Spruch:
Ist ein Dienstnehmer vom Dienstgeber nicht zur Sozialversicherung angemeldet worden, so kann der Klage der Witwe auf Bezahlung der ihr entgangenen Witwenrente vom Dienstgeber nach § 1304 ABGB. entgegengehalten werden, daß der verstorbene Dienstnehmer die Unterlassung der Anmeldung gewünscht habe und dadurch am Schaden mitschuldig sei.
Entscheidung vom 21. Oktober 1958, 4 Ob 94/58.
I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Rente und eines Rentenrückstandes darauf, daß ihr am 26. September 1954, verstorbener Gatte vom 18. Oktober 1948 bis 30. Juni 1954 bei der Beklagten beschäftigt gewesen sei, ohne daß er zur Angestelltenversicherung angemeldet worden sei. Durch diese schuldhafte Unterlassung der beklagten Partei entgehe der Klägerin die Witwenrente nach ihrem Gatten.
Die beklagte Partei wendete dagegen ein, daß die Anmeldung des Johann W. zur Sozialversicherung auf dessen ausdrückliches Ersuchen hin unterblieben sei. Da die Klägerin ihre Ansprüche von Johann W. herleite, müsse sie alles gegen sich gelten lassen, was ihm von der beklagten Partei entgegengesetzt werden könnte. Johann W. hätte die Beiträge für die Zeit von 1948 bis 1954 freiwillig entrichten können. Die Klägerin müsse die schuldhafte Unterlassung dieser Leistung vertreten.
Das Erstgericht, das die Verhandlung auf den Grund des Anspruchs eingeschränkt hatte, sprach aus, daß die Klageforderung dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es stellte fest, daß Johann W. bei der Beklagten den Wunsch geäußert habe, zur Sozialversicherung nicht angemeldet zu werden. Die Beklagte habe die Anmeldung unterlassen, obwohl sie dazu nach § 182 RAngVG. verpflichtet gewesen wäre. Diese schuldhafte Unterlassung sei für den Schaden der Klägerin kausal, die dadurch ihre Witwenrente verloren habe. Es wäre der Klägerin nicht möglich gewesen, die Sozialversicherungsbeiträge nachträglich einzuzahlen. Die Zustimmung des Johann W., daß keine Sozialversicherungsbeiträge geleistet würden, sei belanglos, da es trotzdem die Pflicht der Beklagten gewesen wäre, Johann W. anzumelden.
Infolge Berufung der Beklagten änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Zwischenurteil dahin ab, daß der Anspruch der Klägerin nur zur Hälfte als zu Recht bestehend erkannt wurde. Es führte aus, der Anspruch auf die Witwenrente sei vom Rechtsanspruch des Johann W. aus der Pensionsversicherung hergeleitet. Daher könne die Beklagte der Klägerin einwenden, daß Johann W. der ihm obliegenden Rettungspflicht nicht nachgekommen sei. Diese Pflichtverletzung müsse nach § 304 ABGB. berücksichtigt werden. Da die Anteile der Beklagten und des Johann W. an der Schädigung nicht feststellbar seien, müßten beide je zur Hälfte den Schaden tragen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin gegen den abändernden Teil des Urteils des Berufungsgerichtes nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klägerin bekämpft die Rechtsanschauung des Berufungsgerichtes, daß ihr Anspruch auf die Witwenrente aus der Pensionsversicherung ihres Gatten Johann W. hergeleitet sei. Dieser Anspruch sei nämlich, da er nur von der Witwe des verstorbenen Versicherten geltend gemacht werden könne, ein eigener der Witwe. Der Klägerin ist zuzugeben, daß dieser Standpunkt in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ. IX 20 vertreten worden ist. Es handelte sich dort um den ähnlichen Fall, daß der verstorbene Gatte der damaligen Klägerin Personalreferent der beklagten Firma war und als solcher seine Anmeldung bei der Pensionsanstalt für Angestellte schuldhaft unterließ. Der Oberste Gerichtshof nahm damals mit Rücksicht auf die Selbständigkeit des Anspruches auf die Witwenrente an, daß gegenüber der damaligen Klägerin nur eine Schuldkonkurrenz des Gatten und der beklagten Firma vorliege, daß aber der Klägerin das Verschulden ihres Gatten nicht nach § 1304 ABGB. entgegengesetzt werden könne. Eine nähere Begründung dieses Standpunktes wurde vom Obersten Gerichtshof nicht gegeben. Bei der neuerlichen Prüfung der Rechtsfrage darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Selbständigkeit des Anspruches auf die Witwenrente keineswegs so weit geht, wie der Oberste Gerichtshof in jener Entscheidung angenommen hat. Der Rechtsgrund für diesen Anspruch ist nämlich die Pensionsversicherung des Gatten, aus der sich sowohl die Forderung des Versicherten auf den Bezug des Ruhegenusses als auch die seiner Witwe auf Zahlung der Witwenrente ergibt. Daß der letztgenannte Anspruch erst mit dem Tod des Versicherten existent wird, ändert nichts daran, daß der Rechtsgrund ein der Witwe und dem Versicherten gemeinsamer ist.
Dazu kommt, daß der Anspruch auf die Witwenrente als solche vom Versicherten selbst zwar nicht geltend gemacht werden kann, daß es sich aber auch dabei im weiteren Sinn um einen zugunsten des Versicherten bestehenden Anspruch handelt, mag er auch im öffentlichen Interesse geschaffen worden sein. Da die Sozialversicherung der Vertragsversicherung weitgehend nachgebildet ist und die Analogie zur Versicherung zugunsten eines Dritten nicht geleugnet werden kann, muß wohl angenommen werden, daß der Versicherte ebenso wie der Versicherungsnehmer der Vertragsversicherung Anspruch darauf hat, daß nach dem Eintritt des Versicherungsfalles (seinem Tod) die aus seiner Pensionsversicherung sich ergebenden, der Witwe zustehenden Rentenbeträge an diese ausgezahlt werden (vgl. Prölß, Versicherungsvertragsgesetz, 10. Aufl. S. 573; § 881 ABGB.).
Handelt es sich aber bei der Witwenrente im weiteren Sinn auch um einen Anspruch des Pensionsversicherten selbst, muß gesagt werden, daß er im Falle der Verkürzung dieses Anspruches auch als Beschädigter im Sinne des § 1304 ABGB. anzusehen ist. Sein Mitverschulden an einer solchen Verkürzung muß demjenigen der Witwe gleichgestellt werden und kann vom belangten dritten Schädiger nach der angeführten Gesetzesstelle mit Erfolg eingewendet werden.
Für die Richtigkeit dieser Rechtsansicht spricht die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 1327 ABGB. Nach den Entscheidungen GlUNF. 5125, GlUNF. 5338, SZ. XX 218, SZ. XXIV 214 und JBl. 1952 S. 544 kann nämlich der Klage der Hinterbliebenen auf Schadenersatz aus der Tötung des nach dem Gesetz zum Unterhalt Verpflichteten eingewendet werden, daß der Getötete an seinem Tod mitschuldig sei, wenngleich der Getötete zum Unterschied vom vorliegenden Fall zwar anderweitige Ansprüche aus der Schädigung, aber keinen Anspruch auf Unterhalt, zu dessen Leistung er ja verpflichtet war, besessen hat und daher im Rechtsstreit wegen Zahlung des entgangenen Unterhalts nicht ohne weiteres als Beschädigter im Sinne des § 1304 ABGB. angesehen werden könnte. Der Oberste Gerichtshof ist aber auch in den Fällen des § 1327 ABGB. von der Erwägung ausgegangen, daß § 1304 ABGB. nicht engherzig ausgelegt werden darf und das Verhalten gemeinsam Berechtigter und Geschädigter einander gleichgehalten werden muß. Ehrenzweig, Die Schuldhaftung im Schadenersatzrecht, S. 256, macht gegen die Rechtsprechung nach § 1327 ABGB. Bedenken geltend. Was er hingegen zu den Fällen der unterlassenen Pensionsversicherung vorbringt, entbehrt der überzeugenden Begründung.
Im vorliegenden Fall besteht das schuldhafte Verhalten des Johann W. darin, daß er die beklagte Partei ersucht hat, ihn zur Sozialversicherung nicht anzumelden, und auch später gegen die Nichtanmeldung nichts unternommen hat, obwohl er durch Rückfrage beim Versicherungsträger leicht hätte feststellen können und müssen, ob er versicherungspflichtig war. Er hat sich dadurch am Unterbleiben der Anmeldung mitschuldig gemacht und so zum schädigenden Erfolg ebenso wie die beklagte Partei beigetragen. Diese rechtliche Beurteilung des Verhaltens des Johann W. findet ihre ausreichende Deckung im Vorbringen der beklagten Partei. Johann W. habe bei der Beklagten den Wunsch geäußert, zur Sozialversicherung nicht angemeldet zu werden. Die umfangreichen Ausführungen der Klägerin, daß die Annahme des Berufungsgerichtes, Johann W. habe gegen die Nichtanmeldung nichts unternommen und die Unterlassung der Rettungspflicht des Johann W. sei von der Beklagten behauptet worden, unrichtig sei, sind nicht überzeugend. Denn für die Entscheidung ist nur die Behauptung der Beklagten maßgebend, daß Johann W. nicht sozialversichert sein wollte und die Beklagte ersucht hat, ihn nicht anzumelden, woraus sich schon als notwendige Folge der Behauptung ergibt, daß Johann W. gegen die Nichtanmeldung nichts unternommen hat.
Das Berufungsgericht ist zur zutreffenden Rechtsansicht gelangt, daß sich die Klägerin das Mitverschulden ihres Gatten entgegensetzen lassen muß. Da eine ziffermäßige Teilung des Verschuldens nicht möglich ist, hat es bei der vom Berufungsgericht vorgenommenen gleichmäßigen Teilung zu verbleiben (§ 1304 ABGB.).
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