgliedes ohne Anführung der Ausschließungsgrunde vorgesehen, so ist die Zulässigkeit des Ausschlusses nach § 1210 ABGB. zu beurteilen.

Entscheidung vom 15. April 1959, 6 Ob 106/59.

I.Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Noch vor der Eröffnung der Generalversammlung des beklagten Vereines am 3. Mai 1956 kam es zu einer Auseinandersetzung darüber, ob der von den beiden Klägerinnen und anderen Vereinsmitgliedern als Rechtsbeistand beigezogene Rechtsanwalt Dr. G. an der Versammlung teilnehmen solle. Der genannte Anwalt weigerte sich, der Aufforderung der damaligen Vereinspräsidentin Emilie D. und der damaligen Vereinsvizepräsidentin Anna H., den Sitzungssaal zu verlassen, Folge zu leisten, worauf die Präsidentin Emilie D. und die Vizepräsidentin Anna H. mit einem Teil der Vereinsmitglieder den Saal verließen. Die im Saal zurückgebliebene Vereinsvizepräsidentin Eugenie He., die nach längerer Krankmeldung ihre Tätigkeit noch vor der Generalversammlung wieder aufgenommen hatte, führte nach Ablauf einer Wartezeit von einer halben Stunde bei unversperrten Saaltüren mit den zurückgebliebenen Vereinsmitgliedern eine Generalversammlung durch, bei der die Erstklägerin (die bis 20. April 1955 schon einmal Präsidentin des beklagten Vereines gewesen war) wieder zur Präsidentin des beklagten Vereines und die Zweitklägerin zur Vorsteherin (Heimleiterin) gewählt wurde. Die Erstklägerin teilte in der Folge den sogenannten "Zivilmitgliedern", welche im Vereinsheim wohnten, ohne den im § 10 der Vereinsstatuten festgesetzten Aufnahmebedingungen zu entsprechen, d. h. ohne Offiziers- (Militärbeamtens-)Witwen oder -Waisen zu sein, mit, daß sie zwar im Heim wohnen bleiben könnten, aus dem beklagten Verein aber ausgeschlossen würden. Ferner bemühte sich die Erstklägerin in dem Bestreben, dadurch wirtschaftliche Vorteile für die Vereinsmitglieder zu erlangen, beim Bundesministerium für Landesverteidigung (Oberst Ö.), die Übernahme des Vereines durch das genannte Ministerium als Stiftung im Einvernehmen mit der (gegnerischen) Vereinsleitung zu erreichen. Die Damen Emilie D. und Anna H. beriefen dagegen für den 5. Juni 1956 eine Generalversammlung, bei der eine andere Vereinsleitung gewählt wurde, die am 27. April 1957 die beiden Klägerinnen ausschloß. Nicht erwiesen ist, daß die Erstklägerin andere Vereinsmitglieder zu Beschwerden veranlaßt hat, daß sie in einem Kündigungsprozeß des beklagten Vereines gegen diesen intrigiert oder gar unwahre Zeugenaussagen abgelegt hat, endlich daß sie mit zunehmendem Alter ein immer herrschsüchtigeres Benehmen zur Schau getragen hat. Die Vereinsbehörde traf keine Entscheidung betreffend die Ungültigkeit der Wahl vom 3. Mai 1956, stellte aber die Auflösung des beklagten Vereines wegen der beiden rivalisierenden Vereinsleitungen und insbesondere wegen der statutenwidrigen Aufnahme von "Zivilmitgliedern" zur Diskussion.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens, die Ausschließung der Klägerinnen aus dem beklagten Verein sei unwirksam und der frühere Zustand werde wiederhergestellt, dahingehend, daß die Klägerinnen als Vereinsmitglieder in ihre Vereinsrechte wieder eingesetzt würden. Die am 3. Mai 1956 geschehene Wahl der Klägerinnen sei rechtswirksam erfolgt. Dagegen sei die Generalversammlung vom 5. Juni 1956 nicht von der rechtmäßigen Vereinsleitung einberufen worden, weshalb bei dieser Generalversammlung eine rechtmäßige Vereinsleitung nicht habe gewählt werden können und der durch das damals gewählte Präsidium ausgesprochene Ausschluß der Klägerinnen aus dem Verein unwirksam sei. Auch abgesehen davon lägen keine hinreichenden Gründe für den Ausschluß der Klägerinnen aus dem beklagten Verein vor.

Auf Berufung des Beklagten bestätigte das Berufungsgericht, vom eingangs dargestellten Sachverhalt ausgehend, diese Entscheidung und sprach gemäß § 500 Abs. 2 ZPO. aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige. Das Berufungsgericht ließ die Frage, ob der bekämpfte Ausschluß der Klägerinnen durch ein rechtmäßiges Präsidium erfolgt sei, dahingestellt, da der zweite vom Erstgericht gebrauchte Abweisungsgrund, daß nämlich keine Ausschließungsgrunde vorlägen, zutreffe. Der Ausschluß der Erstklägerin könne nicht auf ihre zu weit zurückliegende Tätigkeit als Präsidentin bis 1955 gegrundet werden. Auch Vorfälle nach dem Ausschluß der Klägerinnen (nach dem 27. April 1957) könnten zur Begründung dieses Ausschlusses nicht herangezogen werden. Dem Erstgericht sei beizupflichten, daß sich die Erstklägerin zumindest subjektiv für die am 3. Mai 1956 rechtmäßig gewählte Präsidentin des Vereines halten konnte. Im übrigen sei kein den Ausschluß rechtfertigendes Verhalten der Klägerinnen erwiesen worden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Beklagte bekämpft in der Revision nicht etwa die durch die Untergerichte im Sinne zahlreicher Entscheidungen (GlUNF. 6705, SZ. III 104, SZ. XIII 218, JBl. 1931 S. 18, 1 Ob 120/57 u. a.) bejahte gerichtliche Zuständigkeit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses, und zwar sowohl in formeller (statutengemäße Zuständigkeit der ausschließenden Vereinsorgane, Einhaltung des statutengemäßen Ausschließungsverfahrens) als auch materieller (Vorhandensein der statutengemäßen Ausschließungsgrunde) Beziehung, sondern vertritt die Ansicht, daß nach den Statuten des beklagten Vereines der Ausschluß eines Mitgliedes im Belieben des Vereinspräsidiums stehe, also auch grundlos erfolgen könne, so daß eine Überprüfung von Ausschließungsgrunden durch das Gericht - abgesehen von Schikanefällen - nicht in Frage komme. Dieser Standpunkt des Beklagten (der noch klarer als in der Revision in der Berufung vorgetragen wird) kann nicht geteilt werden. Eine ausdrückliche Statutenbestimmung im Sinne dieses Standpunktes besteht nicht. In den Statuten ist der Ausschluß nur in folgenden Zusammenhängen erwähnt. Nach § 6 lit. e obliegt dem Präsidium "Ausschluß bzw. Aufkündigung alter Mitglieder". Nach § 10 müssen sich neu eintretende ordentliche Mitglieder verpflichten, im Falle der Aufkündigung oder der Ausschließung binnen zwei Monaten die Wohnung zu räumen (nach derselben Statutenstelle ist das Pensionsverhältnis innerhalb derselben Frist beiderseits jederzeit kundbar). Diese Statutenregelung gestattet nicht den Schluß darauf, daß die Ausschließung im Belieben des Vereinspräsidiums stunde. Eine solche Auslegung würde wegen dadurch bedingter Abhängigkeit der durch die Aufnahme erworbenen Rechte der Vereinsmitglieder von einer willkürlichen Entscheidung und wegen der vom Gesetzgeber kaum gewollten Möglichkeit, eine Minorität im Verein durch Ausschließung um ihre Rechte zu bringen (so die Gründe der Entscheidung SZ. III 104 und anderer ihr folgender Entscheidungen für das Überprüfungsrecht des Gerichtes), zu einem grob unbilligen, wenn nicht sogar sittenwidrigen Ergebnis führen (in diesem Sinn schon RiZ. 1933 S. 192) und ist daher abzulehnen. Vielmehr ist die Ausschlußmöglichkeit nach § 1210 ABGB. zu beurteilen (vgl. Bettelheim in Klang 1. Aufl. III 452; Wahle in Klang 2. Aufl. V 498). Es ist im vorliegenden Fall also die Frage zu lösen, ob die Klägerinnen gegen die im § 8 der Statuten festgesetzten Pflichten der Vereinsmitglieder verstoßen haben, insbesondere den Frieden, die Würde und den guten Ruf des Heimes innerhalb und außerhalb desselben nicht gewahrt, die übernommenen Funktionen nicht gewissenhaft ausgeführt und nicht alles aufgewendet haben, um die Gefahr der Auflösung des Vereines hintanzuhalten.

Diese Frage wurde von den Untergerichten mit Recht verneint. Die beiden Klägerinnen konnten sich nach ihrer Wahl am 3. Mai 1956 im Sinn der eben angeführten Statutenbestimmung verpflichtet fühlen, "ihre Funktionen gewissenhaft auszuführen", wenn ihnen der gute Glaube zuerkannt wird, daß ihre Wahl rechtmäßig erfolgt sei. Dann kann ihnen entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht ein pflichtwidriges Verhalten nicht angelastet werden. Was den guten Glauben der Klägerinnen in dieser Beziehung anlangt, ist folgendes zu erwägen: es ist in dieser Hinsicht auf die erstgerichtliche Entscheidung zu verweisen, die in erster Linie davon ausgeht, daß die Wahl der Klägerinnen durch die Rumpfversammlung am 3. Mai 1956 rechtmäßig erfolgt sei, sowie auf die Gründe, die der Beklagte in seiner Berufung dagegen ins Treffen geführt hat. Zur Beurteilung, ob die erwähnte Ansicht des Erstgerichtes richtig ist, sind zahlreiche, durchaus nicht einfache Fragen tatsächlicher und rechtlicher Natur zu klären - zu deren Lösung, wie hier nur nebenbei bemerkt sei, die bisherigen Verfahrensergebnisse nicht zureichen -, wie z. B. die Frage des Stimmrechtes der "Zivilpersonen", die Frage der Eröffnung der Rumpfversammlung und ihrer Legitimation zur Wahl der Klägerinnen, die Tage der Annullierung dieser Wahl am 5. Juni 1956 usw. Wird berücksichtigt, daß es sich bei den Klägerinnen um Offizierswitwen im damaligen Alter von zirka 67 und 70 Jahren gehandelt hat, kann ihnen bei dieser sachlichen und rechtlichen Unübersichtlichkeit der Lage guter Glaube nicht abgesprochen werden. Es kann ihnen gewiß auch nicht angelastet werden, daß sie entsprechend ihrer Pflicht, "alles aufzuwenden, um die Gefahr der Auflösung des Vereines hintanzuhalten", in der Folge - wenn vielleicht auch nicht in sehr glücklicher Weise - getrachtet haben, mit der "anderen" Vereinsleitung ins Reine zu kommen, nämlich durch Teilnahme an der Generalversammlung am 5. Juni 1956, und daß sie sich beim Bundesministerium für Landesverteidigung um eine ihnen für den beklagten Verein vorteilhaft erscheinende Regelung bemüht haben, die im Einvernehmen mit der "anderen" Vereinsleitung erfolgen sollte. Im übrigen ist dem Berufungsgericht aus dessen zutreffenden Gründen beizupflichten, daß die Ausschließung weder mit lange zurückliegenden Vorfällen begrundet noch mit erst später eintretenden Vorfällen gerechtfertigt werden kann (vgl. hiezu auch Palandt, BGB., 17. Aufl. S. 23 Anm. 3 zu § 25 BGB.).

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