Normen
ABGB §26
ABGB §1042
Fürsorgepflichtverordnung §§1 ff
Fürsorgepflichtverordnung §21a
JN §1
ZPO §1
ABGB §26
ABGB §1042
Fürsorgepflichtverordnung §§1 ff
Fürsorgepflichtverordnung §21a
JN §1
ZPO §1
Spruch:
Die Bezirksfürsorgeverbände besitzen Rechtspersönlichkeit; sie können klagen und geklagt werden.
Die den Bezirksfürsorgeverbänden zustehenden Ersatzansprüche sind keine Unterhaltsansprüche und daher auf dem Rechtsweg geltend zu machen.
Entscheidung vom 17. Dezember 1958, 3 Ob 3/58.
I. Instanz: Bezirksgericht Neunkirchen; II. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt.
Text
Der Bezirksfürsorgeverband N. begehrte von der Beklagten als der unterhaltspflichtigen Mutter des in die Heil- und Pflegeanstalt G. aufgenommenen mj. Johann V. den Ersatz des in der Zeit vom 14. Juni 1957 bis 31. August 1957 geleisteten Fürsorgeaufwandes im Betrag von 1409 S, außerdem ab 1. September 1957 auf die Dauer der Unterstützung des Johann V. durch die klagende Partei den Betrag von 549 S monatlich im vorhinein.
Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens. Es stellte fest, daß der 13jährige Johann V. seit 14. Juni 1946 ununterbrochen in der Heil- und Pflegeanstalt G. angehalten wird und daß hiefür täglich 36 S an Verpflegskosten auflaufen; daß neben der Beklagten als Mutter für Johann V. die väterlichen und mütterlichen Großeltern sorgepflichtig sind, von denen der väterliche Großvater monatlich 1700 S netto, der mütterliche Großvater monatlich durchschnittlich 1400 S und die mütterliche Großmutter monatlich durchschnittlich 1070 S verdienen; daß die väterlichen Großeltern keine weitere Sorgepflicht trifft, die mütterlichen Großeltern aber für die 13jährige Gertraude K. zu sorgen haben; daß die Beklagte außer für Johann V. noch für ihre 17jährige Tochter Gertrude V. und für die vierjährige Christine K. zu sorgen hat, für die 17jährige Gertrude aber nur monatlich 105 S den väterlichen Großeltern bezahlt; endlich, daß die Beklagte im Monatsmittel ein Einkommen von 1800 S hat, wozu noch die Kinderbeihilfe für Johann V. im Betrag von 125 S kommt. Das Erstgericht meinte, daß die Beklagte zur Leistung der in Anspruch genommenen Beträge herangezogen werden könne.
Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil in seinem Ausspruch über die Zuerkennung einer monatlichen Rente von 549 S als nichtig auf und wies die Klage insoweit zurück. Im übrigen bestätigte es das erstgerichtliche Urteil hinsichtlich des Zuspruches eines Betrages von 1185 S samt 4% Zinsen seit 28. August 1957 und im Kostenausspruch. Bezüglich eines Betrages von 224 S wies es das Klagebegehren in Abänderung des erstgerichtlichen Urteils ab. Zur Zurückweisung eines Teiles des Begehrens als nichtig führte das Berufungsgericht aus, daß zur Geltendmachung der im Wege der Legalzession auf den Bezirksfürsorgeverband N. übergegangenen Unterhaltsansprüche des mj. Johann V. der Rechtsweg verschlossen sei. Nur die in der Vergangenheit gezahlten Unterstützungsbeträge könne der Bezirksfürsorgeverband mit Rücksicht darauf, daß sich hier sein Anspruch auf § 1042 ABGB. stütze, mit Klage, die laufenden Unterstützungsbeiträge aber müsse er im Außerstreitverfahren geltend machen, dies im Hinblick auf § 21a der Fürsorgepflichtverordnung, in dem die Geltendmachung sonst höchstpersönlicher und nicht abtretbarer Unterhaltsansprüche einen Dritten gestattet werde, und im Hinblick auf die weitere Erwägung, daß die Gründe, die für die Verweisung der Regelung der Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder in das Verfahren außer Streitsachen sprächen, auch beim Anspruchsübergang des § 21a FürsorgepflichtV. gegeben seien.
Der Oberste Gerichtshof gab dem von der klagenden Partei lediglich gegen die Zurückweisung des Teilbegehrens von monatlich 549 S als nichtig Berichteten Rekurs Folge, hob diesen Teil der angefochtenen Entscheidung auf und trug dem Berufungsgerichte die neuerliche Entscheidung über diesen Teil des Begehrens auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Zulässigkeit des Rekurses ergibt sich aus § 519 Z. 2 ZPO., weil das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil im Umfang seines Ausspruches über die Pflicht der Beklagten zur Zahlung einer Rente als nichtig aufgehoben und die Klage insoweit zurückgewiesen hat und weil, es sich nicht bloß um die Frage einer Unterhaltsbemessung handelt.
Zu prüfen bleibt demnach nur, ob der Bezirksfürsorgeverband Rechtspersönlichkeit besitzt und parteifähig ist und ob die von ihm erhobenen Ansprüche auf Zahlung einer Rente im Rechtsweg geltend gemacht werden können.
Die erste Frage ist im Verfahren gar nicht aufgeworfen worden. Das Berufungsgericht hat in seinem rechtskräftigen Urteil die Parteifähigkeit der Klägerin nicht geprüft. Sie ist zu bejahen. Die Landes- und Bezirksfürsorgeverbände wurden in Österreich durch die Verordnung über die Einführung fürsorgerechtlicher Vorschriften vom 3. September 1938, DRGBl. I S. 1125 (Fürsorgepflichtverordnung), als Träger der öffentlichen Fürsorge geschaffen. Es handelte sich hiebei um die Errichtung von territorialen Selbstverwaltungskörpern. Daran änderte sich nichts durch das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark vom 14. April 1939, DRGBl. I S. 777 (Ostmarkgesetz). Die Fürsorgeverbände blieben bestehen, ihre Aufgaben wurden von den Landkreisen, die gebietsmäßig mit den Sprengeln der Bezirksfürsorgeverbände zusammenfielen, übernommen und durchgeführt. Die Beseitigung der Landkreise als Verwaltungssprengel hatte nicht die Beseitigung der Fürsorgeverbände zur Folge. Diese wurden weder aufgehoben noch ersetzt. Die einzelnen Landesgesetze - für Niederösterreich das Landesgesetz vom 12. Mai 1949, LGBl. Nr. 40 - setzten vielmehr die mit der Verordnung vom 3. September 1938, DRGBl. I S. 1125 (GBlÖ. Nr. 397/1938), eingeführten fürsorgerechtlichen Normen in ihrer alten Fassung in Kraft, damit auch hinsichtlich jener Bestimmungen, die die Errichtung von Landes- und Bezirksfürsorgeverbänden als Trägern der öffentlichen Fürsorge im Auge hatten. Damit steht fest, daß die Bezirksfürsorgeverbände, die nach 1945 faktisch ungehindert ihre Tätigkeit ausübten, als die durch reichsrechtliche Vorschriften geschaffenen und durch die österreichischen Landesgesetze nach 1945 bestätigten Selbstverwaltungskörper bestehen und nach wie vor Rechtspersönlichkeit genießen. Sie wurden bisher nicht auf dem Wege der Gesetzgebung beseitigt. Es anerkennt sie vielmehr die Gesetzgebung, soweit sie bestehen. Das Bundesverfassungsgesetz vom 21. Jänner 1948, BGBl. Nr. 45, über die Regelung der finanziellen Beziehungen zwischen dem Bund und den übrigen Gebietskörperschaften (Finanzverfassungsgesetz 1948), bestimmt im § 3 Abs. 2, daß die Landesgesetzgebung die Umlegung des Bedarfes solcher Gemeindeverbände regelt, die am Tag des Inkrafttretens des Finanzverfassungsgesetzes 1948 bestehen, und meint damit vor allem die Bezirksfürsorgeverbände (siehe hiezu Pfaundler, Die Finanzausgleichsgesetzgebung, S. 7 und 12). Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 24. Juni 1955, VfGHSlg. Nr. 2842, in bezug auf Niederösterreich und in seiner Entscheidung vom 22. Juni 1956, VfGHSlg. Nr. 3019,in bezug auf Oberösterreich wohl einzelne Bestimmungen des niederösterreichischen Landesgesetzes vom 12. Mai 1949, LGBl. Nr. 40, und des oberösterreichischen Landesgesetzes vom 18. Mai 1949, LGBl. Nr. 53, betreffend die Weitergeltung des Fürsorgerechtes in diesen Ländern, als verfassungswidrig aufgehoben, aber er behandelt in beiden Entscheidungen den jeweils in Betracht kommenden Bezirksfürsorgeverband als eine existente und anerkannte Rechtspersönlichkeit. Keinen Zweifel in dieser Richtung läßt auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Dezember 1955, VwGHSlg. Nr. 3935 (A.), die mit Bezug auf die Bestimmung des oberösterreichischen Landesgesetzes vom 18. Mai 1949, LGBl. Nr. 53, ausdrücklich ausspricht, daß die Bezirksfürsorgeverbände als Ortsgemeindeverbände im Sinne der oberösterreichischen Gemeindeordnung anzusehen sind.
Der Oberste Gerichtshof hat, wenn auch mit gewissen Schwankungen, in mehrfachen Entscheidungen schon anerkannt, daß die Bezirksfürsorgeverbände bestehen, tätig sind und Vermögen haben. So hat er in der Entscheidung vom 13. Juni 1958, 3 Ob 99/58, - allerdings nur am Rand - die Existenz der Bezirksfürsorgeverbände als gegeben angenommen. In der Entscheidung vom 9. März 1955, 7 Ob 126/55, hat er die Parteifähigkeit der Bezirksfürsorgeverbände als Rechtsträger als außer Zweifel bestehend behandelt. Er glaubt nunmehr - unter Ablehnung der gegenteiligen Rechtsmeinung in anderen Entscheidungen - das Bestehen, die Rechtspersönlichkeit und die Parteifähigkeit der Bezirksfürsorgeverbände bejahen zu müssen, zumal auch die Literatur überwiegend das Bestehen der Bezirksfürsorgeverbände, wenn auch nicht immer als Selbstverwaltungskörper mit eigener Rechtspersönlichkeit, bejaht (im letzteren Sinn vor allem Bräuer, Die Rechtspersönlichkeit der Bezirksfürsorgeverbände, JBl. 1957 S. 62 ff., Fritzer in JBl. 1949 S. 387 ff.; Schuhmann in JBl. 1951 S. 281 ff.).
Bestehen die Bezirksfürsorgeverbände als Selbstverwaltungskörper mit Rechtspersönlichkeit, dann werden sie nach Art. 5 des Gesetzes StGBl. Nr. 66/1945 im Zusammenhalt mit dessen Art. 4 durch die Bezirksverwaltungsbehörde, also durch den Bezirkshauptmann, vertreten. Zusammenfassend ergibt sich demnach, daß die Bezirksfürsorgeverbände bestehen, Rechtspersönlichkeit besitzen und durch den Bezirkshauptmann als den Leiter der Bezirksverwaltungsbehörde vertreten werden.
Die klagende Partei kann nach § 21a FürsorgepflichtV. nur Ersatzansprüche auf Grund der im Gesetz normierten Legalzession geltend machen. Diese Ansprüche sind nicht mehr Unterhaltsansprüche im Sinne des Gesetzes, über welche im Fall der Minderjährigkeit des unterhaltsberechtigten Kindes im Verfahren außer Streitsachen zu verhandeln und zu entscheiden wäre (so der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung: SZ. XXV 335 u. a.). Daran hat auch der Wegfall der Bestimmung des § 23 FürsorgepflichtV., die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Juni 1955, G 7/55/10 (= LGBl. f. NÖ. Nr. 97/1955), aufgehoben wurde, nichts geändert, da diese Aufhebung, wie auch das Berufungsgericht hervorhebt, nicht deshalb erfolgte, weil der Rechtsweg vorgesehen ist. Überlegungen über die Zulässigkeit des außerstreitigen Verfahrens aber können nicht Platz greifen, da für die Zuteilung einer Sache in das streitige oder außerstreitige Verfahren nicht Zweckmäßigkeitserwägungen entscheidend sind, sondern in erster Linie die positiven Anordnungen des Gesetzes. Diese haben die Regelung von Unterhaltsansprüchen pflegebefohlener Personen im Verfahren außer Streitsachen nur dann im Auge, wenn es sich um Beteiligte handelt, die zueinander im familienrechtlichen Verbande stehen. Es muß daher den Ausführungen des Rekurswerbers beigestimmt und die Zulässigkeit des Rechtsweges im gegenständlichen Fall bejaht werden.
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