OGH 5Ob369/58

OGH5Ob369/5817.12.1958

SZ 31/158

Normen

ABGB §1118
ZPO §190
ABGB §1118
ZPO §190

 

Spruch:

Gegen den auf einen rechtskräftigen Verwaltungsbescheid gestützten Räumungsanspruch nach § 1118 ABGB. kann nicht geltend gemacht werden, der Hauseigentümer habe den Demolierungsauftrag listig erschlichen.

Entscheidung vom 17. Dezember 1958, 5 Ob 369/58.

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Die klagende Partei ist grundbücherliche Eigentümerin des Hauses E.- Gasse Nr. 6 in G. Ernst Sch. hat in diesem Hause ein Geschäftslokal mit Mitbenützungsrechten, Alois P. eine Wohnung im ersten Stockwerk und Gottfried Pi. ein Geschäftslokal mit Kellerabteil und Mitbenützungsrechten in Miete.

Die klagende Partei brachte beim Erstgericht gegen diese drei Mieter gesonderte Klagen ein, mit denen sie, gestützt auf den Demolierungsbescheid des Magistrates G. als Baupolizeiamtes vom 3. April 1958, A 10/3-1866/14-1958, gemäß § 1118 ABGB. die sofortige Räumung der Bestandobjekte verlangte.

Das Erstgericht erkannte in allen drei Rechtssachen nach dem Klagebegehren.

Das Berufungsgericht, von dem sie gemäß § 187 ZPO. zur gemeinsamen Verhandlung und Urteilsfällung verbunden wurden, gab den Berufungen der beklagten Parteien keine Folge. Es sprach aus, daß in jeder Rechtssache der Streitwert 10.000 S übersteige.

Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Beklagten hatten im Verfahren erster Instanz eingewendet, daß die klagende Partei das Haus im Dezember 1956 in der Absicht erworben habe, es zu demolieren und an dessen Stelle ein neues Haus ausschließlich für ihre eigenen Zwecke zu errichten. Das Haus sei keineswegs einsturzgefährdet, sondern nur verwahrlost und, abgesehen von der Notwendigkeit einiger wirtschaftlich vertretbarer Sicherungsmaßnahmen, in gutem Bauzustand gewesen. Daher habe das Baupolizeiamt der klagenden Partei zunächst nur eine zweijährige Beobachtung des Baues und die Unbewohnbarmachung der unbewohnten Räume aufgetragen. Die klagende Partei habe aber am 27. und 31. Jänner 1958 tragende Konstruktionsteile des Bauwerkes, und zwar Horizontal- und Vertikalverbindungen, offenbar in der Absicht entfernt, die Baubehörde in Irrtum zu führen, um auf diese Art den erstrebten Demolierungsauftrag zu erhalten. Die von der klagenden Partei entfernten Konstruktionsteile seien vollkommen gesund gewesen. Sie habe es verhindert, daß zur Beweissicherung photographische Aufnahmen gemacht wurden. Trotz Entfernung dieser Teile habe noch immer keine Einsturzgefahr bestanden. Für den Fall der Rechtskraft des Demolierungsbescheides stellte der Beklagte Ernst Sch. den Antrag, die Räumungsverpflichtung nur für die Zeit bis zur Wiedererrichtung des Hauses auszusprechen, weil die Klägerin diesen Bescheid durch Arglist herbeigeführt habe. Der Beklagte Gottfried Pi. wendete ein, daß die klagende Partei gemäß § 1323 ABGB. zum Schadenersatz durch Wiederherstellung des früheren Zustandes verpflichtet sei, so daß er nur auf Räumung bis zur Wiedererrichtung seines bisherigen Geschäftsraumes belangt werden könne.

Das Berufungsgericht führte aus, daß diese Einwendungen nicht geeignet seien, den Anspruch der klagenden Partei zu Fall zu bringen, denn § 1118 ABGB. gebe dem Vermieter einen unbedingten Anspruch auf Räumung, wenn ein vermietetes Gebäude neu aufgeführt werden müsse. Die auf Grund eines rechtskräftigen Verwaltungsbescheides festgestellte Notwendigkeit der Räumung der dem Beklagten vermieteten Räume rechtfertige das Klagebegehren. Das Gericht sei an den Bescheid der Verwaltungsbehörde gebunden, obwohl die Beklagten im Verwaltungsverfahren keine Parteistellung hätten. Der vorliegende Räumungsauftrag der Baubehörde schließe die Möglichkeit einer nur vorübergehenden Räumung aus. Der Hinweis der Beklagten auf die mit der Räumung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile könne bei einer auf § 1118 ABGB. gestützten Klage keine Berücksichtigung finden. Ebenso könne in diesem Rechtsstreite nicht geprüft werden, ob und inwieweit den Beklagten gemäß § 1323 ABGB. ein Schadenersatzanspruch auf Wiederherstellung der Bestandräume zustehe.

Die Revisionswerber bestreiten nicht, daß ein behördlicher Demolierungsauftrag vorliegt und an sich die Voraussetzungen für eine Klage im Sinne des § 1118 ABGB. gegeben sind. Dies könnte auch nicht bestritten werden, weil im Auftrag des Magistrates G. als Baupolizeiamtes vom 12. März 1957 rechtskräftig angeordnet wurde, daß das Hauptgebäude und das ehemalige Wohn- und Hofgebäude in der E.-Gasse Nr. 6 in G. bis zum 30. Juni 1958 zum Zwecke der Demolierung zu räumen und sodann gleich abzutragen seien. Der Oberste Gerichtshof hat in wiederholten Entscheidungen ausgesprochen, daß ein derartiger Auftrag der Baubehörde den Vermieter berechtigt, die Räumung mit Klage im Sinne des § 1118 ABGB. zu begehren (s. die bei Kapfer, ABGB., zu § 1118 unter Nr. 12 angeführten Entscheidungen, weiter MietSlg. 4998 und 5619). Die Beklagten machen aber aus dem Revisionsgrunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung (§ 503 Z. 4 ZPO.) geltend, daß die klagende Partei den Demolierungsbescheid durch listige und strafbare Handlungen erschlichen habe und daß sie daher dem Räumungsanspruch die Einrede der Arglist entgegensetzen könnten. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Gerichte an rechtskräftige Verwaltungsbescheide gebunden sind. Ein Recht auf Überprüfung steht den Gerichten nicht zu. An der mit diesem Verwaltungsbescheid verknüpften Rechtsfolge nach § 1118 ABGB. ist daher nicht zu rütteln, mag auch den beklagten Parteien als Mietern im Verwaltungsverfahren keine Parteistellung zugekommen sein (E. des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. September 1953, JBl. 1954 S. 25, MietSlg. 3185). Die beklagten Parteien könnten daher, auch wenn ihre Behauptungen richtig wären, nicht Wiederherstellung des früheren Zustandes verlangen, weil dies gegen die polizeiliche Anordnung verstoßen würde. Es bedeutet daher keinen Mangel des Berufungsverfahrens, daß das Berufungsgericht diese Behauptungen der beklagten Parteien nicht überprüft hat. Die Ansicht der Revisionswerber, daß nur ein Anspruch auf vorübergehende Räumung bis zum Wiederaufbau des Hauses gegeben sei, trifft nicht zu, weil die Klage nach § 1118 ABGB. eine Rechtsgestaltungsklage ist und das Bestandrecht mit der Rechtskraft des Urteils erlischt (SZ. XXIII 343). Nur dann, wenn bloß ein Teil des Bestandgegenstandes baufällig wurde, kann der Mieter durch die Erklärung, einzelne durch Baugebrechen unbewohnbar gewordene Bestandobjekte während der Reparatur zu räumen, die Aufhebung des Bestandvertrages verhindern. Im vorliegenden Falle muß aber das ganze Gebäude niedergerissen werden.

Der Beklagte Ernst Sch. rügt es weiter als einen Mangel des bisherigen Verfahrens, daß ihm verwehrt worden sei, in die Akten der Verwaltungsbehörde Einsicht zu nehmen. In dieser Richtung liegt schon deshalb kein erheblicher Verfahrensmangel im Sinne des § 503 Z. 2 ZPO. vor, weil es im vorliegenden Verfahren nur auf die Verfügung der Verwaltungsbehörde, nicht aber auf die Begründung und den übrigen Inhalt der Verwaltungsakten ankam (vgl. JBl. 1952 S. 499).

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